|
1) Völlig losgelöst | 1) Völlig losgelöst | |
2)
Giftküche der abendländischen Kultur |
Bekanntlich gibt es über die Divina Commedia einen Berg an Literatur, hoch wie der Kilimandscharo. Man bräuchte einen ziemlich langen Güterzug, um diesen von A nach B zu transportieren und jedes Jahr kommt nochmal ein ordentlicher Güterwaggon dazu. Was diese Werke fleißigen Sinnens verbeamteter Geistlicher auszeichnet, ist die weitgehende Losgelöstheit vom konkreten Text. Diese Losgelöstheit vermindert aber keineswegs die Anzahl der möglichen Interpretationen. |
|
3) Ideologie | ||
4) Wissen | ||
5)
Dante als Schöpfer der italienischen Sprache? |
||
6) Dunkelsprech | ||
7) Konzeptionelle Mängel | ||
8) Abwesenheit eines Subjektes | ||
9) Goethes Faust und die Divina Commedia | ||
2) Giftküche der abendländischen Kultur | ||
Wir schreiben es noch ein paar Mal. Dies ist eine Zusammenfassung eines 2000 DIN A4 seitigen Kommentars. Wir fassen hier zusammen, was dort ausgeführt wird. Die Aussagen über Dante sagen viel über die Leute, die diese machen, aber wenig über Dante. Wer sagt (die Dante Gesellschaft tut dies auf ihrer Website), dass Dante ein Dichter wäre, dessen Aktualität zu zeigen und zu vermitteln sei, der hat ein Problem mit eben dieser Aktualität bzw. der Gegenwart. Dante ist der Giftschrank der abendländischen Kultur: Rassismus, Antisemitismus, dogmatische Halsstarrigkeit, Hymnen auf die Wegbereiter der Inquisition, christlicher Fundamentalismus, Verachtung der Demokratie und Bewunderung für alles Militärische. Volles Ballet. Die Versenkung ins Jenseits führt nicht nur zu einem Desinteresse am Diesseits, sondern auch zur totalen Unkenntnis desselben. Wir werfen Dante nicht mal vor, dass er völlig unfähig war, seine Zeit systematisch zu bewerten, dass er sich verliert in der Nennung des Sündenregisters einiger ihm bekannten Zeitgenossen. Wir erwarten von einem Mensch des Mittelalters nicht, dass er Sinnvolles zur politischen Ordnung, Wirtschaft, Recht etc. von sich gibt. Wir verstehen durchaus, dass der christlich / katholische Hokuspokus bzw. die Scholastik den Menschen das Hirn zukleisterte und einen direkten Weg ins Himmelreich wies und auf das Diesseits keine Gedanken verschwendet wurden. Dass ein Mensch des Mittelalters folglich nicht die Instrumente zur Hand hatte, die der moderne Mensch besitzt und folglich auch nicht in der Lage war, Vorgänge systematisch zu bewerten. Wenn aber heute, also im Jahre 2009, verbeamtete Geistliche auf die Aktualität der Divina Commedia hinweisen, muss schon die Frage erlaubt sein, ob die mit der Ausbildung von Studenten betrauten verbeamteten Geistlichen noch auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Sie tun es wohl, solange diese nicht bedroht ist. Aber werden Leute, die mental derart schlecht ausgestattet sind, es auch dann noch tun, wenn diese in Gefahr ist? Sie haben es in der Vergangenheit nicht getan und man kann sich schon, nimmt man Dante als Seismograph, die Frage stellen, ob die mentale Ausstattung heute tatsächlich besser ist. Dante wirft Fragen auf, unter anderen diese: Wäre es nicht sinnvoll, die verbeamteten Geistlichen mit Grundkenntnissen unserer Wirtschaft- und Sozialordnung vertraut zu machen, ihnen klar zu machen, dass das Rüstzeug, das Dante zur Verfügung stand, weder ausreicht noch exemplarisch ist? Dante als Mensch des Mittelalters zu sehen, ist völlig unproblematisch. Dann ist er auch interessant. Aufzuzeigen ist aber der Fortschritt, der seither stattgefunden hat. Zwischen Goethes Faust und der Divina Commedia liegen 500 Jahre Fortschritt (siehe unten). Dies wäre die zu vermittelnde Message. Dante steht für all das, was wir absolut nicht brauchen und das uns keiner Lösung näher bringt. |
||
3) Ideologie | ||
Dante ist weniger ein Dichter, als ein Terzinenschmied. Genau genommen ist die Divina Commedia ein Sammelsurium an angelesenem, halbverdautem Wissen, das ohne schöpferisches Genie verwurschtet wird. Es geht reichlich quer durch den Gemüsegarten. Verwurschtet wurde die gesamte Geschichte bis zu seinen Lebzeiten, das gesamte Personal der griechischen Mythologie hat seinen Platz gefunden, soweit Dante es verstanden hat, auch das Weltbild und die astronomischen Vorstellungen des Ptolemäus und natürlich sehr, sehr viel Thomas von Aquin. Über weite Strecken ist die Divina Commedia eine Darstellung der Summa Theologiae des Thomas von Aquin in Terzinenform, wobei die Darstellung der scholastischen Theologie in Terzinenform diese weder verständlicher noch besser lesbar macht. Auch amüsanter wird der Hokuspokus dadurch nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Eines allerdings ist in der Divina Commedia kaum enthalten: Dante. Oder andersherum ausgedrückt, ein schöpferisches Subjekt, das die Welt individuell verarbeitet und über das berichtet, was jenseits der Sprache liegt, ist nicht vorhanden. Was hiermit gemeint ist, kann man so nicht verstehen. Im Gegensatz zu Dante ist der Autor aber kein Anhänger von Dunkelsprech, er bildet sich ein, innerhalb des Kommentars an konkreten Beispielen gezeigt zu haben, was er meint. Schaut man sich tatsächlich Terzine für Terzine an, wird man auch das oft kolportierte Gerücht, dass Dante in enzyklopädischer Weise mit dem gesamten Wissen des Mittelalters vertraut war, eher kritisch sehen. Wir können es hier nur andeuten und verweisen wieder auf den Kommentar. Wir würden eher sagen, dass sich Dante für eine umfassende, differenzierte Sichtweise geschichtlicher Personen überhaupt nicht interessierte, geschweige denn vermocht hätte, die Komplexität einer historischen Figur zu erfassen oder gar zu beschreiben. Es ging ihm ausschließlich darum, durch isoliert betrachtete Ereignisse aus der Biographie der jeweiligen Person die Katelogisierung der Sünden, wie sie in der Scholastik bestand, zu illustrieren. Teilweise besteht zwischen der Figur, wie sie Dante schildert, und der historischen Figur nur ein sehr loser Zusammenhang. Teilweise übernimmt Dante einfach nur Gerüchte, die über diese Figur kursierten und teilweise ist die Darstellung Dantes, wie im Kommentar öfter gezeigt, schlicht falsch. Uns interessiert aber im Grunde nicht mal so sehr, ob seine Darstellung falsch oder richtig war; wir werden uns kaum überlegen, ob der Schiller Wallensteins mit dem historischen Wallenstein übereinstimmt, denn Schiller erweckte seine Figur zum Leben; Schillers Figuren sind psychologisch plausibel. Maria Stuart mag in ihrer ideellen Konzeption mehr Schiller als Maria Stuart sein, aber eben dies macht ihre Größe aus. Bei Dante haben wir nichts dergleichen. Wir haben eine mechanische Einordnung in ein Gatter nach einem Ordnungsschema, das in etwa so ergreifend ist wie das Schema, nach dem ein passionierter Briefmarkensammler seine Briefmarken ordnet, so dass, aufgrund der Menge des Personals (es kursiert die Zahl 600 - der Autor würde eher auf 2000 tippen) die Lektüre der Divina Commedia streckenweise in etwa so spannend ist wie ein Telefonbuch. Dass Dante sich für historische Fakten und deren wie auch immer gearteten Durchdringung, künstlerisch, nach übergeordneten Zusammenhängend suchend oder kritisch bewertend nicht die Bohne interessiert, zeigt sich auch daran, dass er historische Figuren, ja selbst Zeitgenossen, genau gleich behandelt wie mythologische Figuren. Die Parallelität zwischen Geschichte und Mythologie bei Dante zeigt sich aber nicht nur darin. Es gelingt Dante nicht, genau genommen kommt er nicht mal auf die Idee, dass ein Dichter genau dies leisten müsste: Mythen zu beleben. Goethe referiert in der Iphigenie auf Tauris nicht einen Mythos, er durchdringt diesen Mythos, belebt ihn mit seiner eigenen Subjektivität. Das Argument, dass Dante als Mensch des Mittelalters zu Dichtung, wie wir sie heute verstehen, nicht in der Lage war, sticht. Allerdings wäre das von den Kommentatoren hervorzuheben. Eine Figur wie Dante aus seiner Zeit heraus zu verstehen, bedeutet den Unterschied aufzuzeichnen, die Differenz und den Abstand zur Gegenwart zu beschreiben. Es bedeutet nicht, wie dies geschieht, ihn als für die Gegenwart exemplarisch hinzustellen. Wer das tut, der lebt auch noch im Mittelalter und wenn ein „Literaturwissenschaftler“ dies tut, und sie tun es, wird er sich schon die Frage gefallen lassen müssen, ob er zur Dichtung, der höchst individuellen Verarbeitung der Welt, die wahr ist, weil sie unsprachlich verstanden wird und die Welt transzendiert, überhaupt einen Zugang hat. In diesem Sinne ist die Begeisterung, die die verbeamtete Geistlichen der Divina Commedia entgegenbringen, der Seismograph der Geisteswissenschaften. Nochmal: Dies ist eine Zusammenfassung eines 2000 DIN A4 seitigen Kommentars. Wir machen jetzt das, was die in Registertonnen zu messenden Bücher über die Divina Commedia auch machen. Wir schreiben frei über dem Text schwebend, liefern aber einen Kommentar mit, der das hier Beschriebene ausführt. An einer Stelle schlägt das Desinteresse dann um in reine Ideologie. Das ist die Stelle, wo er eine Hymne singt auf das römische Reich. Offensichtich geleitet von der Idee, dass der Schöpfer Rom zum Zentrum der Welt erwählt hat, besingt er die herrliche Kraft, mit der Rom den Rest der Welt platt machte. Das geht dann nicht mal mehr auf das Konto Mittelalter, denn eine kritische, differenziertere Beschreibung hätte er schon römischen Historikern wie Tacitus entnehmen können. | ||
4) Wissen | ||
|
||
5) Dante als Schöpfer der italienischen Sprache? | ||
Kolportiert wird auch oft die Aussage, Dante sei der Schöpfer des heutigen Standarditalienisch. Das ist aus mehreren Gründen heraus Blödsinn. Erstens hat Dante keine Sprache geschaffen, wie dies etwa Luther in der Bibelübersetzung tat, der mehrere Dialekte verknüpfte, er hat lediglich geschrieben im Toskanisch seiner Zeit, das vom heutigen Standarditalienisch erheblich abweicht und auch von Italienern nicht mühelos gelesen werden kann. Die These, dass die Lutherbibel die Verbreitung eines bestimmten Dialektes begünstigte ist eher plausibel, denn sie konnte anders als durch manuelle Vervielfältigung verbreitet werden. Die Divina Commedia konnte erstmal nur abgeschrieben werden. Die Anzahl der Exemplare, die kursierten, dürfte sich also auf ein paar Hundert beschränkt haben. Dass das Toskanische zur Norm wurde, dürfte eher der Dominanz von Florenz in der Renaissance geschuldet sein, wobei Norm, was das Italienische angeht, ziemlich relativ ist. Bis auf den heutigen Tag kennt Italien stark abweichende Akzente, die sich auch bei einem höheren Bildungsniveau nicht angleichen. In diesem Zusammenhang kann man auch erwähnen, dass die von professoralen Geistlichen immer wieder vorgetragene Behauptung, dass sie in der Lage wären, die Divina Commedia sprachlich zu bewerten, als Selbstbeweihräucherung einzustufen ist. Sie müssten mal ganz konkret an einer konkreten Terzine beschreiben, was sie daran fasziniert. Aus der Art der Darstellung ließe sich dann schon entnehmen, ob sie Phrasen dreschen oder etwas Authentisches berichten. Lyrik ist in der Regel nur in der Muttersprache rezipierbar. Nur in der Muttersprache besitzt man volle Kenntnis über den Wert eines Wortes innerhalb eines semantischen Feldes, kennt dessen regionale Herkunft, weiß, wo es gesellschaftlich verortet ist. Gedichte, die man in der Fremdsprache noch 100 prozentig versteht, mag es geben. Ein Beispiel wäre das Berühmte von Lord Byron. Das dürfte aber eher die Ausnahme sein. Wenn aber jemand, dessen Muttersprache nicht Italienisch ist, behauptet, er könne die sprachliche Qualität eines Textes aus dem Florenz des 13. Jahrhunderts beurteilen, dann müsste er das schon plausibel begründen. Übersetzungen sind immer Nachdichtungen. Sie können unter Umständen besser sein als das Original, den Verdacht hat der Autor bezüglich des Ullyses von James Joyce in der Übersetzung von Hans Wollschläger. Man kann also auch die Divina Commedia nachdichten und an den wenigen Stellen, wo ein empirisches Substrat (siehe unten) vorhanden ist, gelingt dies auch. Die Behauptung jedoch, dass eine Beurteilung hinsichtlich der Wirkmächtigkeit der Sprache möglich ist, würde der Autor als glatten Unfug bezeichnen. Der Kommentar wird zeigen, dass erhebliche Probleme bestehen, den Text überhaupt inhaltlich zu verstehen, teilweise finden sich die Wörter nicht mal in spezialisierten etymologischen Wörterbüchern. Wer dann noch behauptet, er kennt zu diesen Wörtern das gesamte semantische Feld im Toskanisch des 13. Jahrhundert, der wird das wohl plausibel erklären müssen. |
||
6 )Dunkelsprech | ||
Wie bereits erwähnt, hat der Autor 2000 DIN A4 Seiten gebraucht, um die Divina Commedia zu kommentieren. Das lässt aber kaum einen Rückschluss auf den Gehalt der Divina Commedia zu. Die Zusammenhänge, die aufzuschlüsseln waren, sind höchst trivialer Natur, wie überhaupt die gesamte Divina Commedia ein höchst triviales Werk ist. Sie suggeriert durch den Dunkelsprech Tiefsinn, wo eigentlich phänomenaler Flachsinn herrscht. Reinigt man sie von ihrem Dunkelsprech, dann bleibt nicht viel übrig. Der Dunkelsprech beruht im Wesentlichen auf drei Techniken. Wir deuten das hier nur an. Es reicht, sich irgendeinen Kommentar zu den 100 Terzinen durchzulesen, um Beispiele für Dunkelsprech zu finden. |
||
7) Konzeptionelle Mängel | ||
Die konzeptionellen Mängel in Kurzform darzustellen ist schwierig. Es ist anhand konkreter Beispiele zu zeigen, was mit Dichtung geht und was eben nicht geht. Darstellbar ist das nur anhand konkreter Verse. Von daher wird auch hier wieder auf den Kommentar verwiesen. Dante versucht etwas, was nicht gelingen kann. Dichtung kann sich nur aus einem empirischen Substrat speisen, ihre Leistung besteht darin, in einen Bereich vorzudringen, der sich der Sprache entzieht, sie beschreibt Erfahrungen, für die es noch keine Sprache gibt oder nicht mehr gibt. Sie schöpft aus einem empirischen Substrat und lädt die Sprache mit diesem empirischen Substrat auf. Dadurch, dass sie das Erleben sprachlich fasst, steht das Erfasste dem Subjekt nicht mehr stumm gegenüber, die entfremdete Welt wird zur Heimat. Dichtung ist damit aber mit dem Diesseits verheiratet. Aus diesem schöpft sie und in dieses entlädt sie sich. Dante dichtet aber über das Jenseits, allein im Inferno kann er noch aus einem empirischen Substrat schöpfen; von daher sind im Inferno auch noch einige überzeugende Stellen zu finden. Im Läuterungsberg wird es schlimm und im Paradies grauenhaft. Vom Jenseits haben wir keine Ahnung, wir können darüber in abstrakten Begriffen philosophieren, Abstraktes lässt sich nur, wenn überhaupt, abstrakt fassen, aber eine dem Jenseits entsprechende Sprache gibt es nicht. Dichtet man über das Jenseits, dann lädt man die Sprache nicht mit empirischem Substrat, sondern man entleert sie von diesem. Die Sprache kommt aus dem Diesseits , ihr empirisches Substrat kommt aus dem Diesseits. Transponiert man sie ins Jenseits, dann kann das nur gelingen, wenn man sie von diesem empirischen Substrat löst. Dann hat sie aber gar keines mehr, übrig bleiben nur noch Wörter, die völlig sinnfrei sind. Die Sache ist relativ einfach. Über die erste große Liebe kann jeder etwas sagen. Über die Empfindungen, die man hat, wenn auf einem entfernten Planeten von einer anderen Sonne als der unseren bestrahlt wird, kann niemand etwas sagen. Wenn Sie es mir nicht glauben, dann versuchen Sie es. Schreiben Sie ein Gedicht über die Gefühle, die sie hatten, als sie auf einem 1000 Lichtjahre entfernten Planeten von einer unbekannten Sonne bestrahlt wurden. Glauben Sie es mir einfach. Es gibt keine Dichtung ohne empirisches Substrat. Aus dem Jenseits weht uns nur Leere entgegen. Die Verquastheit der Sprache in der Divina Commedia ist in ihren konzeptionellen Mängeln begründet. Beatrice ist der Versuch, das Jenseits zu erotisieren, etwas vom Diesseits ins Jenseits zu bringen und es zu beleben. Der Versuch war nett, das Ergebnis lächerlich. | ||
8) Abwesenheit eines Subjektes | ||
Auch hier muss wieder auf den Kommentar verwiesen werden. Was gemeint ist lässt sich präzise nur an konkreten Beispielen zeigen. Dichtung ist durch die vehemente Anwesenheit eines Subjekts charakterisiert, das nichts Fremdes duldet. Keine Wörter, die nicht mit einem empirischen Substrat geladen sind, nichts, was dem Subjekt bedeutungslos gegenübersteht. Indem Dichtung der Welt eine Bedeutung gibt, zieht sie die Welt in das Subjekt hinein. Eine Welt, die eine Bedeutung hat, kann auch schlimm sein, aber eine völlig bedeutungslose Welt ist das Allerschlimmste. Dichtung transzendiert die Welt, indem ein Subjekt ihr eine Bedeutung zuweist. Dichtung ist auch nicht kontingent. Wird sie interindividuell verstanden, im Extremfall über Jahrhunderte hinweg, dann ist sie ganz offensichtlich wahr. Genau das haben wir aber bei Dante nicht. Er trägt keinen subjektiven Klang in die Welt, sondern er zwängt die Welt in das Prokrustes Bett einer Ideologie. In der Divina Commedia wird nicht die Welt ins Subjekt zurückgeholt, sondern das Subjekt löst sich auf in einem System. Die verbeamteten Geistlichen (Sie finden im Kommentar Beispiele, die Dante als Dichter bezeichnen, ihn als großen Lyriker bezeichnen) tun der Menschheit leider nicht kund, wo der Text sie anrührt. |
||
9) Goethes Faust und die Divina Commedia | ||
Die Divina Commedia selbst wäre zu schwach und unbedeutend um mit Faust verglichen zu werden, sie zerbröselt unter der Analyse wie trockenes Brot im Mörser. Übrig bleibt ein Konvolut aus mittelalterlicher Astronomie, kurios vorgetragenen geschichtlichen Zusammenhängen, viel Scholastik , die gnadenlos durch Terzinen als formalem Kitt zu einem Brei verrührt wurden. Wir wollen aber nochmal betonen, haben es schon öfter gesagt: zwischen der Divina Commedia und Goethes Faust liegen nicht die Alpen, sondern 550 Jahre Menschheitsgeschichte. Das Weltbild der Divina Commedia ist dem Weltbild, das in Goethes Faust entworfen wird, diametral entgegengesetzt. Das Weltbild der Divina Commedia - nehmen wir die Divina Commedia mal als Vertreter einer Klasse, ist auf verschiedenen Ebenen ein Problem hat: im Alltag, philosophisch und gesellschaftspolitisch - ist ein extremes Beispiel einer statischen Weltsicht. (Haben wir es schon gesagt? Für eine detaillierte, an Beispielen konkretisierte Erläuterung verweisen wir auf den Kommentar.). Der utopische Horizont, wenn man von einem solchen überhaupt sprechen kann, denn das im Paradies zu findende Glück ist tief und unauffindbar in der Terminologie der Scholastik ( gewürzt mit ein bisschen Dante) vergraben, ist statisch. Im Jenseits herrscht (ganz im Gegensatz zum Diesseits, da herrscht Chaos) die ewige Ordnung , die präzise und detailliert beschrieben wird. Genau dieser vollkommene Stillstand ist das allerhöchste Glück, wobei die Beschreibung dieses Glücks, wie Dante selbst erwähnt, nicht beschrieben werden kann (siehe oben: konzeptionelle Mängel). Das Diesseits, das uns lediglich als ein einzig großes Jammertal vorgestellt wird, hat nur einen einzigen Zweck, die Ausrichtung nach dem Jenseits. Wir haben also den ganzen christlich / katholischen Hokuspokus in Reinkultur. Das Diesseits erhält seine Bedeutung nur aus dem Jenseits. Das Diesseits interessiert nur insofern, als es die Verortung im Jenseits determiniert. Die Abwesenheit eines Subjekts, die totale Unfähigkeit gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge systematisch zu bewerten ist mehr als nur bloßes Unvermögen, es ist Ausdruck eines Weltbildes. Wenn das Subjekt nur unter dem Blickwinkel der ewigen, feststehenden Ordnung betrachtet wird, es lediglich darum geht, seinen Platz in dieser Ordnung zu bestimmen, dann haben wir im Grunde kein Subjekt mehr. Der Ratzinger, Joseph wäre erstaunt, aber das Christentum ist ideologisch eine totalitäre Ideologie. Totalitäre Staaten interessieren sich nicht für das Subjekt. Sie interessieren sich für die Funktionalität innerhalb eines Systemgefüges. Man kann zweifeln, ob die ideologische Unterstützung, die die katholische Kirche Diktaturen immer wieder geleistet hat, tatsächlich Zufall ist. Wir haben wohl eher eine Affinität bezüglich des Temperamentes. Solange eine rational gestimmte Zivilgesellschaft sie zügelt, ist sie unproblematisch. Sie ist dann lediglich Folklore. Das Unvermögen Dantes, komplexe Charaktere zu zeichnen, ist mehr als nur Ausdruck dichterischer Impotenz. Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass dem Subjekt und dessen Individualität überhaupt eine Bedeutung zukommt. Auch wenn er hierin ein Kind des Mittelalters war und ihm die literarischen Techniken zur Zeichnung von Individuen nicht zur Verfügung standen, ändert das nichts an der Grundaussage. Sie standen ihm nicht zur Verfügung, weil aufgrund ideologischer Verblendung 1000 Jahre lang niemand davon ausging, dass man solche Techniken brauche. Seine Unfähigkeit ist dann lediglich überindividuell, ein Zeichen der Zeit. Abenteuerlich sind natürlich jetzt die Aussagen verbeamteter Geistlicher, denn diese müssten es besser wissen. Wenn behauptet wird, dass Dante differenzierte, komplexe Persönlichkeiten geschaffen habe bzw. historische Persönlichkeiten differenziert dargestellt habe, dann müsste dies anhand von konkreten Beispielen belegt werden (siehe oben: völlig losgelöst). Gleiches gilt für seine „gesellschaftspolitischen Vorstellungen“ (wir setzen das mal in Anführungsstriche, weil man so ein obskures Geblubbere kaum als gesellschaftspolitische Vorstellung bezeichnen kann). Das Diesseits interessiert Dante schlicht gar nicht. Ob man Dante jetzt ernst nimmt oder nicht, ist zweitrangig. Fest steht, er ist ein Typus. Und dieser Typus ist ein Problem und die Divina Commedia und die Anzahl der Leute, die sich als ERWACHSENE ernsthaft mit ihm befassen sind offensichtlich Legion, denn jedes Jahr entstehen neue „Erträge der Forschung“ zum Thema Dante. Damit wird Dante zum Seismographen einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung. Er zeigt dadurch, dass sich so viele Leute mit ihm befassen, was in den Köpfen mancher Leute vorgeht. Wenn verbeamtete Geistliche allen Ernstes behaupten, dass ein Werk, das Individuen zu Telefonbucheinträgen reduziert Dichtung ist, dann kann man sich die Frage stellen, ob diese Leute in der Lage sein werden, Leute auszubilden, die wiederum andere Leute für Literatur begeistern. Und das wiederum ist es, was auch der Autor dieser Zeilen nun tun wird. Sich mit dem Diesseits beschäftigen. |
||
Andrés Ehmann | Stephanstraße 11 | D-10559 Berlin |