Das Sozialverhalten wird immer absurder, so dass wir vermuten, dass wir es bei den Flammen und liebesdurchdrungenem Glanzgelichter nicht mehr mit einer humanoiden Lebensform zu tun haben. Wir müssen das Geschehen also beurteilen, wie Data im Raumschiff Enterprise. Data ist ja bekanntlich ein Roboter, das Sozialverhalten der Menschen kann er erstmal nicht nachvollziehen, er kann es nur als eine Variable in die Interpretation der Ereignisse einbauen.

Ich hatte schreckbetäubt mich umgeschaut
Zur Führerin gleich hilfsbedürftigem Kinde,
Das seiner Zuflucht nie umsonst vertraut,

Sie sehen also, dass nicht nur wir mit dem eigenartigen Sozialverhalten der Lebensformen im Paradies unsere Probleme haben. Dante selbst erfasst das nackte Grauen. Also wenn jemand unvermittelt einen Vortrag hält über die Schlechtigkeit der Welt, einer Tatsache, über die wir bereits in den vorhergehenden 10 000 Versen in durchaus erschöpfender Weise in Kenntnis gesetzt wurden und das Publikum durch diese, sagen wir mal triviale, Information veranlasst völlig ausrastet, in die Hände klatscht, um die eigene Achse kreist wie ein Derwisch im höchsten Stadium der Erleuchtung und dabei noch aufheult, dann würde es uns auch eiskalt den Rücken runterlaufen. Stellen Sie sich das mal vor, da stellt sich jemand auf einen öffentlichen Platz und sagt sowas.

Du, der du den Namen trägst des
Vaters dessen, der alles Unglück
das vom Apfel kam für immer tilgte

bar sind deine Worte jeden Sinnes
das Nichts umkreist dein Geist
wie der Wolf den abgenagten Knochen

Gemeint ist natürlich der Ratzinger Joseph (Joseph und Maria, alles klar?) und der erzählt halt das, was Päpste so erzählen. Die zwei Terzinen sind natürlich objektiv wahr, das ist aber noch lange kein Grund, dass sie jetzt anfangen wild in die Hände zu klatschen, auf dem Stuhl zu kreisen und in ein Schlachtgebrüll ausbrechen. Das wäre ein nicht angepasstes Verhalten, Ihre Reaktion wäre ziemlich affektiert. Teile ich Ihnen mal somit, falls Sie es noch nicht wissen. Zwar kann man immer wieder nicht angepasstes Sozialverhalten in der Wirklichkeit finden, zum Beispiel wenn zwei Gruppen von jeweils elf Männern, die ein Land repräsentieren (zum Beispiel die Männer aus Jugoslawien Deutschland und die Männer aus Marokko Frankreich), einem Ball hinterlaufen und das die Leute veranlasst, Stofftücher zu schwingen und sich mit aus Indien stammenden Engländern zu prügeln, aber dieses Verhalten finden sie nur alle vier Jahre, es ist also, zumindest in dieser krassen Art, eher selten. Im Paradies ist dieses Verhalten der Normalfall! Man kann also nicht mehr von einem nicht angepassten Sozialverhalten sprechen. Sie haben es mit einer nicht humanoiden Lebensform zu tun, irdische Maßstäbe an angemessenes Sozialverhalten sind also nicht mehr anzulegen.

Und sie – wie eine Mutter, die geschwinde
Beispringt dem bleichen, atemlosen Wicht,
Dass er sich durch ihr Wort beruhigt finde,

Sie sprach: „Bist du denn hier im Himmel nicht?
Weißt du nicht, dass er Heiliges nur umfange,
Dass guter Absicht all sein Tun entspricht?

Also dass er im Himmel ist, hat der Autor ja inzwischen mitbekommen. Der Himmel ist sowas wie ein Priesterseminar, wo lauter von irgendwas Beglückte über irgendetwas Vorträge halten. Im Geträller 24 und 25 wird dann übrigens auch die Zwischenprüfung abgelegt, wenn Gott nicht inzwischen beschlossen hat, das in Bachelor umzubennen. Im Himmel besteht übrigens, wie wir noch sehen werden, das gleiche Problem wie auf Erden. Kein Mensch weiß, zu was einen dieser Abschluss nun eigentlich befähigt und Dante wird es uns auch nicht verraten. Er legt die Prüfung zwar ab, zur vollsten Zufriedenheit seiner Prüfer (fleißiger Junge, fleißiger Junge), aber was er mit diesem Abschluss konkret vorhat, verrät er uns nicht.

Wie du bei meinem Lächeln, beim Gesange
Verwandelt worden wärest, kannst du jetzt sehen,
Da du erschütterst schon bei diesem Klange

Das glaub ich auf‘ s Wort. Mit jedem Aufstieg in eine neue Sphäre wurden ihre AUGEN heller und heller. Also wenn mir nachts eine Frau begegnet, deren Augen leuchten, dann würde ich tatsächlich vor Schreck tot umfallen. Mir reichen schon die Augen einer Katze, die leuchten, wenn sie von einem Auto angestrahlt werden. Wenn jetzt aber die Augen leuchten wie Taschenlampen, dann wäre ich absolut gelähmt vor Schreck. Bei Gesang ist das relativ. Zwar gibt es einen Riesenberg an E-Guitarre – Gegrölle – Schlagzeug Menschenfresser Musik, bei der man sich tatsächlich fragen kann, wie Leute das zwei Stunden aushalten, aber im Vergleich zu einer Frau die aus den Augen leuchtet, ist das gar nichts.

Und könntest du des Rufes Sinn verstehen,
Im voraus sähest du die Rache tagen,
Die noch vor deinem Tode wird geschehen

Im Original
nel qual, se 'nteso avessi i prieghi suoi,
già ti sarebbe nota la vendetta
che tu vedrai innanzi che tu muoi

in welchem, hättest du verstanden seine Predigt,
du auch schon sehen würdest wie es sich rächt,
noch bevor du stirbst

Also das mit dem „hättest du verstanden seine Predigt“ ist natürlich ziemlich grenzwertig. Im vorigen Gesang stand mal ganz wage was von Geduld, die bald überstrapaziert sein wird, von Rache stand da nicht. Unklar ist auch, an welchem Papst oder anderem Würdenträger die Rache vollsteckt wird. In der Literatur wird dabei oft an Bonifaz VIII. Dieser wurde während seines Sommeraufenthaltes in Agnani im 7. September 1303 im Auftrag Phillip IV (des Schönen) gefangengesetzt. Eine Schmach die er nicht überwand und kurze Zeit starb. Dass aber Dante Phillip IV, also den französischen König, als Rächer akzeptiert, erscheint wenig plausibel, denn das französische Königshaus hasste er. An wem aus welchem konkreten Grund hier also eine Rache vollstreckt wird, ist unklar.

Des Himmels Schwert pflegt nicht zu früh zu schlagen
Noch auch zu spät, nur nach der Meinung dessen,
Der darauf harrt in Hoffnung oder Zagen

Im Original

La spada di qua sù non taglia in fretta
né tardo, ma' ch'al parer di colui
che disiando o temendo l'aspetta

Das Schwert hier oben schneidet nicht zu früh
und nicht zu spät, auch wenn es dem so scheint
der es voller Hoffnung oder angsterfüllt erwartet

Also der der hofft, das Rache genommen wird, scheint es zu lange zu dauern,
bis das Schwert der Rache zuschlägt und der, der eben diese Rache fürchtet, kommt das Schwert zu früh.

Doch lass die Augen andres nicht vergessen:
Erlauchter Geister schaust du große Zahl,
Wenn erst dein Blick den fernen Raum durchmessen

Im Original

Ma rivolgiti omai inverso altrui;
ch'assai illustri spiriti vedrai,
se com'io dico l'aspetto redui»

Doch wende dich nun anderem zu,
andere berühmte Geister wirst du sehen,
wenn du erst den Blick weiterwendest

Eigentlich will sie sagen „schau mal dahin, da sind noch andere berühmte Gesichter“. Dante war wohl der erste Rapper der Menschheitsgeschichte, die haben auch so eine mechanische Sprache. Da gibt es zum Beispiel sowas.

Ich sag' zu ihnen: Ich kann nur sein, was ich bin.
Ich kann nur fühlen, was ich fühl',
und genau das schreib' ich auch hin.

Rein logisch gesehen ist das das gleiche wie das.

Ich sag zu ihnen: Ich kann nur essen, was ich esse
Ich kann nur trinken, was ich trinke,
und das kauf ich mir dann bei Lidl um die Ecke

Der Rapper sagt also, dass er nur das ist, was er momentan ist und nur das fühlen kann, was er momentan fühlt. Da stellt sich natürlich die Frage, wie kommt neuer Input in den Schädel und ist neuer Input überhaupt erwünscht? Also im Grunde gäbe es für Geisteswissenschaftler ein weites Bestätigungsfeld, aber die sind irgendwie voll auf irgendeinem Trip, der dem anderen irgendwie ähnelt. Noch ein zu schreibendes Werk: Die Geburt des Hirnlochs durch die Macht der Sprache. Es ist offensichtlich, dass es beim Kleinkind noch eine sehr enge Bindung geben muss zwischen dem signifié (dem Bezeichneten) und dem signifiant (dem Bezeichnenden). Für dieses frühe Stadium des Spracherwerbs ist die Theorie von Ferdinand de Saussure und Konsorten richtig. Das Kind weiß ZUERST was ein Gummibärchen ist und DANN wie dieses heißt. Die im weiteren Spracherwerb zu vollziehende Abstraktion scheint aber irgendwie fatale Wirkungen zu haben. Irgendwann kennt der Mensch ZUERST das Sprachkonstrukt und überlegt sich DANN was dieses überhaupt bedeuten soll. Es gibt wohl einen fließenden Übergang von der Interpretation eines Textes zum Sprung ins Nirvana und je geringer das empirische Substrat, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass das empirische Substrat selber zum Wortkonstrukt mutiert. Das empirische Substrat eines Wortkonstruktes ist dann ein Wortkonstrukt. Das nennt man dann Intertextualität. Auf diesen Begriff sind die Romanisten ganz stolz, die rappen, da können alle Rapper dieser Welt glatt nach Hause gehen. Skurril ist auch, dass Schüler in der Regel so Fächer wie Philosophie und Literatur auf das Konto großes Gelabere buchen, besonders in Frankreich, ein bac de langue (Abitur in Fremdsprachen) ist dort praktisch ein Idiotenabitur. Wert hat nur das bac de science, also Naturwissenschaften. Da der Autor ja sowohl Sprachen studiert hat, wie auch ein eher mathematisch orientiertes Studium wie VWL, sind ihm die Kommentare weitgehen geläufig, auch das mitleidige Lächeln. Aber dieselben Leute, die so mitleidig lächeln, hören sich dann Rap an. Dem Autor ist ja noch nicht ganz klar, wozu man die Geisteswissenschaften in der Art braucht, wie sie heute existieren, aber was in der Art könnte man eigentlich schon gebrauchen.

Ich wandte mich zurück, wie sie befahl,
Und sah an hundert Sphärlein funkelnd blitzen,
Verschönend sich im bunten Wechselstrahl

Im Original

Come a lei piacque, li occhi ritornai,
e vidi cento sperule che 'nsieme
più s'abbellivan con mutui rai

Wie sie es gewünscht, wandte ich die Augen,
und sah hundert Kugeln, die gegenseitig
sich mit ihren Strahlen noch verchönerten

Ein Problem bereitet das Wort sperule, das entspricht eigentlich der sfere (Sphäre), was aber gar nicht passt. Weiter entspricht es noch der sferette, das wäre eine Kugel und die nehmen wir. Was Dante geritten hat, hier nicht mehr von fiammi, luci oder was auch immer zu sprechen wissen wir zwar nicht, aber die sferette leuchten auch, sonst könnten sie sich ja nicht gegenseitig anstrahlen.

Wie einer fühlte der Neugier Stachelspitzen
Und sie zurückdrängt, quälte mich das Bangen
Durch zuviel Fragen mich noch mehr zu ritzen

Io stava come quei che 'n sé repreme
la punta del disio, e non s'attenta
di domandar, sì del troppo si teme;

Ich war wie jener der unterdrückt
Den Stachel der Begierde und nicht zu
Fragen, weil dreist zu sein er fürchtet

Es ist nicht so ganz klar, was gemeint ist, auf jeden Fall fragt er mal wieder nicht. Da er dies so oft erwähnt, können wir einen Zweck vermuten. Dante will suggerieren, dass zumindest er ein brennendes Interesse daran hatte, seine Fragen beantwortet zu bekommen. Er versucht also, sich von der Bedeutung seines Wortkonstruktes zu überzeugen. Das lässt vermuten, dass so ein Rest an Faust, auch bei ihm ab und an auflagert, er fühlt immerhin, das aus dieser Quelle nichts kommt, was ihn elementar interessiert.

Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

Goethe, Faust

Ist es nicht. Aus einem Wortkonstrukt fließt keine Erquickung. Aus eigener Seele quillt bei Dante aber auch nicht viel, da ist nämlich nichts. Das Pergament kann aber die Welt transzendieren, allerdings nur dann, wenn schon eine Welt da ist. Einen Betonboden kann man gießen solange man will, da wächst nicht mal ein Gänseblümchen. Da aber Goethes Faust das Problem hat, dass die Adressaten der Message, die verbeamteten Geistlichen, Wagner ist ein solcher, sich beharrlich weigern, diese zur Kenntnis zu nehmen, sagen wir mal ganz deutlich und unmissverständlich, was gemeint ist. Die verbeamteten Geistlichen, vulgus Professoren, die sich ein Leben lang auf Kosten des Steuerzahlers mit irgendwelchem Pille Palle Kram à la Dante und Konsorten beschäftigen, auf Staatskosten Bücher schreiben, die ausschließlich von denen gelesen werden, die auf Staatskosten dafür bezahlt werden, die den Geist aus den Geisteswissenschaften heraustreiben und wortreich die phänomenale Öde beschreiben, sind ein Problem, denn sie bilden die Lehrer aus, die dann auch in den Schulen die große Öde verbreiten. Nachzudenken ist über eine Professionalisierung. Denkbar wäre hierbei zum Beispiel eine Verpflichtung, die Inhalte eines Seminars / Vorlesung im Internet darzustellen, mit Kommentarfunktion. Dies wäre ein erster Schritt. Die Fähigkeit, eine breite Öffentlichkeit oder Schüler für geisteswissenschaftliche Inhalte zu begeistern, könnte dann eher nachgeprüft werden, als durch dubiose pseudowissenschaftliche Bücher, die kein Mensch liest. Es macht auch wenig Sinn, wortreich über die Krise der Geisteswissenschaften zu schwadronieren, Millionen von Steuergeldern in irgendwelche Jahre der Geisteswissenschaften und Ähnliches zu pumpen, wenn das Problem der Geisteswissenschaften das Personal ist, das diesen Hokuspokus dann veranstaltet. Man sollte mit den Jungs und Mädels mal Tacheles reden und zwar so, dass die Möglichkeiten der Interpretation gegen Null gehen. Die Tatergreise geben vor, dass ihr Treiben der Wahrheitsfindung diene und aus dieser Wahrheitsfindung dann irgendwann ein Nutzwert sprieße. Ziel der Geisteswissenschaften ist aber nicht Wahrheit, sondern Glück, Wahrnehmung der kulturellen Vielfalt, Fähigkeit, Dinge beurteilen zu können, Förderung der Kreativitiät, Offenheit etc. Eine mit pseudowissenschaftlichen Methoden ermittelte „Wahrheit“ ist reichlich uninteressant, wenn sich kein Mensch dafür interessiert. Es ist bezeichnend, dass auch auf diesem Machwerk hier http://www.dphv.de/ zwar von allem möglichem die Rede ist, dass der Lehrer Beruf einer der Härtesten überhaupt ist, dass Lehrer an der konstatierten Bildungsmisere völlig unschuldig sind, dass das dreigliedrige Schulsystem ganz wichtig ist und ähnlicher Plunder dieser Art. Aber ein Begriff taucht auf der ganzen Website als Ziel von Bildung überhaupt nicht auf, scheint völlig irrelevant zu sein: Glück. Dies erscheint logisch. Denn ein Personal, das Geisteswissenschaften weitgehend als verquastes Geschwätz erlebt hat und das in vorauseilendem Gehorsam diesen Sound verinnerlichte und dem der letzte Rest an individueller Wahrnehmung beim Suchen und korrekten Zitieren von irgendwelchen Sätzen verlustig gegangen ist, hat diese elementare Erfahrung nie gemacht. So haben wir dann einen Leerkörper, der reichlich desorientiert und konfus durch die Schulen schlurft, der verzweifelt auf www.lehrer-online.de und ähnlichen Quarkseiten nach Unterrichtskonzepten sucht, an denen er sich dann entlanghangeln kann. Spontanität im Unterricht, die Fähigkeit, Menschen da abzuholen, wo sie sind, den Realitätsbezug eines Werkes wie Goethes Faust darzustellen, setzt eine individuelle Verarbeitung voraus. Begeistern kann nur, wer begeistert ist oder zumindest überzeugt ist, von dem was er treibt. Wer auf dem dünnen Brett der Wortkonstrukte steht, neigt dazu, sich an Wortkonstrukte zu klammern wie der Ertrinkende an den Strohhalm. Das ist das Gegenteil von Bildung. Anstatt Offenheit für das tobende Leben in seiner bunten Vielfalt, haben wir Phrasendrescher. Dafür braucht man keine Steuergelder einsetzen. Ich würde sagen, die Deutschlehrer gehen mal in Klausur und schreiben einen Besinnungsaufsatz über diese Verse. Die Verse an sich sollten bekannt sein.

Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus

Und blast die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhäuschen 'raus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht-
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.

Wir brauchen auch keine Diskussion darüber, ob Universitätsabschlüsse Diplom, Magister, Bachelor, Master oder Banane heißen. Wir brauchen eine Diskussion über Inhalte. Egal was Geisteswissenschaftler nach ihrem Studium beruflich machen, Lehrer, Journalist, Online Redakteur, Autor von Fachbüchern etc. etc. sie werden andere Menschen davon überzeugen müssen, dass Geisteswissenschaften eine spannende Sache sind. Ihre Methoden mögen aus wissenschaftlicher Sicht trivial sein, es mag sich, wie Popper das nennt, um Trivialwissenschaften handeln, allerdings ist das völlig egal. Glück mag eine triviale Angelegenheit sein, doch es soll Leute geben, die einen salto mortale in ein himmlisches / göttliches Megaloch veranstalten, weil sie im irdischen Jammertal dieses nicht finden. Es geht übrigens auch in Goethes Faust, das liest man hin und wieder, nicht um Wahrheit. Es geht um Glück. Es ist für die in Universitäten und Schulen angestellten leeren Leerkörper komfortabel, Inhalte aufoktroyieren zu können, das enthebt sie der Notwendigkeit, andere Leute überzeugen und sich selbst in Frage stellen zu müssen. Allerdings katapulieren sie sich damit in die Isolation. Wenn alles, was auf diesem Gebiet spannend ist, sich nicht mehr in dem Bereich abspielt, der dafür mit Steuergeldern gemästet wird, stellt sich die Frage, wozu man Geisteswissenschaften noch braucht. Einen rein mechanistisch funktionierenden Betrieb, der außer seiner Selbstbeschäftigung keine weitere Funktion hat, braucht kein Mensch. Auf die Krise reagieren die Geisteswissenschaften mit der Bildung von allen möglichen „interdisplinären“ Studiengängen, mit der Gründung von Frankreich Zentren, der Kreierung von allen möglichen Studiengängen wie Kulturmanager, Creating Culture etc. etc. Da erzählen sie dann in einem neuen Remix so mehr oder weniger denselben Blödsinn, den sie schon seit fünfzig Jahren erzählen und würzen das ein bisschen mit Wirtschaft, Jura und Informatik, mit Dingen also, von denen sie dann endgültig keine Ahnung haben. Sie sollten sich mal mit denen Dingen beschäftigen und die gut machen, für die sie bezahlt werden und wenn sie es definitiv nicht können, sollte die Politik mal darüber nachdenken, wie man das Personal austauschen kann. Diese Aufbaustudiengänge sind insbesondere auch deswegen eine ganz miese Masche, weil Leuten, die in einem anderen Studiengang nichts vermittelt bekommen haben, was irgendwie beruflich verwertbar wäre, suggeriert wird, dass der Aufbaustudiengang das leistet, was das Erststudium nicht leisten konnte. Da das Personal des Aufbaustudienganges aber das Gleiche ist, das heißt von Leuten organisiert wird, die außerhalb von Schule und Uni keine berufliche Erfahrung haben, ist die Pleite eigentlich vorprogrammiert. Diese Aufbaustudiengänge mögen für das Ego der verbeamteten Geistlichen nützlich sein, kosten aber vor allem viel Geld und leiten Leute in die Irre. Sie zeigen aber, dass die Universitäten nicht in der Lage sind, sich aus sich selbst heraus zu reformieren. Eine breite gesellschaftliche Diskussion scheint also geboten. Letztlich wird nur die Politik die notwendigen Reformen einleiten können.

Die größte und mit dem reinsten Prangen
Geschmückte Perle sah ich drauf beginnen
Ihr Liebeswerk, zu stillen mein Verlangen

Im Original

e la maggiore e la più luculenta
di quelle margherite innanzi fessi,
per far di sé la mia voglia contenta

und die größte und leuchtendste dieser
guten Geister kam herbeigesprungen
um von sich aus meine Sehnsucht zu stillen

Das ist jetzt wieder ein ganz verrücktes Osterei. Technisch gesehen ist es das übliche Verfahren, wir erfahren eine Menge (in den folgenden Terzinen) über diese Figur und könne uns so zusammenreimen, um wenn es sich handelt. Ungewöhnlich an diesem Osterei ist, dass Dante selbst vorgibt, nicht zu wissen um wenn es sich handelt. Manchmal ist er ja richtig neckisch, der Dante. Es handelt sich, das lässt sich aus den in den folgenden 9 Terzinen entnehmen (in der 10. erfahren wir dann, dass Dante das Osterei nicht gefunden hat) um Benedikt von Nursia. Benedikt von Nursia (geb. 480 in Nursia bei Perugia, gest. 547 auf dem Monte Cassino bei Cassino). Aus welchen Quellen Dante schöpfte ist unklar, höchstwahrscheinlich aus der Biographie, die Gregor der Große um 600 anfertigen ließ. Die Angaben, die in den folgenden Terzinen gemacht werden ( vor allem im Hinblick auf die heidnische Götterverehrung auf dem Monte Cassino) sind falsch. Um es genauer zu sagen, diese Angaben finden sich sonst nirgends, allerdings gibt es auch Tendenzen, die die Historizität Benedikts in Frage stellen. Er entstammt einer reichen Gutsbesitzer Familie, ging nach der Schulzeit in Nursia zum Studium nach Rom, das er aber, enttäuscht von Sittenlosigkeit seiner Mitstudenten, bald wieder verließ um als Eremit in den Bergen zu leben. 529 gründete er auf dem Monte Cassino, 80 km südöstlich von Rom, ein Kloster. Er gilt indirekt als der
Begründer des Benediktinerordens. Zwar hat er selbst keinen Orden gegründet, aber von ihm stammen die Regula Benedicti, an die sich die Benediktinermönche halten. Diese Regeln verbieten halt alles, was irgendwie Spaß macht, das kennt man ja. Was der Autor nicht versteht ist, warum Dante nicht schlicht in irgendein Kloster gegangen ist. Dort hätte er zölibatär leben, sich täglich kasteien, sich nur von Wasser und Brot und ein paar Äpfeln ernähren können und währe dann in den Himmel gekommen. Wenn er die Äpfel weggelassen hätte, wäre er irgendwann an Skorbut erkrankt, das zölibatäre Leben wäre ihm dann leicht gefallen und er wäre sogar noch ein Stockwerk weiter gestiegen.

„O sähest du wie ich“, sprach es von innen,
„Das unter uns entflammte Liebeswalten,
So prägtest du in Worte aus dein Sinnen.

Im Original

Poi dentro a lei udi' : «Se tu vedessi
com'io la carità che tra noi arde,
li tuoi concetti sarebbero espressi.

Dann hörte ich aus seinem Innern: Könntest
Du wie ich die Gnade schauen die uns verbindet,
wären deine Wünsche ausgedrückt

Soll heißen, dass Dante wüsste was er denkt, so wie er weiß was Dante denkt, wenn Dante sehen würde, wie er und Dante durch die Gnade verknüpft sind. In diesem Fall bräucht er ihm den ganze Sermon, den jetzt erzählt, nicht zu halten, was natürlich für Dante fatale Wirkungen hätte. Die Divina Commedia ist ja symetrisch aufgebaut, was der Kommentator der Reclam Ausgabe so toll findet („Der Ordo Gedanke des Mittelalers und Zahlenstruktur der Commedia“). Die Divina Commedia hat also drei Bereiche (Hölle, Läuterungsberg, Paradies) und diese haben wiederum gleich viele Geträller (33+1, 33, 33). Wenn jetzt aber im Paradies alle Leute Gedanken lesen können, dann kriegt man ja gar nicht mehr mit, was die sagen. Eine Terzine sähe dann so aus.

Er dachte: - - -
Ich dachte: - - -
Er dachte: - - -

Es gäbe dann gar nichts mehr zu erzählen. Vielleicht ist das aber auch der tiefere Sinn der Ostereiertechnik. Im Paradies wissen eh alle mit wem sie es zu tun haben, die Namen nennen ist glatt sinnlos.

Doch soll kein Aufschub dir den Drang erkalten
Zum hohen Ziel, - drum geb ich dir Bescheid
Auf deinen Wunsch, den du geheim gehalten

Im Original

Ma perché tu, aspettando, non tarde
a l'alto fine, io ti farò risposta
pur al pensier, da che sì ti riguarde

Aber damit, durch das lange Warten, nicht
in weite Ferne rückt das Ziel, gebe ich
Antwort auf deinen Gedanken, den du so hütest

Benedikt kann also die Gedanken Dantes lesen, aber antworten muss Benedikt trotzdem, weil Dante seine Gedanken nicht lesen kann. Das kommt wohl erst, wenn er wirklich ins Paradies kommt. Sie sehen also, das nicht das e-book, wie immer behauptet, dem Buchhandel den Garaus macht, sondern das Paradies. Wenn die Gedanken der Autoren gelesen werden können, gibt es naheliegenderweise keinen Bücher mehr. Aber völlig unabhängig von allen anderen Fragen die sich dann stellen, fraglich ist zum Beispiel, ob eine Copyright Verletzung vorliegt, wenn man das Gehirn eines anderen ausließt, stellt sich die Frage, was man dann eigentlich konkret sähe. Mit Gedanken meint Dante offensichtlich die Schicht, die sich sprachlich manifestiert. Selbst bei dieser Schicht würde der Autor es manchmal vorziehen, wenn sie in Schriftform vorliegt, dann kann man sich das gründlicher anschauen. Meint er aber die Schicht davor, dann ist völlig unklar, was da gemeint ist. Diese Schicht ist unsprachlich. Da werden riesige Assoziationsräume bewegt, unsprachlich verschiedenste Alternativen durchgegangen und verworfen, nach ähnlichen Mustern und bedeutungsrelevanten Zusammenhängen gesucht, heuristisch irgendwelche neuen Zusammenhänge hergestellt, das ganze wird dann noch „gefühlsmäßig“ bewertet etc. etc. und das alles in infinitesimal kleinen Bruchteilen von Millisekunden. Der Autor bezweifelt, das ein Gehirn jemals einem anderen Gehirn beim Denken zuschauen kann, weil das voraussetzen würde, dass die Dinger gleich funktionieren. Das Gehirn arbeitet eben keine Algorithmen ab, das kann es zwar, aber die Performance ist da im Vergleich zu einem Computer völlig erbärmlich. Für die Arbeitsweise des Gehirns gibt es nicht mal einen Begriff. Es kann Heterogenes verknüpfen und Wissen aus einem Bereich auf einen anderen übertragen, es kann Probleme solange umformulieren, bis das Problem „griffig“ formuliert ist, es kann die Plausibilität weicher Daten evaluieren und harte Fakten ermitteln, es kann die Ziele und damit seine Arbeitsweise neu formulieren, es ist in der Lage, über sich selbst und seine Empfindungen nachzudenken, es kann Dinge knapp unterhalb des Bewußtseins ans Licht holen, es kann chaotische Prozesse in eine formale Logik drücken und dann Computer Programme schreiben etc. etc. Erstaunlich am Gehirn ist lediglich, dass es Leute gibt, die meinen, dass die Sprache in dem ganzen Spiel eine Rolle spielt. Da lesen wir doch auf der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gesponserten Website sowas.

Die Geisteswissenschaften leben aus dem Wort. Sie analysieren Begriffe und Bedeutungen, sie übersetzen und vermitteln Inhalte und sichern so die Grundlagen für unser Wissen über die menschliche Kultur.

Aus: http://www.abc-der-menschheit.de

Das blubbert und raunt zwar mächtig, aber irgendwie gehen die davon aus, das Sprache wichtig ist. Dante und die verbeamteten Geistlichen leben aus dem Wort, das ist zweifelsfrei richtig. Die Geisteswissenschaften sollten aus dem empirischen Substrat leben, das die Sprache manchmal mit mehr und manchmal mit weniger Erfolg zu erfassen sucht. Wenn aber die Sprache in den Vordergrund rückt, dann haben wir schnell das Abenteuer pur. Auf der selben Seite lesen wir.

Geisteswissenschaften definieren sich nicht vorrangig über ihren unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen, aber sie liefern bei vielen aktuellen Debatten Hintergrundwissen, machen die Kultur und Kulturen begreifbar und vermitteln zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Also eigentlich sollten sich ja Geisteswissenschaften mit dem tobenden Leben befassen, dieses zu einer spannenden Sache machen, es transzendieren, bereichern und Zugang schaffen zu den Kulturen dieser Welt. Sie sollen die Kreativität stärken, die Selbstwahrnehmung schärfen. Sie dürfen auch ruhig mal, wie so mancher Kinofilm das tut, einen richtigen Paukenschlag setzen, der die Leute so richtig vom Hocker reißt. Ich würde es also umformulieren. Geisteswissenschaften definieren sich ausschließlich und einzig über ihren unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen. Sie sorgen dafür, dass das Leben tobt. Die Feststellung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft ist die Beschreibung der gegenwärtigen Situation der Geisteswissenschaften. Im Moment haben sie nicht nur keinen unmittelbaren Nutzen, sie haben schlicht überhaupt keinen. Die Ziele vermitteln, gestalten, erinnern sind keine Ziele, sondern Tätigkeiten, die zu einem Ziel führen sollen. Aber ganz offensichtlich hat man auch beim Bundesministerium für Bildung und Forschung keinen Plan, was das Ziel der Geisteswissenschaften ist und offensichtlich ist das Bildungsniveau so niedrig, dass es gerade noch zum Phrasen dreschen reicht, mehr aber auch nicht.

Des Berges Haupt, daran seit alter Zeit
Cassino liegt, war einst den Göttersagen
Verblendeter als Zufluchtsort geweiht

Im Original

Quel monte a cui Cassino è ne la costa
fu frequentato già in su la cima
da la gente ingannata e mal disposta;

Der Gipfel jenes Berges dessen Hang
Cassino ist ward einst besucht von
Verblendetem und verderbtem Volk

Der Monte Cassino liegt in der Nähe der Stadt Cassino (heute 32000 Einwohner). Was allerdings mit verblendetem und verderbtem Volk gemeint ist, ist schleierhaft. Wenn er die Römer meint, dann beißt sich das etwas mit seiner Hymne auf das Imperium Romanum. Wenn er aber spezifischer auf die Tatsache abstellt, das dort heidnischen Göttern gehuldigt wurde, in der Literatur ist von einem Apollo geweihten Tempel die Rede, dann ist das nicht zutreffend. Das Kloster, das Benedikt dort erbaute, gründete sich auf einer römischen Befestigungsanlage und nicht auf einem Tempel.

Ich war‘ s, der dort zuerst hinaufgetragen
Den Namen des, der dunklem Erdenland
Erhebener Allweisheit Glanz ließ tagen

Im Original

e quel son io che sù vi portai prima
lo nome di colui che 'n terra addusse
la verità che tanto ci soblima;

und bin jener der zuerst hinauftrug
den Namen dessen der in die Welt gebracht
die Wahrheit, die uns so erhebt

Da es sich ja nicht um jemanden jüdischen Glaubens handelt, ist Jesus gemeint. Genau genommen wurde ja mit der Verbreitung des Christentums auch gleich der Glaube an dessen Vater in die Welt getragen. Allein die Juden hatten ja bereits vorher eine monotheistische Religion.

Und Gottes Huld hat mir so hell gebrannt,
Dass ich des Götzendienstes ruchlos Streben,
Das weltvergiftende, hab rings verbannt

Kann sein, dass in der von Papst Gregor dem Großen veranlassten Biographie irgendwas stand, aus dem sich schließen lässt, dass Benedikt gegen den Götzendienst vorgegangen ist. Der Autor hat nichts dergleichen gefunden. Allerdings scheint Benedikt mit dem Versuch, ein „sittenstrenges“ Leben einzuführen, seinen Klosterbrüdern auf die Nerven gegangen zu sein, diese versuchten, so zumindest die Legende, die moralinsaure Spaßbremse loszuwerden.

Einst waren alle, die du hier siehst schweigen,
Vom Feuer der Bescheidenheit durchwallt,
Die heilige Blüten weiß und Frucht zu tragen

Im Original

Questi altri fuochi tutti contemplanti
uomini fuoro, accesi di quel caldo
che fa nascere i fiori e ' frutti santi

Die anderen Feuer widmeten der Andacht ihr
Leben, entzündet von jener Wärme, die
entstehen lässt die Blumen und heiligen Früchte

Es gibt ein Problem mit „caldo“ (Wärme), „fiori“ (Blumen) und „frutti“ (Früchte). Naheliegenderweise kann auf des Wortes ureigenste Bedeutung nicht abgestellt werden. Italienische Kommentatoren deuten caldo mit Barmherzigkeit, fiori mit Wörter und frutti santi mit heiligen Werken.

Hier ist Macarius, hier Romuald,
Hier meine Brüder, die – um rein zu halten
Ihr Herz und stark – im Kloster machten Halt!

Im Original

Qui è Maccario, qui è Romoaldo,
qui son li frati miei che dentro ai chiostri
fermar li piedi e tennero il cor saldo»

Hier ist Macarius, hier Romuald,
dort sind meine Brüder die ihre Füße
In den Klostern hielten und ihr Herz bewahrten

Über Macarius von Ägypten (geb. 300, gest. 391) gibt es eine Menge Legenden. Er soll um einer Zwangsverheiratung zu entgehen in die Wüste geflohen sein, soll nach dem Ableben seiner Eltern sein gesamtes Vermögen verschenkt haben, soll auf die Anklage, eine Frau geschwängert zu haben,
nicht reagiert haben, bis die Wahrheit ans Licht kam. In der Wüste soll er von einem anderen Eremit die Regeln des Klosterlebens erlernt haben, was ihn dann zum Abt eines Klosters qualifizierte. Romuald (geb. 951, gest.1027) trat dem Benediktinerkloster Sant' Apollinare bei. Die Ordensregeln waren ihm aber nicht streng genug, wahrscheinlich kasteiten sie sich nicht ausreichend, so dass er wieder austrat und Einsiedler wurde. Er ist der Begründer des Ordens der Kamaldulenser. Die Ordensregeln waren streng, damit hätte auch Dante ein Problem. Die Mönche sollten andauernd schweigen. Das ist bei Leuten, die nichts zu sagen haben, durchaus sinnvoll. Mit den heutigen Regeln hätte aber auch der Autor ein Problem. Die sieht vor, dass man um 3:30 Uhr morgens AUFSTEHT. Um diese Zeit geht der Autor sehr oft überhaupt erst in die Kiste. Der nächste kritische Punkt ist Mittagessen um 12 Uhr. Da frühstück der Autor in der Regel. Und der samstägliche Brunch ist eher so um 14 Uhr. Das mit Nachtruhe um 21 Uhr ist dann völlig hoffnungslos, da ist der Autor meistens im Schwimmbad. Also Kamaldulenser ist gar nicht sein Ding, soviel steht fest. Für Dante wäre das aber nicht schlecht gewesen, bis auf die Geschichte mit dem Reden halt, aber ganz genau genommen hat Dante ja nicht geredet, sondern geschrieben, das passt also.

„Die Liebe, die so freundlich lässt gestalten
Dein Wort“, sprach ich, „der Glanz, drin unverdeckt
Rings alle Lichter Freundlichkeit entfalten,

Hat mein Vertraun zu dir so ganz erweckt,
Wie Sonnenschein die Rose, dass sie sich
Mit offnem Kelche zum Lichte streckt.

Drum, Vater, bittet mein Vertrauen dich,
Du wolltest ohne Flammenkleid dich zeigen,
Wenn solche Gnade nicht zu groß für mich!“

Also aus dem Vortrag des Benedikt hat ihn die tiefe Liebe spüren lassen, die in der Murmel / Flamme / Feuer versteckt ist. Und diese Liebe hat sein Vertraun geweckt, so dass er sich jetzt wie eine Rose dem Sonnlicht ihm zuwendet. Wir haben hier also einen Dialog zwischen einer nicht humanoiden Lebensform und einer humanoiden Lebensform, allerdings sind die Verhältnisse ein bisschen anders wie bei Raumschiff Enterprise. Denn auch die humanoide Lebensform, also Dante, zeigt ein Verhalten, dass nach menschlichen Maßstäben gemessen ziemlich abartig ist. Der Benedikt hat ihm eigentlich einen ziemlichen Stuss erzählt, dessen ausschließlicher Zweck darin bestand, ihm klar zu machen, was er für ein toller Hecht ist und dieser reichlich sinnlose Vortrag, der den Autor so in etwa an die Vorträge erinnern, die ihm sturzbesoffene Fahrgäste während seiner Taxifahrer Karriere gehalten haben, ließ in nun die Liebe erblicken, die in der glänzenden Murmel ruht. Wenn also Adorno sagt, dass die Kulturindustrie Figuren schafft, die hart an der Grenze der psychologischen Motivierbarkeit liegen, dann hat er Dante nicht gelesen. Im Vergleich zu Dante ist noch Henry Garth aus der Fernsehserie „Die Leute von der Shiloh Ranch“ ein exzellentes Beispiel einer psychologisch fein- und scharfsichtig dargestellten Gestalt. Dem Autor ist bekannt, die psychologische Wahrscheinlichkeit im Grunde ein ziemlich schlechtes Kriterium ist, doch fällt ihm im Moment kein Kriterium ein, anhand dessen man zu einem günstigeren Urteil kommen könnte.

„Dein hohes Sehnen, Bruder wird erschweigen“,
Sprach er, „dort in der letzten aller Sphären,
Wor dir und mir Erfüllung zu eigen.

Dort sind vollkommener ganz und reif die Ähren
Der Wünsche all, dort stehn in ihr befohlen
Die Teile, wo sie sind und ewig währen.

Fest steht sie, frei vom Raum und allen Polen,
Und bis zu ihr lässt Gott die Leiter reichen,
Drum kann dein Auge sie nicht überholen

Im Original

Ond'elli: «Frate, il tuo alto disio
s'adempierà in su l'ultima spera,
ove s'adempion tutti li altri e 'l mio.

Ivi è perfetta, matura e intera
ciascuna disianza; in quella sola
è ogne parte là ove sempr'era,

perché non è in loco e non s'impola;
e nostra scala infino ad essa varca,
onde così dal viso ti s'invola.

Darauf er: “Bruder, deine Sehnsucht wird gestillt
oben in der letzten Sphäre, wo mein Sehnen
Wie auch das aller anderen wird erfüllt

Dort ist jede Sehnsucht reif, vollendet
und perfekt; und nur in ihr ist jeder
Teil dort, wo er schon immer war,

denn sie ist an keinem Ort und hat keine Pole;
und unsere Leiter überschreitet jene unendlich,
so dass sie verborgen ist deinen Blicken

Mit „letzter Sphäre“ ist das Empyreum gemeint, also da, wo Gott sitzt. Dort ist, wie auch immer, alles Sehnen gestillt. Damit der ältere Herr nicht durchgeschüttelt wird, dreht es sich, im Gegensatz zu den anderen Sphären nicht. Deswegen ist da jeder Teil dort, wo er schon immer war. Dass es dort keine Pole gibt steht sicher bei Thomas von Aquin irgendwo. Damit wir aber im 24 Gesang noch ein Prüfung in Scholastik durchstehen müssen, ist es angebracht, uns auszuruhen.

Nur Jakob sah sie einst als Gnadenzeichen
In seinem erklimmen; auf der Welt allein
Blieb meine Regel zum Papierverschwenden

Im Original

Infin là sù la vide il patriarca
Iacobbe porger la superna parte,
quando li apparve d'angeli sì carca

Ganz nach oben konnte schauen, den höchsten
Teil, Jakob, der Patriarch, als sie ihm erschien
mit den Engeln beladen

Erinnern sie sich noch an den Jakob? Das war der, der seinen Bruder ganz fies ausgetrickst hat. Isak mochte Esau, also den Bruder lieber, weil der Fleisch aß und ein so schönes Fell hatte, Mama Rebekka war da schon romantischer, die mochte lieber den Softy. Erbe war aber Esau. Da hat sich Jakob ein Fell übergestülpt und sich vom täppischen Isak zum Erben erklären lassen. Das gab dann ziemlich Zoff, weshalb es Jakob vorzog, zu seinem Onkel Labban zu gehen. Da wiederum stellt sich Jakob ziemlich dusselig an, schläft mit der falschen Tochter und merkt es nicht mal. Auf dem Weg dahin auf jeden Fall, also auf dem Weg zu Labban, hat er einen Traum. Die Geschichte steht bei Genesis 28, 11.

Aber Jakob zog aus von Beer-Seba und reiste gen Haran und kam an einen Ort, da blieb er über Nacht; denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein des Orts und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an dem Ort schlafen. Und ihm träumte; und siehe, eine Leiter stand auf der Erde, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder; und der HERR stand obendarauf und sprach: Ich bin der HERR, Abrahams, deines Vaters, Gott und Isaaks Gott; das Land darauf du liegst, will ich dir und deinem Samen geben. Und dein Same soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Abend, Morgen, Mitternacht und Mittag; und durch dich und deinen Samen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hin ziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht lassen, bis daß ich tue alles, was ich dir geredet habe. Da nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Gewiß ist der HERR an diesem Ort, und ich wußte es nicht; und fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.
Und Jakob stand des Morgens früh auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Mal und goß Öl obendarauf und hieß die Stätte Beth-El; zuvor aber hieß die Stadt Lus. Und Jakob tat ein Gelübde und sprach: So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich in Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der HERR mein Gott sein; und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Mal, soll ein Gotteshaus werden; und von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben.

In der Bibel, und was in der Bibel steht ist wahr, ohne alle Abstriche, steht die Leiter aber auf der ERDE und nicht irgendwo wackelig in der Sphäre des Saturn. Als bibelfester Christ muss der Autor doch erhebliche Bedenken anmelden, wenn das Teil auf einmal ein paar Millionen km weiter nach oben versetzt wird. Es mag ja sein, dass sich das jetzt wieder Thomas von Aquin ausgedacht hat, aber so geht das auf jeden Fall nicht. Unklar ist natürlich trotzdem, wieso die Engel eine Leiter brauchten, um vom Himmel herab, bzw. von der Erde in selbigen hinaufzusteigen. Der Autor dachte immer, die könnten fliegen. Dass Gott eine Leiter braucht, glaubt er eh nicht. Den der traut sich ja nicht mal auf eine der rotierenden Sphären, bleibt im bewegungslosen Empyreum. Dass Gott auf einer Leiter ein paar Tausend km nach unten klettert, ist überhaupt nicht plausibel.

Heute will kein Fuß sich mehr vom Boden wenden,
Sie zu erklimmen; auf der Welt allein
Blieb meine Regel zum Papierverschwenden

Im Original

Ma, per salirla, mo nessun diparte
da terra i piedi, e la regola mia
rimasa è per danno de le carte

Doch sie hinaufzusteigen, hebt niemand
mehr den Fuß von der Erde, und meine
Regel ist vergeudetes Papier

Manchmal hat der große Grimmige aus der Toscana ja echt Humor. Zuerst verpflanzt er eine Leiter, die ursprünglich auf der Erde stand auf einen ein paar Millionen Kilometer entfernten Planeten und dann beschwert er sich, dass sie keiner mehr betritt. Das mit den Regeln verstehen wir dann schon eher. Also durch fasten, kasteien und beten sollte man sozusagen eine geistige Leiter zu Gott emporsteigen, aber wahrscheinlich lagen die Mönche um sechs Uhr Morgen, als die Morgenandacht fällig war, sturzbesoffen in der Koje.

Die Mauern einst uns heiliger Abtein
Sind Räuberhöhlen, und die Mönchskapuzen
Pflegen multrigen Mehles voll zu sein

Im Original

Le mura che solieno esser badia
fatte sono spelonche, e le cocolle
sacca son piene di farina ria

Die Mauern die einst Abteien waren
Sind nun Spelunken, und die Mönchskapuzen
Sind wie Säcke verdorbenen Mehles

Was dem großen Grimmigen am Mönchsleben nicht passte, ist unklar. Das Mönchsleben im Mittelalter ist recht gut dokumentiert, man könnte sich also ein objektives Bild machen, wenn man wöllte, was der Autor aber nicht will. Dante wiederum hätte ja jederzeit die Möglichkeit gehabt, in irgendein Kloster einzutreten, irgendein sittenreines, wo gefastet, kasteit, gebetet und bis zum Umfallen nach oben geschaut wird hätte sich wohl gefunden. Vermutlich war ihm aber auch nicht ganz klar, warum man dies alles tun soll, denn dann kommt man ins Paradies und da ist ziemlich tote Hose, das war ihm wohl auch klar.

Und doch ist selbst des Wucherns schnöder Nutzen
Nicht so verhasst dem Himmel als die Früchte,
Die herzbetörte Mönche sich ertrutzen.

Nicht Vettern oder schlimmerem Geszüchte
Gehört das Kirchengut – man soll es sparen
Der Armut, dass zu ihm sie bittend flüchte

Im Original

Ma grave usura tanto non si tolle
contra 'l piacer di Dio, quanto quel frutto
che fa il cor de' monaci sì folle;

ché quantunque la Chiesa guarda, tutto
è de la gente che per Dio dimanda;
non di parenti né d'altro più brutto

Selbst der schwere Wucher ist nicht so
unvereinbar mit dem Willen Gottes, als
Jene Frucht, die verrückt macht das Herz der Mönche,

denn alles was die Kirche besitzt, gehört
den Menschen die zu Gott flehen, nicht
den Verwandten und nicht noch schlimmeren Leuten

Das Problem bei Dante, in diesem Fall zieht sich das durch bis zu Martin Luther, ist, dass er sich Gedanken macht über Fragen, von denen er nicht mal den blassesten Schimmer einer Ahnung hat. Wird Geld zu enorm hohen Zinsen ausgeliehen (Wucher) und geschieht das in weiten Bereichen einer Volkswirtschaft, dann ist das ein Zeichen dafür, dass zu wenig Geld im Markt ist, betrachtet man die Sache keynesianisch, bzw. die gesamtwirtschaftliche Sparquote zu gering, betrachtet man die Sache unter dem Blickwinkel der klassischen Nationalökonomie. Ein sehr hoher Zinssatz müsste in der Welt de klassischen Nationalökonomie zu einer Erhöhung der Sparquote führen und damit das Geld für investive Zwecke bereitstellen. Allerdings beantworte die klassische Nationalökonomie nicht die Frage, ab wann neues Geld nachgeschossen werden muss. Bei gegebener Transaktionskasse, das Geld, das benötigt wird, um Waren einzukaufen und die im Mittelalter extrem groß war, gehört zu einem bestimmten Bruttosozialprodukt eine bestimmte Geldmenge. Irgendwann sind dann die Möglichkeiten, Geld zu sparen und es damit investiven Zwecken zur Verfügung zu stellen nicht mehr gegeben. Die Geldmenge muss ausgedehnt werden. Die Konsumentenkredite bedürften einer gesonderten Betrachtung, im Grunde ist es aber ähnlich, denn teilweise, etwa beim Kauf eines Autos, sind es investive Ausgaben eines Haushaltes. Das Problem des Wuchers, das sich durch das gesamte Mittelalter zieht, scheint darauf hinzudeuten, dass die Versorgung der Wirtschaft mit Geld aufgrund mangelnder theoretischer Kenntnisse ungenügend war. Wir erleben ja zur Zeit (Jahr 2008), dass wir es bei der Frage wie und in welchem Ausmaß die Wirtschaft mit Geld zu versorgen ist, eines der hochdimensioniertesten Probleme der Politikgestaltung ist. Wir verschieben die Diskussion dieses Problems also auf das nächste Jahr, wo wir dann ein Lehrbuch der VWL schreiben, was wir tatsächlich tun werden. Wundern kann man sich höchstens darüber, wie lange es gedauert hat, bis überhaupt ein Gespür dafür entstanden ist, wie kompliziert die Probleme sind. Dante sieht einzelne Phänomene, die er dann gut oder schlecht findet, es gelingt ihm aber nicht, die Probleme systematisch einzuordnen und man kann sich fragen, ob dies heutzutage allen Leuten gewinnt. Die Demokratie beruht darauf, dass die Leute sich ein Urteil bilden können. Es wäre Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass sie dies können. Zwar funktioniert, folgt man Popper, die Demokratie auch im Blindflug, das ist das Schöne daran, noch besser funktioniert sie aber bei klarem Verstand. Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Terzine. Dante geht davon aus, dass die Klöster keinen Besitz beanspruchen sollten, hier folgt er wohl den Ideen des Franzl von Assisi. Ihr Reichtum soll an die Armen verteilt werden. Der Autor geht eher davon aus, dass nur ein Teil der agraisch nutzbaren Fläche tatsächlich genutzt wurde, der Boden nicht der limitierende Faktor war, aber erhebliche Probleme in der Organisation bestanden. Die Kloster hätten austeilen können soviel sie wollten, das hätte die Lebensbedingungen der Menschen nicht verändert. Uns irritiert nicht, dass Dante weitgehend Müll erzählt, wir können uns höchsten darüber wundern, dass auf anderen Gebieten, etwa der Astronomie, ein gewisser Erkenntnisfortschritt vorhanden war (immerhin wurden ein, wenn auch grottenfalsches, System immer weiter verfeinert) auf anderen Gebieten aber, 1000 Jahre lang quasi nichts passierte, obwohl diese auf das Leben der Menschen eine viel unmittelbarere Auswirkungen hatten. Was uns aber wundert ist, dass niemandem auffällt, was das für ein Müll ist. Ein interessanter didaktischer Ansatz wäre, die skurrilen Vorstellungen Dantes zu allen möglichen Themen gerade zu biegen. Die Sekundärliteratur wie sie die verbeamteten Geistlichen produzieren erweckt aber stark den Eindruckt, dass die gar nicht merken, was das für ein Müll ist. Dante als Mensch des Mittelalters begreifen, würde eben bedeuten, die Diskrepanz zum heutigen Wissensstand aufzuzeigen und weniger den letzten Verästelungen der Lehre des Thomas von Aquin hinterherzusteigen.

Das Fleisch ist schwach und derart unerfahren,
Dass guter Anfang nicht verbürgen kann,
Ob Eichelsaat einst Eicheln lässt gedeihen

Im Original

La carne d'i mortali è tanto blanda,
che giù non basta buon cominciamento
dal nascer de la quercia al far la ghianda

So weich ist das Fleisch der Sterblichen,
dass da unten ein guter Anfang allein nicht garantiert,
dass die Geburt der Eiche auch Eicheln bringe

Wie Dante auf die Idee mit den Eicheln kommt, ist relativ unklar. Interessiert ist der Mensch ja nur an der Eiche, dem Holz, nicht aber an den Eicheln. Suggeriert wird eine Nähe zu Taten und den Früchten dieser Taten etc., was aber bedingen würde, dass Eicheln Früchte sind. Offensichtlich wurden Eicheln damals noch gegessen. Man kann das tun, wenn man durch langes Kochen bei häufigem Wasserwechsel den Eicheln den Gerbstoff entzieht. Des weiteren scheint es noch Eicheln zu geben, die weniger Gerbstoff enthalten. Was der Vergleich hier insgesamt soll, ist ebenfalls unklar. Sagen will er uns wohl, das suggerieren zumindest die folgenden Terzinen, dass man das Fleisch nicht locken soll, dass also in frommer Einfalt und Demut gelebt werden soll, damit das Fleisch gar nicht erst in Versuchung gerät. Allerdings erklärt er uns nicht, welches Ziel mit dieser Askese überhaupt erreicht werden soll, die Anmerkung ist etwas kontextlos und unmotiviert und letztlich nur aus einer Grundstimmung heraus zu begreifen, die durch einen Mix aus Sorge um das Heil im Jenseits und Bewertungen von dem Fleisch zugeschriebenen Eigenschaften wie Gier entstanden ist. Dieser Askese Blödsinn findet sich in vielen Religionen, irgendwo kommt er wahrscheinlich her.

Petrus fing ohne Gold und Silber an
Franz stellte durch Demut seinen Orden,
Ich selbst mit Fasten und Gebet begann

Das würde der Autor jetzt natürlich bestreiten. Sowohl der Franzl von Assisi wie auch Benedikt, bauten Klöster und der Grund und Boden auf dem diese standen wie auch das Baumaterial mussten von irgendwo herkommen. Weiter ist auch kaum anzunehmen, dass die Arbeiter, die diesen Bau errichteten, sich nur vom Gebet ernährten. Das würde an den Grundfesten der Volkswirtschaftslehre rütteln. Eine creatio ex nihilo, eine Erschaffung aus dem Nichts, ist dort nicht vorgesehen. Zwar spielt Kapital im klassischen Sinne eine immer geringere Rolle und der Produktionsfaktor Wissen eine immer größere, aber nach wie vor gilt ex nihilo, nihil. Aus nichts, kommt nichts. Wie sich die oben genannten Orden (die Franzikaner und die Benediktiner) in der Frühphase finanziert haben, wäre zu untersuchen, sich aber nicht von Luft und Liebe, egal wie liebesglutdurchdrungen sie auch gewesen sein mögen.

Blickst du zu jedem Flusses Ursprungsborden,
Verfolgst dann seinen Lauf zum heutigen Stand,
So siehst du schwarz die reine Flut geworden

Im Original

e se guardi 'l principio di ciascuno,
poscia riguardi là dov'è trascorso,
tu vederai del bianco fatto bruno

und wenn du betrachtest den Anfang eines jeden,
kannst du den Weg verfolgen, den er nahm,
wirst du Weißes sehen, das sich in Braunes verwandelt

Es handelt sich hier um ein Merkmal, das qualitativ nur unklar bestimmt ist, somit nicht mit den Möglichkeiten der beschreibenden Statistik beschrieben werden kann. Es gibt wohl alles mögliche. Leute, die so blöd ins Grab steigen, wie sie geboren wurden, Leute, die aus ungünstigen Bedingungen heraus, zu tollen Typen wurden, Leute die aus günstigen Bedingungen heraus zu Schwachköpfen wurden etc. etc. Dante ist ein bisschen griesgrämig, das zeichnet Konservative in der Regel aus, die sind alle ein bisschen griesgrämig und das Paradies liegt irgendwo weit in der Vergangenheit oder irgendwo im himmlisch / göttlichen Megaloch. Das ist im Grunde, zumindest was Dante betrifft, naheliegend. Um die Schönheit dieser Welt zu sehen, muss man vielleicht ein bisschen Dichter sein und ein bisschen Richtung und Kompass haben.

Doch der den Jordan rückwärts einst gewandt
Und flüchten ließ ins Meer, er lässt geschehen
Leicht größere Wunder hier hilfreicher Hand

Im Original

Veramente Iordan vòlto retrorso
più fu, e 'l mar fuggir, quando Dio volse,
mirabile a veder che qui 'l soccorso».

Doch dass der Jordan sich teilte, das
Meer zurückweicht, als Gott dies wollte,
ist größeres Wunder, als hier Abhilfe zu erwarten

Der Jordan teilte sich, als die Israeliten ins gelobte Land einziehen und die Leute platt machen wollten, die bereits da wohnten, da stand Gott der Herr ihnen bei. Sinnvoller wäre natürlich gewesen, er hätte eine Wasserentsalzungsanlage dahin gestellt, das hätte den Kern des Konfliktes von vorneherein entschärft, aber das wäre wohl nicht so romantisch gewesen. Das Rote Meer weicht zurück, als das Volk Israel aus Ägypten auszieht. Noch größerer Wunder als diese bedarf es aber, das ist der Sinn der Terzine, um den von Dante konstatierten sittlichen Verfall Einhalt zu gebieten. Warum Dante sich so brennend für diesen sittlichen Verfall interessierte, ist unklar. Für ihn selber hatte dieser ja keinerlei Konsequenzen, es hätte ihm eigentlich auch egal sein können.

So sprach er und ich sah zurück ihn gehen
Zum Geisterchor, und engverschlungen schossen
Sie aufwärts wie durch Wirbelwindeswehen

Auch hier müsste man, hätte man es mit einer humanoiden Lebensform zu tun, von einem nicht angepassten Sozialverhalten sprechen. Er erzählt einen ziemlichen Stuss und verabschiedet sich dann, wie wenn er die letzten Fragen der Menschheit gelöst hätte.

Und ich mit meiner Herrin nach die Sprossen
Durch ihren leisen Wink: Weil ihre Kraft
Gefügig ganz mein Wesen hielt umschlossen

Hier, wo man mühsam klimmt und bald erschlafft,
Gab‘ s niemals von Natur solch rasches fliegen
Als ich zur Höh blitzschnell ward entrafft

Dann fragen wir uns natürlich, was die Leiter da überhaupt soll. Er ist zwar emporgestiegen, fliegt aber genauso nach oben, wie er das schon die ganze Zeit tut.

So schnell kann keine Hand durch Feuer fahren,
Als nach dem Stier das nächste Sternenbild
Wir sahn und – kaum gesehn – schon in ihm waren!

O Sterne, die euch Keimkraft reich durchquillt
Glorreiche, ihr gabt mir den Gottesfunken,
Wie klein er sei, der mir im Herzen schwillt

Im Original

tu non avresti in tanto tratto e messo
nel foco il dito, in quant'io vidi 'l segno
che segue il Tauro e fui dentro da esso

O gloriose stelle, o lume pregno
di gran virtù, dal quale io riconosco
tutto, qual che si sia, il mio ingegno

So viel Zeit hättest du nicht gehabt, um den Finger
ins Feuer zu legen, wie ich brauchte um das Zeichen
das auf den Stier folgte zu sehen und darin zu sein

oh herrliche Sterne, oh mit Tugend
Erfülltes Licht, das mich ganz erkennen lässt,
wie klein sie auch seien, meine Talente

Nach dem Stier kommen die Zwillinge. Von den Zwilligen wurde angenommen, dass sie sich auf die Kunst und Weisheit im Allgemeinen und auf die Poesie im Besonderen günstig auswirken. Dante wurde im Tierkreiszeichen der Zwillinge geboren. Sollte es also noch eines Beweises bedurft haben, dass Astrologie Hokuspokus ist, dann ist er jetzt erbracht. Denn über Dante kann man vieles sagen, typisch mittelalterlicher Mensch, keine individuelle Verarbeitung der Erlebnisse, geringe emotionale Tiefe, Anzeichen einer psychochotischen Wahrnehmungsstörung, extreme Ichbezogenheit, Griesgrämigkeit, aber eines Eigenschaften wie poetisch, künstlerisch begabt oder gar weise wird ihm keiner zuschreiben. Es handelt sich hierbei um eine reine Selbsteinschätzung Dantes und er hätte natürlich in jedem anderen Tierkreiszeichen landen können. Was er allerdings mit „e fui dentro da esso“ meint, ist ein Rätsel. Das Sternbild der Zwillinge wird geformt aus einzelnen Sternen (Pollux, Castor, Tejat Posterior, Mebsuta etc.). Wenn er da jetzt DRIN ist, dann schwebt er irgendwo im Weltraum. Was Sie also schon immer ahnten, hier können sie es live beobachten. Wenn der Sprache das empirische Substrat verloren geht, haben sie irgendwann mal einen Zustand, wo das Gehirn losgelöst von allem durch das Universum wabbert. Den tiefsten Sinn der Divina Commedia hat als Nena erfasst und das sogar ohne das Teil überhaupt gelesen zu haben.

Voellig losgelöst von der Erde
Schwebt das Raumschiff völlig schwerelos.

http://www.youtube.com/watch?v=KoidJVAMAVE

Die Variante ist zwar nicht von Nena, ist aber das gleiche. Sie sehen also, es gibt zwar höchst unterschiedliche Gründe, warum die Sprache ihres empirischen Substrates beraubt wird, aber das Ergebnis ist immer irgendwie das Gleiche.

Mit euch stieg auf und ist hinabgesunken
Die Mutter, die Alleben gibt und nährt,
Als ich zuerst Toskanerlust getrunken

Im Original

con voi nasceva e s'ascondeva vosco
quelli ch'è padre d'ogne mortal vita,
quand'io senti' di prima l'aere tosco;

mit euch ward geboren und verbarg sich mit euch
jene die der Vater ist alles irdischen Lebens,
als ich zum ersten mal fühlte, die Luft der Toscana

Es gibt hier zwei Wörter, die Probleme bereiten. Ascóndere ist wohl das Gleiche wie das Spanische esconder (verstecken) und vosco soll wohl cum vobis (mit euch) werden. Übersetzt man es wörtlich wird es zwar inhaltlich etwas verwickelt, aber sagen will er uns, dass die Sonne im Tierkreis der Zwillinge stand, als er geboren wurde. So richtig tut sie das zwar nie, weil wenn die Sonne da ist, sieht man das Sternzeichen nicht und wenn das Sternzeichen da ist, sieht man die Sonne nicht, aber irgendwie reden davon alle. Die Sonne steht im Sternzeichen xy. Streng genommen ist das ja Blödsinn.

Und jetzt, wo Gott die Gnade mir gewährt,
In eures Rades Schwingung einzutauchen,
Grüsst eure Region mich mildverklärt

Im Original

A voi divotamente ora sospira
l'anima mia, per acquistar virtute
al passo forte che a sé la tira.

Ihr seid es, die meine Seele jetzt
Ersehnt, um zu erlangen jene Kraft
Für den großen Schritt, der sie treibt

Das müssen Sie nicht verstehen, es handelt sich um das merkwürdige, aus sich eines Humanoiden, Sozialverhalten einer nicht humanoiden Lebensform. Er spricht mit den Sternen ! (…mit euch ward geboren…, …in eures Rades Schwingung…). Das ist aber weitgehend egal. Wenn die Sprache kein empirisches Substrat mehr hat, braucht sie auch keinen Adressaten mehr. Einen Adressaten braucht sie nur, wenn noch ein empirisches Substrat vorhanden ist, dann besteht die Hoffnung, dass das empirische Substrat des Adressaten ähnlich ist, dann kann man kommunizieren. Wenn aber gar kein empirisches Substrat vorhanden ist, kann man sich auch mit jemandem unterhalten, der sowas gar nicht besitzt, also zum Beispiel mit einem Stern. Die Zwillinge, die also die Poesie, Dichtung, Weisheit günstig beeinflussen, sollen ihm die Kraft geben, für den großen Schritt, also für die Vollendung der Beschreibung des Paradieses, die zu Vollenden sich seine Seele (anima) sehnt. Was die Musen, der Chef der Musen Apollo und wenn er noch alles bislang angerufen hat, nicht geschafft haben, werden auch die Zwillinge nicht schaffen. Wo nix is, is nix. Entweder man frisst aus Bequemlichkeit Thomas von Aquin bzw. eine andere Ideologie oder man wird halt Dichter. Beides zusammen ist nicht im Angebot. Es gibt ja auch dichtende Professoren und sogar schreibende Päpste. Das wird auch nix. Faulheit ist nicht die Welt des Dichters und Dichtung funktioniert nicht nach den althergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums.

„Du bist so nah des Heiles letzter Küste“,
Sprach Beatrice, „dass ich doppelt scharf
Und doppelt hell jetzt gern dein Auge wüsste.

Eh drum dein Fuß dem Heil sich nähern darf,
Blick nieder – sieh: wie viel von deiner Welt
Zurückblieb, die dein Fuß sich unterwarf,

Dass deinem Herzen, freundenglanzerhellt,
Die Triumphierenden sich nun verklären,
Die durch Äther wandeln lustgesellt.“

Im Original

«Tu se' sì presso a l'ultima salute»,
cominciò Beatrice, «che tu dei
aver le luci tue chiare e acute;

e però, prima che tu più t'inlei,
rimira in giù, e vedi quanto mondo
sotto li piedi già esser ti fei;

sì che 'l tuo cor, quantunque può, giocondo
s'appresenti a la turba triunfante
che lieta vien per questo etera tondo»

“So nah bist du nun der Gesundung”,
begann Beatrice, „dass deine Lichter
Rein sein müssen und scharf;

jedoch, bevor du tiefer dringst,
schau nach unten, und sieh, wieweit
der Weg, den du bereits beschritten;

so dass dein Herz, so weit wie möglich, freuderfüllt
entgegen tritt der triumphierenden Schar die fröhlich
erscheint in dieser ätherischen Runde

Na ja, so als Situationsbeschreibung geht das ja, das ist bei Reinhard Mey.

Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste alle Sorgen sagt man, blieben darunter verborgen
und plötzlich alles was uns groß und wichtig erscheint
plötzlich nichtig und klein

Der Autor schließt daraus, dass Reinhard Mey noch nie nach Neuseeland geflogen ist. Nach 20 Stunden wünscht man sich nichts sehnlicher, also wieder auf der Erde zu sein. Dante allerdings ist noch nie geflogen, daher die Terzine.

Ich spähte abwärts durch die sieben Sphären
Auf unsern Globus: und dem dürftigen Balle
Konnt ich ein Mitleidslächeln nur gewähren

O Weisheit, die da rät in jedem Falle
Verachtung unserer winzigen Welt als Pflicht!
Zum Licht empor! Sei Richtschnurr für uns alle.

Der Katholizismus ist schon eine urige Ideologie. Auf der einen Seite landete man auf dem Scheiterhaufen, wenn man die Erde um die Sonne drehen lässt, weil dann ja Gottes Schöpfung nicht mehr im Zentrum des Universums steht, auf der anderen Seite freut man sich, wenn man das ganze Mal von oben betrachtet und die Erdkugel dann winzig ist; das rät die Weisheit, Verachtung für unsere winzige Welt. Ganz schön bluna.

Ich sah Latones Tochter voll im Licht
Und ohne die bewusste Schattenzone,
Die erst mich raten ließ auf „Dünn und Dicht“

Im Original

Vidi la figlia di Latona incensa
sanza quell'ombra che mi fu cagione
per che già la credetti rara e densa

Ich sah Latonas Tochter erleuchtet ohne
jenen Schatten, der eins Anlaß für mich
war zu glauben, dass sie manchmal dicker, manchmal dünner

Latonas Tochter ist Diana. Das ist die, die ein Techtemechtel mit Zeus hatte, was dann wiederum Hera erboste, die dann wiederum die Erde beschwor, auf keinem Land niederkommen zu dürfen, das bereits existierte, worauf die Götter Delos entstehen ließen, eine Erde, die zum Zeitpunkt der göttlichen Anordnung noch nicht existierte. Dort brachte sie dann Diana und Apollo auf die Welt. Das mit dem dick und dünn hatten wir auch schon, im zweiten paradiesischen Geträller. Die Mondflecken erklärte man sich im Mittelalter mit der unterschiedlichen Dichte. Im zweiten Geträller hat er uns erklärt, dass das Glanzlicht von oben nicht einhellig strahlt, deswegen haben sie Flecken. Von oben betrachtet haben wird der Mond jetzt gleichmäßig bestrahlt, deswegen hat er keine mehr. Wir vermuten, dass Dante recht hat, denn im Gegensatz zu uns ist er schon mal um die Sterne geflitzt, die das Sternbild des Zwillings formen. Er müsste uns nur noch erklären, wie er von da aus den Mond sehen will. Wir sind ja durchaus der Meinung, dass die Bildungschancen der Menschheit höchst, aber höchst unterschiedlich sind, in manchen Teilen der Erde ja inexistent. Aber alles verstehen, heißt nicht alles verzeihen.

Den Anblick von Hyperions starkem Sohne
Ertrug mein Aug und sah dann ungeblendet
Ihn eng umkreist von Maja und Dione

Im Original

L'aspetto del tuo nato, Iperione,
quivi sostenni, e vidi com'si move
circa e vicino a lui Maia e Dione

Den Anblick deines Sprosses, Hyperion,
Konnte ich ertragen, und ich sah wie in
Seiner Nähe Maia und Dione kreisten

Hyperion ist ein Titan (also hervorgegangen aus der Verbindung zwischen Gaia und Saturn) und der Sohn der Sonne. Wieso er jetzt auf einmal feststellt, dass er den Anblick der Sonne etragen konnte, ist schleierhaft. Wir hätten uns eher gefragt, wie er den Anblick der Sonne etragen hat, als er da war. Aus einer Entfernung von ein paar Millionen Kilometer ist das Licht der Sonne eher zu ertragen, als wenn man direkt da ist. Maia ist eigentlich nur insofern bekannt, als sie zusammen mit Zeus (yep, der schon wieder) Hermes zeugte. Hermes wird aber bei den Römern zu Merkur und auf dem Planeten Merkur war Dante auch schon. Mit der Dione wird das ein bisschen schwierig. Damit referenziert Dante eigentlich Venus, das ist der Planet, den er nach dem Merkur besucht hat. Venus hat aber gar keine Eltern, sie entstand ja, als Kronos seinem Rabenvater Uranus was Wesentliches absäbelte und das ins mehr warf. Da entstand dann Venus. Es gibt wohl Mythen, die Dione als Mutter der Venus ins Spiel bringen, aber die sind ziemlich abseitig. Als Dante meint höchstwahrscheinlich die Venus.

Sah Jupiter, wie er sein Zwielicht spendet
Zwischen Saturn und Mars, und durfte lernen,
Wie stellungswechselnd ihre Bahn sich wendet

Im Original

Quindi m'apparve il temperar di Giove
tra 'l padre e 'l figlio: e quindi mi fu chiaro
il variar che fanno di lor dove;

Dann erschien der matte Schein des Jupiters
zwischen Vater und Sohn: Da ward mir deutlich
Warum sie wechseln ihr Stellung

Das temperar bereitet Probleme. Als Adjektiv (der Artikel macht aus dem Adjektiv ein Substantiv) oder als Substantiv existiert das Wort nicht. Das Verb temperare heiß mäßigen, was sich sinnvoller Weise ja nur auf das Licht beziehen kann, das gibt dann sowas wie matter Glanz, würde auf einen matt scheinenden Planeten hindeuten. Tatsächlich ist aber Jupiter nach Sonne, Mond und Venus das hellste Objekt am Sternenhimmel, also überhaupt nicht matt. Vater und Sohn ist Saturn und Mars. Die genauen Beziehungen sind nicht deutbar. Bezieht man beide auf Jupiter, dann wäre Saturn der Vater des Jupiters, er ist aber eher der Opa. Gaia zeugt mit Saturn die Titanen, einer davon ist Kronos. Kronos zeugt mit Rhea die Götter, einer davon ist Zeus. Der Vater des Mars ist unbestimmt, es gibt mehrere Mythen dazu. Es im Innenverhältnis zu deuten, Saturn als Vater des Mars, ist dann noch schwieriger. Das mit dem Stellung wechseln hatte wir schon mal. Wir wundern uns jetzt nur, dass Dante uns jetzt mitteilt, dass er das erst jetzt durchschaut, wo er uns doch schon früher mitgeteilt hat, dass er da voll durchblickt. Es geht um das Phänomen, dass sich Planeten manchmal vor dem Sternenhimmel nicht von West nach Ost bewegen, das ist der Normalfall, sondern für kurze Zeit auch von Ost nach West. Dieses Phänomen führt dann bei Ptolemäus zur Epizykeltheorie. Beschrieben wird diese auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Epizykeltheorie. Die heute gültige Erklärung für das Phänomen finden Sie hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Planetenschleife. Wieso Dante dieses Phänomen allerdings besser durchschaut, weil er jetzt durch den Weltraum schwebt, ist sein Geheimnis. Er wollte uns auf jeden Fall mitteilen, dass ihm das Phänomen bekannt ist und er es auch erklären kann. Dafür geben wir ihm die Note 3,5 und als Kopfnote im Bereich Fleiß vergeben wir 1. Mehr als 3,5 können wir nicht vergeben, denn er hat ja tatsächlich nur geschildert, dass er das Phänomen kennt, er hat aber nicht geschildert, wie es entsteht. Und wir finden, dass wir das mit 3,5 gnädig beurteilt haben. Denn wir können aus dem Vorgetragenen nicht beurteilen, ob er es tatsächlich verstanden hat.

Und ich bemaß an all den sieben Sternen,
Wie die Kolosse durch des Weltraums Pracht
Getrennt hinrasen in ungleichen Fernen

Im Original

e tutti e sette mi si dimostraro
quanto son grandi e quanto son veloci
e come sono in distante riparo

und alle sieben zeigten mir
wie groß sie sind und wie schnell
und wie weit der eine vom anderen entfernt

hm. Da kann man nur mit Schiller sagen

nicht der Menge mühsam abgerungen
sondern leicht, wie aus dem Nichts entsprungen
steht das Bild vor dem entzückten Blick

Der rotiert als da oben in den unendlichen Weiten des Weltraums, in Gegenden, die nie ein Mensch betreten, auf der Suche nach neuen Lebensformen und vermisst so Pi mal Daumen auch noch gleich den Quadranten. Das ist der Autor jetzt wirklich platt. Er wollte vor kurzem mal wissen, ob ein Schwimmbad in Berlin tatsächlich 50 m lang ist oder mehr (das ist noch so ein Sprungturm Becken dabei, deswegen ist das etwas unklar) und das hat er nicht geschafft. Aber der Dante, der misst so mal kurz hingeschaut Millionen von Kilometern und astronomische Geschwendigkeiten, dunnerlüttich. Mit sieben meint Dante Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn. Neptun, Pluto, Uranus waren damals noch nicht im Angebot.

Das Staubkorn aber, das so stolz uns macht-
Ein Blick umfasst‘ s mit Meer, Gebirg und Talen,
Als ich vom Zwillingsstern es nahm in acht

Im Original

L'aiuola che ci fa tanto feroci,
volgendom'io con li etterni Gemelli,
tutta m'apparve da' colli a le foci;

poscia rivolsi li occhi a li occhi belli

Die Erde, die so stolz uns macht,
erschien mir ganz mit Bergen und mit Tälern,
als mit den ewigen Zwillingen kreiste

dann richtete ich die Augen, zu den schönen Augen

Damit verlagert er dann die Argumentation. Das irdische Jammertal ergibt sich nicht mehr aus der Tatsache, dass seine Zeitgenossen allesamt jämmerlich sind, also aus einer durch den Menschen und seiner behaupteten Schlechtigkeit heraus, sondern wird ganz prinzipiell als, völlig unabhängig von den Bewohnern der Erde, als nichtig angesehen. Unter diesen Auspizien kann es also hienieden keinen utopischen Horizont geben. Der große grimmige aus der Toskana textet allmählich wie Mephistopheles in Goethes Faust.

Bescheidne Wahrheit sprech ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt
Gewöhnlich für ein Ganzes hält-
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange;
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird's zugrunde gehn.

Das ist, ähnlich wie bei Dante, jetzt Fundamentalopposition. Es geht nicht mehr um das Jammertal, das die Menschen veranstalten, es geht um die Nichtigkeit alles Seins an und für sich. Diese Fundamentalopposition ist zwar in der Regel lediglich schlechter Laune geschuldet, entsteht wohl aber auch dann, wenn in großen Teilen der Bevölkerung der Durchblick fehlt.