Dante, Vergil und Statius sind auf dem Weg zur siebten Terrasse. Dort sind die
Wollüstigen. Auf dem Weg dahin erklärt Statius, warum die Seelen abmagern,
worüber wir uns ja auch schon gewundert haben. Wie kann eine körperlose
Seele abmagern? Sie dürfen jetzt eine Vermutung darüber anstellen, ob
Sie die Antwort befriedigen wird. Damit Sie Ihre Entscheidung fundiert treffen
können, teilen wir Ihnen noch mit, dass mit Thomas von Aquin, Averroës
etc. argumentiert wird.
Zum Aufstieg litt die Nacht kein längeres Säumen
Die Sonne musste schon den Mittagskreis
Dem Stier, die Nacht dem Skorpion räumen
Wollen wir tatsächlich wissen, ob Dante mit dem ptolemäischen
Weltbild vertraut war? Ob also, zumindest innerhalb des grottenfalschen ptolemäischen
Weltbildes die Verse oben irgendeinen Sinn ergeben? Nein, wir wollen es nicht.
Dante geht irgendwie davon aus, dass es auf dem Läuterungsberg Tag ist, wenn
es auf der nördlichen Halbkugel (nach anderen Interpreten in Jerusalem) Nacht
ist. Allerdings verstehen auch gestandene Geographen, die mit dem ptolemäischen
Weltbild vertraut sind, nicht, wie er sich das vorstellt und wir bezweifeln, dass
die Philologenzunft, die dieselben Verse zwar immer recht phantasievoll, allerdings
nie gleich deutet, das genau durchschaut. Hätte Dante Jerusalem 31° 40’
nördl. Breite verortet, so steht es in der Geografike des Ptolemäus,
dann wäre der Läuterungsberg auf der anderen Seite, also irgendwo im
Atlantik oder in Südamerika. Damit ergäbe sich schon mal, dass der „Südpol“
bzw. „Nordpol“ Dantes nichts mit dem zu tun hat, was wir uns heute
unter Südpol, bzw. Nordpol vorstellen, was insofern auch korrekt wäre,
weil an am Süd- bzw. Nordpol ja ein halbes Jahr lang Tag, bzw. Nacht ist,
wir Sonnenauf- und Untergänge, wie in der Divina Commeida beschrieben, ja
gar nicht haben. Die durch die Zeichnung oben dargestellte Konstellation könnte
allerdings die von Dante immer wieder behauptete Zeitabweichung zwischen dem Läuterungsberg
und Florenz erklären; allerdings müsste Dante dann in der Lage gewesen
sein, Florenz geographisch zu verorten.
Die geographischen und astronomischen Beschreibungen in der Divina Commedia sind
so vage, dass ein Rückschluss auf das System, welches Dante zugrunde legt,
nicht möglich ist. Man kann aber eine radikalere Frage stellen. Konnte Dante,
der 1321 starb, das ptolemäische Weltbild überhaupt kennen? Hinsichtlich
der Geografike, einer von Ptolemäus erstellten Weltkarte, ist zu sagen, dass
eine Übersetzung ins Lateinische erst in den Jahren 1406 / 1410 erstellt
wurde. Um Aussagen über Zeitverschiebungen zu machen, hätte Dante nicht
nur prinzipiell irgendwelche Vorstellungen der Himmelsmechanik haben müssen,
sondern er hätte auch eine Vorstellungen darüber haben müssen,
wo sich ein bestimmter Ort befindet. Da Dante nicht verrät, wie er seine
Zeitvervschiebungen berechnet, noch wo er die Orte genau geographisch verortet,
lässt sich nicht sagen, was er tatsächlich wusste. Dieselben Fragen
werden uns auch noch im Paradies beschäftigen. In der Regel finden wir in
allen Kommentaren, dass die Vorstellungen des Paradieses auf den Vorstellungen
des Ptolemäus beruhen. Im Detail, werden diese Vorstellungen allerdings nie
präzisiert. Seine astronomischen Vorstellungen beschreibt Ptolemäus
in seiner Schrift Megiste Syntaxis. Diese wurde dann ins Arabische übersetzt,
der Name wurde beibehalten, allerdings ein Artikel davor gesetzt, so erhalten
wir auf Arabisch al-magisti, was wiederum bei der Rückübersetzung ins
Lateinische zu Almagest wurde. Ptolemäus schrieb den Almagest etwa in der
zweiten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts. Hätte Dante
ihn aber im Original lesen wollen, hätte er des Griechischen mächtig
sein müssen; darüber ist aber nichts bekannt. Möglich wäre,
dass ihm eine arabische Übersetzung zur Verfügung stand, dann hätte
er aber Arabisch sprechen müssen, darüber ist auch nichts bekannt. Er
war also auf eine Übersetzung ins Lateinische angewiesen. Diese entstanden
erst sehr spät, im 12. Jahrhundert. Aus dem Arabischen übersetzte ihn
Gerhard von Cremona (1114 nach Chr. bis 1187 nach Chr.) In lateinischer Sprache
wurde er aber erst 1515 in Venedig gedruckt. Weiter kursierten auf Lateinisch
Zusammefassungen, wie die von Johann von Halifax, die 1250 erschienene Sphaera
Mundi.
Bekannt ist eine Übersetzung aus dem griechischen Original ins Lateinische
von Georg von Trapezunt (1396 - 1486). Interessant ist hierbei, dass sie von Papst
Nikolaus V im Jahre 1451 (also 130 Jahre nach Dantes Tod) in Auftrag gegeben wurde.
Er hätte dies wohl nicht getan, wenn das Buch tatsächlich allgemein
zugänglich gewesen wäre. Auch wenn wir konzedieren, dass die Stärke
der Philologenzunft nicht gerade das präzise Denken ist, sondern, wie Musil
das so schön formuliert, eher das freie Assoziieren im Raum bei herabgesetzter
Denkleistung, so müssen wir uns doch wundern. Sie konzedieren zwar alle,
dass über den Bildungsweg Dantes so gut wie nichts bekannt ist, unterstellen
aber gleichzeitig, dass er ein Werk, dass zu seiner Zeit kaum zugänglich
war und obendrein noch für einen Universaldilettanten, denn Dante ist, wie
Goethe auch, nicht ein Universalgenie, sondern ein Universaldilettant, äußerst
schwer verständlich ist.
Wir erwähnten bereits, dass die Divina Commedia nur dann vollständig
wäre, wenn man noch ein paar Höllenkreise mehr einrichten würde.
Schlimmer als übermäßiges Essen ist nämlich das verdinglichte
Bewußtsein. Das verdinglichte Bewußtsein rüstet sich so zu, dass
seine Begeisterung instrumentell ist, begeistert sich zum Beispiel für die
Dinge, für die man sich begeistern muss, wenn man innerhalb eines Apparates
Karriere machen will. Das verdinglichte Bewußtsein, in diesem Fall eine
Frau Proforessa Anna Maria Chiavacci Leonardi von der Universität Pisa, textet
dann zum Beispiel so.
http://www.liceoparini.it/pariniweb/attivita/commedia_paradiso.htm
In den vergangenen Tagen wurde auf die weltweite Verbreitung dieses Buches
hingewiesen, was ja, in Anbetracht der Unterschiedlichkeit und Entfernung der
Kulturen,die dieses Buch mit Enthusiasmus lesen, merkwürdig ist: Vietnamesen,
Koreaner, Japaner - dort gibt es geradezu eine Dante-Schule - Pakistani. Es gibt
keine Sprache, die im Besitz von Kultur wäre, in welche das Gedicht Dantes
nicht übersetzt worden wäre. Nicht nur gelesen wird es, es wird gelesen
wie ein Zeitgenosse, mit welchem man sich beschäftigt, mit welchem man diskutiert,
dessen Bedeutung für die heutige Zeit man spürt.
Es wurde auch festgestellt, dass dies mit Sicherheit mit der Tatsache zusammenhängt,
dass dieses Werk, im Gegensatz zu den anderen klassischen Werken der Menschheit
wie Homer, Vergil etc. das Wesen der Zivilisation in sich trägt, wir könnten
auch sagen zum Ausdruck bringt, der Kern der Zvilisation des Okzidents, jene europäischen
Kultur, die langsam im Mittelalter erschaffen wurde, indem sie die Griechisch
- Römische Kultur mit der Christlich - Hebräischen Kultur verschmolz.
Nei giorni scorsi si è accennato alla grande diffusione mondiale di questo
libro, il che appunto sembra una cosa strana, data la differenza e lontananza
di tutte le culture che pure lo leggono con grande entusiasmo: vietnamiti, coreani,
giapponesi -lì c'è una scuola addirittura di dantismo - pakistani...
Non c'è lingua -che abbia una cultura- dove non sia stato tradotto il poema
di Dante. Non solo letto, ma letto come un contemporaneo con cui confrontarsi,
con cui discutere, di cui si sente in qualche modo appunto la contemporaneità.
E si osservava che ciò dipende quasi sicuramente dal fatto che, a differenza
degli altri grandi poemi dell'umanità, dei classici di Omero, Virgilio,
etc., porta con sé, esprime potremmo dire, con grande arte come tutti sanno,
l'identità stessa della civiltà del nostro Occidente, di quella
civiltà europea costruita con grande lentezza nel Medioevo, assorbendo
in sé la tradizione greco-romana ed ebraico-cristiana.
Im Einzelnen ist der guten Frau die Tragweite ihres Gebrabbels wohl gar nicht
klar: „Es gibt keine Sprache, die im Besitz von Kultur wäre, in welche
das Gedicht Dantes nicht übersetzt worden wäre.“ Soll heißen,
dass Sprachen wie Quetschua, Malayalam, Arami etc. etc. keine Kultur haben, denn
in diese Sprachen wurde das Poem ja noch nicht übersetzt. Das verdinglichte
Bewußtsein erzählt uns auch nicht, was die Divina Commedia für
sie selbst bedeutet, sie berichtet uns, vom imperialen Anspruch des Werkes, seiner
Überlegenheit. Harmlos ist das nicht, nicht in Deutschland, nicht in Italien,
nicht in Spanien, nirgends. Denn wenn so Dampfschwätzer Leute ausbilden sollen,
die andere Leute wiederum für Literatur begeistern sollen, dann ist das Elend
vorprogrammiert. Denn die Kiddies lockt mit hohlen Phrasen keiner hinterm Ofen
vor.
Wie nichts von Aufenthalt der Läufer weiß,
Nur vorwärts eilt, was auch am Weg erscheine
Sein Auftrag hält ihm nur den Eifer heiß
Das Problem hatten wir schon oben. Die Büßenden müssen,
in abhängig von der Schwere der Sünde, ein paar hundert Jahre im Läuterungsberg
verweilen. Wieso sie sich also beeilen sollen, ist völlig unklar. Selbst
wenn man diese Verse hier nur auf Dante, Vergil und Statius bezieht, ist das komisch,
denn Statius ist ja schon ein paar hundert Jahre im Läuterungsberg, da kommt
es jetzt auf eine halbe Stunde auch nicht mehr an.
Und wie der junge Storch die Flügel schwenkt
Den ersten Flugversuch vom Nest zu wagen,
Doch sich, der Kraft misstrauend wieder senkt
So stieg und sank in mir die Lust, zu fragen
Doch eh ich noch zum Sprechen mich ermannt
Las mir, was auf dem Herzen ich getragen
Vom Mund der gute Vater ab und wandte
Im Gehen sich und sprach: „Schieß ab den Bogen,
Dran sich der Strang schon bis zum Drücker spannte.“
Das ist auch eine häufig wiederkehrende Konstellation. Dante will
was fragen und traut sich nicht. Vereinzelt gibt es sogar Beispiele, wo Vergil
bei seinen Antworten etwas ungnädig ist, aber selten. Über die Vergleiche,
die Dante zieht, könnte man natürlich wieder nachdenken, sie etwas weit
hergeholt finden. Als Affirmativsatz hätten wir schlicht, „es drängte
mich, Vergil zu fragen, doch traute ich mich nicht“. Wäre das besser
oder schlechter? Wenn man die Frage so stellen kann und sie nicht klar beantworten
kann, ist die der Vergleich wohl schwach. Nehmen wir mal ein anderes Beispiel,
eines von Stefan George, der zwar an seiner Dante Übersetzung gescheitert
ist, aber dafür dichten konnte.
Im Windesweben, war meine Frage nur Träumerei
Nur lächeln war, was du gegeben
in dunkler Nacht, ein Glanz entfacht
Nun ist es Herbst, nun muss ich wohl
Um dein Aug und Haar, alle Tage
In Sehnen leben
Das wird als Affirmativsatz kompliziert. Er hat eine Frau gesehen, flüchtig,
und ihr Bild hat sich ihm eingeprägt. Der Inhalt der Verse ist aber durch
einen Affirmativsatz nicht beschreibbar. Hier kreist die Sprache um etwas Unsprachliches.
Bei Dante ist es eher umgekehrt, etwas sprachlich sehr leicht zu Beschreibendes,
wird sehr umständlich beschrieben. Einen Kaffee bei Starbuck trinken würde
bei Dante wohl so klingen.
Wie wenn die Biene neckt am Kelch der Blüte
In Eile mit den Flügeln zitternd
kurz innehält den Geist zu stärken
so sitzen sie die Starbuck Gäste
Emsig mit den Zungen schlagend
Den Geist zu leeren und Bauch zu stärken
Das Bild ergäbe zwar absolut keinen Sinn, aber unter Umständen wäre
es genau das, was Heerscharen von Philologen herausfordern würde und dem
Autor zu Ruhm und Ehre gereichen würde.
Jetzt allerdings stellt Dante eine Frage, die wir uns auch schon gestellt haben.
Wie kann es sein, dass körperlose Seelen abmagern.
So ward ich vom Vertrauen nicht betrogen
Und sprach: „Wie kann ein Körperloser magern,
Wo ihn der Trieb zur Nahrung nie bewogen?“
Die Frage ist natürlich jetzt etwas umformuliert. Wir würden
das ja so sehen. Wenn kein Körper vorhanden ist, dann findet auch absolut
keine Tätigkeit statt und wenn keine Tätigkeit stattfindet, dann wird
auch keine Energie verbraucht. Dieses Erklärungsmuster hat bis jetzt ja auch
immer gegriffen, denn weder in der Hölle noch im Läuterungsberg hat
bislang irgendjemand gegessen, und abgemagert waren die Seelen trotzdem nicht.
Dante vermutet aber einen Kausalzusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach
Essen und Abmagern. Ein solcher ist nur indirekt gegeben. Der Trieb zur Nahrung,
also das Hungergefühl, ist ein Signal des Körpers, das unter anderem
durch einen sinkenden Insulinwert ausgelöst wird. Das Hungergefühl steht
aber sowenig in einer kausalen Beziehung mit dem Energieverbrauch wie die Kraftstoffanzeige
im Auto mit dem Kraftstoffverbrauch. Wir könnten noch prüfen, ob die
italienischen Verse tatsächlich so lauten.
Allor sicuramente apri' la bocca
e cominciai: «Come si può far magro
là dove l'uopo di nodrir non tocca?».
Jetzt öffnete ich zuversichtlich den Mund
und begann: „Wie kann es sein, dass man so abmagert,
da wo nach Nahrung kein Bedürfnis ist?
Die Frage ist also ziemlich merkwürdig gestellt und wären wir
Vergil, dann hätten wir die Frage natürlich umformuliert und Dante zurecht
gewiesen, das heißt, hätte er uns gefragt, wäre seine Angst zu
fragen berechtigt gewesen.
Aber unabhängig davon, wenn Sie sich jetzt zurücklehnen und über
die Wahrscheinlichkeit nachdenken, dass es auf diese Frage eine Antwort gibt,
selbst konzediert, dass sie richtig gestellt wird („Wie kann es sein, dass
körperlose Wesen abmagern?“), erwarten Sie eine wirklich überzeugende
Antwort? Sie wissen bereits, dass jetzt Thomas von Aquin, Aristoteles, Platon
etc. etc. referiert werden, denn Vergil ist im Limbo mit einem Internetzugang
ausgestattet und google hat bereits alle Bücher von Thomas von Aquin digitalisiert,
so dass Vergil darauf zugreifen kann, er also über alles informiert ist,
was seit den letzten 1200 Jahren nach seinem Tode geschrieben wurde. Interessant
wär es natürlich zu wissen, was Vergil und die anderen im Limbo weilenden
Philosophen sich sonst so denken zur Geschichte des Denkens im modernen Europa.
Da sie aber noch nie in einem Chat aufgetaucht sind, um sich an irgendeiner Debatte
zu beteiligen, vermuten wir, dass der Systemadministrator in der Hölle alle
Ports außer eben Port 80 zugeklemmt hat. Schauen wir also mal, was Vergil
bei Thomas von Aquin gelernt hat.
Erstmal gibt er ihm mal einen Rüffel, allerdings nicht aus den oben genannten
Gründen.
Er sprach: „Gedächtest du, wie Meleagern
Des Holzes Lodern, fern von ihm, verzehrte
Du zähltest nicht zu den leichtfertigen Fragern.“
Und wenn dein Sinn sich auch auf den Spiegel kehrte,
Der Blick dir und Bewegung zeigt im Bild,
Er braucht keines Wortes, das dich belehrte
Wir hätten also verstanden, dass Vergil ihn tadelt, weil die Frage
etwas dämlich formuliert wurde, das ist es aber nicht. Wir stellen uns jetzt
aber nach der Lektüre dieser zwei Terzinen die Frage, warum Vergil ihn eigentlich
tadelt, dazu müssen wir aber erstmal wissen, was der Inhalt der beiden Terzinen
ist, anschließend wissen wir vielleicht, warum Vergil ihn tadelt. Die Geschicht
ist die. Meleager war der Sohn von Althaea und Oeneus. Bei seiner Geburt sagten
die Moiren oder Parzen (die hatten wir schon, das war die Geschichte mit der Arbeitsteilung,
Klotho spinnt den Faden, Lachesis teilt ihn zu und Atropos schneidet ihn ab),
dass er nur solange leben wird, wie ein Holzscheit, das gerade im Ofen glimmte,
noch brennen würde. Daraufhin nimmt Mama Althaea ihn aus dem Ofen und taucht
ihn ins Wasser. Ab dann wird die Geschichte natürlich wieder griechisch,
also vom Plott her gewaltig. Oeneus schickt Sohnemann auf die Jagd nach irgendeinem
schrecklichen Vieh (kaledonischer Eber). Der sucht sich für die Jagd eine
Gefährtin Atalanta, mit der er das Vieh wiederum erlegt. Dafür war ein
Preis ausgeschrieben, also für das Erlegen des Viehs, und den überlässt
Meleager jetzt der hübschen Atalanta, hätte der Autor auch so gemacht,
was gibt es Schöneres als das Lächeln einer Frau. Das finden jetzt aber
seine Onkel nicht gut, also die Brüder von seiner Mama Althaea, aber wenn
so ein griechischer Held mal verliebt ist, dann geht man besser in Deckung, der
bringt die zwei Onkel nämlich um. Da wird es Mama dann zuviel und sie legt
das Scheit zurück ins Feuer, was dann Atropos die verruchte Hexe veranlasst,
den Lebensfaden abzuschneiden. Das ist aber noch nicht der Witz, der Witz kommt
jetzt. Vergil behauptet, dass, wenn Dante gewusst hätte, warum bei Meleager
die Lichter ausgehen, er die Frage nicht gestellt hätte (???!!!!). Mit dem
Abmagern der Seelen aufgrund der Nichtzufuhr von Nahrung verhält es sich
also wie mit dem brennenden Holzscheit und Meleager. Also die Sache ist die. Sie
sind Ödipus und stehen vor der Sphinx, die hatte ja auch ein Rätsel,
und wenn Sie jetzt nicht innerhalb der nächsten zehn Sekunden den Zusammenhang
zwischen Meleager und dessen Holzscheit einerseits und den klapperdürren
Seelen andererseits lösen, dann kommt Medusa aus dem Bildschirm gekrochen
und Sie erstarren zu Stein, da kommen Sie noch gut weg, denn die Sphinx hat die
unbegabten Entnrätsler glatt gefressen. Also, mal zackig, die Uhr läuft.
Sind Sie ein bisschen blöde? Dante hat das doch auch verstanden. Also, nun
mal lustig. Ne. Also gut, weil Sie es sind, ergeht Gnade vor Recht. Dante will
sagen, dass es noch geheimnisvolle Kräfte gibt, die den Körper ebenfalls
aufzehren können (Steht so bei Gmelin, gemeint ist Durchfall und sowas, das
ist auch ziemlich geheimnisvoll, also die Seelen haben Durchfall und magern deshalb
ab.) Sie sind nicht überzeugt, dass das die Lösung des Rätsels
ist? Ich finde Sie schon ganz schön dreist, das muss ich Ihnen mal sagen.
Zuerst bewahr ich Sie davor, zu Stein zu erstarren und dann stellen Sie auch noch
Ansprüche. Da der Autor den Zusammenhang der nächsten Terzine (Und wenn
dein Sinn sich auch auf den Spiegel kehrte…) auch nicht versteht, bestraft
er Sie für Ihre Undankbarkeit dadurch, dass er Sie Ihnen schlicht nicht erklärt.
Auf jeden Fall muss Vergil ein Oberstudienrat an einer Penne sein. Fachlich mag
er ja gut sein, aber didaktisch ist er eine Null.
Soweit die didaktisch geschickt platzierte Aufmunterung des Vergil. Jetzt kommt
die volle Dröhnung, dann haut es Ihnen glatt die Birne weg.
Doch dass sich voll der Seelendurst dir stillt
Bitt ich Freund Statius hier Balsam zu gießen
in deine Wunde ist er gern gewillt
Der Autor vermutet ja was anderes. Vergil weiß es schlicht gar nicht,
denn anstatt das Internet sinnvoll zu nutzen und sich im Limbo die neueste Forschungsergebnisse
zu Thomas von Aquin zu ziehen ( www.thomas-von-aquin-und-die-suesse-suleika.de
) chatet er den ganzen Tag. Das Statius jetzt aber den Thomas von Aquin referiert,
schließen wir, dass auch der Läuterungsberg vernetzt ist.
Darauf begann er: „Wenn dein Geist in sich
Mein Wort aufsaugt, den Sinn betrachtet weise
Das wie wird sich entschleiern dann für dich“
Der Autor befürchtet, dass das unser Problem wird. Dante versteht
das wahrscheinlich raz faz, während wir auf die Terzinen starren wie das
Schwein ins Uhrwerk.
Das beste Blut, das nicht die Adernkreise
Aufrinken kann – sorgsam bleibt‘ s verwahrt als Saft,
Wie man als Vorrat aufhebt eine Speise
Also das steht in der Summa Theologica", III, 31, 5. Es gibt also
irgendwie ein Blut, dass nicht im Körper zirkuliert.
Vom Herzen aus erhält es Bildungskraft
Für unsre Glieder, wie es denn – im Leibe
Wirksam verteilt – auch andere Formen schafft
Dieses wiederum hat die gesamte Information um alle Glieder zusammenzubauen,
sozusagen die Stammzellen des Mittelalters. Aber richtig spannend wird es jetzt.
Zum Orte sinkt es (der ungenannt hier bleibe)
Das Blut, zwiefach geläutert, träufelt dann
In andrer Form zum andern Blut im Weibe
Wow! Also sollten Sie jemals Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter erklären
müssen, wie das geht mit dem Klapperstorch, dann ist die Terzine die perfekte
Lösung. Bei den Kiddies geht das durch, da wird nicht die Frage gestellt,
Papa „was ist denn der Ort der ungenannt hier bleiben soll?“ Allerdings
weiß der Autor nicht, ob dann der Klapperstorch überhaupt noch kommt,
denn eine Formulierung wie „träufelt dann in anderer Form zum andern
Blut im Weibe“ ist natürlich jetzt nicht gerade der erotische Heißmacher.
Das tönt ein bisschen wie ein Rezept zur Zubereitung von Leberwurst.
Und eines nimmt das andere freudig an
Dies duldend, jenes handelnd, wie es innen
Im Herzen Trieb und Bildungsdrang gewann
Puh! Wollen wir verstehen, wie Thomas von Aquin sich das vorstellt mit
den Säften? Sollen wir analysieren wer da duldend und wer handelnd ist und
was das Herz mit der ganzen Angelegenheit zu tun hat. Wollen wir wirklich prüfen,
ob die Ansichten des Thomas von Aquin tatsächlich den neuesten Wissensstand
adäquat beschreibt? Oder wollen wir uns nicht eher darüber Gedanken
machen, wie man Müll aus dem universitären Betrieb aussondert? Denn
damit beschäftigen sich immer noch eine Menge Leute, mit dem Thomas von Aquin.
Vereinigt will ihr Wirken nun beginnen:
Der Keim verdichtet sich, zeugt junges Leben
Nachdem der Stoff sich formte durch Gerinnen
Na ja, so ähnlich geht das. Karl Popper, der Begründer des kritischen
Rationalismus, würde jetzt natürlich sagen, die Theorie ist nicht falsifizierbar
formuliert, weil sich praktisch jede Vorstellung mit der Entstehung neuen Lebens
so beschreiben lässt. Da verdichtet sich der Keim, nachdem der Stoff sich
formte durch Gerinnen, das stimmt natürlich, allerdings ist die Aussage etwas
allgemein gehalten, so dass der Erkenntniswert irgendwie gegen Null geht. Jetzt
wird es theologisch, also kompliziert.
Die Tatkraft muss der Seele Anstoß geben
Wie eine Pflanze – mit dem Unterschied,
Dass diese fertig, jene noch muss streben
Die ganze Sache ist jetzt wild, spontan fällt einem natürlich
Goethe ein.
Nachher, vor allen andern Sachen,
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Goethe, Faust
Wenn also der Samen, der männliche natürlich, denn der allein ist aktiv
und lebendig, Träger der Anima vegetativa, sich in die Gebärmutter versenkt,
die ist lediglich empfangend, beginnt es da wild zu wuchern, wie bei einer Pflanze.
Bei einer Pflanze ist das also lediglich ein dahinvegitieren, dafür reicht
die anima vegetativa. Im Anfangsstadium ist der Fötus also auf Pflanzenniveau,
allein beseelt von der anima vegetativa. Damit aber aus dem sich dahinvegetierenden
Fötus ein Tier wird, braucht es noch einen Schritt.
Nun regt sich‘ s, entwickelt Glied für Glied,
Dem Seeschwamm gleich – und ein Organ wächst sacht
Für jede Kraft, das seinen Dienst versieht
Also: Die Tatkraft aus der Terzine oben ist die anima sensitiva, die dringt
irgendwann in den dahinvegetierenden Zellklumpen und formt ihn zum Tier. Das Attribut
sensitiva hat diese Anima wahrscheinlich deswegen, weil das Tier auch Sinne hat
und Eindrücke verarbeitet. Jetzt kommt die dritte anima, die anima intellectiva,
die wird uns später noch beschäftigen. Diese anima intellectiva macht
denn das Tier dann zum Menschen und ist, darauf legt Thomas von Aquin gesteigerten
Wert, in der männlichen Keimzelle nicht enthalten, sondern kommt direkt von
Gott. Das unterscheidet den Menschen vom Tier: der Mensch bekommt noch eine extra
Seele von Gott eingehaucht, das steht schon in der Bibel und was da drin steht,
kann einfach nicht vollkommener Blödsinn sein.
Genesis 2, 7: Und Gott der HERR machte den Menschen aus einem Erdenkloß,
und blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch
eine lebendige Seele.
Also was Gott dem Menschen da in die Nase pustete, ist also die anima intellectiva,
die gibt auch den Verstand, von dem Thomas von Aquin behauptet, dass er den Menschen
charakterisiere, was der Autor natürlich bestreiten würde. Ansätze
von Vernunft sind eigentlich erst seit 1989 zu erkennen. Was den Zeitraum vorher
angeht, würde jeder unvoreingenomme Betrachter sagen, dass noch das letzte
Rindvieh auf der Weide mehr Grips hat, immerhin haben die Rindviecher noch nie
versucht, den Planeten auszulöschen. Seit 89 ist aber Hirnmasse erkennbar.
Es strotzt zwar nicht gerade von anima intellectiva, aber es geht aufwärts.
Bis jetzt war das noch teilweise Aristoteles, aber da Statius ja, wie oben beschrieben
dank Google und Internet, die Diskussion im Läuterungsberg mitverfolgt hat,
kennt er auch Thomas von Aquin, also den neuesten Kenntnisstand der Seeleforschung.
Doch wie zum Menschen wird das unvernünftige
Halbtier – das siehst du nicht! – In dieser Sphäre
Verirrte sich selbst der Weisheit Zünftige
Puh! Da hat der Autor ja nochmal Glück gehabt, denn dass das unvernünftige
Halbtier zum Menschen geworden ist, also Mensch in einem emphatischen Sinne, das
sieht der Autor auch nicht, zumindest was den Zeitraum vor 89 angeht. Es beruhigt
aber, dass auch Aristoteles da den Überblick verloren hat.
Er lehrt: Gesondert von der Seele wäre
Die menschliche Vernunft, weil kein Organ
Die Äußerungen der Vernunft erkläre
Bei Aristoteles ist die Seele überindividuell, also ein Substrat,
das potentiell immer da ist, aber ohne Körper nicht existieren kann. Nach
Aristoteles, und das ist für Dante natürlich ein Problem, gibt es ohne
Körper keine Seele, was dann zur Folge hätte, dass die Hölle und
der Läuterungsberg völlig unbevölkert wären. Da wir aber inzwischen
wissen, dass sowohl die Hölle wie auch der Läuterungsberg mit lauter
körperlosen Seelen bevölkert ist, wissen wir, dass die Seele auch ohne
Körper existiert und dass jede Seele individuell ist, also Gott pustet jedem
menschlichen Körper eine höchst individuelle Seele in die Nase,die auch
weiterlebt, wenn der Körper sich die Radieschen von unten anschaut.
Horch auf die Wahrheit meide diesen Wahn!
Und wisse, dass sobald im Embryone
Die Gliederung des Hirns ist abgetan,
So reicht der Schöpfer selbst, erfreut, die Krone
Dem Kunstwerk der Natur, indem sein Geist
ihm Geist einhaucht, dass selbst er darin wohne
Wir gehen mal davon aus, dass wenn Statius das sagt, das schon seine Richtigkeit
hat und jeder Mensch eine individuelle Seele hat.
Er bildet, was er feurig an sich reißt,
Verschmilzt die Kraft mit seinem eigenen Leben,
Bis eine Seele lebt und webt und kreist
Was uns dann aber wieder umhaut, ist dieser Vergleich.
Und um ein treffend Gleichnis dir zu geben:
Gedenke, wie den edeln Saft des Weines
Die Sonne kelternd kocht im Holz der Reben
Also, dass das ein treffend Gleichnis ist, das finden wir ja nun nicht.
Wo hat der Wein jetzt irgendwelche animae? Das italienische Orginal ist auch nicht
viel besser
E perché meno ammiri la parola,
guarda il calor del sole che si fa vino,
giunto a l'omor che de la vite cola.
Und damit es dich nicht allzusehr erstaune
gedenke der Sonnenwärme die den Wein erzeugt
wenn sie mit dem Saft der Rebe sich verbindet
Der Autor ist nach der didaktischen Hilfe noch verwirrter als vorher.
Und wenn‘ s der Lachesis gebricht des Leines
Macht sich die Seele frei und trägt von hinnen
Im Keim Derbmenschliches und Göttlichreines
Also Lachesis bemisst ja eigentlich nur den Lebensfaden, abschneiden tut ihn
ja eigentlich Atropos, aber die Arbeitsteilung (die eine spinnt ihn, die andere
misst ihn, die dritte schneidet ihn ab) hat der Autor ja noch nie sinnvoll gefunden,
da ist er also mit Statius völlig einer Meinung. Auf jeden Fall besteht
die Seele fort, wenn der Körper dahinscheidet.
Gedächtnis, Wille und Verstand gewinnen
An Kraft und Schärfe jetzt in höherem Grade,
indes die niederen Kräfte stumm verrinnen
Wie das genau funktioniert, ist unklar, auf jeden Fall sind die anima
vegetativa und die anima sensitiva ohne Körper, von dem stammen sie ja
ab, wurden nicht wie die anima intellectiva von außen reingepustet, gedämpft,
so dass die anima intellectiva (zuständig für Gedächtnis, Intelligenz
und freien Willen) den Körper unbeschwert dominiert.
Und ohne Rast an eines der Gestade
Fällt wunderbar von selbst die Seele nieder
Und dort erst wird sie kundig ihrer Pfade
Da der einzig wahre Glaube ja nie konkret beschreibt, wie man konkret,
also geographisch / räumlich in die Hölle / das Fegefeuer / das Paradies
kommt, diese eigentlich auch nirgends genau beschrieben sind, geht Dante wohl
von einer Vorstellung aus, wie wir sie in der antiken Mythologie finden. Wahrscheinlich
denkt Dante an den Fluss Acheron. In den Acheron fließen die Flüsse
Styx, Kokytos, Phlegethon und Lethe. Über den Acheron bringt Charon mit
seiner Fähre die toten Seelen in den Hades. Abgesehen davon ist es auch
ein 58 km langer Fluss in Griechenland. An seinen Ufern angekommen, erfahren
die Seelen dann wie es weitergeht.
Hält sie die Grenze eines Ortes wieder
Dann strahlt die Bildungskraft neu um sie her
Nach Art und Weise der lebendigen Glieder
Wir wissen nicht, aus welcher Quelle Dante diese Vorstellung hat. Auf
jeden Fall stellt er sich vor, dass die Seele, obwohl körperlos, irgendwie
eine Form animmt. Da das natürlich etwas schwer vorstellbar ist, eine körperlose
Form, muss er das erklären.
Denn wie am Horizont, vom Regen schwer,
Im Sonnenwiderschein sich wölbt der Bogen,
Der siebenfarbige, durch die Lüfte Meer
So nimmt des Äthers nachbarliches Wogen
Die Form an, die auf sie die Seele prägt
Durch innere Kraft, dort , wo sie hingezogen
Der Regenbogen ist in der Tat ein Beispiel für eine Form ohne Körper.
Die zweite Terzine nehmen wir dann so hin, es bleibt uns ja nichts anderes übrig.
Irgendwie nimmt die Luft, die um die Seelen herumkreuselt, die Form der Seele
an, die wiederum die Form hat, die sie ursprünglich im Körper hatte.
Und wie dem Brandherd, den man weiterträgt
Die Einzelflamme folgt, wird nie sich trennen
Die Form vom Geist, der sie in Bande schlägt
Darüber, ob der Vergleich hinkt oder nicht, machen wir uns jetzt keine
Gedanken mehr und halten fest, dass die Seele ihre ursprüngliche Form,
also die Form, die sie hatte, als sie den Körper verließ, beibehält.
Drum wird die Seele sichtbar – und wir nennen
Sie Schatten – und so bilden sich in ihr
Organe, die das Auge kann erkennen
Und darum sprechen, darum lachen wir
Daher entstehen die Tränen hier und Klagen
Die du wohl hörtest längs dem Berge hier
Und je nachdem wir Lust und Unlust tragen
Abscheu und Sehnsucht, formt sich unser Schatten
Nun wirst du deines Zweifels dich entschlagen
Der letzte Vers ist jetzt natürlich gemein. Während wir nämlich
nur Bahnhof verstehen, hat Dante das jetzt voll gerafft mit der anima vegetativa,
anima sensitiva und anima intellectuale und mit dem Samen der die ersten zwei
hat und der dritten die Gott einhaucht und dem Regenbogen und wie die Seelen
durch die Lüfte schweben und all das. Irgendwie ist der Dante unsympathisch,
der hat so was von Streber an sich, der hört sich das einmal an und ist
erleuchtet, während wir einfach nur platt sind und uns fragen, ob Statius
den Quark eigentlich selber glaubt?
Zur letzten Marter ging der Weg vonstatten
Und aufwärts stiegen wir, stets rechter Hand
Als wir schon eine neue Sorge hatten
Denn sieh: Sprühflammen spreit die Felsenwand!
Zwar wirft ein Sturm von unten her die Lohe
Zurück – doch frei bleibt nur ein schmaler Rand
Den einzeln wir durchschreiten müssen! – Hohe
Züngelnde Flammen links – und rechts ist füglich
Gefahr, dass ich hinabzustürzen drohe!
Aus dem Berg schlagen also Flammen und da sich rechts der Abgrund befindet,
bleibt nur ein schmaler Weg, so dass sie hintereinander gehen müssen.
Da tröstet mich Vergil schon: „Hier muss klüglich
Die Vorsicht straff im Zaum die Augen zwingen,
Leicht tritt man fehl – denn jeder Schritt ist trüglich
Da sind wir natürlich erstaunt, denn tröstlich finden wir die
Bemerkung des Vergil nicht. Schauen wir also in das italienische Original.
Lo duca mio dicea: «Per questo loco
si vuol tenere a li occhi stretto il freno,
però ch'errar potrebbesi per poco».
Da sprach mein Führer: “An diesem Ort
Muss die Augen man stramm im Zaume halten
weil ein Fehler, hier kann leicht geschehen
Also im Original tröstet er nicht, er sagt es nur. Was einen bei
Dante wundert, ist rasante Auffassungsgabe bei theologischen Themen, gepaart
mit der Infantilität in praktischen Dingen. Ich kapier ja Thomas von Aquin
nicht, das geb ich zu, aber wenn ich links eine Feuersbrunst habe und es rechts
senkrecht abwärts geht, dann ist mir auch klar, dass ich aufpassen muss,
da brauch ich keinen Vergil, der mir das mitteilt.
„Gott größter Gnade!“ hört
ich‘ s plötzlich singen
Aus dieses Brandes mächtigem Flackerwehen
Dass mir trotzdem dahin die Augen gingen
Da sah ich Geister durch die Flammen gehen
Und meinen Schritt und ihren wechselweise
Betrachtend ging ich bald und blieb bald stehen
Das ist nicht ganz richtig übersetzt, ist aber egal. Er schritt
voran und achtete abwechselnd auf die Geister und auf seine Schritte. Es geht
hinauf in den siebten Kreis, wo die Wollust gesühnt wird, wir hören
jetzt also Beispiele der Keuschheit und der Sittenstrenge.
Nach dem Gesange scholl es aus dem Kreise
„Ich weiß von keinem Mann“ – dann wieder klang
Der erste Hymnus, doch gedämpft und leise
Das „ich weiß von keinem Mann“ bezieht sich auf Evangelium
des Lukas 1, 26 ff
Und im sechsten Monat ward der Engel Gabriel gesandt von Gott in eine Stadt
in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war
einem Manne mit Namen Joseph, vom Hause David: und die Jungfrau hieß Maria.
Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Gegrüßet seist du, Holdselige!
Der HERR ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern! Da sie aber ihn sah,
erschrak sie über seine Rede und gedachte: Welch ein Gruß ist das?
Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! du hast Gnade bei
Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären,
des Namen sollst du Jesus heißen. Der wird groß sein und ein Sohn
des Höchsten genannt werden; und Gott der HERR wird ihm den Stuhl seines
Vaters David geben; und er wird ein König sein über das Haus Jakob
ewiglich, und seines Königreiches wird kein Ende sein. Da sprach Maria
zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß? Der
Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen,
und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch
das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe,
Elisabeth, deine Gefreunde, ist auch schwanger mit einem Sohn in ihrem Alter
und geht jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, daß sie unfruchtbar
sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe ich
bin des HERRN Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von
ihr.
Und wieder riefen sie: „Zum Walde drang
Diana, um Calisto zu verjagen,
Weil die Verliebte Jupiter umschlang“
Dante bezieht sich auf ein bestimmtes Bild der Göttin Diana in der
griechischen Überlieferung. In dieser Überlieferung wohnte die ewige
Jungfrau Diana in einem Wald fern von allen Menschen. Eine ihrer Nymphen, Kallisto,
ließ sich von Jupiter verfolgen, weswegen sie Diana aus dem Wald verbannte.
Dante referiert hier eine Geschichte aus den Metamorphosen des Ovid. Kallisto
war eine der Nymphen der Göttin Diana und damit zur Keuschheit verpflichtet.
Zeus nähert sich ihr in der Gestalt der Diana und verführt sie. Kallisto
wird schwanger und wird von Diana verstoßen. Aus der Verbindung mit Zeus
geht Arkas hervor. Die ewige Spaßbremse Hera, die Schwestergattin des
Zeus verwandelt sie daraufhin in eine Bärin. Fünfzehn Jahre später
begegnet die Bärin ihrem Sohn Arkas, der das vermeintliche wilde Tier töten
will. Daraufhin versetzt Zeus beide in den Himmel, als großen und kleinen
Bären. Zur Illustration von Keuschheit ist das Bild natürlich total
ungeeignet, weil Kallisto ja sozusagen hintergangen wurde, Diana sich mehr oder
weniger verhält wie der Oberpatriarch in archaischen Gesellschaften, also
Taliban und abwärts. Weiter fehlt eine psychologische Vertiefung, um das
interessant zu machen. Wollüstig zum Beispiel ist Fjodor Pawlowitsch Karamasow,
der ist wollüstig und zwar derartig, dass ihm alle Sicherungen durchbrennen.
Dante hat das immer gleiche Problem. Er schafft es nicht, irgendwas in einen
komplexeren, realitätsnäheren Kontext zu stellen, übernimmt stereotype
Leerformeln.
Da hört ich singen sie, dann rühmend sagen
Von keuschen Frauen und getreuen Gatten
Die tugendsam das Eheband getragen
Man merkt, dass Dante noch nicht in Berlin war, da kann er so archaische
Gesellschaften betrachten. Tiefverschleierte Frauen, die keusch neben ihren
bärtigen Männern laufen und dreimal am Tag sonstwohin beten. Diese
Leute glauben dann, es wäre ihr Glauben, der sie vom Rest der Gesellschaft
unterscheidet. Es ist aber nicht der Glaube, es ist die Zeit, die den Unterschied
ausmacht. Den Mief kennt auch die Bundesrepublik aus den frühen 50ziger
Jahren.
Dann hört ich singen sie, dann rühmend sagen
Von keuschen Frauen und getreuen Gatten,
Die tugendsam das Eheband getragen
Das Problem ist immer das gleiche. Dante gelingt es nicht, ein theologisches
Lehrgebäude psychologisch zu vertiefen.
Solch frommes Werk wird, ohne zu ermatten
Geübt, solang die Flammen sie umfließen
Hilft solcher Eifer, solche Kost den Schatten
Die Übersetzung ist natürlich weitgehend sinnfrei. Das italienische
Original sieht so aus.
E questo modo credo che lor basti
per tutto il tempo che 'l foco li abbruscia:
con tal cura conviene e con tai pasti
che la piaga da sezzo si ricuscia.
Ihnen genügt so glaub ich
dass die ganze Zeit das Feuer sie verbrennt
mit dieser Pflege und mit diesen Mitteln
damit sich von alleine alle ihre Wunden schließen
Soll heißen, es reicht, dass sie am Feuer geröstet werden,
um von der Wollust kuriert zu werden.