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Deutsch | Italienisch | Interpretation: |
Fünfundzwanzigster
Gesang: |
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DER LÄUTERUNGSBERG: XXV Gesang | PURGATORIO: XXV CANTO | |
Zum Aufstieg litt die Zeit kein längres Säumen: Die Sonne musste schon den Mittagskreis Dem Stier, die Nacht dem Skorpione räumen. |
Ora era onde 'l salir non volea storpio; ché 'l sole avëa il cerchio di merigge lasciato al Tauro e la notte a lo Scorpio: |
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Wie nichts von Aufenthalt der Läufer weiß, Nur vorwärts eilt, was auch am Weg erscheine – Sein A u f t r a g hält ihm nur den Eifer heiß – |
per che, come fa l'uom che non s'affigge ma vassi a la via sua, che che li appaia, se di bisogno stimolo il trafigge, |
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So klommen im zerklüfteten Gesteine Wir nacheinander, weil vom Weg beengt Es sich verbot, dass sich ein Paar vereine. |
così intrammo noi per la callaia, uno innanzi altro prendendo la scala che per artezza i salitor dispaia. |
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Und wie der junge Storch die Flügel schwenkt, Den ersten Flugversuch vom Nest zu wagen, Doch sich, der Kraft misstrauend, wieder senkt: |
E quale il cicognin che leva l'ala per voglia di volare, e non s'attenta d'abbandonar lo nido, e giù la cala; |
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So stieg und sank in mir die Lust, zu fragen; Doch eh ich noch zum Sprechen mich ermannte, Las mir, was auf dem Herzen ich getragen, |
tal era io con voglia accesa e spenta di dimandar, venendo infino a l'atto che fa colui ch'a dicer s'argomenta. |
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Vom Mund der gute Vater ab und wandte Im Gehen sich und sprach: „Schieß ab den Bogen, Dran sich der Strang schon bis zum Drücker spannte.“ |
Non lasciò, per l'andar che fosse ratto, lo dolce padre mio, ma disse: «Scocca l'arco del dir, che 'nfino al ferro hai tratto». |
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So ward ich vom Vertrauen nicht betrogen Und sprach: „Wie kann ein Körperloser magern, Wo ihn der Trieb zur Nahrung nie bewogen?“ |
Allor sicuramente apri' la bocca e cominciai: «Come si può far magro là dove l'uopo di nodrir non tocca?». |
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Er sprach: „Gedächtest du, wie Meleagern Des Holzes Lodern, fern von ihm, verzehrte, Du zähltest nicht zu den leichtfertgen Fragern. |
«Se t'ammentassi come Meleagro si consumò al consumar d'un stizzo, non fora», disse, «a te questo sì agro; |
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Und wenn dein Sinn sich auf den Spiegel kehrte, Der Blick dir und Bewegung zeigt im Bild, Es brauchte keines Worts, das dich belehrte! |
e se pensassi come, al vostro guizzo, guizza dentro a lo specchio vostra image, ciò che par duro ti parrebbe vizzo. |
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Doch dass sich voll der Seelendurst dir stillt, Bitt ich Freund Statius hier; Balsam zu gießen In deine Wunde ist er gern gewillt.“ – |
Ma perché dentro a tuo voler t'adage, ecco qui Stazio; e io lui chiamo e prego che sia or sanator de le tue piage». |
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„Soll ich in deinem Beisein ihm erschließen Des Ewgen Werk,“ sprach er, „entschuldige mich; Wo d u befiehlst, darf m i c h es nicht verdrießen.“ |
«Se la veduta etterna li dislego», rispuose Stazio, «là dove tu sie, discolpi me non potert' io far nego». |
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Darauf begann er: „Wenn dein Geist in sich Mein Wort aufsaugt, den Sinn betrachtet weise, Das W i e wird sich entschleiern dann für dich. |
Poi cominciò: «Se le parole mie, figlio, la mente tua guarda e riceve, lume ti fiero al come che tu die. |
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Das beste Blut, das nicht die Adernkreise Auftrinken – sorgsam bleibt’ s verwahrt als Saft, Wie man als Vorrat aufhebt eine Speise. |
Sangue perfetto, che poi non si beve da l'assetate vene, e si rimane quasi alimento che di mensa leve, |
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Vom Herzen aus erhält es Bildungskraft Für unsre Glieder, wie es denn – im Leibe Wirksam verteilt – auch andre Formen schafft. |
prende nel core a tutte membra umane virtute informativa, come quello ch'a farsi quelle per le vene vane. |
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Zum Orte sinkt (der ungenannt hier bleibe) Das Blut, zwiefach-geläutert, träufelt dann In andrer Form zum andern Blut im Weibe. |
Ancor digesto, scende ov' è più bello tacer che dire; e quindi poscia geme sovr' altrui sangue in natural vasello. |
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Und eines nimmt das andre freudig an, Dies duldend, jenes handelnd, wie es innen Im Herzen Trieb und Bildungsdrang gewann. |
Ivi s'accoglie l'uno e l'altro insieme, l'un disposto a patire, e l'altro a fare per lo perfetto loco onde si preme; |
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Vereinigt will ihr Wirken nun beginnen: Der Keim verdichtet sich, zeugt junges Leben, Nachdem der Stoff sich formte durch Gerinnen. |
e, giunto lui, comincia ad operare coagulando prima, e poi avviva ciò che per sua matera fé constare. |
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Die Tatkraft muss der Seele Anstoß geben Wie einer Pflanze – mit dem Unterschied, Dass diese fertig, jene noch muss streben! |
Anima fatta la virtute attiva qual d'una pianta, in tanto differente, che questa è in via e quella è già a riva, |
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Nun regt sich’ s, fühlt, entwickelt Glied für Glied, Dem Seeschwamm gleich – und ein Organ wächst sacht Für jede Kraft, das seinen Dienst versieht. – |
tanto ovra poi, che già si move e sente, come spungo marino; e indi imprende ad organar le posse ond' è semente. |
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Nun siehst du, wie hier wirkt verborgne Macht, Die im Erzeugerherzen schon für’ s Künftige, Mein Sohn, so weise alles vorbedacht! |
Or si spiega, figliuolo, or si distende la virtù ch'è dal cor del generante, dove natura a tutte membra intende. |
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Doch wie zum Menschen wird das unvernünftige Halbtier – das siehst du nicht! – In dieser Sphäre Verirrte sich selbst der in Weisheit Zünftige! |
Ma come d'animal divegna fante, non vedi tu ancor: quest' è tal punto, che più savio di te fé già errante, |
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Er lehrt: gesondert von der Seele wäre Die menschliche Vernunft, weil kein Organ Die Äußerungen der Vernunft erkläre. |
sì che per sua dottrina fé disgiunto da l'anima il possibile intelletto, perché da lui non vide organo assunto. |
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Horch auf die Wahrheit! meide diesen Wahn! Und wisse, dass sobald im Embryone Die Gliederung des Hirns ist abgetan, |
Apri a la verità che viene il petto; e sappi che, sì tosto come al feto l'articular del cerebro è perfetto, |
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So reicht der Schöpfer selbst, e r f r e u t , die Krone Dem Kunstwerk der Natur, indem sein Geist Ihm Geist einhaucht, dass selbst er darin wohne. |
lo motor primo a lui si volge lieto sovra tant' arte di natura, e spira spirito novo, di vertù repleto, |
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Er bildet, was er feurig an sich reißt, Verschmilzt die Kraft mit seinem eignen Leben, Bis e i n e Seele lebt und webt und kreist. |
che ciò che trova attivo quivi, tira in sua sustanzia, e fassi un'alma sola, che vive e sente e sé in sé rigira. |
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Und um ein treffend Gleichnis dir zu geben: Gedenke, wie den edeln Saft des Weines Die Sonne kelternd kocht im Holz der Reben! |
E perché meno ammiri la parola, guarda il calor del sole che si fa vino, giunto a l'omor che de la vite cola. |
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Und wenn’ s der Lachesis gebricht des Leines, Macht sich die Seele frei und trägt von hinnen Im Keim Derbmenschliches und Göttlichreines. |
Quando Làchesis non ha più del lino, solvesi da la carne, e in virtute ne porta seco e l'umano e 'l divino: |
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Gedächtnis, Wille und Verstand gewinnen An Kraft und Schärfe jetzt in höherm Grade, Indes die niedern Kräfte stumm verrinnen; |
l'altre potenze tutte quante mute; memoria, intelligenza e volontade in atto molto più che prima agute. |
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Und ohne Rast an eines der Gestade Fällt wunderbar von selbst die Seele nieder, Und dort erst wird sie kundig ihrer Pfade. |
Sanza restarsi, per sé stessa cade mirabilmente a l'una de le rive; quivi conosce prima le sue strade. |
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Hält sie die Grenze eines Ortes wieder, Dann strahlt die Bildungskraft neu um sie her Nach Art und Weise der lebendigen Glieder. |
Tosto che loco lì la circunscrive, la virtù formativa raggia intorno così e quanto ne le membra vive. |
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Denn wie am Horizont, vom Regen schwer, Im Sonnenwiderschein sich wölbt der Bogen, Der siebenfarbge, durch der Lüfte Meer, |
E come l'aere, quand' è ben pïorno, per l'altrui raggio che 'n sé si reflette, di diversi color diventa addorno; |
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So nimmt des Äthers nachbarliches Wogen Die Form an, die auf sie die Seele prägt Durch innre Kraft, dort, wo sie hingezogen. |
così l'aere vicin quivi si mette e in quella forma ch'è in lui suggella virtüalmente l'alma che ristette; |
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Und wie dem Brandherd, den man weiterträgt,, Die Einzelflamme folgt, wird nie sich trennen Die Form vom Geist, der sie in Bande schlägt. |
e simigliante poi a la fiammella che segue il foco là 'vunque si muta, segue lo spirto sua forma novella. |
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Drum wird die Seele sichtbar – und wir nennen Sie Schatten – und so bilden sich in ihr Organe, die das Auge kann erkennen. |
Però che quindi ha poscia sua paruta, è chiamata ombra; e quindi organa poi ciascun sentire infino a la veduta. |
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Und darum sprechen, darum lachen wir, Daher entstehn die Tränen hier und Klagen, Die du wohl hörtest längs dem Berge hier. |
Quindi parliamo e quindi ridiam noi; quindi facciam le lagrime e ' sospiri che per lo monte aver sentiti puoi. |
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Und je nachdem wir Lust und Unlust tragen, Abscheu und Sehnsucht, formt sich unser Schatten – Nun wirst du deines Zweifels dich entschlagen.“ |
Secondo che ci affliggono i disiri e li altri affetti, l'ombra si figura; e quest' è la cagion di che tu miri». |
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Zur letzten Marter ging der Weg vonstatten, Und aufwärts stiegen wir, stets rechter Hand, Als wir schon eine neue Sorge hatten: |
E già venuto a l'ultima tortura s'era per noi, e vòlto a la man destra, ed eravamo attenti ad altra cura. |
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Denn sieh: Sprühflammen speit die Felsenwand! Zwar wirft ein Sturm von unten her die Lohe Zurück – doch frei bleibt nur ein schmaler Rand, |
Quivi la ripa fiamma in fuor balestra, e la cornice spira fiato in suso che la reflette e via da lei sequestra; |
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Den einzeln wir durchschreiten müssen! – Hohe Züngelnde Flammen links – und rechts ist füglich Gefahr, dass ich hinabzustürzen drohe! |
ond' ir ne convenia dal lato schiuso ad uno ad uno; e io temëa 'l foco quinci, e quindi temeva cader giuso. |
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Da tröstet mich Virgil schon: „Hier muss klüglich Die Vorsicht straff im Zaum die Augen zwingen, Leicht tritt man fehl – denn jeder Schritt ist trüglich.“ – |
Lo duca mio dicea: «Per questo loco si vuol tenere a li occhi stretto il freno, però ch'errar potrebbesi per poco». |
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„Gott größter Gnade!“ hört ich’ s plötzlich
singen Aus dieses Brandes mächtgem Flackerwehen, Dass mir trotzdem dahin die Augen gingen. |
'Summae Deus clementïae' nel seno al grande ardore allora udi' cantando, che di volger mi fé caler non meno; |
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Da sah ich Geister durch die Flammen gehen; Und meinen Schritt und ihren wechselweise Betrachtend, ging ich bald und blieb bald stehen. |
e vidi spirti per la fiamma andando; per ch'io guardava a loro e a' miei passi, compartendo la vista a quando a quando. |
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Nach dem Gesange scholl es aus dem Kreise: „Ich weiß von keinem Mann“ – dann wieder klang Der erste Hymnus, doch gedämpft und leise. |
Appresso il fine ch'a quell' inno fassi, gridavano alto: 'Virum non cognosco'; indi ricominciavan l'inno bassi. |
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Und wieder riefen sie: „Zum Walde drang Diana, um Callisto zu verjagen, Weil die Verliebte Jupiter umschlang.“ |
Finitolo, anco gridavano: «Al bosco si tenne Diana, ed Elice caccionne che di Venere avea sentito il tòsco». |
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Dann hört ich singen sie, dann rühmend sagen Von keuschen Frauen und getreuen Gatten, Die tugendsam das Eheband getragen. |
Indi al cantar tornavano; indi donne gridavano e mariti che fuor casti come virtute e matrimonio imponne. |
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Solch frommes Werk wird, ohne zu ermatten, Geübt, solang die Flammen sie umfließen. – Hilft solcher Eifer, solche Kost den Schatten, |
E questo modo credo che lor basti per tutto il tempo che 'l foco li abbruscia: con tal cura conviene e con tai pasti |
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Wird sich auch dir die letzte Wunde schließen! | che la piaga da sezzo si ricuscia. | |
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