Nach Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars geht‘ s jetzt hinauf zu Jupiter. Das Paradies quer durch die Planeten zu verteilen ist immerhin mal eine originelle Vorstellung. Schon durch die örtliche Bestimmung wird klar, dass das Paradies ganz und gar unirdisch ist, doch leider erfahren wir auch im Kreis des Jupiters nicht, warum wir dahin gehen sollten.

Schon freute sich allein der Himmelserbe
Des eignen Wortes – ich erwog das meine
Und milderte durch Süßigkeit das Herbe.

Im Original

Già si godeva solo del suo verbo
quello specchio beato, e io gustava
lo mio, temprando col dolce l'acerbo;

Schon freute sich alleine jener heilige
Spiegel seines Wortes, und ich genoss
Das meine, das Süße mit dem Bitterem mischend

hm. Soll das heißen, dass der gute Cacciaguida weitergequasselt hat, während Dante und Beatrice sich in Richtung Jupiter entfernten ? Also Leute, die einfach vor sich hinplappern, bezeichnet man ja normalerweise als meschugge, aber im Paradies wohl nicht. Es gibt noch andere Leute, die zu Monologen neigen und sich gerne selber hören. All jene nämlich, die sturzbesoffen sind. Dante genießt auf jeden Fall die Mischung aus süß und bitter. Süß, weil Cacciaguida ihm Ruhm prophezeit (was übrigens tatsächlich eine Prophezeiung ist, denn dass die Divina Commedia sich mehr als 100 Mal verkauft, hätte kein Lektor beim Suhrkamp, Insel, Kiepenheuer & Witsch etc. etc. vermutet) und bitter, weil er ihm das Exil prophezeit, was aber, aus den oben genannten Gründen, keine Prophezeiung ist.

Da sprach, die mich zu Gott geführt, die Reine:
„An andres denke! Denk: Wie nah ich bin
Dem, der die Unbill tilgt, wie hart sie scheine!“

Im Original

e quella donna ch'a Dio mi menava
disse: «Muta pensier; pensa ch'i' sono
presso a colui ch'ogne torto disgrava».

Und jene Frau, die zu Gott mich führte
sagte: „Auf anderes sinne; denk wie nah
Ich bin dem, der alles Unrecht tilgt.“

Also nah ist relativ. Wenn ich das Recht sehe, führt der Weg zu Gott noch durch 16 göttliche Geträller, in denen, um es mal höflich zu formulieren, höchst abstrakte Fragen auf eine noch abstraktere Art beantwortet werden. Seien Sie mal ehrlich, Sie gehen ja jetzt schon in die Knie und ich wette, Sie sind noch nicht mal drei Wochen dabei. Das ist aber nix. Im Paradies geht das eine EEWWIIGGKKEEITT so. Tun Sie also was. Binden Sie Nachbars Hund einen Luftballon an den Schwanz oder dem Offizier der Reserve einen Katalog von Beate Uhse nebst einigen Überraschungen (natürlich nur, wenn er tatsächlich verheiratet ist, aber Vorsicht, ist strafbar, Autor hat Erfahrung) oder der Doktorin der Theologie und uns Bildungsministerin einen Gutschein für einen Kurs an der Volkshochschule (Einführung in die VWL), also irgendwas Schreckliches, Sündiges, sonst landen Sie bei den Theologen auf alle Ewigkeit. Amen.

Solch Liebesruf zog gleich zu ihr mich hin,
Auf deren heilger Stirn ich Schönheit schaute,
Wie sie zu schildern nie erlernt mein Sinn;

Im Original

Io mi rivolsi a l'amoroso suono
del mio conforto; e qual io allor vidi
ne li occhi santi amor, qui l'abbandono:

Diesem süßen Tone, der mir Linderung schafft
Wandte ich mich zu; und was ich dann gesehen
In den heiligen Liebesaugen, darüber schweig ich

In der nächsten Terzine erklärt er uns dann, warum er es unterlässt, was er in diesen heiligen Liebesaugen gesehen hat. Das können Sie aber vergessen, er hat gar nichts gesehen. Das ist wieder die Geschichte mit dem himmlisch / göttlichen Megaloch. Im übrigen, selbst über ein göttlich / himmlisches Megaloch hätte man irgendwas schreiben können, wenn der Ansatz eines empirischen Substrates vorhanden gewesen wäre, z.B. sowas

Den Klang ihrer Stimme möchte ich hören
wenn ich ganz bereit bin, zu empfangen
Ihr Antlitz möchte ich schauen, wenn ich sterbe

Das ist zumindest psychologisch eher nachvollziehbar, als die ständige Lichtorgel. Vielleicht ist es angenehmer, von der Weltbühne abzutreten, wenn das Letzte, was man sieht, eine Beatrice aus der Vita Nova ist.

Nicht, dass ich meinem Wort allein misstraute,
Auch, weil in sich zurückzugehn so weit,
Wenn Gott nicht beisteht, dem Gedächtnis graute.

Im Original

non perch'io pur del mio parlar diffidi,
ma per la mente che non può redire
sovra sé tanto, s'altri non la guidi

Nicht, dass ich meinen Worten mißtraute,
doch unmöglich ist‘ s dem Geist zu schildern
Was so weit liegt zurück, wenn ein anderer ihn nicht leitet

Tut er nicht, seinen Worten traut er, das nehmen wir ihm ab. Was wir ihm nicht abnehmen ist, dass er bei seiner Jenseitsreise überhaupt irgendwas erlebt hat, was man nicht auch auf Erden hätte erleben können. Um einen Vortrag über die göttliche Gnade, die Armut, den freien Willen, die verschiedenen Seelen etc. etc. zu hören, braucht man nicht auf den Jupiter zu wandern, das kann man in jeder Bibliothek haben. Und immer dann, wenn er was erlebt haben will, was man nicht in jeder gut bestückten Bibliothek findet, setzt sein Gedächtnis aus, findet er keine Worte, ist es prinzipiell unbeschreiblich oder der Leser ist zu dämlich bzw. die Tiefe des Erlebnisses ist schlicht außerirdisch. Wir würden schlicht sagen, Dante fehlen ganz prinzipiell die Organe, um irgend etwas zu erfahren, was außerhalb von zwei Buchdeckeln liegt. Unter diesen Auspizien ist das Paradies genauso öde wie das irdische Jammertal. Jenen berühmten Schlüssel der Romantik, der die Welt erklingen lässt, besitzt Dante offensichtlich nicht.

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen
Triffst du nur das Zauberwort.

Eichendorf

Den Schlüssel findet man aber nur, wenn man sich auf die Dinge einlässt. Man kann auch zwischen zwei Buchdeckeln Überraschendes finden, allerdings muss man das verarbeiten können. „Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm“ heißt es bei Goethe. Dante hat das gleiche Problem wie der Touri im modernen Massentourismus. Der will auch nirgends hin, der will nur weg. Wer aber aus einer stumm gewordenen Welt flieht, hat gute Chancen, eine genau so stumme Welt zu finden und dieser Fall liegt bei Dante vor. Hätte er Organe gehabt für diese Welt, hätte er auch was schreiben können über jene Welt. Dante will uns suggerieren, er hätte was erlebt, sei aber an der Mitteilung verhindert. Die Sache ist anders. Er hat nichts erlebt, weder im Himmel noch auf Erden. Seine einzige Leistung besteht darin, mit so wenig so viele Terzinen zu schmieden.

Nur das gesteh ich: in der ganzen Zeit,
Als ich den Blick ließ an der Herrin hangen,
Erquickte wunschlos mich Genügsamkeit,

Im Original

Tanto poss'io di quel punto ridire,
che, rimirando lei, lo mio affetto
libero fu da ogne altro disire,

Nur soviel kann ich sagen, dass,
bei ihrem Anblick, ich frei war
von jedem anderen Begehren

So was kann es geben, eine Empfindung kann so stark sein, dass man alles andere vergisst. Man kann auch hin und weg sein beim Anblick einer Frau. Das Problem ist, dass dieser Tatbestand bei Dante über die Darstellung eines objektiven Sachverhaltes nicht hinauskommt. Ist man von einer Frau hin und weg, dann klingt das in etwa so:

Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht
Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht.

Interessant bei Dante wäre lediglich, ob dieses totale Unvermögen (im Grunde findet noch jeder durchschnittlich begabte Durchschnittseuropäer treffendere Worte für seine Gefühle) allein durch die Zeit bedingt war, ob also der mittelalterliche Mensch grundsätzlich eine wandelnde Mumie war oder ob außerhalb der Buchdeckel das Leben tobte. Und wenn der Mensch des Mittelalters eine wandelnde Mumie war, dann wäre es interessant zu wissen, ab wann und durch was verursacht die Komplexität der Empfindungen zunahm. Anzunehmen ist aber, dass das Problem bei Dante liegt, denn erstens gibt es ja noch Petrarca (nur 39 Jahre jünger) und zweitens stammt ja auch von Dante selbst die Vita Nova. Die Wurzel allen Übels ist also Thomas von Aquin und Konsorten und der Katholizismus.

Weil sie vom Himmel, der ihr Aug mit Prangen
Erhellte, durch ihr schönes Angesicht
Beseligenden Widerschein empfangen.

Im Original

fin che 'l piacere etterno, che diretto
raggiava in Beatrice, dal bel viso
mi contentava col secondo aspetto.

Weil die ewige Freude, die unmittelbar
In Beatrice strahlte, mich von ihrem
Schönen Antlitz der Widerschein traf

Beatrice fängt also wieder an zu glänzen. Zwar ist der Abstraktionsgrad in der folgenden Terzine geringer, immerhin bringt er das Licht ja mit ihrem Lächeln in Verbindung, aber reichlich hoch ist er immer noch.

Besiegend mich mit eines Lächelns Licht,
Rief sie: „Blick auf und höre! Denn dir spendet
Mein Aug allein das Paradies doch nicht?“

Im Original

Vincendo me col lume d'un sorriso,
ella mi disse: «Volgiti e ascolta;
ché non pur ne' miei occhi è paradiso».

Mich mit dem Licht ihres Lächelns bezwingend,
sagte sie: „Dreh dich um und höre;
durch meine Augen allein gelangst du nicht ins Paradies“.

Dass einem durch das Lächeln einer Frau mal der Herzschlag aussetzt, ist schon denkbar, die Behauptung aber, dass dieses Lächeln für das himmlisch / göttliche Megaloch begeistert, wäre so ähnlich wie die Behauptung, dass eine attraktive Steuerberaterin eine Faszination für Buchhaltung hervorrufen kann. Zumindest was den Autor betrifft, kann man feststellen, dass es Dinge gibt, für die man einfach nicht begeistert werden kann. Es wäre zwar zweifelsfrei eine Revolution und würde die Studis zum Toben bringen, wenn Juliette Binoche (assistiert von Julia Roberts, wow!) anstatt eines glatzköpfigen Fettwanstes mit ausrangierten Zähnen einen Vortrag hält über aktivierungspflichtige Aufwendungen, aber nachhaltig wäre die Wirkung nicht. (Wahrscheinlich würde das Gegenteil eintreten; die würden absichtlich durch die Prüfung segeln, damit sie das Schauspiel nochmal erleben können.)

Wie oft ein äußres Zeichen sichtbar sendet
Der Wunsch, dem ganz das Herz sich überließ,
Dass er im Antlitz als ein Abglanz endet,

So sah ich, als sie nach dem Geiste wies,
Dass er umloht von hellerm Glutgeblitze,
Was mir ein freundlich Schlusswort noch verhieß.

Im Original

Come si vede qui alcuna volta
l'affetto ne la vista, s'elli è tanto,
che da lui sia tutta l'anima tolta,

così nel fiammeggiar del folgór santo,
a ch'io mi volsi, conobbi la voglia
in lui di ragionarmi ancora alquanto.

Wie man hier sieht manches Mal
In den Augen die Liebe sieht, wenn sie so groß,
dass die ganze Seele von ihr gefangen,

so schien es, dass die Flammen der heiligen Glut,
zu der ich mich nun wandte, in sich die Lust verspürte
mir noch etwas anderes mitzuteilen

Also die Flamme ist Cacciaguida, der hört sich selber gerne reden und brabbelt, das haben wir im vorigen Gesang erfahren, auch mit sich selbst, wenn niemand da ist. Dieses Gequatschte interpretiert Dante jetzt aber anders. Er interpretiert das so, dass Cacciaguida so vor Liebe strahlt, dass er was erzählen will. Dante hat offensichtlich, im Gegensatz zum Autor, noch nie als Taxifahrer gearbeitet und die ganzen Betrunkenen von der Kneipe abgeholt. Die quatschen ohne Unterlass, bei totaler Abwesenheit aller Liebe.

Er sprach: „In dieses Baumes fünftem Sitze,
Der stets voll Frucht, dem Blätter nie entfallen,
Der Nahrung saugt aus seines Wipfels Spitze,

Sind selge Geister, deren Erdenwallen
In so gewaltgem Ruhmeslauf bestand,
Dass stets der Musen Lieder davon schallen.

Im Original

El cominciò: «In questa quinta soglia
de l'albero che vive de la cima
e frutta sempre e mai non perde foglia,

spiriti son beati, che giù, prima
che venissero al ciel, fuor di gran voce,
sì ch'ogne musa ne sarebbe opima

Und er begann: “Auf dieser fünften Stufe
Des Baumes der vom Gipfel sich nährt
und weder Frucht noch Blatt jemals verliert,

sind selige Geister, die auf Erden,
bevor sie in den Himmel kamen, von sich reden machten,
so dass jede Muße daraus sich wüsste zu inspirieren
Mit der fünften Stufe ist der Mars gemeint, wobei alle Planeten jetzt einen Baum bilden. Wie man in Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars einen Baum sehen kann, ist ein Rätsel, insbesondere deswegen, weil ein Baum keine Stufen hat und sich auch nicht von oben ernährt, sondern von unten. Wir sehen schon, dass Dante uns sagen wollte, wie völlig neu im Paradies alles ist und sich die Bäume dort von oben ernähren, aber leider ist der Baum an sich schon hirnrissig. Es spielt dann schon gar keine Rolle mehr, ob der Blätter und Frucht verliert oder nicht. Genauso passend wäre ein Vergleich mit einem Blumenkohl:

Wie festverankert jeder Zweig
an einem grünen Stile, und nur kleiner
wird, wenn er im Kochtopf landet

Die Geister im Blumenkohl sind jetzt irgendwelche herrlichen Recken, die zu Gottes Lob und Preis auf dem Schlachtfeld gestorben sind.

Sieh dahin, wo das Kreuz die Arme spannt:
Aufleuchten wird, wen ich dir werde nennen,
Als ob ein Blitz durchreißt die Wolkenwand.

Und wirklich sah ich einen Blitz dort rennen
Beim Namen Josua so schnell! dass Wort
Und Wirkung voneinander nicht zu trennen.

Der Blitz, der da aufleuchtet, als sein Name genannt wird ist Josua, eine Gestalt des alten Testaments. Er bekämpfte unmittelbar nach der Flucht des Volks Israel erfolgreich die Amalekriter und führte es ins gelobte Land.

Den hohen Makkabäer sah ich dort
Sich leuchtend drehn, und Wonne trieb im Schoße
Der Glut als Peitsche diesen Kreisel fort.

Im Original

E al nome de l'alto Macabeo
vidi moversi un altro roteando,
e letizia era ferza del paleo

Und beim Klang des Namens des hohen
Makkabäers sah ich drehend einen anderen,
und die Freude war des Kreisels Schnur

Ein Kreisel ist ein Kinderspielzeug, das mit einer Schnur angetrieben wird. Es sieht so aus:

Also irgendwie wickelt man die Schnur um den Kreisel und lässt ihn so aus der Hand gleiten, dass er sich in Drehung versetzt. Anschließend dreht er sich dann eine Weile um seine eigene Achse. So wie also die Schnur Antrieb des Kreisels, ist die Freude der Grund, warum der Makkabäer rotiert. Der Autor hat das natürlich nie gespielt, er schwang sich lieber an Tarzanschwingen von Baum zu Baum, baute Baumhäuser und flog ab und an mächtig auf die Fresse. Mit Makkabäer ist Judas Makkabäus gemeint. Wie der es allerdings ins Paradies geschafft hat (die gleiche Frage könnte man sich auch bei Josua stellen) ist völlig unklar, denn er wurde ganz eindeutig lange, lange vor Christi geboren und war garantiert ungetauft. Obendrein hat Dante die Juden doch im Allgemeinen ziemlich auf dem Kicker, die haben doch, was in Ordnung war, den menschlichen Teil von Jesus gekreuzigt, kreuzigten damit aber zwangläufig, was nicht in Ordnung war, auch den himmlischen Teil. Judas Makkabäus führte die Aufständischen gegen das Reich der Seleukiden. Nach einer längeren Vorgeschichte spitzt sich der Konflikt 168 vor Christus zu, als der Herrscher des Seleukidenreiches, Antiochus III, den Tempel von Jerusalem Zeus weihte und die Ausübung des jüdischen Kultes verbot. Mattathias, ein jüdischer Priester, flüchtete daraufhin mit seinen Söhnen und einigen Anhängern in die Wüste, um von dort das Seleukidenreich zu bekämpfen. Nach seinem Tod übernimmt Judas Makkabäus die Führung. Die Makkabäer konnten durch militärische Maßnahmen nie ihre Unabhängigkeit erringen, allerdings zerfiel das Seleukidenreich durch interne Machtkämpfe, wodurch sie dann doch unabhängig wurden. Eine Unabhängigkeit, die bis zum Jahre 63 vor Christus anhielt, als Pompeius Jerusalem eroberte.

Held Roland dann erschien und Karl der Große;
Ich folgte ihrem Flug mit Spähermienen
Wie Jäger spähn, wohin ihr Falke stoße.

Im Original

Così per Carlo Magno e per Orlando
due ne seguì lo mio attento sguardo,
com'occhio segue suo falcon volando.

Dann folgte mein aufmerksamer Blick
Karl dem Großen und Roland, wie das Auge
folgt seinem fliegenden Falken

Karl den Großen hatten wir schon, das ist der Begründer des Heiligen Römischen Reiches. Eine ausführliche Darstellung findet sich hier http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_der_Gro%C3%9Fe. Dort findet sich auch allerhand, was die Frage aufwirft, ob Dante mit der Biographie Karls des Großen im Detail vertraut war; dieser hatte nämlich viele Frauen gleichzeitig. Allerdings kann man vermuten, dass bei Dante Moral keine Rolle spielt, wenn jemand militärisch erfolgreich war. Den Roland hatten wir auch schon. Das ist die Hauptfigur des Rolandliedes. Die Geschichte an sich ist weit weniger spannend. Auf dem Rückzug aus Spanien, nach erfolglosem Versuch die Araber zurückzudrängen, gerät eine Nachhut des Heeres Karls des Großen, geführt von Roland, in einen Hinterhalt (der allerdings von christlichen Basken und nicht von Arabern gelegt worden war) und wird vernichtet. Die Geschichtsschreibung des Mittelalters ist ähnlich schematisch wie die Beschreibung von Figuren, da gibt es wahrscheinlich einen Zusammenhang. Wenn nur eine einzige Idee in ein Hirn passt, dann wird eben alles durch die Brille dieser einen Idee gesehen, die geschichtlichen Fakten sind da weitgehend wurscht.

Wilhelm und Rinoard am Kreuz erschienen,
Auch Herzog Gottfried schwang sich im Gepränge,
Und Robert Guiskard blitzte hinter ihnen.

Im Original

Poscia trasse Guiglielmo e Rinoardo
e 'l duca Gottifredi la mia vista
per quella croce, e Ruberto Guiscardo

Dann ward mein Blick von Guiglielmo und
Rinardo und Graf Gottifredi angezogen an
jenem Kreuze, und auch Ruperto Guiscardo

Mit Guiglielmo ist Guillaume de Gellone (oder auch Guillaume d' Orange) gemeint, geb. 742, gest. 812. Er
ist die Hauptfigur der Heldensage Guillaume d' Orange und Cousin Karls des Großen. Im Jahre 790 wird er Graf von Toulouse. Er bekämpft die Araber in Spanien und kann 801 Barcelona einnehmen. 804 gründet er ein Kloster in Saint-Guilhem-le-Désert, das der benediktinischen Ordensregel folgt. In dieses Kloster zieht er sich 806 zurück. Irgendwie muss das Geschichtsbewußtsein Dantes sehr eigenartig gewesen sein. Er greift auf eine Figur zurück, die zu seinen Lebzeiten sich bereits seit 500 Jahren die Radieschen von unten anschaut. Zwar kommen auch heute noch Leute auf die Idee, als Protagonisten ihrer Romane Figuren auszuwählen, die schon lange tot sind (z.B. in genialer Weise Feuchtwanger, Goya, die Jüdin von Toledo etc.) aber dann handelt es sich eben eindeutig um historische Romane. Wenn sie genial sind, wie eben die von Feuchtwanger, gelingt es den Autoren aber, durch die Jahrhunderte hindurch aus geschichtlichen Fakten einen konkreten Menschen zu rekonstruieren. Bei Dante haben wir außer der Nennung des Namens und einer sich aus dem Kontext ergebenden moralischen Bewertung gar nichts. Sowas geht, wenn der Roman in der Gegenwart der Leser spielt, dann reicht die schlichte Referenzierung. Man könnte manchmal den Eindruck haben, dass für Dante die unmittelbare Gegenwart sich auf einen Zeitraum von 500 Jahren erstreckt, was man irgendwie verstehen könnte, denn im Mittelalter veränderte sich wohl in 500 Jahren in etwa soviel, wie heute in zehn. Dante konnte wohl davon ausgehen, dass sich in den nächsten 500 Jahren ähnlich viel verändern wird, wie in den vergangenen 500, also praktisch gar nichts, während der moderne Mensch eher davon ausgeht, dass in den nächsten zehn Jahren kein Stein auf dem anderen bleibt. Über Rinardo (Rainouart) ist nicht viel bekannt. Er wurde von Guillaume de Gellone zum christlichen Glauben bekehrt und heiratete eine seiner Töchter. Er starb 812 als Mönch.

Bei Goffredo di Buglione handelt es sich um Godefroy de Bouillon, geb. 1060, gest.. 1100). Goffredo folgt seinem Onkel Goffredo il Gobbo auf den Thron von Lorraine (im Detail ein bisschen komplizierter, aber egal, Lorraine ist der rote Punkt).

Mit seinen Brüdern macht er sich 1096 an der Spitze eines Heeres von 12000 Mann auf zum ersten Kreuzzug. Anlass für diesen Kreuzzug war ein Hilferuf des Kaisers des byzantinischen Reiches Alexios I, der sah sich von den Seldschuken (einer türkischen Fürstendynastie) bedroht und hatte Papst Urban II um Hilfe gebeten. Die Begeisterung Konstantinopels bei der Ankunft der Kreuzfahrer war aber erstmal eher verhalten, man befürchtete, dass diese nach Rausschmiss der Seldschuken auch gleich das byzantinische Reich übernehmen. Das Problem wurde gelöst, als die Kreuzfahrer einen Treueeid auf Byzanz schworen. Die Tatsache, dass Dante Goffredo di Buglione nennt, der tatsächlich beim ersten Kreuzzug im Vergleich zu Baldovino, Boemondo di Taranto und Raimondo IV di Tolosa nur eine untergeordnete Rolle spielte, lässt darauf schließen, dass er sich an kolportierten Legenden orientierte, bzw. sich an der im Mittelalter bekannten Schilderung des Alberto di Aquisgrana orientierte. Er wurde zwar, nachdem Jerusalem 1099 von den Kreuzfahrern erorbert worden war und nach dem Massaker sowohl der jüdischen wie auch der islamischen Bevölkerung quasi zum König von Jerusalem erklärt
(den Titel König lehnte er aus religiösen Gründen ab), doch verdankt er diese Wahl eher seiner Bedeutungslosigkeit als seiner Bedeutung. Die entscheidenden Protagonisten konnten sich auf niemand anderen einigen.

Es verwundert, dass niemand das Geschichtsbild Dantes kritisch unter die Lupe nimmt, stellt dieses wohl doch genau das dar, was man als einen besonders krassen Fall von Geschichtsklitterung bezeichnen würde. Allerdings erreicht Dante in Bezug auf Geschichtsklitterung schon die Metaebene. Während Geschichtklitterung normalerweise auf einer geschickten Auswahl von Fakten beruht, die zu der im Voraus gebildeten Theorie passen, nennt Dante gar keine Fakten mehr. Wie er die Figuren einschätzt, ergibt sich allein aus dem Kontext, in dem sie auftauchen. Dass er Goffredo di Buglione auf den paradiesischen Mars setzt, ist eine Bewertung. Über die Gründe, die zu dieser Bewertung führten, erfahren wir nichts. Der Autor würde sagen, die italienische Kultusbürokratie hätte Anlass über die Eignung der Divina Commedia als Einführung in die Literatur nachzudenken. Die Geschichtslehrer in Italien kämpfen nämlich auf verlorenem Posten, wenn einer der größten Geschichtsklitterer aller Zeiten zum Kanon erklärt wird. Nicht, dass der Autor Geschichte für eine Wissenschaft hielte, es handelt sich, um mit Popper zu sprechen, um eine Trivialwissenschaft. Was Dante aber treibt, ist die Deutung der gesamten Weltgeschichte bis zum 13 Jahrhundert unter dem Blickwinkel einer verquasten Ideologie. Der Autor bezweifelt auch, dass Dante „hochgebildet“ war, wie man allerorten liest. Er hat eher den Eindruck, dass dieser sich kreuz und quer durch den Gemüsegarten irgendwas angelesen hatte, ohne allerdings zu einer eigenständigen, kritischen Bewertung des Angelesenen in der Lage zu sein. Wobei immer wieder zu betonen ist, dass nicht Dante das Problem ist, er ist ein Mensch des Mittelalters, keiner wird von ihm verlangen, dass er einen aus technischer Sicht anspruchsvollen Roman schreibt, wie etwa Conversación en la Catedral von Mario Vargas Llosa, revolutionäre Techniken einführt, wie bei Ulysses von James Joyce, die Sprache virtuos beherrscht, wie etwa Thomas Mann in Joseph und seine Brüder oder sonst irgendwas. Das Problem ist, dass die verbeamteten Geistlichen ihn nicht als Mensch des Mittelalters sehen, ihn also nicht unter dem Blickwinkel betrachten, unter dem er zu betrachten wäre. Fragen könnte man sich, wie eine Ideologie, in diesem Fall das Christentum, jeden künstlerischen Fortschritt verhindern kann, den Menschen sich selbst so zum Ding hat machen können, dass er sich selbst nur noch als Erfüllungsgehilfe eines Systems sieht und jede Spontanität abgewürgt wird, ob tatsächlich die ganze mittelalterliche Gesellschaft auf diesem Niveau war, oder ob sich das lediglich für uns, die wir nur schriftliche Zeugnisse in Form einer Divina Commedia und Ähnlichem haben, so darstellt. Schließlich könnte man sich fragen, was die Kräfte waren, die das Schiff wieder aus dem Morast führten. Man könnte versuchen, einen Vergleich zu ziehen mit anderen literarischen Werken, die ebenfalls unter dem Druck einer alle Bereiche der Gesellschaft ergreifenden Ideologie entstanden. So hätte die Divina Commedia sogar einen Nutzwert, würde zeigen, wie tiefgreifend eine Ideologie die Rationalität einer Gesellschaft formt, die Introspektion präfiguriert und die zwischenmenschlichen Beziehungen prägt. Was wir allerdings so quer über alle Webseiten, Bücher und Stellungnahmen lesen, ist Abenteuer pur. Da behaupteten irgendwelche Romanisten es handele sich bei der Divina Commedia um einen Roman, weil sie narrative Elemente enthält, andere schwadronieren vom aktuellen Zeitbezug, die übernächsten sehen in Dante den Vorreiter der Toleranz und der europäischen Einigung und alle zusammen erzählen uns was vom universalen Genie, dass das ganze Wissen seiner Zeit verarbeitet hat, obwohl kein Mensch gesichert weiß, was Dante wann und wie lange studiert hat. Aus der Divina Commedia selbst lassen sich keine Rückschlüsse auf die Bildung Dantes ziehen, man kann ihr nur entnehmen, dass er von einem Haufen Zeug mal irgendwas gehört hat. Als Seismograph des katastrophalen Zustandes der Geisteswissenschaften ist die Divina Commedia auf jeden Fall geeignet. Die Sichtweise Dantes, alles was irgendwie militärisch erfolgreich und sich ganz marginal auch gegen die Araber und andere „Ungläubige“ richtete in den höchsten Tönen zu preisen, gleicht einer Geisteskrankheit.

Der in der Terzine oben genannte Ruperto Guiscardo (Robert Guiscard) war ein Normanne aus niederem Adel, der, im Gefolge seiner Brüder, in Italien sein Glück suchte (genaue Beschreibung unter http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Guiskard). Die Anfänge waren allerdings bescheiden, er war schlicht ein Straßenräuber. Allmählich konnte er, auch durch Heirat, seine Räuberbande vergrößern und daran anschließend die Konflikte zwischen dem Kaisertum und dem Papst einerseits, wie die zwischen dem Papst und dem römischen Adel anderseits geschickt für sich nutzen, da der Papst Soldateska brauchte, auch wenn es im Grunde nur Straßenräuber waren. In diesem Zusammenhang übertrug er ihm auch das damals von den Arabern (Sarazenen) beherrschte Sizilien, das Robert Guiskard dann für die Christenheit zurückerobert.

Die abstruse Bewertung historischer Ereignisse durch Dante ist ein Misch aus Geisteskrankheit, kruder Unkenntnis der Fakten und der Unfähigkeit, Fakten zu bewerten. Seine Bewertungen sind in etwa auf dem Niveau eines Stammtisches kurz vor dem durch Alkohol verursachten Delirium Tremens.

Dann stieg empor im funkelnden Gedränge
Der Geist, der mir so liebe Worte weihte,
Mir zeigend, wie er kunstvoll Hymnen sänge.

Im Original

Indi, tra l'altre luci mota e mista,
mostrommi l'alma che m'avea parlato
qual era tra i cantor del cielo artista

Dann, vermengt und eingereiht in die anderen Lichter
zeigte mir die Seele welche mit mir gesprochen
wie kunstvoll er beherrschte den Gesang des Himmels

Der gute Cacciaguida hat aus der Sicht der Vergangenheit eine Prophezeiung gemacht über Tatbestände, die Dante längst und im Detail bekannt waren. Des weiteren hat er noch weitgehend unbegründet Dante Honig um den Bart geschmiert und ihm mitgeteilt, dass dieser nicht ablassen solle, seine skurrilen Bewertungen aufzuschreiben. Schlussendlich hat er uns noch eine Menge Namen aufgezählt, die irgendwie für den wahren Glauben gestritten haben. Zwei davon allerdings, Josua und Judas Makkabäus, stritten für was anderes und bei den anderen handelt es sich entweder um Verwirrte oder um Räuberhauptmänner. Zusammenfassend kann man also sagen, er hat zwei Gesänge lang einen kompletten Stuss erzählt. Daraus schließen wir dann, dass der himmlische Gesang ein einziges Gegröle ist.

Ich wandte mich zurück zur rechten Seite,
Ob Beatrice wohl zu neuer Pflicht
Durch Worte oder Winke jetzt mich leite -

Und sah so freudig ihrer Augen Licht,
So rein, dass sie sich selbst nicht zu vergleichen
An frührer Schönheit – selbst der letzten nicht!

Im Original

Io mi rivolsi dal mio destro lato
per vedere in Beatrice il mio dovere,
o per parlare o per atto, segnato;

e vidi le sue luci tanto mere,
tanto gioconde, che la sua sembianza
vinceva li altri e l'ultimo solere

Und ich wandte mich zu meiner Rechten
Um bei Beatrice meine Pflicht zu sehen,
sei es durch Worte, sei es durch ein Zeichen,
mir verkündet

und ich sah ihre Lichter so rein, so
leuchtend, dass ihre Erscheinung sowohl
die der anderen, wie ihre früheren übertraf

Über das Niveau wird Dante bis zum Schluss nicht hinauskommen, er wird immer wieder und nicht mal wortreich das himmlisch / göttliche Megaloch umschreiben, bei jedem Aufstieg in eine neue himmlische Sphäre werden ein paar Watt zugeschaltet.

Und wie es dient als guter Werke Zeichen,
Dass man der Tugend täglich näher rückt,
Je mehr die Werke uns zur Lust gereichen,

So sah ich jetzt, im Himmelsflug entzückt,
Zu einem größern Kreise mich gelangen,
Seit größrer Reiz mein Wunderbild geschmückt.

Im Original

E come, per sentir più dilettanza
bene operando, l'uom di giorno in giorno
s'accorge che la sua virtute avanza,

sì m'accors'io che 'l mio girare intorno
col cielo insieme avea cresciuto l'arco,
veggendo quel miracol più addorno

Und wie man an der immer größeren Freude die
Man spürt beim Tun guter Werke,
wie man an Tugend zugenommen,

so merkte auch ich, dass mein Kreisen
zusammen mit dem Himmel, den Bogen hatte gespannt,
als ich jenes Wunder neue Zierde schaute

Das mit der Tugend klingt so ein bisschen nach Tick, Trick und Track und den Pfadfindern Fähnlein Fieselschweif, die haben auch das Motto „jeden Tag eine gute Tat“. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Wir würden nicht behaupten, dass ein Cartoon von Walt Disney ein Meisterwerk an psychologischer Analyse ist, aber im Vergleich zu den ewig tugendhaften, ständig glücklich vor sich hinleuchtenden Neutrinos in Dantes Himmel sind sie geradezu aus dem Leben gegriffen. Das Problem der Divina Commedia ist, dass ihr im Grunde jeder utopische Horizont fehlt. Man kann nicht mal sagen, dass Dante einen utopischen Horizont gezeichnet hätte, der aufgrund seiner Abstraktheit zur Projektionsfläche geeignet ist. Es ist schlicht unmöglich, in diesen Quark irgendetwas hineinzuprojizieren. Erstaunlich ist, dass er sich mit diesem Sprachkonstrukt 13 Jahre beschäftigt hat. Jeden normalen Menschen, dem nicht jedes empirische Substrat abhanden gekommen ist, würde eine so lange Beschäftigung mit einem reinen Sprachkonstrukt in eine Identitätskrise stürzen. Das ist das eigentlich Interessante an dem Teil. Es zeigt die Rationalität von Sprache. Sprache als reines Sprachkonstrukt stiftet Identität, obwohl ihr jedes empirische Substrat fehlt, das scheint sogar dann besonders gut zu gelingen, wenn eben überhaupt kein empirisches Substrat vorhanden ist. Das Problem der Identitätsfindung stellt sich beim Neutrino nicht, ihm reicht ein reines Sprachkonstrukt. Sucht man nach den Gründen, wie so ein Machwerk wie die Divina Commedia es geschafft hat, Bestandteil des Kanons zu werden, dann kann auch dies ein Grund sein. Der verbeamtete Geistliche, der praktisch nie die Schule verlassen hat, Schule => Uni => Uni / Schule, ist tendenziell ein Neutrino, ihm fehlt die Lebenserfahrung, eine Persönlichkeit konnte er nie ausbilden. Man kann wohl zwei Elemente identifizieren, die die Divina Commedia zum Bestandteil des Literaturkanons hat werden lassen: Das Fortbestehen der Ideologie, der sie Ausdruck verleiht (der Katholizismus) und die Abwesenheit eines empirischen Substrates bei den verbeamteten Geistlichen. Daraus hat sich dann eine Eigendynamik entwickelt. Einmal als Kanon etabliert, war es für die verbeamteten Geistlichen unangreifbar, sie züchteten, das tun sie immer, wenn es um Etabliertes geht, geradezu einen inneren Reflex, der sie daran hindert, aus dem Kanon auszuscheren, denn dies ist kaum karrierefördernd.

Und wie geschwind mit Lilienweiß die Wangen
Der Jungfrau neu sich färben, wenn die Scham
In ihrem rosigen Gesicht vergangen,

So wechselte ihr Anblick wundersam
Im Silberlicht des milderen Planeten,
Des sechsten, der in seinen Glanz mich nahm.

Im Original

E qual è 'l trasmutare in picciol varco
di tempo in bianca donna, quando 'l volto
suo si discarchi di vergogna il carco,

tal fu ne li occhi miei, quando fui vòlto,
per lo candor de la temprata stella
sesta, che dentro a sé m'avea ricolto.

Und wie in einem kurzen Raum der Zeit
sich wieder in eine weiße Frau wandelt,
wenn ihr Gesicht unbeschwert vom Teint der Scham

so geschah es auch mit meinen Augen, als ich schaute,
durch den Glanz des hellen sechsten Sternes,
der mich nun hatte aufgenommen

Der Vergleich ist natürlich wieder sowas von zusammengebastelt und abwegig, dass die Wirkung faktisch Null ist. Was Dante mit seinen schiefen Vergleichen erreichen wollte, ist weitgehend unklar. Auf jeden Fall hat Dante festgestellt, dass Frauen erröten können vor Scham und dann nach einer Zeit wieder die normale Farbe annehmen. Der Autor kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man auf so einen schiefen Vergleich nur kommt, wenn man ein spezielles Frauenbild hat. Die zweite Terzine hat dann Zoozmann frei übersetzt, weil der Vergleich, den Dante da ziehen will, so abwegig ist, dass kein Mensch was damit anfangen kann.

Gmelin übersetzt so

Wie eine blasse Frau die Farbe wechselt
In kurzer Zeit, wenn ihr vom Angesichte
Die Last der Scham hinweggenommen wurde,

So ging es meinen Augen, als ich schaute
Zum weißen Lichte jenes milden Sternes,
Des sechsten, der mich in sich aufgenommen.

Und Falkenhausen so

Und wie die Farbe weißer Frauen Wangen
Geschwinde wechseln, wenn sie abgetan
Die Bürde scheuer Scham, die sie befangen,

So fanden meine Augen als sie sahn
Das Licht, das jener milde Stern entsandte,
Der sechste, der im Innern mich empfahn.

Also irgendwie fiel ihm irgendwas wie Schuppen von den Augen, ähnlich wie die Schamesröte den holdseligen Jungfrauen oder was immer Dante sich da vorstellt. Absolute abstruse Vergleiche zu machen ist übrigens wesentlich einfacher als tatsächlich suggestive. Will man zum Beispiel beschreiben, dass der Kugelschreiber kaputt war, als man eine Telefonnummer notieren wollte, könnte man sowas machen:

Wie die Karotte nicht wächst,
auf dem Kirschbaum im Verbunde
mit rotem Rundem

so taugte auch nicht Kugel
jenes Stiftes, der rollend
farbenbildend hinstreicht übers Weiße

Sie sehen also: Ist die Sprache von jedem empirischen Substrat gereinigt, reines Sprachkonstrukt, dann werden irgendwann mal auch die Vergleiche schief. Dante versucht seinen Ansatz, die Sprache von jedem empirischen Substrat zu reinigen, auch auf Vergleiche anzuwenden. Diese beziehen sich aber notwendig auf empirische Tatsachen, stellen eine Beziehung her zwischen zwei empirischen Tatsachen. Spätestens hier scheitert er also mit seinem System. Mit einer von jedem empirischen Substrat gereinigten Sprache kann nur ein himmlisch / göttliches Megaloch beschrieben werden, da gibt es eh kein empirisches Substrat. Dante übertrifft auch das, was Musil in der „Mann ohne Eigenschaften“ beschreibt. Beim Mann ohne Eigenschaften sucht eine gelangweilte Clique um den Industriellen Paul Arnheim eine Beschäftigung. Hierfür bieten sich die Feierlichkeiten an, die im Zusammenhang mit den Jubiläumsfeiern des Kaisers veranstaltet werden. Vom Wunsch beseelt tief ergriffen zu werden, suchen sie dann einen Slogan für ihre Bewegung, finden aber nichts. Schließlich wählen sie als Losung „die Tat“. Immerhin fließen bei Musil noch unbestimmte Sehnsüchte in leere Wörter, bei Dante fließen leere Wörter in ein himmlisch / göttliches Megaloch oder in das verstaubte Hirn eines verbeamteten Geistlichen. Jener milde Stern ist auf jeden Fall Jupiter, da ist Dante inzwischen angekommen. Dort findet er aber nicht Sex and Drums and Rock‘ n Roll, sondern? Da kommen Sie im Leben nicht drauf.

Als sich der Liebe Funken wirbelnd drehten
Im Jovisfackelbrand, konnt ich gewahren,
Dass sie sich ordneten zu Alphabeten.

Im Original

Io vidi in quella giovial facella
lo sfavillar de l'amor che lì era,
segnare a li occhi miei nostra favella

Ich sah in diesem glänzenden Stern
das Sprühen der Liebe, welche sich da befand,
meinen Augen zeigend unsere Sprache

Sagen will er, dass die Liebe Buchstaben in den Himmel gemalt hat, wie das genau passieren soll, beschreibt er gleich. Auch hier sehen wir wieder, dass ohne empirisches Substrat die Sprache auf die schiefe Bahn gerät. Egal welche Übersetzung man nimmt, das Ergebnis ist Unsinn.

Gmelin

Ich sah in jenem Himmelsvatersterne
Der Liebe funkeln, die darinnen wohnte,
Vor meinen Augen unsere Worte.

Falkenhausen

Ich sah, was in der Jovisfackel brannte,
An Liebesglut, sich reihen zu den Zeichen,
Drin unsere Sprache klar mein Blick erkannte.

Naheliegenderweise ist ohne empirisches Substrat jeder Satz richtig und sinnvoll, der grammatikalisch richtig ist. Man kann auch sowas sagen.

Ich sah im Kühlschrank dämmern
Vor Liebesglut entfacht die leuchtende Tomate,
der Gurke Zeichen gebend, die kühl blieb auf ihrem Lager.

Es gibt ja immer wieder witzige Diskussionen rund um Sprache, über Denglish, Spanglish, über den amerikanischen Kulturimperialismus, der sich Sprachen einverleibt, über Fremdwörter, ob man ins Grundgesetz schreiben soll, dass in dieser unserer Republik Deutsch gesprochen wird und ähnliches. Irgendwie wird bei diesen Diskussionen immer davon ausgegangen, dass die kulturelle Identität bedroht ist, wenn Sprachen vermischt werden. Tatsächlich bedroht die Vermischung aber keine einzige Sprache. Was aber die Sprache (also alle zusammen) tatsächlich bedroht, ist der Verlust des empirischen Substrates, die seelische / intellektuelle Öde. Eine eventuell konstatierbare Verrohung der Sprache ist Symptom, nicht Ursache. Ob sich das Symptom jetzt aber in Terzinen bemerkbar macht oder durch einen restringierten Code, ist ziemlich egal. Der Autor hat ja während seiner Taxifahrerkarriere auch taubstumme Kinder in eine spezialisierte Schule gebracht. Da war auch ein kleines Mädchen dabei, die war süß die Kleine, wenn sie auch nichts sagen konnte. Es war deutlich spürbar, dass ihr Herz nicht aussah wie ein Schrotthaufen, wie das von Dante oder das eines verbeamteten Geistlichen.

Wie Vögel aus dem Fluss aufflatternd fahren,
Gleichsam zur Weide Mahlzeitwunsch sich bringend,
Sich dort zu Knäueln, hier zu Reihen scharen,

Im Original

E come augelli surti di rivera,
quasi congratulando a lor pasture,
fanno di sé or tonda or altra schiera,

Wie Vögel aufsteigen aus dem Fluss,
erfreut sich wohl genährt zu haben,
sich zu Kreisen oder Reihen formen

Die Vögel sind jetzt Geister, die einen Buchstabensalat formen.

So sangen Geister, hin und her sich schwingend,
Dabei im Fluge hier zum D und J,
Und dort zum L sich anmutsvoll verschlingend,

Im Original

sì dentro ai lumi sante creature
volitando cantavano, e faciensi
or *D*, or *I*, or *L* in sue figure

so sangen dort im Innern der Lichter
umherflatternd heilige Wesen, die bald
ein *D*, bald ein *I*, bald ein *L* formen

Die Lichter flatterten also umher und bildeten abwechselnd verschiedene Flugformationen, die dann aussahen wie ein D, ein I oder ein L.

Erst schwebten sie im Takt der Melodie,
Buchstaben bildend; dann – nach jedem Zeichen
Gleichsam nachdenklich rastend – schwiegen sie. -

Im Original

Prima, cantando, a sua nota moviensi;
poi, diventando l'un di questi segni,
un poco s'arrestavano e taciensi

Zuerst bewegten sie sich singend, zum Takt ihrer Melodie
dann, nachdem sie sich geformt zu einem dieser Zeichen
hielten sie inne, verharrten schweigend

Sie formten also jeweils einen Buchstaben und hielten dann an, damit man ihn auch sieht und während sie Päuschen machten, damit der Betrachter den Buchstaben auch sieht, hörten sie auch auf zu singen.

O heilge Pegasäa, die erbleichen
Den Ruhm nicht lässt den Geistern und mit ihnen
Den Städten Dauer gibt und Königreichen,

Im Original

O diva Pegasea che li 'ngegni
fai gloriosi e rendili longevi,
ed essi teco le cittadi e ' regni,

O Göttin des Pegasus die du dem Geist
Zum Ruhm verhilfst und dauernd ihn beflügelst
und sie mit dir die Städte und die Throne

Das mit „Die Göttin des Pegasus“ (diva pegasea) ist ein bisschen schwierig, gemeint sind aber die Musen, die wie ihr Chef Apollo auf dem Berg Helikon hausen, genau genommen bei der Quelle der Hippokrene, die entstand, als Pegasus, der geflügelte Musengaul, mit seinem Huf auf den Boden stampfte. Die ruft er (nächste Terzine) zum x-ten Mal an. Dem Autor ist kein Werk bekannt, in dem derartig oft nach den Musen geschrieen wird. Das hilft aber nix. Sowenig wie mit Hilfe von Viagra aus einem neunzigjährigen Greis ein Julio Iglesias wird, wird durch die Musen aus Dante ein Dichter. Wo nix ist außer Thomas von Aquin, ein bisschen Ptolemäus, garniert mit reichlich griechischer Mythologie und als Beilage eine ordentliche Portion angelesenes, aber unverdautes Geschichtswissen, ist nichts zu machen.

Lass deine Klarheit mir zur Leuchte dienen!
Und dass ich mag die Formen richtig malen,
Gieß mir kraftvolle Kunst in die Terzinen!

Im Original

illustrami di te, sì ch'io rilevi
le lor figure com'io l'ho concette:
paia tua possa in questi versi brevi!

Gib mir einen Teil deiner Kraft, damit ich
Zu schildern vermag ihre Gestalt wie ich sie sah:
Möge deine Kraft erscheinen, in diesen kurzen Versen

Das ist das Problem Dantes. Die Verse offenbaren, dass er nicht mal ansatzweise versteht, was Dichtung bedeutet. Er geht davon aus, dass die Schwierigkeit darin besteht, etwas, was man gesehen hat, zu schildern. Das ist aber nur eine Fingerübung. Der Dichter erschafft die Welt neu, setzt der Logik der Welt eine eigene Logik entgegen, bewertet Dinge neu und anders, er transzendiert die Realität, er macht Details bedeutungsschwer und Großereignisse zu Plunder. Über Torquato Tasso, ein Dichter, sagt Eleonore im Torquato Tasso von Goethe.

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum;
Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;
Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,
Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:
Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüth,
Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.
Oft adelt er was uns gemein erschien,
Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts.
In diesem eignen Zauberkreise wandelt
Der wunderbare Mann und zieht uns an
Mit ihm zu wandeln, Theil an ihm zu nehmen:
Er scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern;

Das ist das Gegenteil des Programm Dantes. Dante stellt ein Sammelsurium zusammen, das seine Ideologie, die auch die Ideologie seiner Zeit ist, stützt. Ihn interessiert nur die Verwertbarkeit eines Ereignisses / Person zur Illustrierung seines Systems. Er interessiert sich auch nicht für komplexe geschichtliche Zusammenhänge, geschweige denn für die innere Dynamik eines Individuums. Dichtung versucht mittels Sprache ein komplexes empirisches Substrat einzufangen, Dante versucht, mittels Sprache ein himmlisch / göttliches Megaloch zu beschreiben. Die oftmals zu findende Bemerkung, Goethe hätte die Bedeutung Dantes nicht erkannt, ist grundfalsch. Anzunehmen ist, dass Dante ihm ganz grundlegend und in jeder Beziehung mächtig gegen den Strich ging. Mit ihm hat er wohl weit mehr Probleme, als mit der Romantik, denn romantische Figuren, etwa Mignon in Wilhelm Meisters Lehrjahre, hat er selber erschaffen. Mignon ist im Grunde eine romantische Gestalt.

Ich sah an Konsonanten und Vokalen
Wortweise fünfundreißig hingesetzt
Und merkte Zahl und Ort der Initialen.

Im Original

Mostrarsi dunque in cinque volte sette
vocali e consonanti; e io notai
le parti sì, come mi parver dette

Es zeigten sich also in fünf Runden jeweils
Sieben Vokale und Konsonanten; und ich notierte
Die Einzelteile, so wie mir gesagt erschienen

Fehlt nur noch, was eigentlich gesagt wurde.

Diligite Justitiam sah ich jetzt
Als erstes Haupt- und Zeitwort hingeschrieben,
Qui judicatis terram kam zuletzt

Die zwei lateinischen Teile zusammengefügt ergeben „Diligite justitiam, qui judicatis terram“. Das heißt, „Liebt die Gerechtigkeit, die ihr auf Erden richtet“. Die Verse finden sich im fünften Buch der Weisheit des Salomon, allerdings liegen im Buch der Weisheit zwischen dem ersten Teilsatz und dem zweiten fünf Kapitel. Alle sechs Kapitel finden sich hier: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/weish1.html. Rätselhaft ist, wieso er für die Darstellung eines so wenig subtilen Zusammenhangs die Musen herbeigerufen hat. Dante scheint ein schlechtes Gewissen zu haben, der Musenaufruf kann sich kaum auf diese Stelle beziehen.

Beim M, als Schluss des fünften Wortes, blieben
Sie alle stehn, dass Jupiter mir schien
Ein Silberschild, dem Goldschrift eingetrieben.

Im Original

Poscia ne l'emme del vocabol quinto
rimasero ordinate; sì che Giove
pareva argento lì d'oro distinto

Nach dem M des fünften Worten
Blieben sie geordnet stehen; so al Jupiter
so dass aus Silber schien, mit Gold verziert

Da Jupiter, wie eingangs erwähnt, hell strahlt, wie Silber also, die Flammen aber gelblich, sieht es aus, wie wenn auf einem Silberschild ein goldener Buchstabe prangt.

Und andre Lichter sah ich niederziehn
Auf‘ s Haupt des M, dort rastend dem zu weihen
Ein Lied, dem so Anziehungskraft verliehn.

Im Original

E vidi scendere altre luci dove
era il colmo de l'emme, e lì quetarsi
cantando, credo, il ben ch'a sé le move.

Und ich sah andere Lichter niedersteigen, auf das
Haupt des M, und dort verweilen durch ihren Gesang
preisend, so glaub ich, das Gute, das sie treibt

Italienische Kommentatoren merken an, dass man die Lichter nur dann auf das M setzen konnte, wenn es ein gotisches M war; das lateinische hat ja einen spitzen Winkel, darauf kann man sich schlecht niederlassen.

Und dann – wie zahllos stieben Funkenreihen,
Wenn man zwei glühnde Scheiter schlägt zusammen,
Draus Aberglaube pflegt zu prophezeien -:

So stiegen auf von hier wohl tausend Flammen
Und flogen mehr und minder hoch empor,
Wie sie die Sonne trieb, der sie entstammen.

Als sich gesetzt der Feuerfunkenflor
An seinen Ort, trat aus den neuen Strahlen
Klar eines Adlers Kopf und Hals hervor.

Die Funken stieben also auseinander und zerstreuen sich, um sich dann schlussendlich so zu gruppieren, dass ein Adlerkopf sichtbar wird.

Ihn, der dort malt, ihn leitet nichts beim Malen,
Er selber führt die Hand, die Bildungstrieb
Im Nest schon eingepflanzt in der Eier Schalen!

Im Original

Quei che dipinge lì, non ha chi 'l guidi;
ma esso guida, e da lui si rammenta
quella virtù ch'è forma per li nidi

Der, der dort malt, wird von niemandem geführt,
er ist‘ s der führt, und an ihn erinnert sich
jene Kraft, die die Form gibt für die Nester

Gemeint ist Gott. Der schafft ja alle Dinge, ist selber aber unerschaffen, das heißt ewig.

Die andre Schar, die erst beim M verblieb,
Beglückt, dass sie zu Lilien dort sich eine,
Jetzt rasch die neue Form im Glanz umschrieb.

Im Original

L'altra beatitudo, che contenta
pareva prima d'ingigliarsi a l'emme,
con poco moto seguitò la 'mprenta

Die andere Gruppe der Gebenedeiten,
die zuerst sich wie eine Lilie um das M rankte,
folgte nach nur kurzer Zeit dem Zeichen

Das ingigliarsi ist ein Problem, das heißt sich mit Lilien schmücken, aber auch zur Lilie werden. Wir gehen jetzt davon aus, dass das Gelichter das M geschmückt hat wie die Lilien das Porzellan oder sonstwas. Dann sind sie hochgeflattert und haben sich zu dem Gelichter gesellt, das den Adlerkopf formt.

O holder Stern! durch wieviel Edelsteine
Zeigtest du mir, dass die Gerechtigkeit
Der Welt nur Abglanz ist von deinem Scheine!

Im Original

O dolce stella, quali e quante gemme
mi dimostraro che nostra giustizia
effetto sia del ciel che tu ingemme!

Oh süßer Stern, welche und wieviele Juwelen
Zeigten mir, dass unsere Gerechtigkeit
vom Himmel kommt, in dem du strahlst

??? Nicht weiter darüber nachdenken. Delirium tremens im fortgeschrittenen Stadium. Dante meint, dass die irdische Gerechtigkeit vom Himmel kommt, in dem wiederum Jupiter strahlt. Wir werden zwar im folgenden Geträller sehen, dass die Lichter, die den Adler formen alles gerechte Fürsten sind, aber wieso deshalb der Himmel die Ursache der irdischen Gerechtigkeit ist, ist ziemlich unklar. Da es aber ohnehin ziemlich unklar ist, was Dante unter Gerechtigkeit versteht, seinen Hymnen ist zu entnehmen, dass alles gerecht ist, was entfernt irgendwie christlich ist und alles was anderer Meinung ist platt macht. Für die Zeit vor Christus ist alles gerecht, was alles platt macht, so wie das römische Reich, eine Begründung, warum etwas platt gemacht werden muss entfällt für diesen Zeitraum.

Zum Geiste, der Bewegung dir verleiht,
Und Kräfte, fleh ich drum, sich umzuschauen,
Welch Rauch dein Licht umdüstert und entweiht,

Im Original

Per ch'io prego la mente in che s'inizia
tuo moto e tua virtute, che rimiri
ond'esce il fummo che 'l tuo raggio vizia;

Drum bitt ich den Geist, welche der Beginn
Deiner Bewegung und deiner Kraft, er möge schauen
Wo der Rauch entweicht, der deine Strahlen vernebelt

Der Geist ist Gott, den bittet Dante ihm zu erklären, warum die Gerechtigkeit in Rauch gehüllt ist. Da hätte Dante den Autor fragen können, er hätte ihm erklärt, warum die Gerechtigkeit durch Rauch verhüllt ist. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber ein Grund sind Leute, die eine Hagiographie schreiben auf alle Räuberbänden, Diktatoren und Durchgeknallten. Also Dante gehört schon zur Kategorie Rauch.

Dass wiederum sein Zorn schafft denen Grauen,
Die Kaufs und Verkaufs pflegen in dem Tempel,
Den Marter, Blut und Wunden auferbauen.

Im Original

sì ch'un'altra fiata omai s'adiri
del comperare e vender dentro al templo
che si murò di segni e di martìri

damit er sich noch mal erzürnen,
wenn gekauft und verkauft wird im Tempel
der gegründet ward aus Wundern und Martyrien

Also der Geist, Gott, soll sich nochmal erzürnen und die, die innerhalb der Kirche Posten verschachern (Simonie betreiben), aus selbigem hinaustreiben. Im Grunde ist das aber Jacke wie Hose. Das Problem ist nicht, ob die Posten verschachert werden oder nicht, die eigentliche Frage ist, ob das für eine bestimmte Position geeignete Personal diesen Posten auch tatsächlich besetzt. Da aber die katholische Kirche ohnehin kein Verein ist, bei dem Posten nach objektiven Kriterien anhand von Leistung besetzt werden und die Hälfte der beinahe Zwangsmitglieder ohnehin von allen Leitungspositionen ausgeschlossen ist, kann man die Posten auch gleich an den Meistbietenden verschachern. Abgesehen davon wird nur dann jemand einen solche Posten kaufen, wenn der Barwert der Investition (Summe der Erträge in der Zukunft abdiskontiert mit einem am Markt erzielbaren Zinssatz) höher ist, als die Investitionssumme. Wenn es also attraktiv war, einen solchen Posten zu kaufen, dann erzielte die Kirche zur damaligen Zeit offensichtlich höhere Beträge als vergleichbare Unternehmen in der freien Wirtschaft, was dann wiederum bedeutet, dass sie wohl kraft Soldateska zu hohe Erträge erwirtschaftete. Das Problem bei Dante ist, dass er Prozesse, auch primitivste, nicht in ihrer wirtschaftlichen Dimension durchdenken kann. Er sieht wie Lieschen Müller irgendwas, was ihm komisch vorkommt und beschwert sich. Ob er hier noch als Kind seiner Zeit gesehen werden kann oder ob man nicht schlicht sagen muss, dass er ein bisschen dämlich war, ist jetzt schwierig. Immerhin hatte Florenz nur 150 Jahre später ganz ausgepuffte Kaufleute, zum Beispiel die Familie Medici. Kaum anzunehmen, dass die Gewerbetreibenden zu Dantes Zeit so völlig Bluna waren.

O Himmelskriegsschar, die du Gottes Stempel
Im Antlitz trägst, bitte für die auf Erden,
Die irreführt verderbliches Exempel!

Im Original

O milizia del ciel cu' io contemplo,
adora per color che sono in terra
tutti sviati dietro al malo essemplo!

O Kriegerheer des Himmels, welches ich betrachte,
bete für jene, die auf Erden weilen
die alle irregeleitet durch schlechtes Beispiel

Das wäre jetzt zu untersuchen, ob die Art und Weise, wie die katholische Kirche ihr Vermögen einsetzt, ein gutes oder ein schlechtes Vorbild ist. Feststellen kann man, dass deren Bilanzen nicht veröffentlicht werden müssen, was jedes Wirtschaftsunternehmen ja tun muss, welche Controlling Verfahren eingeführt sind, ob die Finanzströme irgendwo aufgezeichnet sind und zwar so, dass man nachvollziehen kann, was damit passiert, wie der Prozentsatz festgelegt wurde, der als Kirchensteuer zu zahlen ist etc. etc. Wie dem auch immer sei, wir haben weniger ein Versagen von Einzelpersonen, sondern ein Systemversagen. Zwar haben wir auch bei den normalen öffentlichen Haushalten katastrophale Zustände, die Transparenz ist faktisch Null, das Interesse, eine solche herzustellen noch nuller (man könnte ja zum Beispiel alle Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden ins Internet stellen und jeden Kapitalabfluss aus den einzelnen Kapiteln und Titeln aufzeigen), aber immerhin werden diese noch ansatzweise durch ein Parlamente kontrolliert, bei dem zumindest die Opposition ein Interesse daran hat, auf Missstände hinzuweisen. Die Kirchen sind da Party pur, es gibt kein Kontrollgremium. Da könnten die Kriegerheere des Himmels ruhig mal nachschauen, aber wahrscheinlich gehen denen so Kleinigkeiten glatt am Arsch vorbei. Das ist wie mit dem Landesrechnungshof in Berlin. Unter 3 Millionen Euro interessiert den ein Vorgang nicht. Geld zum Fenster rausballern, zum Beispiel Abend für Abend ein halbe Million Euro für Kultur, die keiner sehen will, ist voll sexy. (Der Autor fragt sich, wieso der Staat Kultur subventionieren muss. Das Argument ist, dass „Hochkultur“ sonst stirbt. Der Autor würde sagen, dann soll sie halt sterben. Abgesehen davon macht die infos24 GmbH auch Kultur. Wir bemühen uns, das möglichst abstrakt und langweilig zu machen und verdienen, zu unserer eigenen Verblüffung, damit auch noch Geld, wir produzieren sogar ganze Musik CDs http://www.spanisch-lehrbuch.de. Das sind zum Teil vertonte Gedichte der klassischen spanischen und französischen Literatur. Langweiliger geht es jetzt wirklich nicht mehr. Keine hübschen Mädels, kein Sex, nicht mal Erotik. Nix, nix und wieder nix. Und wieso gibt es eigentlich massig hochwertige Filme und private Theater, die Geld verdienen und Steuern zahlen, während die staatlich subventionierten Trümmerhaufen gigantische Verluste einfahren?).

Sonst pflegte Krieg durchs Schwert geführt zu werden,
Doch jetzt? Indem man oft entzieht das Brot;
Und dies entzieht kein guter Hirt den Herden.

Im Original

Già si solea con le spade far guerra;
ma or si fa togliendo or qui or quivi
lo pan che 'l pio Padre a nessun serra

Früher pflegte man Krieg zu führen mit dem Schwert;
aber heute tut man es durch Entzug des Brotes,
was ein frommer Vater seiner Herde nie verweigert

Mit Entzug des Brotes ist die Exkommunizierung gemeint. Dante suggeriert, dass die Exkommunikation oder der Kirchenbann ein Mittel war zur Durchsetzung von Machtansprüchen. Das war er aber aus sich selbst heraus nicht. Bei Heinrich IV war weniger der Kirchenbann an sich das Problem als die Tatsache, dass hiermit dem Adel, der gegen ihn opponierte, eine Argumentationshilfe geboten wurde, die Legitimität seiner Herrschaft anzuzweifeln. Beim ersten Kirchenbann durch Papst Gregor VII machte er ja noch jenen berühmten Gang nach Canossa, die folgenden Kirchenbanne veranlassten ihn dann nicht mehr zur Buße, da war er in einer stärkeren Position. Dem von Dante hochgelobten Robert Guiskard, der ebenfalls von Gregor VII mit dem Kirchenbann belegt wurde, war das vollkommen egal. Dante suggeriert ganz allgemein (an welchen Kirchenbann er konkret dachte ist unklar, zeitlich näher lag der Kirchenbann, den Gregor IX über Friedrich II verhängte, was letzteren im übrigen auch nicht sonderlich beeindruckte), dass der Kirchenbann ein Mittel der Kriegsführung gewesen ist und eine Alternative zum Schwert. Das ist historisch falsch. Der Papst konnte exkommunizieren, solange er wollte, solange der Exkommunizierte über ausreichend militärische Macht verfügte, war ihm das völlig egal.

Doch du, der schreibt und streicht wie‘ s grade not,
Merk: Für den Weinberg, den du wüst verschwendet,
Starb Paul und Petrus – doch sie sind nicht tot!

Im Original

Ma tu che sol per cancellare scrivi,
pensa che Pietro e Paulo, che moriro
per la vigna che guasti, ancor son vivi

Doch du, der du nur bannst um zu später zu erlassen,
denk an Petrus und Paulus, die gestorben
für den Weinberg, den du zerstörst, noch immer leben

Mit „du“ ist der Papst Johann XXII gemeint, das ist zumindest der Papst, der zur Zeit der Niederschrift gängig auf dem Gang des heiligen Stuhles saß. Dieser exkommunizierte wohl ziemlich flott, um danach gegen Cash die Exkommunikation wieder aufzuheben. Das mit Petrus und Paulus ergibt sich erst aus der nächsten Terzine. Auf die florentinischen Goldmünzen war Johannes der Täufer geprägt (nächste Terzine). Dem galt die Liebe dieses Papstes, allerdings weniger wegen seiner Bedeutung für die Christenheit als aufgrund der Tatsache, dass er aus Gold war. Petrus und Paulus sind die Stellvertreter Christi, die Päpste sind deren Nachfolger. Der Papst soll also nicht vergessen, dass er der Stellvertreter Gottes auf Erden ist.

Du freilich sprichst: Zum Wüstenpredger wendet
Sich mein Verlangen alle Tage frischer,
Der durch den Tanz als Martyrer geendet -

Was schiert mich Paul, was kümmert mich der Fischer?

Im Original

Ben puoi tu dire: «I' ho fermo 'l disiro
sì a colui che volle viver solo
e che per salti fu tratto al martiro,
ch'io non conosco il pescator né Polo»

Du wirst wohl sagen: “All mein Streben
War an jenem ausgerichtet, der einsam in der
Wüste leben wollte und der um eines Tanzes willen
Märtyrer wurde, dass ich weder den Fischer kenne noch Paulus

Gemeint ist eben jener Johannes der Täufer. Es ist wohl kein Zufall, dass Dante, nicht in dieser Terzine, aber durchgängig durch das ganze Werk, historische Figuren und Figuren aus der Mythologie teilweise in einer Terzine verbaut, zwischen Mythologie und geschichtlichen Fakten trennt er gar nicht, behandelt sie gleich. Er sieht nicht, dass historische Fakten anders zu behandeln sind, als Ereignisse aus der Mythologie. Dies lässt sich jetzt nicht mehr dadurch entschuldigen, dass er ein Mensch des Mittelalters war, denn Geschichtsschreiber, die sich um objektive Darstellung der Fakten bemühten, gab es schon in der Antike einige: Tacitus, Polybius, Thukydides, Livius etc.. Er hätte also durchaus die Möglichkeit gehabt, sich zum Beispiel über die Entwicklung des römischen Reiches zu informieren und nicht so einen gnadenlosen Stuss hinzupinseln, wie er dies im sechsten Gesang des Paradieses getan hat, als er die Entwicklung des römischen Reiches erzählt. Der Fall Johannes der Täufer ist nun etwas grenzwertig, diese Figur steht im Zwischenreich zwischen Geschichte und Mythologie. Nimmt man den Mythos, dann kann man auch erzählen, dass Johannes der Täufer hingerichtet wurde, weil die Tochter seiner zweiten Frau Herodias, Salome, nur unter der Bedingung bereit war für ihn zu tanzen, wenn Johannes der Täufer hingerichtet würde. Man würde dann diese Episode schildern wie andere Ereignisse aus der Mythologie (z.B. das Abtauchen des Orpheus in die Unterwelt, die Ödipus Sage, sieben gegen Theben, die Argonautensage etc. etc.). Bedeutsam wäre dann schlicht die Möglichkeit, diese Ereignisse künstlerisch zu verarbeiten, der eventuell vorhandene historische Bezug, der diesen Ereignisse unter Umständen zugrunde liegt (z.B. gab es Troja ja wirklich und wurde auch tatsächlich zerstört, allerdings wohl kaum um einer einzigen Frau willen) wäre dann egal. So könnte man auch die Legende behandeln, dass Johannes der Täufer hingerichtet wurde, weil Salome sich dies erbeten hatte. Allerdings hätte sich Dante unter Verwendung des gesunden Menschenverstandes, der allerdings durch die Lektüre des Thomas von Aquin aufgelöst wird, denken können, dass es sich hierbei um eine Legende handelt. Im übrigen steht das auch deutlich in der Bibel, Matthäus, 14, 1 ff:

„Zu der Zeit kam das Gerücht von Jesu vor den Vierfürsten Herodes. Und er sprach zu seinen Knechten: Dieser ist Johannes der Täufer; er ist von den Toten auferstanden, darum tut er solche Taten. Denn Herodes hatte Johannes gegriffen und in das Gefängnis gelegt wegen der Herodias, seines Bruders Philippus Weib. Denn Johannes hatte zu ihm gesagt: Es ist nicht recht, daß du sie habest.Und er hätte ihn gern getötet, fürchtete sich aber vor dem Volk; denn sie hielten ihn für einen Propheten. Da aber Herodes seinen Jahrestag beging, da tanzte die Tochter der Herodias vor ihnen. Das gefiel Herodes wohl. Darum verhieß er ihr mit einem Eide, er wollte ihr geben, was sie fordern würde. Und wie sie zuvor von ihrer Mutter angestiftet war, sprach sie: Gib mir her auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers! Und der König ward traurig; doch um des Eides willen und derer, die mit ihm zu Tische saßen, befahl er's ihr zu geben. Und schickte hin und enthauptete Johannes im Gefängnis. Und sein Haupt ward hergetragen in einer Schüssel und dem Mägdlein gegeben; und sie brachte es ihrer Mutter. Da kamen seine Jünger und nahmen seinen Leib und begruben ihn; und kamen und verkündigten das Jesus. Da das Jesus hörte, wich er von dannen auf einem Schiff in eine Wüste allein. Und da das Volk das hörte, folgte es ihm nach zu Fuß aus den Städten.“

Es heißt dort also „und er hätte ihn gern getötet, fürchtete sich aber vor dem Volk; denn sie hielten ihn für einen Propheten“. Das heißt, dass Herodes Johannes den Täufer aufgrund seiner Sympathie beim Volk als Bedrohung empfand, er wäre ihn ohnehin gerne losgeworden. Warum in der Bibel noch dieser Murks mit Salome dazugedichtet wurde, könnte dadurch bedingt sein, dass die Geschichte dann griffiger wird, das ist wie bei der Bildzeitung (Johannes ermordert ! Herodes von SEX besessen ! )

Geschichtlich sieht es so aus. Herodes war mit der Tochter des Aretas vermählt, hatte sich von dieser aber getrennt um Herodias zu heiraten, die nach der Trennung zu ihrem Vater floh. Der ohnehin schwelende Konflikt wegen Landstreitigkeiten wird dadurch verschärft und Aretas droht mit Krieg. Herodes fühlt sich nun von Johannes und dessen Anhängerschaft bedroht, da diese ihm nicht
nur wegen der erneuten Heirat kritisch gegenüberstand, befürchtet, dass diese ihm im Falle eines Krieges in den Rücken fallen könnte. Es war also nicht das durch eine erotische Darstellung herbeigeführte Aussetzen des Verstandes, wie von Dante behauptet, das zur Hinrichtung Johannes des Täufers führte, sondern die Tatsache, dass Herodes Johannes als Gefahr sah.

Wer also noch nie richtig nachvollziehen konnte, warum in der deutschen Klassik die Rückbesinnung auf die griechische Klassik stattfand, der kann das verstehen, wenn er Dante liest. Hier kann man sehen, wie eine alles dominierende Ideologie sich wie Mehltau über einen ganzen Kontinent legt und zu einem wirklich erstaunlichen Stillstand in Kunst, Literatur, Philosophie führt, aufgrund einer alles beherrschenden Ideologie das Niveau weit unter das sinkt, was in Griechenland bereits erreicht wurde. Und das für einen verdammt langen Zeitraum von fast 1000 Jahren. Für diese Epoche ist Dante sicher ein Repräsentant und abschreckendes Beispiel. Sieht man die Divina Commedia so, ist sie ein wichtiges Werk. Der Irrsinn einer Epoche, der normalerweise nur in abstrakten Begriffen beschrieben wird, wird hier anhand eines mittelalterlichen Individuums plastisch vor Augen geführt. Die völlige Unfähigkeit zur Introspektion, das totale Desinteresse an einer ausbalancierten Darstellung, die völlige Abwesenheit eines empirischen Substrates, aus dem eine Dichtung hätte schöpfen können, die schematische Wahrnehmung von Individuen, die Flucht ins Jenseits, weil das Diesseits öde, leer und jeder Steuerung enthoben zu sein scheint, die Radikalität einer Ideologie, die sich praktisch nur in Wortgebilden konstituiert, völlige Unfähigkeit zur Empathie und eine Rationalität, die das Selbst nach Maßgabe dieser Rationalität umgestaltet, finden wir in der Divina Commedia in hochkomprimierter Form. Das macht sie interessant, macht sie wohl zur bedeutendsten Illustration jeder alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringenden Ideologie. Von den Taliban über den Marxismus (bei diesem fehlt zwar das Jenseits, aber der utopische Horizont im Diesseits ist ähnlich abstrakt) bis hin zu einem Sendungsbewußtsein amerikanischer Prägung. In der Divina Commedia finden wir alle Ingredienzien des Irrsinns. Das Problem ist hierbei nicht die Divina Commedia. Bedenklich ist die Rezeption der Divina Commedia. Man kann sich schon fragen, ob, wie es bei Brecht heißt, der Schoß noch warm ist, aus dem das kroch.