Na, na, na, na, na! Sie haben doch gemogelt oder? Ich kenn doch meine Pappenheimer. Sie haben nicht vorne angefangen und haben dann alles gelesen, Sie haben gleich hier geklickt - mal schauen, wie das ausgeht. Oder haben Sie die Waffen gestreckt, als die Kirche auftrat mit all ihrer Glorie? Dann gehören Sie wohl nicht zu denen, die am Straßenrand dem Papamobil zuwinken. Haben Sie was verpasst? Schwer zu sagen. Also was die Divina Commedia selbst angeht haben Sie nicht viel verpasst. Ihnen ging es wahrscheinlich um den Small Talk auf der Party. Seien Sie ganz beruhigt, das Teil hat kein Mensch wirklich gelesen, da können Sie sagen, was sie wollen, Sie gehen da als Experte durch, auch in Italien, wo die das drei Jahre in der Schule machen. Hauen Sie einfach so was raus:
… ist doch wirklich erstaunlich, dass es den Ausdruck kafkaesk, aber nicht dantesk gibt; der grenzenlose Horror in der Hölle, das hätte doch genauso stilbildend sein müssen wie Kafka. (Dann irgendwie weiterstricken, ob es das im Italienischen gibt, wie oft bei google, warum man den Ausdruck eher mit dem inferno verbinden würde als mit dem paraiso etc. etc.)
Oder hauen Sie einfach richtig drauf.
…Also ich finde schon, dass man die Divina Commedia zusammen mit der Odyssee, Krieg und Frieden und dem Faust nennen sollte. Alle sind doch ein Menschheitsentwurf. (Die Diskussion geht dann sofort über in die Frage, was ein Menschheitsentwurf ist und die Details spielen keine Rolle mehr.)
Im Grunde können Sie aber auch aus jedem x-beliebigen Kommentar ein paar Sätze rausfischen, die schweben alle so beziehungslos über dem Text, da ist es völlig egal, ob Sie das gelesen haben oder nicht.
„Bevor wir hier fortfahren, sei eine Vorbemerkung gestattet. Wir werden auf den folgenden Seiten den Weg, der Dante zur Komödie führt, als ein ununterbrochenes Fortschreiten und eine wachsende Aktualisierung der in ihm ruhenden Kräfte schildern.“
Schreibt Erich Auerbach in „Dante als Dichter der irdischen Welt“. Der Partysatz sieht dann so aus.
…ich glaub schon, dass wir in der Divina Commedia sehen, wie sich die Kräfte Dantes aktualisiert haben und fortgeschritten sind… (es reicht dann, wenn sie von zunehmender Komplexität sprechen – soll heißen wird immer verquaster- und Entfaltung eines Weltbildes – soll heißen, kommt immer mehr von Thomas von Aquin).
En masse Inspiration können Sie sich auch bei Amazon holen in den Bewertungen der Leser. Die sind alle begeistert, aber keiner weiß, warum eigentlich. Die Italiener sind übrigens größtenteils auch begeistert, aber nach Details fragt man besser nicht.
Auf einer Party punkten Sie aber mit Dante wahrscheinlich eh nicht, so wie die Menschheit heute drauf ist. Punkten können Sie aber damit in Italien. Da gibt es wohl keine Stadt, wo nicht irgendwo ein Dante Denkmal steht, eine Straße nach ihm benannt ist oder eine Gedenktafel steht, mit der an irgendeine Figur aus der Divina Commedia erinnert wird. Wenn Sie also mit Kumpels oder einer Reisegruppe nach Italien fahren und nicht gerade den ganzen Tag am Strand liegen und flirten, können Sie einen guten Eindruck machen.
Der Autor kann Ihnen also beim besten Willen nicht sagen, ob es eine gute oder schlechte Idee war hier einfach reinzuklicken, ohne die vorherigen Kapitel gelesen zu haben. Es gibt jetzt natürlich noch ein paar gewichtigere Gründe, warum man sich die Divina Commedia mal antun kann, aber das Kapitel haben wir wiederum in die Gesamtinterpretation verlagert. Diese Gesamtinterpretation ist dann im Übrigen so freischwebend wie alle anderen Interpretationen auch. Eine Gesamtschau wird zeigen, dass es Verse in der Divina Commedia gibt, die richtig und überindividuell wahr sind, die geradezu die Menschheitsgeschichte beschreiben. Es sind jene berühmten, mit denen das Werk einsetzt und die tatsächlich viele Leute kennen.
Auf halbem Wege unsers Erdenlebens
Musst ich in Waldesnacht verirrt mich schauen,
Weil ich den Pfad verlor des rechten Strebens.
Das ist absolut richtig. Den Pfad des rechten Strebens hat Dante vollkommen verloren und hat sich von da an immer tiefer in den Irrweg hineingebohrt. Es wird nach ihm noch viele Ideologien geben, die mit mehr Technik noch mehr Unheil stifteten, als es der Katholizismus, in Ermangelung derselben, stiften konnte. Die Divina Commedia ist eine umfassende Beschreibung des Giftschrankes der Menschheit. Extremer Dogmatismus, Indoktrination, Rassismus, Abschaffung des Subjektes, Abschalten des gesunden Menschenverstandes, Gefühlsarmut, Säuberung der Sprache von jedem empirischen Substrat, selektive Wahrnehmung. Die Divina Commedia ist wirklich volles Ballett. Vergleicht man die Divina Commedia mit Goethes Faust, was wir in der Gesamtschau tun werden, wird das noch deutlicher. Goethes Faust ist das Gegenprogramm. Zweifel, der an der Hoffnung festhält, eine Sprache, die nicht von jedem empirischen Substrat gereinigt ist, sondern ganz im Gegenteil, mit selbigem neu geladen wurde, in Mephistopheles eine Menge gesunden Menschenverstand. Wir betonen es aber nochmal. Zwischen der Divina Commedia und dem Faust liegen nicht die Alpen, sondern 500 Jahre Geschichte. Schaut man sich aber die von verbeamteten Geistlichen produzierte Sekundärliteratur zur Divina Commedia an, dann wird die Divina Commedia zum Fieberthermometer, das den Geisteszustand so mancher Professorchen misst. Dann haben wir schon ein Problem. Die Details sind dann in den Kapiteln vorher
Das 33ste Geträller zerfällt im Wesentlichen in zwei Bereiche. Der erste Teil ist ein ziemlich langes Gebet zu Maria, dass sie helfen solle bei der Gottschau und der zweite Teil ist dann eine Beschreibung, in der uns wortreich mitgeteilt wird, dass ihm die Worte fehlen, die er bräuchte, um uns einen Eindruck von der Herrlichkeit der Gottschau zu geben. Zusammengefasst bringt also auch das letzte Geträller nicht wirklich viel, denn dass Dante verhindert war, uns seine Visionen mitzuteilen, wissen wir bereits. Das Problem spitzt sich zu, je weiter er nach oben steigt. Die Qualen der Hölle kann er uns noch plausibel vermitteln, beim Läuterungsberg wird es grenzwertig und im Paradies fliegt ihm das Teil um die Ohren, wie wir schon öfters (Sie können übrigens immer noch in die anderen Kapitel reinclicken) gesehen haben. Dante ist also im gewissen Sinne ein Vertreter der Spezie, die Stendhal folgendermaßen beschriebe.
Sie können ein Herz nur noch rühren,
indem sie es quälen
Was Stendhal damit genau meinte, können wir auf sich beruhen lassen. Relevant ist der Zusammenhang insofern, als es objektiv mehr Talent bedarf gewaltiges Gelingen künstlerisch darzustellen als das Elend dieser Welt, was auch daran liegen kann, dass die Menschheit nicht so richtig ins gewaltige Gelingen verliebt ist. Der Ausspruch von Nina Hagen „Wenn de scharf bist, musst de rangehn“ ist insofern nicht korrekt, weil die Menschheit nun mal nicht scharf ist. Vielleicht sollte sie mal Ernst Bloch lesen, „Das Prinzip Hoffnung“, das ist ein Scharfmacher. Deswegen werden auch sehr viel öfter Horror und Crime Geschichten erzählt als Geschichten über das Gelingen. Der Fall bei Dante ist allerdings komplizierter. Das mit dem Herz quälen bekommt er noch hin, aber das mit dem Herz rühren nicht mehr. Denn auch wenn er notorisch das Gegenteil behauptet, im himmlisch / göttlichen Megaloch gibt es gar keine Herzen mehr, die man rühren könnte. Das Gebet an Maria geht jetzt über 15 Terzinen. Die Weicheier werden sich jetzt natürlich schon wieder rausklicken. Kann ich nicht ändern. Dante ist halt was für richtige Männer.
„O Jungfrau, Mutter, Tochter deines Sohnes,
Demütigste und hehrste Kreatur,
Vorauserkornes Ziel des ewgen Thrones,
Du adeltest die menschliche Natur
So hoch, dass es der Schöpfer nicht verschmähte,
Zu wandeln selbst in des Geschöpfes Spur;
Es ward dein Schoß zum flammenden Geräte
Der Liebe, deren Glut im ewgen Frieden
Gedeihlich diese Wunderblume säte.
Im Original
Vergine Madre, figlia del tuo figlio,
umile e alta più che creatura,
termine fisso d'etterno consiglio,
tu se' colei che l'umana natura
nobilitasti sì, che 'l suo fattore
non disdegnò di farsi sua fattura.
Nel ventre tuo si raccese l'amore,
per lo cui caldo ne l'etterna pace
così è germinato questo fiore
Jungfrau Maria, Tochter deines Sohnes,
Demütigste und höchste aller Kreaturen,
festes Ziel des ewigen Ratschlusses,
Du bist es, die so geadelt hat die menschliche
Natur, dass ihr Schöpfer willens war, sich
selbst zu ihrem Geschöpf zu machen
In deinem Leib ward wieder entzündet
die Liebe, durch deren Glut im ewigen Frieden
hervorgetrieben wurde diese Blume
Die erste Zeile „…Tochter deines Sohnes…“ macht eigentlich nur Sinn, wenn man, unter anderem, von der heiligen Dreifaltigkeit ausgeht, also Gott, dessen Sohn und den heiligen Geist als Einheit auffasst. Dann war Maria zwar einerseits die Tochter Gottes (nämlich die Tochter Gottes) und andererseits auch die Mutter Gottes (nämlich die Mutter Jesus Christus). Dann kommen halt noch alle Beschreibungen, die die Außergewöhnlichkeit Marias ausmachen. Mutter, aber Jungfrau, Mensch und doch Mutter Gottes. Die letzte Terzine ist dann wieder die Apfelgeschichte. Der Bund mit Gott wurde durch Christi Geburt erneuert, der entäpfelte die Menschheit, machte sie also von der Erbsünde frei. Der Nebeneffekt scheint gewesen zu sein, dass er auch den Nebeneffekt, nämlich das Erkennen von Gut und Böse eliminiert hat, die kam ja mit dem Apfel in die Welt und die entäpfelte Menschheit wusste dann wohl nicht mehr, was gut und böse ist, denn das eigentliche Malheur kam dann. Die Römer waren verglichen mit dem, was dann kam noch harmlos. Der Autor würde eher für die Äpfelung als für die Entäpfelung plädieren. Die katholische Kirche zum Beispiel gehört mal ordentlich geäpfelt. Denn die war ganz offensichtlich von der Erbsünde unbelastet, konnte nicht erkennen, was gut und böse ist. Die spendet sogar noch Augusto Pinochet die letzte Ölung.
„Der Sprecher der Familie, General Guillermo Garín teilte mit, Pinochet habe auf dem Krankenbett die letzte Ölung erhalten. Die letzte Ölung wird von der katholischen Kirche den Gläubigen gespendet, wenn mit ihrem baldigen Tod gerechnet werden muss.“
aus: http://www.spiegel.de
Und wir sind uns bei Dante gar nicht mal so sicher, dass er ihn nicht als Held im Kampf gegen die Demokratie in die Himmelsrose versetzt hätte.
Als Mittagliebessonne uns beschieden
Im Himmel hier, bist du Urquell und Schoß
Lebendger Hoffnung aller Welt hienieden!
So mächtig, Herrin, bist du und so groß,
Dass Gnade wünschen und zu dir nicht flehen
Ein Fliegen hieße dem, der flügellos!
Nicht nur den Betern pflegst du beizustehen
Mit Rat und Tat – oft sehn wir deine Güte
Dem Ruf der Not voran freiwillig gehen!
Mitleid und Großmut wohnt dir im Gemüte,
Barmherzigkeit und alles, was an Milde
Je eines guten Wesens Brust durchglühte. -
Im Original
Qui se' a noi meridiana face
di caritate, e giuso, intra ' mortali,
se' di speranza fontana vivace.
Donna, se' tanto grande e tanto vali,
che qual vuol grazia e a te non ricorre
sua disianza vuol volar sanz'ali.
La tua benignità non pur soccorre
a chi domanda, ma molte fiate
liberamente al dimandar precorre.
In te misericordia, in te pietate,
in te magnificenza, in te s'aduna
quantunque in creatura è di bontate
Hier bist du das mittägliche Gesicht der
Barmherzigkeit, und unten, unter den
Sterblichen, lebendige Quelle der Hoffnung
So groß und mächtig bist du Herrin, dass der,
der Gnade sucht und sich nicht an dich wendet,
einer Sehnsucht gleicht, die fliegen will ohne Flügel
Deine Barmherzigkeit eilt nicht nur dem
zu Hilfe der sie erfleht, sondern oft
Geht sie voran der Bitte
In dir ist Barmherzigkeit, in dir Frömmigkeit,
in dir Größe, in dir ist alle versammelt
was jemals in einer Kreatur ward an Güte
Mit „Hier bist du das mittägliche Gesicht der Barmherzigkeit“ wird wohl auf die Sonne angespielt. Diese steht ja bekanntlich mittags am höchsten und strahlt am stärksten. Maria strahlt also soviel Barmherzigkeit ab wie die mittägliche Sonne Licht. Der Rest ist dann wahrscheinlich wieder dieser Gnadenquark. Maria, wie Gott, teilt seine Gnade unerbittlich aus, man muss sie aber annehmen, darin besteht der freie Wille. Wo Dante das mit den Flügeln ausgebuddelt hat, ist unklar. Sind die Flügel Maria, braucht man sie, wenn man fliegen will, so notwendig wie man Maria braucht, wenn man Gnade sucht. Damit hätte Maria irgendwie einen Status wie die katholische Kirche. Das ist wohl Dantes Erfindung.
Der aus des Weltalls düsterstem Gefilde
Bis hier herauf das Schicksalslos und Leben
Gesehen hat der ganzen Geistergilde,
Er fleht zu dir, ihm huldreich Kraft zu geben,
Dass tiefer noch sein Auge könne dringen,
Zum letzten, höchsten Heil sich zu erheben.
Im Original
Or questi, che da l'infima lacuna
de l'universo infin qui ha vedute
le vite spiritali ad una ad una,
supplica a te, per grazia, di virtute
tanto, che possa con li occhi levarsi
più alto verso l'ultima salute
Nun bittet dich jener, der aus der tiefsten
Stelle des Universums bis hierher das Leben
Der Geister einzeln hat geschaut,
fleht dich an, durch Gnade wie durch Kraft,
dass er die Augen heben könne, bis
Zum höchsten Punkt der Heilung
Mit „jener“ ist natürlich Dante gemeint, der war am tiefsten Punkt, also in der Hölle und hat sich dort mit den Verdammten unterhalten, mit jedem einzeln. Sie möge nun also Dante helfen, Gott zu schauen. Unter Umständen will uns Dante mitteilen, dass es zwischen Gott und den Erdenwürmern immer wieder Vermittler gibt, die wir brauchten, um ins Paradies zu kommen.
Nie fühlt ich selbst den Drang mich so bezwingen,
Zu schaun, als jetzt für ihn! Drum lass erneuen
Mein Flehn mich und nicht ungehört verklingen.
Lass dein Gebet die Wolken ihm zerstreuen
Der Sterblichkeit, dass sich sein Blick entfalten,
Sein Herz der höchsten Wonne kann erfreuen!
Im Original
E io, che mai per mio veder non arsi
più ch'i' fo per lo suo, tutti miei prieghi
ti porgo, e priego che non sieno scarsi,
perché tu ogne nube li disleghi
di sua mortalità co' prieghi tuoi,
sì che 'l sommo piacer li si dispieghi
Und ich, der ich noch nie so sehr um meiner selbst
willen zu schaun verlangte wie jetzt seinetwegen
Flehe dich an, und nicht unerhört möge sein mein Flehen
zerstreue alle Wolken seiner
Sterblichkeit, mit Deinem Gebet,
damit die ganze Wonne offenbar
Das kann jetzt auch eine Anspielung auf die begrenzten intellektuellen Fähigkeiten des Menschen sein, die man mit Marias Hilfe überwinden kann. Meint Dante.
Dann bitt ich, Königin – du kannst ja schalten
Und walten, wie du willst – nach solchem Sehen
Gesund des Herzens Trieb ihm zu erhalten,
Um niedrer Regung fest zu widerstehen:
Sieh Beatricen! Händefaltend kehrt
Sie sich zu dir, und Heilgen flehen!“
Im Original
Ancor ti priego, regina, che puoi
ciò che tu vuoli, che conservi sani,
dopo tanto veder, li affetti suoi.
Vinca tua guardia i movimenti umani:
vedi Beatrice con quanti beati
per li miei prieghi ti chiudon le mani!
Nochmal bitt ich dich, oh Königin, die tun
Kann, was sie begehrt, dass einmal durch
Die Schau geheilt sein Herz, gesund es bleibe
Dein Anblick möge besiegen die menschlichen
Regungen, schau die Seligen, die durch meine
Bitte dir die Hände falten
Irgendwie (die Gefühle und Regungen der nicht humanoiden Lebensformen sind immer irgendwie „irgendwie“, können so richtig nicht nachvollzogen werden,) soll die Gottschau sein Herz reinigen, von was auch immer. Danach soll er dann im Zustand der Seligkeit liebesglutdurchdrungen mit glänzenden Augen verharren. Genauso wahrscheinlich ist aber, dass ihm die Gottesschau den letzten Rest gibt. Die zweite Terzine deutet dann an, dass der Rest der Seligen mit ihm beten und Maria anflehen. Die machen für Dante ganz schön Ballett im Himmel. Dass er jetzt wieder Beatrice ins Spiel bringt, mag darin liegen, dass diese Dante im irdischen Jammertal näher ist. Stilistisch hat Dante ja einiges aus dem Christentum übernommen. Irgendwie haben wir ja im Christentum eine reiche Symbolbildung, die zwar nicht suggestiv, dafür aber reichhaltig ist. Die Kirche ist die Braut Christi, Jesus ein Lamm, Lilien stehen für Reinheit, Schlüssel für den Zugang zum Paradies etc. etc. Beatrice fluktuiert dann auch zwischen Theologie, Frau und Führerin durch die Schattenreiche der Seele. Wer will, aber der Autor will nicht, kann das auch als Aufladung der Welt sehen. Die Überziehung der Welt mit einer abstrakten Symbolik ist so ähnlich wie der Versuch, die Wüste Sahara anzumalen oder eine Müllkippe durch romantisches Kerzenlicht zu beleuchten.
Die Augen, die der Schöpfer liebt und ehrt,
Verklärten sich, als sie am Beter hingen,
Weil andachtsvoll Gebet ihr lieb und wert,
Worauf sie hoch zur ewgen Klarheit gingen
Und dort hinein so hell und leuchtend drangen,
Wie Sterblichen es niemals kann gelingen!
Im Original
Li occhi da Dio diletti e venerati,
fissi ne l'orator, ne dimostraro
quanto i devoti prieghi le son grati;
indi a l'etterno lume s'addrizzaro,
nel qual non si dee creder che s'invii
per creatura l'occhio tanto chiaro
Die auf den Sprecher gerichteten Augen,
erfreut und verehrt von Gott, zeigten wie
Sehr die frommen Bitten ihr gefielen;
als sie sich dem ewigen Licht zuwandten, und
niemand soll glauben, dass ein menschlich Auge,
jemals dorthin einen so klaren Blick gerichtet
Der Sprecher ist Bernhard, auf ihn richten sich nun die Augen Beatrices, die von Gott verehrt werden. Die zweite Terzine ist dann ulkig. Niemand soll glauben, dass jemals ein menschliches Auge einen so klaren Blick auf Gott geworfen hat. Das glaub ich ihm glatt, denn es hat noch nie irgendein menschliches Auge den Blick auf Gott gerichtet, weder ein klares noch ein stumpfes, einfach gar keines.
Und ich – bald von der Sehnsucht Ziel empfangen,
Wo jeden Wunsch Erfüllung noch verklärte –
Ich fühlte halbgelöscht schon mein Verlangen;
Im Original
E io ch'al fine di tutt'i disii
appropinquava, sì com'io dovea,
l'ardor del desiderio in me finii
so wie ich mich dem Ende aller
Sehnsucht nahte, wie ich musste, gelangte
auch die Glut der Sehnsucht an ihr Ende
Was er uns damit sagen will, ist unklar. Nimmt man die nächste Terzine dazu, die beschreibt, dass er aus den Augen Marias seligste Wonnen trank, könnte man meinen, dass er über diesen Wonnen die anderen vergessen hat. Psychologisch gesehen ist das aber eh alles ziemlich merkwürdig. Man kann eigentlich nur etwas begehren, was man kennt, wo eine Vorerfahrung entsprechend konditioniert. Etwas völlig Unbekanntes kann man nicht begehren. Man kann sich eine Million Euro auf dem Bankkonto wünschen, weil die Vorerfahrung es ermöglicht, sich auszumalen, was man mit einer Million Euro alles anstellen könnte. Man kann sich auch wünschen, noch mal so verliebt zu sein wie beim ersten Mal, auch hier gibt es eine Vorerfahrung. Man kann auch eine Sehnsucht nach der Sehnsucht haben, wie Nietzsche das beschreibt.
Wenn die Sehnsucht vergeht,
bleibt die Sehnsucht, nach der Sehnsucht.
Man kann sich also den Zustand zurückwünschen, als man noch etwas Konkretes begehrte, das Leben noch spannend war und nicht reine Routine. Das Begehren kann nur auf etwas zielen, was in einem bestimmten Moment der technischen Entwicklung / der gesellschaftlichen Ordnung ins Blickfeld des utopischen Horizontes geraten ist. Konkret: Heute können sich viele Leute wünschen, einen Netzrechner für einen 1 Euro bei Aldi kaufen zu können mit freiem Internetzugang. Vor 30 Jahren hätte sich das niemand gewünscht. Das Problem Dantes kommt also eigentlich aus zwei Richtungen. Zum einen dichtet er über ein himmlisch / göttliches Megaloch, was nicht geht, denn es gibt keine Dichtung ohne empirisches Substrat. Zum anderen hat er Wünsche, die jenseits des utopischen Horizontes liegen bzw. behauptet, Wünsche jenseits des utopischen Horizontes zu haben. Da lügt er. Ganz schlicht. Solche Wünsche sind nicht möglich. Dante geht aber noch weiter. Er behauptet nicht nur, dass er Wünsche hat, die jenseits des utopischen Horizontes liegen, sondern er behauptet, dass er die Empfindungen, die die Erfüllung dieser Wünsche auslösen, beschreiben könne. Wie dem auch immer sei, er behauptet, dass ihn schon der Anblick der Augen Marias so mit Wonne erfüllte, dass er Gott glatt vergessen hat. Das ist eines der wenigen Dinge, die ihm der Autor sogar mal glaubt. Frauen, die einen Gott vergessen lassen, die gibt es tatsächlich.
Denn als mir lächelnd winkte mein Gefährte,
Hinaufzuschauen, war ich längst bedacht,
Dass ich mir selbst die Himmelslust gewährte:
Im Original
Bernardo m'accennava, e sorridea,
perch'io guardassi suso; ma io era
già per me stesso tal qual ei volea:
Bernhard gab mir ein Zeichen und lächelte,
damit ich nach oben schaue; doch ich hatte
Schon selbst getan, was er verlangte
Als er von Bernhard aufgefordert wird nach oben zu schauen, hat er also schon selbst nach oben geschaut.
Denn meine Augen, rein und hell gemacht,
Vertieften sich ins Licht und tranken, tranken
Urewge Wahrheit aus des Glanzes Pracht.
Im Original
ché la mia vista, venendo sincera,
e più e più intrava per lo raggio
de l'alta luce che da sé è vera
denn mein Blick, der nun klar geworden,
drang immer tiefer ein in diesen Strahl
des hohen Lichtes, das allein schon Wahrheit
Das ist jetzt wahrscheinlich irgend so ein Theologengesülze, dem wir nicht folgen wollen. Ein Licht kann keine Wahrheit sein. Wahrheit ist ein Begriff auf der intellektuellen Ebene, stellt darauf ab, dass ein Zusammenhang objektiv, das heißt interindividuell richtig ist, das also verschiedene Individuen bei gleichem Kenntnisstand einen Sachverhalt gleich beurteilen. Zwar haben wir auch im Deutschen und in anderen Sprachen das Wort wahr, aber dieses ist ein Adjektiv, die Bedeutung ist dann schwankend. Mit „wahrer Liebe“ wird eine Liebe beschrieben, die authentisch und stabil ist. Ein „wahrer Freund“ ist ein Freund, der Freund ist ohne Kalkül. Eine wahre Begebenheit ist eine Begebenheit, die sich tatsächlich ereignet hat. Das Adjektiv wahr fluktuiert also unsicher zwischen Authentizität, ein Begriff der auf die „Echtheit“ von Gefühlen abstellt und richtig, was auch eine intellektuelle Komponente beinhaltet. Ein Lichtstrahl allerdings kann nicht wahr sein und auch keine Wahrheit beinhalten. Ab jetzt bricht die Sache aber endgültig zusammen und es beginnt die bereits sattsam bekannte Litanei über sprachliches Unvermögen.
Von jetzt an überflog mein Blick die Schranken
Menschlichen Worts, das solchem Schaun erliegt,
Wie solchem Überschwange die Gedanken.
Im Original
Da quinci innanzi il mio veder fu maggio
che 'l parlar mostra, ch'a tal vista cede,
e cede la memoria a tanto oltraggio
Von nun an war mein Schauen größer als das,
was die Sprache zeigt, die weicht dieser
Schau wie auch das Gedächtnis diesem Übermaß
Objektiv falsch ist das „von nun an“, denn von seinem Sprachproblem hat er uns schon x-mal erzählt. Man muss sich das mal ganz konkret vorstellen. Da sitzt jemand irgendwo in der Toskana, am helllichten Tag unter einem Olivenbaum, in seiner Studierstube bei einer Ölfunzel oder am Küchentisch. Wo auch immer. Dieser jemand behauptet nun, er begehre ganz ernsthaft, also mit aller Kraft von Geist und Blut, in die Augen Gottes zu schauen und dann will er uns noch weismachen, dass er, wie abstrakt und im Unbewussten verborgen auch immer, er die blasseste Ahnung davon hat, wie man sich fühlt, wenn man in die Augen einer in der Himmelsrose sitzenden Maria schaut. Also das versuchen Sie mal nachzumachen. Konditionieren Sie sich ganz auf Gott. Gehen Sie in die gotischste Kirche, die sie auftreiben können, knien dort stundenlang, hören sich zehn Predigten an und 20 Orgelkonzerte, alle Oratorien von Haydn, Händel und Bach, gehen dann wieder in die Kirche und beten, wandern in einer Mönchskutte nach Santiago de Compostella, tun Sie was Ihnen einfällt, um in eine mystische Stimmung zu gelangen. Und wenn Sie soweit sind, setzen Sie sich in einen Sessel und stellen sich vor, sie schauen in das Antlitz Marias. Und dann stellen Sie sich noch die Emotionen vor, die Sie haben, wenn Sie in das Antlitz Marias schauen. Ganz ehrlich. Egal was Sie mir erzählen, dass Sie sich das vorstellen können, das nehme ich Ihnen nicht ab. Vielleicht passiert irgendwas, wenn Sie eine Statue Marias vor sich hinstellen und LSD einwerfen, aber ohne Hilfsmittel passiert da nichts. Wir würden also mal schlicht sagen, Dante erzählt einen phänomenalen Müll. Es geht auch rein theoretisch nicht. Etwas, das, wie oben bereits erwähnt, außerhalb des durch Technik und gesellschaftlicher Entwicklung determinierten utopischen Horizontes liegt, ist kaum imaginierbar und wird erst recht nicht begehrt oder ersehnt, denn an der Sehnsucht ist der ganze Mensch beteiligt, der eine Vorerfahrung mitbringen muss, um etwas zu ersehnen. Der Sprung ins Jenseits ist der Sprung in die Heuchelei, die Lüge, die Autosuggestion, den Selbstbetrug und die Erfahrungsarmut. Es mag historische Epochen gegeben haben, wo der utopische Horizont versperrt war, das macht dann das Jenseits attraktiv. Es mögen auch Leute ihre Gründe haben, über das Jenseits nachzudenken. Eine allzu tiefe Schau ins Jenseits legt aber mit Sicherheit nicht die Kräfte frei, die den utopischen Horizont im Diesseits aufreißen, schafft aber unter Umständen genau die Situation, die das Jenseits so attraktiv erscheinen lässt. Über Leute, die den utopischen Horizont nicht aufreißen, hat sich schon der spanische Dichter Antonio Machado geäußert. Für ihn laufen die unter Luftverschmutzung.
He andado muchos caminos,
he abierto muchas veredas;
he navegado en cien mares,
y atracado en cien riberas.
En todas partes he visto
caravanas de tristeza,
soberbios y melancólicos
borrachos de sombra negra,
y pedantones al paño
que miran, callan, y piensan
que saben, porque no beben
el vino de las tabernas.
Mala gente que camina
y va apestando la tierra...
Viele Wege bin ich gegangen,
Viele Schneisen hab ich geöffnet,
in hundert Meeren war mein Schiff,
und an hundert Küsten lag ich vor Anker
Überall hab ich Karawanen
der Trauer gesehen,
Hochmütige und Melancholische,
von Dünkel Besoffene
Kleingeister, die schauen und
schweigen, und denken sie wüssten
was, weil sie den Wein der
Taverne nicht trinken
Böses Volk, das da marschiert
und die Luft verpestet...
Das hat dann Manuel Serrat vertont: http://www.youtube.com/watch?v=lvAbvUxFEMY
Wer das böse Volk ist, das da marschiert und die Luft verpestet, kann man natürlich konkretisieren. Zu nennen wären zum Beispiel verbeamtete Geistliche, die die Geisteswissenschaften zum Refugium der Briefmarkensammler machen. Nennen könnte man natürlich noch anderes Volk, das da im Bildungsbereich tätig ist, konkreter machen wir das an anderer Stelle. Manchmal lässt sich der utopische Horizont auch mit den Instrumenten des Controllings öffnen. Mit dem Wort utopischer Horizont kann dieses Gesocks oft nichts anfangen, die Sprache des Controllings und die sich dahinter verbergende Drohung kapieren sie dann eher und schneller. Diese Instrumente machen dann die Leistungsfähigkeit und die Leistungswilligkeit transparent.
Wie uns ein Traum mit Bildern oft umwiegt,
Die später wir nur dunkel nachempfinden,
Weil beim Erwachen einzles schnell verfliegt,
So geht es mir: Fast gänzlich seh ich schwinden
Das Traumgesicht – doch kann sich seiner Fülle
Von Süßigkeit nie mehr mein Herz entwinden.
Im Original
Qual è colui che sognando vede,
che dopo 'l sogno la passione impressa
rimane, e l'altro a la mente non riede,
cotal son io, ché quasi tutta cessa
mia visione, e ancor mi distilla
nel core il dolce che nacque da essa
Wie einer der im Traume schaut, und von
dem Traum nur bleibt die Erregung, der
Inhalt selbst dem Geist nicht mehr gewärtig,
so ich, denn obwohl meine Vision schon
Ganz verschwunden, so spüre ich im Herzen
Noch, die Süße, die aus dieser quillt
Er sitzt also in der Toskana unter einem Olivenbaum und beschreibt uns die Süße einer Vision, die er nie hatte. Die Handlung einer Dichtung kann Fiktion sein, das ist sie ja bekanntlich fast immer. Die Fiktion muss aber ein Ziel haben, wohin sie den Leser mitnimmt. Ein Ziel wäre zum Beispiel, eine Befindlichkeit in Sprache zu fassen und somit die Welt aufzuladen, sie dem Subjekt zu vermitteln. Wo aber keine Befindlichkeit ist, gibt es auch nichts, was man dem Leser mitteilen könnte. Die Fiktion verliert sich in Phrasen. Abgesehen davon ist der Nachttraum gerade der Traum, der am wenigsten in der Lage ist, das Bewußtsein zu überschreiten, der spuckt nämlich nur das aus, was an Erfahrung konkret da ist. Der Nachttraum ist ein sinnfreies Feuern des Gehirns, stellt Erlebtes in einen weitgehend chaotischen Zusammenhang. Nietzsche irrte.
Wahrlich, das grad ist Dichters Werk
Dass er sein Träumen deut‘ und merk
Glaubt mir des Menschen wahrster Wahn
Wird ihm im Traume aufgetan
Das ist nicht zutreffend. Der Nachttraum sagt über das Individuum nichts, er ist ein schlichtes sinnloses Feuern des Gehirns. Gerichtet ist nur der Tagtraum. Was jemand am Tage träumt, sagt tatsächlich etwas über den Träumer aus, denn den Tagtraum beeinflusst er. Was Freud zu dem Thema sagte, ist weitgehend wurscht. Hätte also Dante etwas über das Himmelreich erfahren wollen, dann hätte er einen Tagtraum nehmen müssen. Der Nachttraum überschreitet nicht.
Wie Sonnenlicht zertaut des Winters Hülle,
Sah ich beim Windeshauche mir entschweifen
Auf losem Blatt den Ausspruch der Sybille.
Im Original
Così la neve al sol si disigilla;
così al vento ne le foglie levi
si perdea la sentenza di Sibilla
Wie der Schnee schmilzt in der Sonne,
so verdunkelte sich durch den Wind
Das Urteil der Sybille
Wir haben also zwei Vergleiche, einmal den Schnee, der in der Sonne schmilzt und das Urteil der Sybille von Cuma, die ihre Prophezeiungen auf Blätter schrieb, die dann der Wind in alle Richtungen davon wehte, so dass die Interpretation der Prophezeiungen schwierig war und ein Ereignis, das mit diesen nicht in Übereinstimmung zu bringen war, auf einer fehlerhaften Interpretation eben dieser Prophezeiungen beruhte. Die Technik hat ja auch Dante mit seinem Dunkelsprech. Rein logisch gesehen sind es aber nicht diese beiden Vergleiche, die in einen Zusammenhang gebracht werden. Eigentlich will er sagen, dass der Verlust der Erinnerung einerseits dem in der Sonne schmelzenden Schnee ähnelt und andererseits den Blättern der Sybille, die der Wind verstreut.
O höchstes Licht! Dem menschlichen Begreifen
So weit entrückt, lass doch nur einen blassen
Nachschimmer dem Gedächtnis wieder reifen;
Im Original
O somma luce che tanto ti levi
da' concetti mortali, a la mia mente
ripresta un poco di quel che parevi,
O höchstes Licht, so hoch erhoben über
Dem, was Menschen fassen, gib meinem Geist
Ein wenig von dem wieder, was du schienst
Gemeint ist also Gott, das höchste Licht. Gott soll ihm etwas in die Birne tun, was objektiv gesehen nie drin sein konnte. Um es schlicht zu sagen: Dante lügt, dass sich die Balken liegen. Er suggeriert eine Erfahrungsdichte, wo tatsächlich nichts ist, das reine, absolute, totale Nichts.
Lass ihn im Worte meine Zunge fassen,
Der Nachwelt, ach! Nur einen kleinen Funken
Von deiner Herrlichkeit zu hinterlassen!
Im Original
e fa la lingua mia tanto possente,
ch'una favilla sol de la tua gloria
possa lasciare a la futura gente;
gib meiner Zunge soviel Kraft,
dass nur ein Funke deiner Pracht
ich der Nachwelt zeichnen könnte
Nein, nein und nochmals nein. Keine Dichtung ohne empirisches Substrat und keine Sehnsucht, die sich auf etwas jenseits des utopischen Horizontes richtet. Dante hat kein Problem mit der Schilderung, sein Problem ist viel, aber viel handfester. Er hat gar nichts zu schildern. In der Toskana unter einem Olivenbaum über Gottes Herrlichkeit zu dichten, ist so ähnlich wie ein Gedicht zu schreiben über eine heiße Liebesnacht mit der Königin des Planten Pluto. Da noch nie jemand eine Liebesnacht mit ihr verbracht hat, wird auch keiner ein Gedicht darüber schreiben und da wir keine Ahnung haben, ob sie überhaupt existiert, geschweige denn wie sie aussieht, begehren wir auch nicht, mit ihr in die Kiste zu steigen.
Wenn etwas nur von dem, was mir versunken,
Durchzittert leisen Nachhalls mein Gedicht,
Dann lauscht man deinen Siegen wonnetrunken!
Im Original
ché, per tornare alquanto a mia memoria
e per sonare un poco in questi versi,
più si conceperà di tua vittoria
wenn doch etwas in mein Gedächtnis wiederkäme
um ein bisschen zu erklingen in diesen Versen,
mehr würde man sich bewusst deines Sieges
Nein, nein, nein. Dante lügt. Es gibt nichts, was in sein Gedächtnis wiederkehren könnte, außer der Erinnerung an eine Olive, die auf seinen verlogenen Schädel knallte. Damit etwas wiederkehren kann, muss es erstmal da gewesen sein.
Ich fürchte, in dem lebhaftscharfen Licht,
Dass ich ertrug, wär ich am Schauen vergangen,
Sobald ich abgewendet mein Gesicht
Im Original
Io credo, per l'acume ch'io soffersi
del vivo raggio, ch'i' sarei smarrito,
se li occhi miei da lui fossero aversi
Ich glaube, dass ich durch die Schärfe des
Lebendigen Strahles, dahingeschmolzen wäre,
wenn meine Augen nicht standgehalten hätten
Das ist die Idee, die ihn schon die ganze Zeit beschäftigt. Wie muss ein Auge beschaffen sein, damit es in eine starke Lichtquelle schauen kann. Er hat bereits öfters behauptet, dass die Fähigkeit seiner Augen in eine Lichtquelle zu schauen, parallel zu den Lichtquellen, denen er ausgesetzt war, zunahm. Hier will er uns weismachen, dass seine Augen aufgrund dieser gesteigerten Fähigkeit dem Licht standhalten konnten. Dieser ganze Lichthokuspokus kann eigentlich nur seiner Erfahrung mit der Sonne entstammen. Es ist die einzige Lichtquelle, die er kannte, in die man nicht schauen konnte. Ähnlich starke Lichtquellen sind nur mit technischen Mitteln möglich, Strom, Sprengstoff etc.. Mit Licht als Ausdruck einer emotionalen Befindlichkeit kann man theoretisch was machen, die Beispiele sind Legion.
Bei Lenz von Georg Büchner finden wir
O Gott in deines Lichtes Welle,
In deines glüh'nden Mittags Zelle
Sind meine Augen wund gewacht
Wird es denn niemals wieder Nacht?
Da sehnt sich jemand, in diesem Falle Lenz, zurück in den Kokon. Das kann man nachempfinden, es ist authentisch und offensichtlich wusste Büchner, von was er da schreibt. Das Problem bei Dante ist, dass er eine abstrakte Systematik entwickelt, die poetisch ins Leere läuft.
Doch ich erinnre mich, dass ich vom langen
Ertragen kühner ward, bis ich begehrte,
Die Urkraft selbst im Auge aufzufangen!
Im Original
E' mi ricorda ch'io fui più ardito
per questo a sostener, tanto ch'i' giunsi
l'aspetto mio col valore infinito.
Ich erinner mich, dass hierdurch ich noch mehr
Begehrte auszuhalten, so sehr dass ich
meinen Blick mit der unendlichen Kraft vereinte
Siehe oben. Im Grunde setzt er einfach nur Wörter hintereinander. Erstens hat er in kein göttliches Licht geblickt, zweitens ist völlig unklar, welche Wonnen einen da durchströmen sollen, drittens hat er nichts dergleichen erlebt und viertens kann er folglich auch nicht darüber schreiben. Sollte jemand der Meinung sein, dass einen besondere Wonnen durchströmen, wenn man lange in eine Lichtquelle schaut, dann kann er ja bei seinem nächsten Strandurlaub in die Sonne glotzen. Die Wonne besteht dann darin, dass man einen längeren Krankenhausaufenthalt vor sich hat, der aber auch nichts mehr retten wird. Eigentlich müsste die Divina Commedia mit einem Haftungsausschluss versehen werden. Also wenn MacDonalds zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von über einer Million Dollar verdonnert wird, weil es zu heißen Kaffee verkauft hat (wer kann eigentlich so blöd sein und Kaffee trinken, der zu heiß ist???) dann ist Dante mit heftigen Summen dabei. Irgendjemand könnte ja auf die Idee kommen, die Wahrscheinlichkeit der Wonnen zu testen. Da wäre dann auch der Reclam Verlag im Geschäft. (Die infos24 GmbH ist übrigens raus aus dem Spiel, denn wir haben einen Beipackzettel mitgeliefert, mit Risiken und Nebenwirkungen, vor allem auf die Risiken haben wir insistierend hingewiesen).
O Gnadenmeer, das mich mit Kraft bewehrte,
Dass fest ans Licht mein Blick geheftet bliebe,
So dass ich meine Sehkraft drin verzehrte!
Im Original
Oh abbondante grazia ond'io presunsi
ficcar lo viso per la luce etterna,
tanto che la veduta vi consunsi!
Oh unerschöpfliche Gnade, die den Wunsch in
Mir erweckte, den Blick in das ewige Licht
einzutauchen, damit er sich mit ihr vereine
Zoozmann ist ja echt krass. Der interpretiert das so, dass Dante sich wünscht, dass seine Sehkraft sich in diesem Licht verzehrt, soll heißen, dass er erblindet. Das ginge dann eher so in Richtung Büchner („…wird es denn niemals wieder Nacht“). Tatsächlich sollen sich aber die Augen vereinen mit dem göttlichen Licht. Den Vers hat Dante wohl nicht unter einem Olivenbaum geschrieben, sondern bei einer Öllampe, es verlangte ihn wohl in wenig metaphorischem Sinn nach „mehr Licht“. Er will uns also tatsächlich beschreiben, was man fühlt, wenn sich die Augen mit dem göttlichen Licht vereinigen. Mal ganz im Ernst: Tickt der noch richtig ? Sie schauen jetzt übrigens tatsächlich in einen Abgrund, auch wenn Ihnen das noch nicht aufgefallen ist. Der Schrott ging 650 Jahre durch. Allein weil ein paar Worte hintereinanderstehen, haben Millionen Leute den Eindruck, dass diese auch irgendeinen Sinn ergeben.
Es denkt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
es müsse sich dabei auch etwas denken lassen
Ich weiß, ich weiß, das Thema hatten wir schon, hatten bereits darüber diskutiert, dass eine mentale Dysfunktion vorliegt, die sich auch erklären lässt. Erinnern Sie sich? Wir hatten bereits die sprachwissenschaftlich präzise Analyse des Phänomens. Der erste Affe, der die Kokosnuss als Wurfgeschoss einsetzte und dabei Koko brüllte, war der Erfinder der Sprache. In diesem Zusammenhang finden Sie auch bereits beide Eigenschaften der Sprache. Sprache als Bedeutungsträger (Koko wird der Empfänger des Wurfgeschosses mit einer Kokosnuss in Verbindungen bringen). Beim Absender ist Koko reine, bedeutungsfreie Energie, hat die gleiche Funktion wie das ebenfalls bedeutungsfreie „verpiss dich du Arsch“, denn wir sehen ja sofort ein, dass das bezeichnete Körperteil die durch das Verb beschriebene Funktion nicht ausführen kann, zweitens das Verb kein Verb ist, denn eigentlich wäre es ja ein intransitives Verb (weggehen), aber intransitive Verben sind nie reflexiv. Im Laufe der Zeit wurde dann, auch bedingt durch den zunehmenden Abstraktionsgrad, die Funktion reiner sinnfreier Energieträger wichtiger als die Funktion, Träger von Information zu sein. Wenn wir etwas Positives über die Rezeption Dantes sagen wöllten, was wir aber nicht wollen, dann würden wir sagen, Dante wird zur Projektionsfläche tieferer Sehnsüchte. Diese These stünde aber in so offensichtlichem Widerspruch zur Alltagserfahrung ( haben Sie schon mal einen verbeamteten Geistlichen mit tieferen Sehnsüchten erlebt , die Abwesenheit derselben ist ja die Bedingung seiner Existenz ), dass sie offensichtlich falsch ist. Bei Dante sind wir dann auf der Metaebene angelangt. Ein sinnfreier Text produziert Güterwaggons an sinnfreien Texten. Die Tatsache, dass es gerade die Sinnfreiheit ist, die zur einer gewaltigen Produktion an Büchern führt, gibt aber ganz zweifelsohne zu denken und enthüllt, dass die Sprache das allerungeeignetste Kommunikationsmittel ist. Startet sie sinnfrei, landet sie im Nirvana.
In seiner Tiefe fand ich, von der Liebe
Wie in ein Buch gebunden, was getrennt
Sonst Gott auf einzelne Weltenblätter schriebe
Im Original
Nel suo profondo vidi che s'interna
legato con amore in un volume,
ciò che per l'universo si squaderna:
In seiner Tiefe sah ich, dass in Liebe
Eng verbunden in einem Band,
was sich ausbreitet im Universum
Alter Schwede. Das muss der Olivenhain der Erleuchtung gewesen sein, aber der wissenschaftlich disziplinierte Historiker würde eher eine Pappelfeige vermuten, denn diese ist historisch als Baum der Erkenntnis verbürgt. Buddha wurde unter einer Pappelfeige erleuchtet. Die hat auch den passenden lateinischen Namen für Erleuchtung, ficus religiosa. Unter dieser Pappelfeige auf jeden Fall erkannte Dante, dass in dem Licht alles in Liebe vereint ist, was sonst im Universum verstreut ist. Da muss der Autor passen, er hat im Moment keine ficus religiosa zur Hand.
Was man als Wesenheit und Zufall kennt,
Verschmolz in eines hier, - das wie? zu künden,
Mit Recht mein Wort zu ausdrucksarm sich nennt!
Im Original
sustanze e accidenti e lor costume,
quasi conflati insieme, per tal modo
ciò ch'i' dico è un semplice lume
Wesenheit und Zufall und ihr Verhalten,
waren hier fast eins, deswegen sage ich
Es war ein einzig Licht
Dante will also beim Anblick des göttlichen Lichts die Weisheiten des Thomas von Aquin erblickt haben. Es erscheint doch sehr viel plausibler, dass er diese Weisheiten beim Studium der Summa Theologiae des Thomas von Aquin in der Bibliothek eines Klosters erlangte. Dante ist also der erste, an dem wir zeigen können, dass der Ausspruch „Wenn einer eine Reise tut, dann hat er NICHTS zu erzählen“ richtig ist. Dante sieht, egal wo er hinreist, im Grunde sich selbst. Dann kann er auch gleich daheim bleiben. Sagen will er uns, dass allein Gott alles Sein umfasst, was sonst ist, hat nur einen Teil des Seins, in Abhängigkeit von seinem Wesen, seinen Eigenschaften. Beschrieben ist das bei Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_von_Aquin) im Abschnitt Metaphysik und Ontologie. Die Übersetzung von Zoozmann ist zwar in einem hintergründigen Sinne richtig, entspricht aber nicht dem Original. Zwar gilt, was Thomas von Aquin angeht das Goethe Wort:
Nachher, vor allen andern Sachen,
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt,
aber so hat Dante das nicht gemeint. Dante geht eben an dieser Stelle ausnahmsweise nicht davon aus, dass die Worte „ausdrucksarm“ sind. Die Erkenntnis, die Goethe 550 Jahre später hatte, hatte Dante noch nicht.
Den Grundplan freilich mocht ich wohl ergründen
Von diesem Buch, denn während jetzt ich dessen
Gedenk, fühl ich mich neue Lust entzünden.
Im Original
La forma universal di questo nodo
credo ch'i' vidi, perché più di largo,
dicendo questo, mi sento ch'i' godo.
Die allgemeine Form dieses Knotens, die habe
ich, so glaub ich, gesehen, denn je länger ich
darüber spreche, desto mehr erfreut es mich
Das ist ein Ding. Je länger er darüber spricht, desto mehr freut er sich darüber. Da kommt noch eine weitere Funktion der Sprache hinzu. Man kann sich mittels der Sprache auch selbst von jedem Blödsinn überzeugen. Auch diese Funktion hat der Übervater des Volkes der Teutonen, jener Goethe eben, messerscharf erkannt.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben
„An Worte lässt sich trefflich glauben.“ Das hat er wohl hier gemacht, der gute Dante. Er hat solange darüber geredet, bis er schlussendlich selber dran glaubte.
Da gab ein Augenblick mir mehr Vergessen,
Als drei Jahrtausende dem Argo Schatten,
Den staunend sah Neptun sein Reich durchmessen.
Im Original
Un punto solo m'è maggior letargo
che venticinque secoli a la 'mpresa,
che fé Nettuno ammirar l'ombra d'Argo
Es schien mir als wäre ein Moment meines Sinnens
länger als die 25 Jahrhunderte die verflossen, seit
Neptun, den Schatten Argus zu bestaunte
Gemeint ist die Argonautensage. Die hatten wir schon. Das ist die Geschichte von Jason und seinen Kumpanen, die sich auf einem Schiff, der Argo, aufmachten, das goldene Vlies zu suchen. Da es ein Schiff war, hat sich Neptun das natürlich angeschaut. Sagen will er uns wohl, dass der Zeitraum, der verflossen vom Ende der Argonautensage bis zu seiner Gegenwart 25 Jahrhunderte beträgt und die Erinnerung an die Argonautensage in dieser Zeit ähnlich lückenhaft wurde, wie seine Erinnerung an das im Himmel Geschaute in einem kurzen Moment.
So spähte scharf und, ohne zu ermatten,
Reglos mein Geist, dass ihn das Schaun
beschwichte,
ihn, den im Schaun Beglückten, doch nicht Satten.
Im Original
Così la mente mia, tutta sospesa,
mirava fissa, immobile e attenta,
e sempre di mirar faceasi accesa
So schaute mein Geist, ganz gebannt
Und fest, unbeweglich und aufmerksam,
und entbrannte mehr noch durch das Schauen
No comment. Dass man gebannt auf etwas schauen kann, sich nicht losreissen kann, das geht ja noch durch. Aber in dem Kontext, in dem es hier vorgestellt wird, kann damit niemand was anfangen. Wenn Auerbach, Vossler, Curtius und wie sie alle heißen, behaupten, sie könnten damit was anfangen, dann müssen sie Gründe haben, sich das einreden zu wollen. Ein Grund dürfte sein, dass ein verbeamteter Geistlicher sich wohl eine Blöße geben würde, wenn er sagen würde, dass das schlicht Müll ist.
Verwandelt wird, wer hier sich sonnt im Lichte!
Undenkbar, dass – nach andern sich zu wenden -
Auf diesen Anblick, wer ihn kennt, verzichte!
Im Original
A quella luce cotal si diventa,
che volgersi da lei per altro aspetto
è impossibil che mai si consenta;
In diesem Licht erfährt ein jeder eine
solche Wandlung, dass niemand in der
Lage ist sich etwas anderem zuzuwenden
Wie oben. Die Redewendung „gebannt auf etwas schauen“ drückt eben aus,
dass man von einem Ereignis gebannt ist, also sich nicht davon abwenden kann.
Das Phänomen gibt es, allerdings wird es hier in einen solch abstrusen
Zusammenhang gestellt, dass es poetisch wirkungslos ist.
Es scheint das Gut, drin Wunsch und Wollen enden,
Sich ganz dem Licht – und in ihm ist vollkommen,
Was außer ihm sich niemals kann vollenden
Im Original
però che 'l ben, ch'è del volere obietto,
tutto s'accoglie in lei, e fuor di quella
è defettivo ciò ch'è lì perfetto.
Das Gute nämlich, welches das Ziel des Guten,
ist in ihm vereint, und außerhalb von ihm
Unvollkommen, was in ihm vollkommen
Sehen wir mal davon ab, dass das wieder eine Menge Thomas von Aquin ist, wobei der Sinn relativ simpel ist und schlicht in der Aussage mündet, dass Gott gut ist. Aber auch wenn wir davon absehen, haben wir einen logischen Bruch. In der Terzine vorher erzählt er uns, dass wir von einem Ereignis gebannt sein können und in der Terzine oben gibt er als Begründung für diesen Sachverhalt an, dass Gott gut ist. Allgemeiner formuliert: Ein Ereignis, dass uns in Bann hält, ist gut. Das trifft nicht mal auf die Schönheit zu. Sie kann uns zwar in Bann halten, aber eine rationale Bewertung, zu der wir, solange wir uns in diesem Bann befinden, unter Umständen nicht in der Lage sind, kann genau so gut zu dem Schluss kommen, dass diese Schönheit alles andere als gut ist. Da ist Baudelaire der Wahrheit schon sehr viel näher.
Hymne an die Schönheit
Kommst du vom Himmel herab, entsteigst du den Schlünden?
Aus deines teuflischen, göttlichen Blickes Schein
Strömen in dunkler Verwirrung Tugend und Sünden,
Schönheit, und darin gleichst du berauschendem Wein.
(Werbeeinblendung: Die infos24 GmbH hat dieses Gedicht von Baudelaire vertonen lassen: http://www.spanisch-lehrbuch.de)
Dass Dante das nicht aufgefallen ist, liegt schlicht darin, dass seinen Terzinen gar keine konkrete Erfahrung zu Grunde liegt. Man überschätzt Dante, wenn man ihm zutraut, dass seine Terzinen auf konkreten, persönlichen Erfahrungen beruhen. Der Mann besteht nur aus Thomas von Aquin, aus nichts sonst.
Doch stammelnd wird mein Wort jetzt und verschwommen
Für das sogar, was ich behielt: Dem Kinde
Vergleichbar, das der Brust noch nicht entnommen.
Im Original
Omai sarà più corta mia favella,
pur a quel ch'io ricordo, che d'un fante
che bagni ancor la lingua a la mammilla
Noch kürzer wird jetzt meine Sprache, im
Vergleich zu dem, was ich erinnre, wie ein
Säugling, der noch badet seine Zunge am Busen
Er erklärt uns jetzt also zum etwa 150000sten Mal, dass seine Sprache nicht ausreicht, seine Erfahrung zu schildern. Wir finden, dass er verdammt viele Worte findet, um seine Nichterfahrung zu beschreiben. Wenn Dante ein Talent hat, dann besteht es darin, ein Innenleben, das so öde ist wie eine Marslandschaft, wortreich zu beschreiben.
Nicht dass sich mehr als nur ein Anblick finde
In dem lebendgen Glanz, als ich mich kehrte
Zum wandellosen; - nein: Nur weil die Binde
Vom Auge fiel, das seine Sehkraft mehrte,
Geschah‘ s, dass eine Wandlung dieser Glanz
Mir, dem nun selbst Verwandelten, bescherte!
Im Original
Non perché più ch'un semplice sembiante
fosse nel vivo lume ch'io mirava,
che tal è sempre qual s'era davante;
ma per la vista che s'avvalorava
in me guardando, una sola parvenza,
mutandom'io, a me si travagliava
Nicht weil das lebendige Licht, das
Ich bestaunte, trügerisch gewesen wäre,
dieses war gleich, vorher wie nachher;
doch durch den Blick der an Kraft gewann
durch mein Schauen, so änderte sich, weil
ich mich änderte, der Anblick
Er hat also in das Licht geschaut und dieses hat sich verändert. Die Veränderung ist aber nicht durch die Tatsache bedingt, dass er sich geändert hat, sondern durch die Tatsache, dass sein Blick durch das Betrachten des Lichtes an Schärfe gewonnen hatte. Es war also kein Olivenbaum, unter dem er saß und auch keine Palmfeige. Er saß ganz offensichtlich in einer Hanfplantage und zwar in einer, die die ganze Luft mit Alkaloiden geschwängert hat. Dann schärft sich, zumindest in der subjektiven Wahrnehmung, der Blick.
Ich drang zur tiefen, klaren Lichtsubstanz
Und sah drei Kreise funkendhell gezogen,
Gleichgroß, doch andersfarbig jeder Kranz.
Im Original
Ne la profonda e chiara sussistenza
de l'alto lume parvermi tre giri
di tre colori e d'una contenenza;
In der tiefen und hellen Wesenheit
des hohen Lichtes erschienen mir drei
Kreise in drei Farben und gleichem Umfang
Gott ist ja Vater, Sohn und Heiliger Geist, folglich sieht er nicht ein homogenes Licht, sondern drei. Er sieht jetzt also drei gleich große Kreise mit unterschiedlichen Farben. Gleich groß sind sie, weil alle gleichbedeutend sind und verschiedenfarbig sind sie, weil sie unterschiedlich sind.
Der eine strahlte wie ein Regenbogen
Den andern ab; in Gluten überschwenglich
Schien rings herum der dritte Kreis zu wogen.
Im Original
e l'un da l'altro come iri da iri
parea reflesso, e 'l terzo parea foco
che quinci e quindi igualmente si spiri
Spiegel schien, wie der Regenbogen dem Regenbogen,
einer dem anderen, und der dritte schien ein Feuer,
das nach dem einen wie dem anderen strebt
Mit Regenbogen, der sich im Regenbogen spiegelt, meint er wahrscheinlich etwas in der Art.
aus: http://www.oldskoolman.de
Die spiegeln sich zwar nicht im eigentlichen Sinne, aber so ungefähr sind die Farben zumindest spiegelbildlich. Der Heilige Geist kooperiert dann sowohl mit Gott, wie auch mit Jesus.
Wie schwach ist für mein Anschaun und verfänglich
Mein Wort und für das hiererblickte Sein
Mein Anschaun? – noch zuviel sagt „unzulänglich“.
Im Original
Oh quanto è corto il dire e come fioco
al mio concetto! e questo, a quel ch'i' vidi,
è tanto, che non basta a dicer `poco'
Oh wie unzulänglich ist doch die Beschreibung und
Wie matt meine Darstellung, im Vergleich zu meiner Schau,
so ungenügend, dass „wenig“ eine Untertreibung
Das kommt uns jetzt irgendwie bekannt vor. Wir meinen schon vernommen zu haben, dass er nicht in der Lage ist, das Erlebte zu schildern. Allerdings, wie eventuell bereits beschrieben, sehen wir den Grund der Problematik nicht in der Unzulänglichkeit der Sprache, sondern in der nicht vorhandenen Erfahrung. Unter einem Olivenbaum in der Toskana ist nun mal keine Gottesschau möglich.
O ewig Licht, das du in dir allein,
Dich selbst erkennend und von dir verstanden,
In Liebe ruhst – du freust dich lächelnd dein!
Im Original
O luce etterna che sola in te sidi,
sola t'intendi, e da te intelletta
e intendente te ami e arridi!
Oh ewiges Licht, das ganz ruht in sich selbst, nur
du verstehst dich und dich verstehend und begreifend
bist du dir lächelnd in deiner Liebe selbst genug
Das ist jetzt wieder so ein Thomas von Aquin Hokuspokus, den der Autor im Grunde gar nicht genau verstehen will. Heißen soll irgendwie, dass Gott seine Gnade an die Menschheit ausschüttet ohne etwas davon zu haben, ganz selbstlos, denn er ist wunschlos glücklich. Das scheint überhaupt das Problem des Herrgott zu sein, dass er wunschlos glücklich ist. Was soll man mit jemandem anfangen, der auf nichts scharf ist, keine Vorstellung von Glück hat und nicht mehr weiter will? Und da kommen wir dann auch zu dem Thema, das uns tatsächlich noch beschäftigen wird. Das Gottesbild in Goethes Faust und das Gottesbild bei Dante. Dantes Gott will Schlafmützen, die nicht mehr weiterbohren und auf einen statisch definierten Endzustand zutreiben. Der Gott Goethes will einen Menschen, der den utopischen Horizont aufreißt. Damit er nicht einschläft, stellt er ihm sogar den Teufel zur Seite.
Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen
Das ist also das radikale Gegenprogramm. „Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen“, also in einen statischen Zustand einmünden. Genau das ist es auch, was Mephistopheles schlussendlich erreichen will.
Staub soll er fressen und mit Lust
Wie meine Mumie die berühmte Schlange
Der Gott Dantes ähnelt eigentlich eher Mephistopheles als Gott. Das Thema wird uns in der Gesamtschau noch beschäftigen.
Nicht lange hielt das Auge mir in Banden
Der Kreislauf, den gleich rückgestrahltem Licht
Ich wie von dir erzeugt dich sah umranden,
Als ich, gemalt mit eigner Farbenschicht,
Entdeckte unser Ebenbild tiefinnen;
Gleich rang, es festzuhalten, mein Gesicht.
Im Original
Quella circulazion che sì concetta
pareva in te come lume reflesso,
da li occhi miei alquanto circunspetta,
dentro da sé, del suo colore stesso,
mi parve pinta de la nostra effige:
per che 'l mio viso in lei tutto era messo
Von diesem Kreis, der wie ein Rückstrahl
Eines Lichtes in dir erschien,
konnten meine Augen einen Teil erhaschen,
im Innern desselben, mit seiner eigenen Farbe,
erschien mir gemalt unser eigenes Gesicht:
weil mein Gesicht ganz ward dort eingedrückt
Hier wird also jemand angesprochen, „von dir“, und man fragt sich, wer eigentlich angesprochen wird. Angesprochen wird Gott. „Dieser Kreis“ ist Jesus Christus, der erscheint wie ein „lume reflesso“, eine Spiegelung des göttlichen Lichtes. Da dieser, also Jesus Christus, Mensch geworden ist, sieht er dort das Bildnis des Menschen.
Doch wie der Geometer, tief in Sinnen,
Das Maß des Kreises sucht betörter Meinung
Und grübelnd nicht den Grundsatz kann gewinnen,
So stand ich bei der plötzlichen Erscheinung:
Ich wollte, wie sich Kreis und Bild bedingen,
Erkennen, und die Bild- und Kreisvereinigung -
Im Original
Qual è 'l geomètra che tutto s'affige
per misurar lo cerchio, e non ritrova,
pensando, quel principio ond'elli indige,
tal era io a quella vista nova:
veder voleva come si convenne
l'imago al cerchio e come vi s'indova;
Doch wie ein Geometer sich müht den
Kreis zu messen, und durch Sinnen
Nicht die Ordnung, die ihn gezeichnet, findet
Er sucht also in den drei Kreisen die Logik der heiligen Dreifaltigkeit. Sie erwarten jetzt, am Ende, dass das Rätsel um die Dreifaltigkeit gelöst wird. Pustekuchen.
Doch dazu taugten nicht die eignen Schwingen,
Da fuhr ein Himmelsblitz durch meinen Geist
Und gab der Sehnsucht Kraft, auch dies zu zwingen,
Im Original
ma non eran da ciò le proprie penne:
se non che la mia mente fu percossa
da un fulgore in che sua voglia venne
doch hierfür reichten nicht die eigenen
Federn: doch da ward mein Geist von einem
Blitz getroffen der seinen Wunsch erfüllte
Die Erleuchtung, was die Trinität sein soll, kam ihm also nicht, wie man vermuten würde, von Thomas von Aquin, sondern durch einen Blitzschlag. Dante gibt also zu, dass er Thomas von Aquin auch nicht so richtig versteht und wahre Erleuchtung direkt vom Himmel kommt. Leider erzählt er uns nur, wie er zu der Erkenntnis kam, nicht aber, in was diese bestand.
Dann stand die hehre Fantasie verwaist;
Schon aber folgte Wunsch und Wille gerne
Der Liebe, die in ewigem Gleichschwung kreist,
Ihr, die die Sonne rollt und andern Sterne.
Im Original
A l'alta fantasia qui mancò possa;
ma già volgeva il mio disio e 'l *velle*,
sì come rota ch'igualmente è mossa,
l'amor che move il sole e l'altre stelle.
Hier ermangelte es der hohen Phantasie an Kraft;
doch schon bewegte die Liebe meinen Wunsch und Willen,
ganz wie das Rad bewegt wird
von der Liebe, die drehen lässt die Sonne und die Sterne
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AMEN!
Wie heißt es so schön in Goethe Faust?
Da steh ich nun, ich armer Tor
Und bin so schlau als wie zuvor
Dass ihm die Phantasie für die Gottschau mangelt, glauben wir ihm glatt. Dass er aber von göttlicher Liebe durchströmt war, die ihn Gott zumindest hat ahnen lassen, das glauben wir ihm weniger.
Eigentlich ist das Zitat aber noch schärfer.
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
„Und leider auch Theologie“, leider, leider. Vereinzelt findet man ja die Aussage, dass Goethe die Größe des großen Grimmigen aus der Toskana nicht habe erkennen können; manchmal findet man auch Zitate, wo er sich etwas gemäßigter über Dante äußert. Das dürfte aber eine Fehleinschätzung sein. Wer behauptet, Goethe habe den großen Grimmigen aus der Toskana nicht verstanden, versteht weder Dante noch Goethe. Goethe hat vollkommen begriffen, um was es bei der Divina Commedia geht. Er hat vollkommen begriffen, dass sie ihm in jeder Beziehung gegen den Strich ging. Philosophisch, sprachlich, konzeptionell, ideologisch und moralisch.