Wir kommen kurz vor Schluss nochmal zum Lieblingsthema Dantes, also zu dem Thema, das die Brust des Tieferschütternden ganz tief erschütterte, der Frage also, wo die Getauften und Ungetauften, die vor und die nach Christi Geburt, in der Himmelsrose sitzen und ob sie überhaupt ins Paradies kommen. Das Thema hat er eigentlich schon im 20 sten paradiesischen Geträller abgehandelt, aber aufgrund der enormen Bedeutung dieses Themas kommt es jetzt nochmal. Im zwanzigsten paradiesischen Geträller war die Antwort auf die Frage, wer in den Himmel kommt und wer nicht relativ einleuchtend. Die Antwort war schlicht, dass Gottes Wege unergründlich sind.

Drum, Sterbliche, werft euch nicht auf zu Richtern!
Selbst uns, die Gott erschaun, enthüllt sich nicht,
Wer auserwählt, vor unsern Angesichtern.
Aber das hat auch nur so ein dubioser Fürstenadler gesagt, der war uns schon damals nicht richtig geheuer und offensichtlich blickt er einfach nicht durch, durch Gottes Ratschluss. Bernhard ist da schon ein bisschen weiter, der hat ja Theologie studiert, ist also Fachmann für himmlisches Verwaltungsrecht. Allerdings ist das himmlische Verwaltungsrecht, was die Frage angeht, wer ins Paradies kommt, so skurril wie das deutsche Ausländerrecht; das hatten wir ja auch schon. Jemand der in Deutschland aufgewachsen ist und nur Deutsch spricht, ist Italiener, wenn die Eltern Italiener sind, das ist natürlich unproblematisch, denn Italien ist EU Land. Pech ist es, wenn die Eltern Iraner sind, dann muss er nämlich mit der Abschiebung rechnen. Wenn aber ein Chilene einen deutschen Opa hat, dann ist er auch Deutscher, wenn Opa oder Papa nicht ihren Pass ins Klo geworfen haben, das wiederum haben aber viele Deutsche gemacht, die vor dem Nationalsozialismus geflüchtet sind; das ist dann Pech für die Enkel. Die NS-Schergen, die dann vor der irdischen Gerechtigkeit geflüchtet sind, haben das natürlich nicht gemacht, was gut ist für deren Enkel, aber schlecht für die Gerechtigkeit. Das heißt, das Ausländerrecht ist ein kompletter Schwachsinn von a bis z. Aber im Gegensatz zum himmlischen Verwaltungsrecht ist das Ausländerrecht geradezu Ausdruck des Versuchs, den tatsächlichen Sachverhalt individuell zu würdigen. Kurios ist das deswegen, weil im Paradies die sozialen Sicherungssysteme (das wird ja immer als Grund angeführt, warum man regeln muss, wer rein darf und wer nicht) gar nicht belastet werden, weil offensichtlich Wohnraum in beliebiger Menge zur Verfügung steht (auch wenn es im vorigen Gesang heißt, das dieser doch knapp ist, gehen wir davon aus, dass er üppig vorhanden ist) und auch sonst keine materiellen Güter benötigt werden. Benötigt wird nur Gottes Gnade und die ist im Überfluss vorhanden. Die Terzine startet wieder mit der Beschreibung der liebesglutdrungenen Wonnen.

Ergriffen von des Schauens selgen Wonnen,
Das Lehreramt zu übernehmen eilte
Der Heilige, der nun freiwillig begonnen:

Im Original

Affetto al suo piacer, quel contemplante
libero officio di dottore assunse,
e cominciò queste parole sante:

Hingegeben seiner Neigung, übernahm
er gern das Amt des Lehrers, und
fuhr fort mit diesen heiligen Worten:

Heilige Worte klingt natürlich inzwischen bedrohlich. Das heißt, er wird uns jetzt 51 Terzinen lang den allergrößten Quark erzählen.

„Die Wunde, die Maria schloss und heilte,
Ward ihr von jenem schönen Weib geschlagen,
Der man zu Füßen ihr den Platz erteilte.

Im Original

La piaga che Maria richiuse e unse,
quella ch'è tanto bella da' suoi piedi
è colei che l'aperse e che la punse

Die Wunde die Maria schloss und heilte, jene
Schöne die zu ihren Füßen weilt ist jene
die die Wunde einst geöffnet und geschlagen

Gemeint ist Eva. Eva hat ja den Apfel gegessen, das war die Todsünde, das hatten wir jetzt schon zehntausendmal. Allmählich haben wir den Eindruck, dass Dante an einer Apfelobsession leitet. Diese Todsünde wiederum schloss Maria, weil sie ja Jesus Christus in die Welt setzte (der am Kreuz dafür büßte, dass ein paar tausend Jahre vorher Adam und Eva einen Apfel verspeisten). Eva hat also die Wunde geöffnet und geschlagen, was allerdings lang nicht so verheerend ist wie die Wirkung des Katholizismus auf das Gehirn. Im Grunde ist der Autor ja der Meinung, dass jeder nach seiner Facon glücklich werden solle, aber der Katholizismus ist schon ein bisschen grenzwertig. Das Fach Ethik an der Schule hätte er sich natürlich genauso geschenkt wie Religion (wir schreiben immer noch das Jahr 2009 und im Moment wird in Berlin über Ethik und/oder Religion debattiert), er hätte dessen Inhalte in den Deutschunterricht gepackt und ansonsten mal die Kiddies zu konkreten Projekten animiert, die aus organisatorischer / technischer Sicht einen Challenge darstellen und einen sozialen Nutzwert haben, aber wenn man das so liest, dann kann man schon auf die Idee kommen, das der Religionsunterricht ein Problem darstellt. Schön ist die Eva dann noch, weil Gott sie direkt erschaffen hat.

Dort, wo des dritten Umfangs Stufen ragen,
Sitzt unter Eva Rahel, neben ihr
Siehst du das Antlitz Beatricens tagen!

Im Original

Ne l'ordine che fanno i terzi sedi,
siede Rachel di sotto da costei
con Beatrice, sì come tu vedi

Unter ihr, in der Reihe die gebildet
aus den dritten Stühlen, sitzt Rachel
Zusammen mit Beatrice, wie du siehst

Rachel ist die Frau Jakobs. Die Geschichte hatten wir auch schon. Jakob hatte auf etwas unfaire Art und Weise seinen pelzigen Bruder Esau ausrangiert, was dieser ihm übel nahm. Deswegen verzog er sich für eine zeitlang zu seinem Onkel Laban. In dessen Tochter Rachel verliebt er sich unsäglich (was wir bestreiten, die waren so langweilig im alten Testament, denen sprechen wir glatt jede Gefühlstiefe ab) und Laban verspricht, sie ihm nach sieben Jahren zur Frau zu geben. In der Hochzeitsnacht jubelt er ihm aber Lea unter und der etwas trottelige Jakob merkt das nicht mal. Wahrscheinlich war er noch am Schafe zählen, als er sich mit ihr vereinte. Diese Zeichnung hatten wir schon im vorigen Geträller, sie zeigt, wer welches Ranking hat in der amphitheatralen Himmelsrose. Ob das so im Detail stimmt, haben wir nicht nachgeprüft, da wir davon ausgehen, dass die Anordnung vorläufig ist und nach dem Jüngsten Gericht eh geändert wird.


Sarah, Rebekka, Judith zeigt sich dir
Dicht bei der Ahnfrau dessen, der - die Sünde
Bereuend – sang: Herr, schenk Erbarmen mir!
Im Original

Sarra e Rebecca, Iudìt e colei
che fu bisava al cantor che per doglia
del fallo disse "*Miserere mei*"

Sahra und Rebekka, Judith und jene
Die, die Urgroßmutter des Sängers war
der ob des Schmerzes klagte *Miserere mei*

Sarah war die Frau von Abraham. Mit diesem zeugte sie Isak. Dieser wiederum war zwar nicht der Märchenprinz von Rebekka, war wohl mehr so der rustikale Typ, aber mit ihm zeugte sie den oben erwähnten Jakob, dem Thomas Mann, höchstwahrscheinlich fälschlicherweise, Felix Krull Qualitäten andichtet. Judith hatten wir auch schon. Die hat, das verruchte Luder, Holofernes, den General des Nebukadnezars, zuerst heiß gemacht und ihm dann den Kopf abmontiert. Damit rettete sie die Juden vor dem Angriff der babylonischen Übermacht. Ob das schlecht war für Holofernes ist unklar. Lieber von einer hübschen Frau im Suff den Schädel abmontiert bekommen als auf dem Felde der Ehre von einem frühchristlichen Taliban die Gurgel durchgeschnitten bekommen. Der Autor würde sagen, es ist schöner den Abgang zu machen, wenn das letzte, was man sieht, eine hübsche Frau ist, als wenn man den Anblick eines bärtigen Talibans mit ins Grab nimmt. Also mal so ganz subjektiv. Mit "die, die Urgroßmutter des Sängers war, der ob des Schmerzes klagte", ist Ruth gemeint. Die war die Urgroßmutter von David. David hatte ein Techtelmechtel mit Bethsabée, der Verlobten eines seiner Soldaten und konnte natürlich nicht die Finger davon lassen. Bethsabée wurde schwanger. Um die Spuren zu verwischen, holte David den Verlobten, der gerade mit Krieg beschäftigt war, zurück in die Heimat, damit er mit seiner Frau schläft, was dieser aber nicht tat. Daraufhin befiehlt er Uria einen Angriff zu starten, in dem der Verlobte dann umkommt. Das findet Gott nicht gut, was David vom Propheten Nathan gesteckt bekommt. David fastet dann ohne Unterlass und klagt sein Leid, aber das Kind stirbt trotzdem. Die Geschichte hatten wir auch schon irgendwo. Dante wiederholt sich. Wenn er so weiter macht, bekommt er nicht das ganze biblische Ensemble in die Himmelsrose, was wir doch ungemein bedauern würden.

Folgt stufenweise mir in die heilgen Gründe
Dein Blick, so zeigen nach der Reihe sich,
Die ich dir Blatt für Blatt mit Namen künde.

Im Original

puoi tu veder così di soglia in soglia
giù digradar, com'io ch'a proprio nome
vo per la rosa giù di foglia in foglia.

folgst du dann abwärts den Stufen, kannst
du sie sehen, wenn ich dir Blatt für Blatt
der Rose mit dem eigenen Namen nenne

Es folgt jetzt eine Schilderung, wer wo in der Himmelsrose sitzt. Mehr oder weniger entspricht das der Ordnung, wie sie in der Zeichnung oben abgebildet ist. Die Logik dieser Ordnung folgt sicher einer tiefen mystischen Logik, die zu entschlüsseln einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Volkswagen Stiftung, der Kulturstiftung des deutschen Volkes oder direkt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorbehalten bleibt. Ganz schlimm wird es übrigens, wenn sich das Max Planck Institut für Bildungsforschung damit befasst. Dann regnet es Steuergelder wie Manna vom Himmel mit dem Unterschied, dass Gott reichlich Manna hat, aber Steuergelder erarbeitet werden müssen. Im Bereich Geisteswissenschaften klären diese Institutionen bzw. lassen klären die letzten Fragen der Menschheit. Wir können hier nur die vorletzten Fragen klären. Sie können natürlich auch gleich zum 33 sten Geträller hopsen. Denn wenn Sie nicht gerade verbeamteter Geistlicher sind und ein Umfeld haben, das Ihnen suggeriert, dass das Geschreibsel, das jetzt kommt, eine Bedeutung hat, werden Sie schlicht sagen, dass das, was jetzt kommt, wirklich ein grauenhafter Quark ist.

Zur siebenten der Stufen wende dich:
Aufwärts und abwärts sind Hebräerfrauen
Und bilden hier der Rose Mittelstrich.

Im Original

E dal settimo grado in giù, sì come
infino ad esso, succedono Ebree,
dirimendo del fior tutte le chiome;

Von der siebten Stufe abwärts, ihnen
zur Seite, folgen die Hebräer, so dass
zweigeteilt das Blätterwerk der Blume

Von ganz oben bis zu Ruth sind es sieben Stufen. Eva, Judith, Rebekka etc. sind Figuren des alten Testamentes. Rechts von diesen sitzen die Hebräer, diese orientierten sich aus praktischen (das neue Testament gab es ja noch nicht) und theoretischen (die glauben den Mumpitz einfach nicht, schon das Alte Testament ist ja ausreichend absurd) lediglich am Alten Testament, sind also ungetauft in den Himmel gekommen.

Denn je nachdem ihr Glaube sich im Schauen
Zu Christo zeigte, dürfen sie als Wand
Sich rechts und links der heilgen Stufen stauen.

Im Original

perché, secondo lo sguardo che fée
la fede in Cristo, queste sono il muro
a che si parton le sacre scalee

denn je nach dem Blick, der auf Christus
ward gerichtet, sind diese die Mauer
die die heiligen Stufen trennt

Getrennt durch diese Mauer aus Frauenfiguren des Alten Testaments sitzen also die, die Christus als Messias erwarteten getrennt von denen, die an Christus glaubten, weil er sie von der Erbsünde, die durch das Verspeisen eines Apfels entstanden ist, erlöst hat.

Dort, wo vollausgereift der Blütenstand
In allen Blättern, thronen die Bewährten,
Die Christum als den k o m m e n d e n erkannt.

Im Original

Da questa parte onde 'l fiore è maturo
di tutte le sue foglie, sono assisi
quei che credettero in Cristo venturo;

An der Stelle, wo am reifsten ist der
Blütenstand der Blume, sitzen die,
die an den kommenden Christus glaubten

Der Autor vermutet, dass es zwischen dem 13. Jahrhundert und heute eine Genmutation gegeben haben muss. Heute haben Blumen keinen Bereich mehr, wo die Blätter an einer Stelle reifer sind als an einer anderen Stelle. Heute verwelken die außenstehenden Blätter lediglich schneller als die weiter innen stehenden. Das Problem Dantes ist, dass er irgendwas konstruiert, die Einteilung der gesamten Divina Commedia, die Unterkreise der Hölle (bei denen man dann irgendwann nicht mehr sicher sein kann, ob es Täler, Kreise oder sonstwas ist), die irdischen Himmel, das Empyreum und die Himmelsrose. Hinterher überlegt er sich dann die Details und stellt dann fest, dass er die Details nicht so richtig in seine Konstruktion einbauen kann. Der dann nötige Umbau zeitigt dann kuriose Erscheinungen. Auf jeden Fall sitzen rechts von den Frauenfiguren die, die an den kommenden Christus glaubten. Was das genau im jüdischen Kontext bedeuten soll, ist etwas unklar. Sitzen da jetzt schlicht alle, die an einen Messias glaubten, das wären dann alle Juden, oder nur die, die ganz konkret an Jesus glaubten? Anzunehmen ist, das er letzteres meinte.

Hier, wo im Halbkreis späteren Gejährten
Noch Raum blieb, thronen d i e , die gläubig schon
Für den gekommnen Christum sich erklärten.

Und so wie hier auf hochgelobtem Thron
Die Trennung anfängt durch die Benedeite
Und bis zum Kelchgrund scheidet die Region,

So teilt Johannes ein die andre Seite,
Er, der zwei Jahr im Höllenvorhof stand,
Der der Marter und der Wüste weihte.

Im Original

da l'altra parte onde sono intercisi
di vòti i semicirculi, si stanno
quei ch'a Cristo venuto ebber li visi.

E come quinci il glorioso scanno
de la donna del cielo e li altri scanni
di sotto lui cotanta cerna fanno,

così di contra quel del gran Giovanni,
che sempre santo 'l diserto e 'l martiro
sofferse, e poi l'inferno da due anni;

auf der anderen Seite, wo durch Leerräume
und Halbkreise unterbrochen, sind jene,
die Jesus schon hatten kommen sehen

Und wie dort der ruhmreiche Sitz
der Herrin des Himmels und der anderen
Sitze trennt, was unter ihm sich befindet

so trennt auch der des großen Johannes,
des Heiligen, der die Wüste und das Martyrium
ertrug, dann zwei Jahre in der Hölle war

Was mit den Leerräumen und Halbkreisen genau gemeint ist, ist unklar. Auf jeden Fall thront Johannes rechts über den Säulenheiligen der nachchristlichen Zeit, also zum Beispiel den Wegbereitern der Inquisition wie Dominikus und Ordensgründern wie Franziskus. In der Hölle war Johannes der Täufer, weil er zwei Jahre vor Christus hingerichtet wurde. Die Geschichte hatten wir auch schon. Herodes Antipas ließ Johannes hinrichten, weil dieser gegen dessen zweite Heirat mit Herodias wetterte, das ist der eigentlich historische Kern. Dass Salome, die Tochter Herodias seinen Kopf für einen Tanz forderte, ist eher Legende. Aus dem Limbo, also der Vorhölle, hat ihn dann Christus geholt, der Vorgang wird im vierten höllischen Geträller berichtet, ohne dass jedoch Johannes der Täufer explizit genannt wird.

Und unter ihm setzt fort die Scheidewand
Franz, Benedict und Augustin im Bunde
Mit andern noch bis hin zum tiefsten Rand.

Im Original

e sotto lui così cerner sortiro
Francesco, Benedetto e Augustino
e altri fin qua giù di giro in giro

und unter ihm trennten in gleicherweise
Franziskus, Benedikt und Augustinus
und andere Kreis um Kreis bis ganz nach unten

Das können wir auch der Zeichnung oben entnehmen. Die genannten sind unterhalb von Johannes dem Täufer angesiedelt. Das Ganze hat natürlich schwer was von Ende der Geschichte, einer These, der, darauf wird man in einer Gesamtschau der Commedia Infernale noch mal eingehen müssen, Dante anhängt. Wenn er jetzt alle Plätze im Paradies verplant, dann bleiben ja für die folgenden 10 000 Jahre keine mehr übrig. Auf die Idee, das keine Plätze mehr gebraucht werden, kann eigentlich nur jemand kommen, der die Geschichte weitgehend für abgeschlossen hält.

Erkenne hier, aus wie erhabnem Grunde
Die Vorsicht teilt den alt und neuen Reigen,
Dass er gleichmäßig füllt des Gartens Runde!

Im Original

Or mira l'alto proveder divino:
ché l'uno e l'altro aspetto de la fede
igualmente empierà questo giardino

So betrachte die göttliche Vorausschau:
Dass beide Sichtweisen des Glaubens
gleichermaßen diesen Garten füllen

Die eine Sichtweise ist, an den kommenden Messias zu glauben, die andere, an den bereits gekommenen. Früher hat er uns erklärt, dass die Juden nur insofern gerecht handelten, als sie den menschlichen Teil Jesu kreuzigen ließen, aber ungerecht, weil damit ja auch der göttliche Teil starb, weswegen Titus ja zu Recht Jerusalem in Schutt und Asche legte. Wir stellen aber fest, dass sie trotzdem in den Himmel kommen. Das ist ja schon mal was.

Und wo sich waagrecht durchschnitten zeigen
Die untern Reihen, sitzt die große Zahl,
Der solcher Platz durch ihr Verdienst nicht eigen,

Durch fremdes und bedingtes allzumal:
Denn diese Seelen sind dem Leib entflohn,
Eh sie Erkenntnis hatten freier Wahrl!

Im Original

E sappi che dal grado in giù che fiede
a mezzo il tratto le due discrezioni,
per nullo proprio merito si siede,

ma per l'altrui, con certe condizioni:
ché tutti questi son spiriti ascolti
prima ch'avesser vere elezioni

Und wisse, dass dort unten, wo durch einen
Strich zwei Räume gebildet werden,
man nicht sitzt durch eigenen Verdienst,

sondern durch den anderer, unter gewissen
Bedingungen: Dass all‘ diesen vergeben wurde
Noch bevor sie wirklich wählen konnten

Gemeint sind Kinder. Nach christlicher Vorstellung ist ja Gottes Gnade unendlich, so dass er seine Liebe unerbittlich über alle ausstreut, aber man muss sich dann noch bewusst für den Herrn entscheiden. Kinder hatten aber noch nicht die Gelegenheit, sich für etwas zu entscheiden. Juristisch haben wir es mit einem unbestimmten Rechtsbegriff zu tun, weil er noch erklären müsste, ab welchem Alter man sich denn entscheiden kann. Zu unserem Glück hat sich Dante diese Frage gar nicht gestellt, denn hätte er sie gestellt, dann hätte er sie auch gnadenlos beantwortet. Das Problem, das er sich bedauerlicherweise wirklich stellt, ist die Frage, welche Kinder denn nun in den Himmel kommen und welche nicht. Die Kinder der Musulmanen natürlich nicht, das ist klar, aber auch bei den anderen ist es noch kompliziert genug. Sie müssen sich das aber nicht antun, Sie können auch gleich zu 33 hopsen. Der Sprung von 32 zu 33 ist die Steigerung der Divina Commedia. Sie hüpfen dann vom Nichts ins Meganichts. Bungee Jumping ist verglichen damit ein glatter Witz.

Du merkst es an den Angesichtern schon,
Wenn prüfend deine Blicke daran hingen,
Und hörst es auch am Kinderstimmenton.

Im Original

Ben te ne puoi accorger per li volti
e anche per le voci puerili,
se tu li guardi bene e se li ascolti

Du kannst es schon leicht erkennen an den
Gesichtern und auch an den Kinderstimmen,
betrachtest du sie gut, hörst genau hin

Wo sie sich befinden, können Sie der Zeichnung oben entnehmen. Auffallend ist nur, dass bei den Kindern zwischen, vor und nach Christi Geburt nicht getrennt wird.

Doch seh ich jetzt dich stumm und zweifelnd ringen,
Drum will ich lösen dir das feste Band,
Drin deine Grübeleien sich verfingen.

Im Original

Or dubbi tu e dubitando sili;
ma io discioglierò 'l forte legame
in che ti stringon li pensier sottili

Du zweifelst und schweigend zweifelst du;
doch ich werde lösen das feste Band
in das dich zwängt das scharfe Sinnen

Das ist zu befürchten, ja. Kann durchaus sein, dass der Grimmige aus der Toskana heftig über die Frage nachsann, wie Kinder ins Paradies kommen, bzw. welche dahin kommen und welche nicht. Das Problem ist aber eigentlich nicht der Grimmige aus der Toskana, das Problem ist, dass über die Divina Commedia Jahr für Jahr ein Güterwaggon voll an Sekundär Literatur geschrieben wird, von erwachsenen Leuten und überwiegend auf Kosten des Steuerzahlers. Das eigentliche Rätsel besteht darin, dass sich erwachsene Leute mit so einem Scheiß beschäftigen. Unterhaltsam wäre das ja noch, wenn sich der Ratzinger, Joseph zu der Frage äußern würde, der tut das ja immer zur allgemeinen Volksbelustigung in aller Öffentlichkeit. Wenn der uns mal darüber aufklären würde, ob die kleinen Musulmanen und Musulmaninnen in den Himmel kommen. Das wäre lustig.

So grenzenlos sich dieses Reich auch spannt,
Unmöglich ist‘ s, dass Zufall hier regiere,
Wo nie sich Trauer, Durst und Hunger fand.

Im Original

Dentro a l'ampiezza di questo reame
casual punto non puote aver sito,
se non come tristizia o sete o fame:

Innerhalb der Weite dieses Reiches
kann nichts Zufälliges sich finden,
sowenig wie Trauer, Durst oder Hunger:

Was Trauer, Durst und Hunger angeht, kann man darüber nachdenken, wenn Feierabend ist, ist Feierabend. Da er uns bislang aber immer erklärt hat, dass Gottes Wege unergründlich sind und der Glaube ein Nichtwissen ist, das Wissen ist und folglich der Glaube Wissen ist, wissen wir wiederum gar nicht, wie man feststellen will, ob Zufall herrscht oder nicht. Da nämlich Gottes Wege unergründlich sind, könnte jedes Ergebnis mit Gottes Wunsch und Wille übereinstimmen.

Gerechte, weise Satzung lenkt durch ihre
Bestimmung alles hier, dass nie der Ring
Vom Finger als nichtpassend sich verliere!

Im Original

ché per etterna legge è stabilito
quantunque vedi, sì che giustamente
ci si risponde da l'anello al dito;

durch ewigen Ratschluss ist vorher bestimmt
alles, was du siehst, ganz so wie der Ring
der zum Finger passt;

Was jetzt kommt, ist also Gottes Ratschluss. Dieser Ratschluss entspricht der vorliegenden Ordnung, wie der Ring dem Finger. Sieht der den Ring als Symbol der Unendlichkeit, dann gibt der Vergleich mit viel gutem Willen ja partiell irgendwie Sinn. Allerdings kommt es allmählich auf so Kleinigkeiten gar nicht mehr an. Das Rätsel ist auch nicht Dante, isolierte Spinner gab es immer. Das Rätsel sind die verbeamteten Geistlichen. Wie kommt ein erwachsener Mensch dazu, sich mit dem Stuss zu beschäftigen, der jetzt kommt?

Nicht ursachlos die Kinderschar empfing
Hier unter sich verschiedne Tugendgrade,
Ob sie auch früh zum wahren Leben ging.

Im Original

e però questa festinata gente
a vera vita non è *sine causa*
intra sé qui più e meno eccellente

drum haben die zu früh in das wahre Leben
Hingegangenen hier nicht ohne Grund
einen höheren oder niedrigeren Rang

Das geht jetzt wie im Ausländerrecht, nur irrer. Im Ausländerrecht gibt es EU Kinder in unterschiedlichen Stufen. Kinder, die nie in Deutschland waren, aber Deutsche sind, Kinder die immer in Deutschland waren, aber Ausländer sind, Kinder die sowohl das eine wie auch das andere sind, Kinder die sich entscheiden müssen, wo sie hingehören und welche, die das nicht müssen etc. etc.. Und hat die Sache auch keine Logik, so hat sie doch eine Polizei, die die Unlogik durchsetzt. Verglichen allerdings mit der Ausländerpolitik des Paradieses ist das deutsche Ausländerrecht Ausdruck der reinsten Logik.

Der König, dessen Reich durch seine Gnade
In Liebe schwebt und wonnigem Vergnügen,
Das Grenzstein bildet jedem Sehnsuchtspfade,

Er schafft nach seines heitern Anblicks Zügen
Die Geister und beschenkt sie auch mit Gaben
Nach Wohlgefallen. Dies lass dir genügen!

Im Original

Lo rege per cui questo regno pausa
in tanto amore e in tanto diletto,
che nulla volontà è di più ausa,

le menti tutte nel suo lieto aspetto
creando, a suo piacer di grazia dota
diversamente; e qui basti l'effetto

Der Herrscher dieses Reiches, der es
Ruhen lässt in soviel Liebe und Freude,
dass kein Wille ist der mehr erstrebt,

er schafft alle Geister vor seinem Angesicht,
und ganz nach seinem Gefallen, vergibt er
Unterschiedliche Gnade; das möge dir genügen

Aha. Im Himmelreich ist zwar nichts Zufälliges, aber es möge Dante genügen, dass Gott seine Gnade nach Gutdünken und ohne jedes System vergibt. Irgendwie hat Gott was von dem Auge Saurons im „Herr der Ringe“.

Ein Ring sie zu knechten, sie alle zu finden
Ins Dunkel zu führen, auf ewig zu binden

Weiter kann man sich bei Dante gar nicht so sicher sein, ob er das, sagen wir mal etwas unprognostizierbare Rechtssystem nicht auch auf irdische Verhältnisse übertragen möchte. Er wird uns jetzt also erklären, wie die Kinder in den Himmel kommen und welchen Rang sie da einnehmen. Einen übergeordneten Grund für dieses Regelwerk gibt er uns aber nicht. Dies wäre zwar naheliegend, aber der Gedanke ist ihm offensichtlich völlig fremd. Das Schicksal teilt er mit Juristen, insbesondere wenn es um Wirtschaftsrecht geht. Die kennen zwar das Gesetz, kapieren aber den Sinn nicht. Oft ist ihnen unklar, dass es einen solchen überhaupt geben muss.

Die Heilige Schrift legt in den Zwillingsknaben,
Ein klar und unzweideutig Zeugnis dar,
Die sich im Mutterschoß befehdet haben.

Hat solche Gnade ungleichfarbenes Haar,
So nimmt das höchste Licht, zum Schmucke ihnen,
Auch eine passende Bekrönung wahr.

Wie Gottes Huld verschieden sie beschienen,
Sind sie hier stufenweise eingereiht,
Nicht wie nach Tun und Treiben sie‘ s verdienen.

Im Original

E ciò espresso e chiaro vi si nota
ne la Scrittura santa in quei gemelli
che ne la madre ebber l'ira commota.

Però, secondo il color d'i capelli,
di cotal grazia l'altissimo lume
degnamente convien che s'incappelli.

Dunque, sanza mercé di lor costume,
locati son per gradi differenti,
sol differendo nel primiero acume

Und dies ist klar ausgedrückt in der
Heiligen Schrift durch die zwei Zwillinge
die in der Mutter schon vor Wut sich stießen

So muss gemäß der Pracht des Hauptes,
das hohe Licht sie würdig mit jener
Gnade zieren die dieser Pracht entspricht

So dass, ungeachtet der Verdienste ihrer Tugend,
sind sie hier eingereiht auf verschiedenen Stufen,
allein was der erste Wille war, ist hier entscheidend

Es geht also um Esau und Jakob. Esau ist ja ein bisschen trottelig und wird von seinem Bruder Jakob ständig auf‘ s Kreuz gelegt. Jakob macht auch sonst Karriere, hat Weiber ohne Ende und schafft im Alleingang einen Mann mehr als man zum Fußballspielen braucht, das gibt dann das ganze Volk Israel. Esau wiederum macht ja gar keine Karriere. Aus der Tatsache, dass Jakob Karriere macht im Weinberg des Herrn kann man dann schließen, dass er ihn erwählt hat. Dante referenziert Römer, 9, 9. Und da stehen dann ein paar Sachen, die uns in der Tat verblüffen.

Das ist: nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind; sondern die Kinder der Verheißung werden für Samen gerechnet. Denn dies ist ein Wort der Verheißung, da er spricht: "Um diese Zeit will ich kommen, und Sara soll einen Sohn haben." Nicht allein aber ist's mit dem also, sondern auch, da Rebekka von dem einen, unserm Vater Isaak, schwanger ward: ehe die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, auf daß der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers, ward zu ihr gesagt: "Der Ältere soll dienstbar werden dem Jüngeren", wie denn geschrieben steht: "Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehaßt." Was wollen wir denn hier sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! Denn er spricht zu Mose: "Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich." So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.

Das heißt auf Deutsch, dass Gott eine Wahl getroffen hat und die fiel auf Jakob. Dass also sowohl Jakob wie auch Esau von Isak abstammen und der wiederum von Abraham, spielt keine Rolle. Die Kinder Gottes sind nur die Fußballmannschaft plus Ersatzmann, die Jakob gezeugt hat. Wirklich überraschend ist aber die Erkenntnis, dass diese Tatsache nicht ungerecht ist. Gerecht ist es, weil Gott ja sein Erbarmen nun mal spontan verteilt („Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig“). Bei dieser Rechtsauffassung muss man wohl Buddhist werden oder irgendwas, also irgendwas, was gewährleistet, dass man nicht ins Paradies kommt, denn die Grundregeln des Rechtstaates, zum Beispiel Kalkulierbarkeit, sind dort keinen Pfifferling wert. Wir erfahren also nicht, wo Jakob und Esau sitzen, aber Jakob sitzt auf jeden Fall über Esau und zwar aus dem schlichten Grund, weil Gott den einen mit mehr Gnade begossen hat und den anderen mit weniger. Das mit dem „Verdienste ihrer Tugend“ ist ein bisschen verwirrend, weil tatsächlich hat Jakob ja für das göttliche Unternehmen mehr geleistet, hätte also einen Boni bekommen können. Gesagt wird also, dass er nicht wegen der guten Performance den Boni bekommen hat, sondern lediglich deshalb, weil Gott danach war.

Des Kindes Unschuld war in frühster Zeit
Genügend, um zum Heile zu gelangen,
Vorausgesetzt der Eltern Gläubigkeit-

Dann konnten, als Jahrhunderte vergangen,
Die Knäblein durch Beschneidung nur zum Flug
Ins Himmelreich die nötge Kraft empfangen-

Im Original

Bastavasi ne' secoli recenti
con l'innocenza, per aver salute,
solamente la fede d'i parenti;

poi che le prime etadi fuor compiute,
convenne ai maschi a l'innocenti penne
per circuncidere acquistar virtute;

In vorigen Jahrhunderten genügte
Die Unschuld, um das Heil zu erreichen,
wenn nur die Eltern gläubig

nach einigen Jahrhunderten, mussten
Die Männer an ihrem unschuldigen Glied
Durch Beschneidung Kraft erlangen

Es geht also um zwei Zeiträume. Die Zeit vom ersten Auftreten des homo sapiens (sagen wir mal 60 000 Jahre vor Christus) bis zu dem Tag, an dem Gott seinen Bund mit Abraham erneuert hat und diesen aufforderte, alles, was männlich ist zu beschneiden (Genesis 17, 10). Bis dahin kam also alles in den Himmel, nur eben die Neandertaler nicht, die waren Gott wohl zu dumpfbackig, sahen ein bisschen rustikal aus. Aber wissen tun wir es auch nicht, rauhe Schale, guter Kern. Danach allerdings nur noch die Knaben, die beschnitten waren.

Doch seit des Heils Erlösungsstunde schlug,
Ist ohne die vollkommne Taufe Christi
Glaube allein zum Flug nicht stark genug!

Im Original

ma poi che 'l tempo de la grazia venne,
sanza battesmo perfetto di Cristo
tale innocenza là giù si ritenne

doch nachdem die Zeit der Gnade war
gekommen, bleibt ohne die christliche
Taufe diese Unschuld da unten

Nach Christi Geburt mussten die Kinder also getauft sein, um in den Himmel zu kommen.

Jetzt blick ins Antlitz, das dem Antlitz Christi
Am meisten gleicht: Sein Glanz nur kann dich segnen
Mit Kraft, um anzuschauen das Antlitz Christi.“

Da sah ich‘ s auf Maria niederregnen
Von jenen Engelschwingen wundersam,
Die sich in selgem Fluge hier begegnen,

Dass alles, was mich je gefangen nahm,
Mich nicht mit solchen Wonnen übermannte,
Als hier, wo Gottes Bild mir nahe kam. -

Im Original

Riguarda omai ne la faccia che a Cristo
più si somiglia, ché la sua chiarezza
sola ti può disporre a veder Cristo

Io vidi sopra lei tanta allegrezza
piover, portata ne le menti sante
create a trasvolar per quella altezza,

che quantunque io avea visto davante,
di tanta ammirazion non mi sospese,
né mi mostrò di Dio tanto sembiante;

Schau nun in das Antlitz derer, die Christus
Am meisten ähnelt, nur dessen Klarheit
kann dir die Kraft geben, Christus zu schauen

Ich sah über ihr soviel Freude regnen,
getragen von den heiligen Geistern,
die geschaffen zu überfliegen jene Höhen,

dass alles was ich bislang gesehen,
noch nie mich mit solcher Bewunderung erfüllte,
noch mir etwas Gott so Ähnliches zeigte

Er schaute also hinauf zum Antlitz Marias, über der die Engel schwebten und das Antlitz Marias war das Gottähnlichste, was er bislang gesehen hatte.

Und jener, der zuerst sich zu ihr wandte,
Ave Maria gratia plena singend,
Vor ihr die weißen Schwingen huldgend spannte,

Dass aus den selgen Chören, jubelklingend,
Antwort ringsum erscholl dem heilgen Lied,
Die Angesichter strahlender durchdringend.

Im Original

e quello amor che primo lì discese,
cantando "*Ave, Maria, gratia plena*",
dinanzi a lei le sue ali distese.

Rispuose a la divina cantilena
da tutte parti la beata corte,
sì ch'ogne vista sen fé più serena

und jene Liebe die zuerst *Ave Maria,
gratia plena* singend herabgestiegen,
breitete aus vor ihr die Flügel

Von allen Seiten antwortete dem
heiligen Lied der gebenedeite Chor,
so dass alle Blicke noch heiterer glänzten

„Und jener“ ist der Engel Gabriel. Das kann man dem entnehmen, was er singt, nämlich „Ave, Maria,gratia plena*. (Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir, Lukasevangelium 1, 28).

„O heilger Mann, der niedern Ort nicht mied,
Und meinetwegen ließ die hohe Stelle,
Die Gottes Ratschluss ihm zum Throne beschied,

Wer ist der Engel, der so jubelhelle
Die Augen anschaut unserer Königin
Und glüht, als wär er selbst des Feuers Quelle?“

Im Original

«O santo padre, che per me comporte
l'esser qua giù, lasciando il dolce loco
nel qual tu siedi per etterna sorte,

qual è quell'angel che con tanto gioco
guarda ne li occhi la nostra regina,
innamorato sì che par di foco?»

„Oh heiliger Vater, der meinetwegen
Erträgt diesen niederen Ort, der verließ
den Ort wo du ruhst durch ewigen Ratschluss,

Wer ist der Engel, der mit soviel Freude
in die Augen schaut unserer Königin,
so verliebt, dass er aus Feuer scheint?“

Ja kennt denn der Dante seine Bibel nicht? Das steht doch im Evangelium des Lukas? Denkt Dante etwa, dass der Räuber Hotzenplotz „Ave, Maria, gratia plena“ trällert? Da hätte der heilige Bernhard („heiliger Vater, der meinetwegen…“) ihm mal die Leviten lesen können.

So wandte ich das Wort zum Lehrer hin,
Der an Mariens Glanze sich verklärte
Dem Morgensterne gleich beim Tagbeginn.

Und er: „Was Kühnheit je und Anmut nährte
In eines Engels, eines Geistes Brust
Zu unsrer Wonne ihm der Herr gewährte,

Weil er palmtragend hohe Mutterlust
Marien verhieß, als Christus unsre Bürde
Sich aufzuladen liebevoll gewusst.

Im Original

Così ricorsi ancora a la dottrina
di colui ch'abbelliva di Maria,
come del sole stella mattutina.

Ed elli a me: «Baldezza e leggiadria
quant'esser puote in angelo e in alma,
tutta è in lui; e sì volem che sia,

perch'elli è quelli che portò la palma
giuso a Maria, quando 'l Figliuol di Dio
carcar si volse de la nostra salma.

So wandte ich mich zu der Lehre
dessen, der durch Maria ward verschönt,
wie der Morgenstern durch die Sonne

Und er zu mir: „Was an Sicherheit und Anmut
in der Seele eines Engels kann gefunden werden,
ist in ihm; und so wollen wir, dass es sei,

denn jener ist es, der den Lorbeer brachte
Zu Maria, als der Sohn Gottes sich beladen
Wollte, mit unserem Körper

Der Morgenstern, die Venus, wird durch die Sonne verschönt (?), insbesondere ist sie aber am deutlichsten in der Morgen- bzw. Abenddämmerung sichtbar. Der Engel Gabriel brachte den Lorbeerkranz zu Maria. Dieser krönt ja normalerweise das Haupt des Siegers, hier steht er für den Sieg Marias, die mehr Gnade vor Gott fand, als alle anderen Erdenwürmer. Behaupten zumindest italienische Kommentatoren. Allerdings waren die Möglichkeiten Gottes einen Menschen ohne eine Frau zu schaffen beschränkt, das gelingt ja bekanntlich nicht mal heute mit den Mitteln der Reproduktionsmedizin. Die unbefleckte Empfängnis ist zwar kein Problem, man braucht nicht mal mehr einen Mann dazu, aber ohne Maria wird es schwierig. Die Menschheit ist heute also was die Reproduktionsmedizin anbelangt weiter als Gott. Da wird wohl bald wieder ein Erdbeben kommen, denn der Turmbau zu Babel ist dagegen ja ein Witz und schon darüber war god not amused. Hier noch ein Bild. Maria bekommt von Gabriel einen Lorbeerkranz.

Titel: Mach dir mal nicht ins Hemd, ich bin es Gabriel

Anschließend geht es weiter mit der himmlischen Sitzordnung.

Doch folgte meinem Wort nun durch die Hürde
Mit deinem Auge, dass du siehst im weisen,
Gerechten Reiche der Patrizier Würde.

Die zwei – die seligsten in diesen Kreisen,
Weil sie zunächst der Kaiserlichgeweihten-
Sind als der Rose Wurzelpaar zu preisen:

Im Original

Ma vieni omai con li occhi sì com'io
andrò parlando, e nota i gran patrici
di questo imperio giustissimo e pio.

Quei due che seggon là sù più felici
per esser propinquissimi ad Augusta,
son d'esta rosa quasi due radici:

Doch mögen deine Augen nun meiner
Rede folgen, zu sehen die großen Patrizier
Dieses gerechten und frommen Reiches

Diese zwei, die die glücklichsten im
Kreise, weil sie dem Kaiser am nächsten,
sind die Wurzel dieser Rose

Er wird jetzt die großen Patrizier, also die Bewohner der amphithrealen Himmelsrose vorstellen. „Diese zwei“ sind Adam und Petrus, in der Zeichnung links unterhalb von Maria und über Beatrice. Jetzt kommt wieder der Apfel. Man sollte die Divina Commedia umtaufen in Mela Infernale, der teuflische Apfel. Nach der Bibel aßen Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis und erkannten, was gut und böse ist (Genesis, 3, 5).

Der Menschheit Vater sieh ihr links zur Seiten,
Durch dessen leckern Gaumen sich uns nie
Der Nachgeschmack verlor der Bitterkeiten.

Im Original

colui che da sinistra le s'aggiusta
è il padre per lo cui ardito gusto
l'umana specie tanto amaro gusta;

jener der links seinen Platz gefunden
ist der Vater durch dessen Geschmackes Neugier
die Menschenkinder soviel Bitteres kosten

Ziel des Ethikunterrichts (wir schreiben immer noch das Jahre 2009) ist es, den Kiddies beizubringen, wo moralisch links und rechts, oben und unten ist. Über diese Frage sollen ja Unklarheiten bestehen und den Nazi-, Stasi- und anderen Schergen fallen immer wieder Argumente ein, warum oben unten und links rechts ist. Der Autor sieht das eher wie Violeta Parra. Den Song kann man sich hier anhören.

http://de.youtube.com/watch?v=UW3IgDs-NnA

Sollte man mal tun. Dort heißt es eindeutig:

…Gracias a la vida que me ha dado tanto
Me dio el corazón, que agita su marco.
Cuando miro el fruto del cerebro humano,
Cuando miro al bueno tan lejos del malo.
Cuando miro el fondo de tus ojos claros…

…Danke an das Leben, das mir soviel gab
Es gab mir das Herz, das in meiner Brust klopft.
Wenn ich die Frucht sehe des menschlichen Geistes,
Wenn ich das Gute sehe, soweit entfernt vom Bösen.
Wenn ich in die Tiefe deiner klaren Augen sehe…

Das Gute ist in der Tat weit entfernt vom Bösen. Und ein Schwein, ist ein Schwein, ist ein Schwein, ist ein Schwein. Und man verfolgt es: Zu Lande, zu Wasser und in der Luft und mit Diktatoren à la Pinochet macht man keine Geschäfte. Die jagt man. Um das zu wissen, braucht man keinen Ethikunterricht., dafür muss man nur alle Tassen im Schrank haben. Nimmt man aber das Verhalten der katholischen Kirche zum Maßstab, auch ihre Rolle in der Francozeit in Spanien, dann sollte man einen ganzen Lastwagen voll Äpfel vor den Vatikan stellen, damit sie erkennen was gut und böse ist. Offensichtlich scheint das Problem ja daran zu liegen, dass die Jungs und Mädels keine Äpfel essen.

Der heiligen Kirche alten Vater sieh
Zur Rechten, dem der Herr der Welt im Glanze
Der Himmelsrose Schlüsselpaar verlieh.

Im Original

dal destro vedi quel padre vetusto
di Santa Chiesa a cui Cristo le clavi
raccomandò di questo fior venusto

zur Rechten siehst du den alten Vater
der heiligen Kirche, dem Christus gab
die Schlüssel zu dieser herrlichen Blume

 

Gemeint ist Petrus. Das ist sozusagen die christliche Version des Siegel des Propheten. Die katholische Kirche besitzt nicht nur die Deutungshoheit, sondern verwahrt auch die Schlüssel ins Paradies. Gestützt wird das auf Matthäus 16, 18-19.

Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.

Zu dieser Stelle gibt es nun unterschiedliche Deutungen. Die zwei Schlüssel können als die Deutungshoheit („richtige Auslegung“) und als Schlüssel gedeutet werden, der das Tor zum Paradies öffnet. Eine zweite Deutung ist, das mit dem einen Schlüssel die Gläubigen an das Evangelium gebunden werden, mit dem zweiten wird es erklärt (durch die Kirche, die die Deutungshoheit hat). Eine dritte Möglichkeit wäre, dass der eine Schlüssel für die Sakramente steht (die ja allein den Weg zum Himmel öffnen) und der andere für die Deutungshoheit.

Und er - der noch vorm Tode sah die ganze,
Schmerzliche Zukunft der holdseligen Braut,
Die einst gefreit durch Nägel ward und Lanze -

Im Original

E quei che vide tutti i tempi gravi,
pria che morisse, de la bella sposa
che s'acquistò con la lancia e coi clavi,

und jener der schaut in ernstem Sinnen, hat,
bevor er starb, die schwere Zeit der Braut
vorhergesagt, die erlangt ward mit Lanze und Nägeln

Gemeint ist der Johannes (wer immer das auch gewesen sein mag, seine Persönlichkeit verschwimmt etwas im Dunkel der Geschichte), der die Offenbarung des Johannes geschrieben hat. Wo da genau das Schicksal der Kirche beschrieben wird ist zwar unklar, es ist eher eine apokalyptische Darstellung des Endes der Welt, aber die Braut ist die Kirche, weil Jesus, so die katholische Vorstellung, diese bei seiner Kreuzigung, bei der auch Nägeln und Lanzen zum Einsatz kamen, geheiratet hat.

Sitzt neben ihm, wie man beim andern schaut
Den Führer, der das Volk gespeist mit Manna,
Das störrisch war und nicht mit Dank vertraut.

Im Original

siede lungh'esso, e lungo l'altro posa
quel duca sotto cui visse di manna
la gente ingrata, mobile e retrosa

daneben sitzt jener Führer der
mit Manna nährte das undankbare
und störrische Volk

Das „siede lungh‘ esso“ gehört eigentlich noch zur vorherigen Terzine, bezieht sich auf Johannes. Mit „l‘ altro“ ist Moses gemeint. Der hat zwar kein Manna vom Himmel regnen lassen, das hat der Herr getan, aber der Herr stand immerhin Moses in schwerer Stunde bei.

Moses 2, 4: Da sprach der HERR zu Mose: Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen, und das Volk soll hinausgehen und täglich sammeln, was es für den Tag bedarf, dass ich's prüfe, ob es in meinem Gesetz wandle oder nicht. 5 Am sechsten Tage aber wird's geschehen, wenn sie zubereiten, was sie einbringen, dass es doppelt so viel sein wird, wie sie sonst täglich sammeln.

Mose und sein Volk war wohl auch die erste Quijote / Sancho Pansa Konstellation der Menschheitsgeschichte. Der große Sinnende, mit einem sehr weit gefassten Entwurf und das Volk, das es dann doch ein bisschen konkreter hätte.

Sankt Petern gegenüber thronet Anna,
Im Anschaun ihrer Tochter so erquickt:
Kein Auge wendend singt sie ihr Hosanna!

Di contr'a Pietro vedi sedere Anna,
tanto contenta di mirar sua figlia,
che non move occhio per cantare osanna;

Gegenüber Petrus siehst du Anna sitzen, so
hocherfreut ob des Anblicks ihrer Tochter,
dass sie den Blick nicht wendet um Hosanna zu singen

Anna ist die Mutter von Maria.

Gegenüber Adam wird von dir erblickt
Lucia, die die Herrin dir gesendet,
Als dir der nahe Sturz den Mut geknickt. -

Im Original

e contro al maggior padre di famiglia
siede Lucia, che mosse la tua donna,
quando chinavi, a rovinar, le ciglia

und dem ältesten Familienvater gegenüber
sitzt Lucia, die deine Herrin rührte,
als du den Mut verlorst und stürzen drohtest

Die Konstellation kann man wieder der Zeichnung oben entnehmen. Gegenüber Adam sitzt Lucia.

Jedoch die Zeit des Traumgesichtes endet;
Eh drum der lichtgewobene Schleier reißt,
Bedenken wir, dass bald der Weg vollendet!

Im Original

Ma perché 'l tempo fugge che t'assonna,
qui farem punto, come buon sartore
che com'elli ha del panno fa la gonna;

Doch die Zeit des Traumes flieht,
machen wir Schluss, wie ein guter Schneider
der den Rock macht nach dem Tuche

Mit der Zeit des Traumes, die flieht, ist wohl die gesamte Jenseitsvision gemeint. Bedauerlicherweise erfahren wir ja nirgends, um was es sich bei dieser genau handelt. Die Anfangsverse könnten zwar noch im Wachzustand gesprochen worden sein (Auf halbem Wege unseres Erdenlebens / Musst ich in Waldesnacht verirrt mich schauen...), der Übergang in die Vision ist dann aber fließend, wir haben keinen Bruch, etwa beim Auftauchen des Vergil, der einen Übergang kennzeichnen würde. Auf jeden Fall geht die Vision jetzt allmählich zu Ende.

Zur ersten Liebe richte Blick und Geist,
In ihre Tiefen schauend einzudringen,
Soweit der Glanz dir nicht ins Auge beißt;

Im Original

e drizzeremo li occhi al primo amore,
sì che, guardando verso lui, penètri
quant'è possibil per lo suo fulgore

wir werden nun die Augen zur ersten Liebe richten,
auf dass du, indem du ihn betrachtest, so tief
wie möglich eindringst in seinen Glanz

Die erste Liebe ist Gott, die wird er im nächsten Geträller schauen.

Doch soll der Aufschwung dich nicht rückwärtsbringen,
Statt vorwärts, wie du denkst im Wahn zu schweben,
Lass Gnade durch Gebet uns erst erringen,

Veramente, *ne* forse tu t'arretri
movendo l'ali tue, credendo oltrarti,
orando grazia conven che s'impetri

Nötig ist es, damit du nicht vielleicht stillstehst,
im Glauben dich zu bewegen weil du die Flügel bewegst,
musst du erst im Gebet um Gnade bitten

Er muss also erst noch eine Weile Maria anschauen, um Gottes Anblick gewachsen zu sein.

Gnade von jener, die stärkt im Streben;
Wenn drum das Wort mir jetzt vom Munde geht,
Lass Liebe sich dein Herz mit ihm erheben!“

Und er begann dies heilige Gebet:

Im Original

grazia da quella che puote aiutarti;
e tu mi seguirai con l'affezione,
sì che dal dicer mio lo cor non parti

E cominciò questa santa orazione:

Gnade von jener, die dir helfen kann; dann
wirst du mir mit Neigung folgen, so dass dein
Herz sich nicht trennt von meinen Worten

Und so begann er das heilige Gebet

Er betet also zu Maria, damit diese ihm Gnade spendet, damit er anschließend Gott schauen kann. Oder so ähnlich.