Wie jener zu Clymenen lief, dem argen
Verdachte sicher auf die Spur zu kommen,
So dass seitdem mit Worten Väter kargen,
Im Original
Qual venne a Climené, per accertarsi
di ciò ch'avea incontro a sé udito,
quei ch'ancor fa li padri ai figli scarsi;
Wie der, der zu Clymene life, um Sicherheit
Über das Gehörte zu erlangen,
was noch heute die Väter den Söhnen gegenüber karg sein lässt
Klymene war die Mutter des Phaeton und Gattin des Helios. Sein Freund Epaphos
hatte ihm erzählt, dass sein Vater gar nicht Helios ist. Daraufhin rennt
er zu seiner Mutter, Klymena eben, um sie zu fragen, wer der Vater ist. Die
wiederum schickt ihn zu seinem Vater, also zu Helios und dieser wiederum versichert
ihm, dass er sein Papa sei und gewährt ihm, als Zeichen seiner Vaterliebe,
einen Wunsch. Kleine Jungs wollen aber nun mal Boxauto fahren und folglich
will Phaeton mit Papas Sonnenwagen über den Himmel flitzen, was Papa Helios,
wenn auch zögerlich, gestattet. Der Bengel hat natürlich keinen Führerschein
und das Gefährt gerät völlig außer Kontrolle, was wiederum
Zeus veranlasst, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird, das ganze Teil mit
seinen Blitzen zu zertrümmern. Dies soll jetzt also
ein warnendes Beispiel für alle Väter sein, ihren Jungs nicht alle
Wünsche zu erfüllen. Dem kann man ja nur zustimmen. Die Bengels sollen
keine spritfressenden Monster à la Phaeton von Volkswagen kaufen, sondern
Autos, mit denen man tatsächlich von a nach b fahren kann und die man
dann auch noch irgendwo parken kann.
So ich; und so auch ward mein Wunsch vernommen
Von Beatricen und dem heilgen Lichte,
Das sich vom Kreuz getrennt zu meinem Frommen.
Im Original
tal era io, e tal era sentito
e da Beatrice e da la santa lampa
che pria per me avea mutato sito
so verhielt es sich mit mir und so ward erhört
sowohl von Beatrice wie auch von der heiligen Flamme
die für mich zuvor den Sitz gewechselt
Was jetzt Dante mit dem Bengel zu tun hat, ist natürlich völlig unklar. Der Wunsch Dantes, nämlich die Zukunft aus der Sicht der Vergangenheit erklärt zu bekommen (zwei Terzinen weiter unten) ist zwar zugegebenermaßen ziemlich schwachsinnig, birgt aber kein Risiko. Ein wohlwollender Vater hätte jetzt höchstens gesagt, dass Sohnemann nicht so einen Blödsinn fragen soll, aber gefährlich ist die Frage nicht.
Drum sprach die Herrin: „Dreist zu mir nun richte
Den heißen Wunsch, doch komm uns darin rein
Dein inneres Gepräge zu Gesichte.
Im Original
Per che mia donna «Manda fuor la vampa
del tuo disio», mi disse, «sì ch'ella esca
segnata bene de la interna stampa;
So dass meine Herrin sprach „Enthülle die Glut
Deines Wunsches, wenn diese wohlgeformt
Vom Stempel den sie inwendig erhalten
Der Verlauf der Diskussion macht reichlich zickzack. Zuerst teilt er uns mit, dass Väter ab und an besser daran täten, ihren Söhnen nicht jeden Wunsch zu erfüllen. Das Bild würde so halbwegs passen, wenn die Rabauken ihre Wünsche lautstark, fordernd und bestimmt vortragen, da muss Papa dann wiederstehen, ab und an. Aber der kleine schüchterne Dante muss ja überhaupt eh noch aufgefordert werden, den Mund aufzumachen. Dante wollte die Terzine aber unbedingt haben, folglich ist da wahrscheinlich ein Tiefsinn verbaut. Der Tiefsinn steckt vielleicht darin, dass Beatrice ihm klar macht, dass ein Wunsch auch Gefallen finden muss vor Gottes Antlitz, er muss also von Gottes Glut geprägt sein. Also nicht mit einem Mädchen in die Kiste steigen oder so, das ist nicht ok, aber die Bibel lesen wollen, da stimmt das dann mit der Glut.
Nicht dass es kenntnismehrend könnte sein
Für uns – es sei dir nur ein hold Gewöhnen:
Wo Labe fließt, gesteh dein Dürsten ein.“ -
Der ist gut. Also sagen will sie, dass der Informationsgehalt von seinem Gebrabbel gegen Null geht, er also nur Dinge erzählt, die sie schon alle weiß. Wenn es ihm aber gut tut, also zu quatschen, dann soll er das ruhig machen. Wir sehen ja durchaus ein, dass 95 Prozent des täglichen Geredes nichts mit dem Austausch von Informationen zu tun hat, aber dass dann Labe fließt, wo Dürste vorhanden, das ist doch ein bisschen geschwollen ausgedrückt. Jetzt stellt also Dante seine Frage. Das ist zwar ein bisschen umständlich, auf so eine Frage würde man normalerweise gar keine Antwort bekommen, aber wenn Dante Labe sucht, dann findet er bei uns natürlich die Quelle, die seine Dürste stillt.
„O teurer Baum, ich seh dich so verschönen
Dein Wissen, dass – wie wir am Dreieck sehen:
Zwei stumpfe Winkel können‘ s nicht bekrönen-
Dass du den Zufall, eh er noch geschehen,
In jenem Spiegel deutlich siehst erscheinen,
Drin alle Zeiten gegenwärtig stehen.
Im Original
O cara piota mia che sì t'insusi,
che, come veggion le terrene menti
non capere in triangol due ottusi
così vedi le cose contingenti
anzi che sieno in sé, mirando il punto
a cui tutti li tempi son presenti;
O teuerer Stamm der du so emporblühst,
dass ganz so wie die Menschen meinen
nicht in ein Dreieck zwei stumpfe Winkel passen,
so siehst du was noch verborgen
als ob es schon wäre, dem Punkt betrachtend
wo alle Zeiten gegenwärtig
Also: Der Cacciaguida ist irgendwie erblüht und ein Stamm ist er wahrscheinlich,
weil Dante von ihm abstammt. Der sieht nun die Zukunft so klar, wie die normal
Sterblichen einsehen, dass ein Dreieck keinen stumpfen Winkel ( größer
als 90 Grad) hat. Das mit dem „Punkt betrachtend, wo alle Zeiten gegenwärtig“ müssen
wir im Detail nicht verstehen, das ist Thomas von Aquin. Von ihm stammt diese
Erkenntnis: Ewigkeit enthält in sich alle Zeiten.
Das ist so erstmal gar nicht falsch, Ewigkeit hat keinen Anfang und kein Ende,
umfasst also einen Zeitraum, der die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft
umspannt. Aber dann kommt‘ s: Ewigkeit ist nichts anderes als Gott selbst.
Das ist uns natürlich vollkommen schleierhaft, aber auf Gott ist der Blick
des Cacciaguida gerichtet (behauptet Dante) und wenn Gott die Ewigkeit ist,
dann weiß er eben alles. Also irgendwie so.
Als ich den Fuß Vergils anschloss den meinen,
Den Berg hinaufklomm, der die Seelen heilt,
Und dann hinabstieg, wo die Toten weinen,
Ward mir manch dunkler Zukunftswink erteilt;
Und wenn ich mich auch recht als Vierkant spüre,
In den umsonst des Schicksals Stoß sich keilt,
Mir wär‘ s doch lieb, dass näher ich erführe,
Welch Los mir droht: Gewarnt und vorgesehen,
Schwächt sich ein Pfeil, wo er uns auch berühre.“
Im Original
mentre ch'io era a Virgilio congiunto
su per lo monte che l'anime cura
e discendendo nel mondo defunto,
dette mi fuor di mia vita futura
parole gravi, avvegna ch'io mi senta
ben tetragono ai colpi di ventura;
per che la voglia mia saria contenta
d'intender qual fortuna mi s'appressa;
ché saetta previsa vien più lenta
Als ich noch Vergil folgte hoch auf
Den Berg, der die Seelen heilt
und hinabstieg ins Totenreich,
Vernahm ich ernste Worte
Die meine Zukunft künden, auch wenn ich
Gut gerüstet bin, für die Schläge des Schicksals
darum wünscht ich zu erfahren
Welch Schicksal mich erwartet;
weil ein angekündigter Pfeil langsamer kommt
Warum er das jetzt umgekehrt erzählt, zuerst Läuterungsberg und dann Hölle, obwohl er zuerst in die Hölle hinabgestiegen ist und dann zum Läuterungsberg, ist unklar. Das geht wohl nach dem Motto wrong or right, meine Terzine. Das mit dem Pfeil ist ein ein bisschen komisches Bild. Sagen will er wohl sowas wie „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“, aber dieser Ausspruch funktioniert ja nur, wenn Informationen die Zukunft bezüglich verarbeitet werden und adäquat reagiert wird. Ist die Gefahr lediglich bekannt, aber eine adäquate Reaktion nicht möglich, nützt die Information auch nichts. Weiter fragt man sich, wie so die Wahrsager bei Dante in der Hölle landen, aber hier im Himmel fröhlich über die Zukunft plaudern dürfen. Dante konstruiert eine Situation, bei der die Zukunft zwar bekannt wird, aber nicht darauf reagiert werden kann. Da die Prophezeiungen Cacciaguidas aber eh ziemlich vage sind und kaum präziser sind, als das Horoskop in einer bunten Illustrierten (wo viele Bilder sind, die Nichtiges illustrieren) ist das aber im Grunde auch egal.
So hab ich jenem, der mit süßem Laut
Mich vorhin ansprach, meinen Wunsch vollkommen
Gehorsam Beatricen, anvertraut. -
Die Theologentrulla hat ihm ein paar güldene Terzinen weiter oben mitgeteilt, dass sie zwar schon wissen, was er fragen will, aber da es schon Labsal seiner Seele ist, die Frage zu formulieren, die seine Dürste stillt, wenn diese von der göttlichen Glut entzündet, trägt er sie nun vor. Die Frage, was in der Zukunft sein wird, stellen sich allerdings viele Leute, die von der göttlichen Glut absolut nicht durchglüht sind, das macht auch Daniel Düsentrieb bei Fix und Foxi oder Jules Verne mit seiner Zeitmaschine. Allerdings ist die Zeitmaschine bei Daniel Düsentrieb ein komisches Gerät. Sie versetzt einen in die Zukunft, ohne zu zeigen, welche Kräfte diese herbeigeführt haben, sie ist also im Grunde genauso narkotisch, wie die Romantik oder das Jenseits. Interessanter, und im übrigen auch realistischer, wäre eine Simulationsmaschine, das heißt eine Maschine, die die Welt zeigt, wie sie wäre, wenn die Menschheit das Hirn einschalten würde. Das heißt eine Welt, bei der eine optimale Allokation der Ressourcen stattfindet (was z.B. bedeutet, den Militärhaushalt der einzelnen Länder zurückzufahren auf Null und die freiwerdenden Mittel in Forschung und Entwicklung erneuerbarer Energien, Meerentsalzungsanlagen etc. gesteckt würde), eine optimale Ausbildung stattfindet (massiver Einsatz von e-learning und Doppelstudium für alle), Regierungshandeln mittels des Internets transparent gemacht würde (der Abfluss der Mittel aus den Kapiteln und Titeln wird für alle verfolgbar im Internet nachgezeichnet), drastischer Abbau der Bürokratie und Abschaffung der Sesselfurzer etc. etc. Eine solche Simulationsmaschine hätte einen konkreten Nutzwert, sie würde Lust machen auf mehr. Dass Dante nur Fragen stellt, die der Theologentrulla genehm sind, ist Teil seines Problems.
Nicht unklar noch orakelhaft-verschwommen,
Wie es die blinde Menschheit einst berückte,
Eh Gottes Lamm die Sünde weggenommen,
Gottes Lamm ist Jesus und vor diesem orakelte es noch in Delphi und sonstwo.
Wieso allerdings die prognostische Qualität besser geworden ist, nachdem
dieser gekreuzigt wurde, weil 5000 Jahre vorher eine Frau einen Apfel gegessen
hat, ist völlig unklar. Irgendwie scheint es so zu sein, dass wenn das
Hirn mal auf die schiefe Bahn geraten ist und völlig irrsinnige Annahmen
allgemein akzeptiert werden, sich um diesen Irrsinn ein ganzes System bildet.
Wir haben dann das, was Shakespeare so umschreibt: Wahnsinn, aber mit System.
Nein: Klar, mit Worten unzweideutig, drückte
Lateinisch sich mir aus die Vaterliebe,
Die sich im Lächeln barg, mit Glanz sich schmückte:
Im Original
ma per chiare parole e con preciso
latin rispuose quello amor paterno,
chiuso e parvente del suo proprio riso:
sondern durch klare Worte und in klarer
Sprache antwortete die Vaterliebe,
in seinem eigenen Lächeln strahlend eingeschlossen
Mit „latin“ meint er wohl Sprache im Allgemeinen. Wir gehen mal davon aus, dass Cacciaguida des Lateinischen nicht mächtig war. Allerdings zweifeln wir, wenn wir uns die nun folgenden Dreizeiler anschauen, auch an der Klarheit der Sprache. Allein schon die Tatsache, dass sich das um jeden Preis reimen muss, ist der Klarheit nicht zuträglich. Man kann auch ganz prinzipiell bestreiten, dass die Wirkung größer ist, wenn ein bestimmter Rhythmus und ein bestimmtes Reimschema über ein gesamtes Werk durchgehalten wird. Dies suggeriert zwar formale Geschlossenheit, aber die formale Geschlossenheit ist eben nicht wirkungsvoll. Merkwürdigerweise gibt es eine üppige Diskussion darüber, ob der Versuch sinnvoll ist, bei der Übertragung der Divina Commedia ins Deutsche das Reimschema zu erhalten. Mit dem gleichen Recht könnte man auch darüber diskutieren, ob das Reimschema im Original sinnvoll war. Unter Umständen folgt die Darstellung in Terzinen derselben Logik, wie der Zahlenhokuspokus. Durch das Vortäuschen formaler Geschlossenheit soll eine innere Notwendigkeit suggeriert werden, die aber, wegen reichlich chaotischen Inhalts, nicht vorhanden ist. Zwar verlangt auch die deutsche Klassik die Einheit aus Form und Inhalt, allerdings ist da der Dreh ein anderer. Die Form selbst ist Inhalt, sie unterstützt den Inhalt, läuft aber nicht als formales Beiwerk nebenher. Wo die Form lediglich als formales Beiwerk nebenher läuft, bedroht sie den Inhalt, weil der Inhalt einbüßen muss, wenn auf rein formale Aspekte Rücksicht genommen wird. Jemand allerdings, der, wie Dante, ohnehin nicht allzu viel Inhalt hat, wird dies leicht verschmerzen. Denn eine hohle Phrase verliert nichts, wenn sie als Terzine formuliert wird, allerdings suggeriert das dann formale Geschlossenheit. Die hohle Phrase wird also durch ihre Darstellung in Terzinenform tatsächlich aufgewertet. Wird aber nun behauptet, dass eine Reihe hohler Phrasen in Terzinenform einen Sachverhalt klar beschreibt, dann ist das Unsinn.
„Gott schrieb ins Lebensbuch der Welt Getriebe
Und Schicksal ein, wie er es vorbestimmt,
Und ohne dass ihm was verborgen bliebe,
Im Original
La contingenza, che fuor del quaderno
de la vostra matera non si stende,
tutta è dipinta nel cospetto etterno:
Der Zufall, der sich in der euch bekannten
Welt nicht ausbreitet,
ist ganz eingezeichnet in der ewigen Allpräsenz
Das geht zum Beispiel kürzer, kürzer macht es Wittgenstein: Die Welt ist, was der Fall ist. Daraus folgt dann zwingend, sie ist nicht, was nicht der Fall ist. Dante will uns sagen, dass von den zahlreichen Möglichkeiten, wie sich Materie zusammenklumpen kann, in diesem irdischen Jammertal nur die Konstellation erkennbar ist, die tatsächlich vorliegt. Alle Varianten kennt nur Gott. Das hat er, wo auch immer, irgendwo bei Thomas von Aquin abgepinselt und setzt es uns nun, etwas außerhalb des Kontextes, vor die Nase. Außerhalb des Kontextes deswegen, weil uns der gute Cacciaguida ja nur, in vagen Andeutungen, die Zukunft Dantes (wobei diese allerdings aus der Vergangenheit gesehen wird) voraussagen wird. Durch das ganze Brimborium drumrum versucht Dante irgendwie den Eindruck von Tiefsinn zu vermitteln. Im Übrigen sollte doch selbst einem Hardliner wie Dante schon mal aufgefallen sein, auch im Mittelalter, dass Menschen sehr wohl in der Lage sind, die Zukunft zu planen, also Handlungsoptionen durchzudenken. Hier irrt im Übrigen auch Wittgenstein. Die Welt ist nicht das, was der Fall ist, sondern das, was möglich ist, wobei sich das, was möglich ist, sich ständig verschiebt. Das ist aber gar nicht das Kernproblem. Wenn dieses infernalische Machwerk an Universitäten und an Schulen durchgenommen wird, dann steht die Befürchtung im Raum, dass hier ein paar Dinge nicht geklärt werden. Verbeamtete Geistliche und Lehrer haben tatsächlich ein Problem, vernetzt zu denken, das heißt Handlungsoptionen und Alternativen zu durchdenken und den status quo kritisch zu bewerten. Zu befürchten ist, dass die Aussage, dass die Weltgeschichte weitgehend ohne menschliches Zutun stattfindet, bei dieser Bevölkerungsgruppe durchgeht wie Wasser, denn der geistige Horizont eines Beamten reicht selten über den status quo hinaus. Dadurch, dass die Divina Commedia sich in diesem Personenkreis verankern konnte, wird sie zum Psychogramm dieses Personenkreises. Die komplette Abwesenheit jeglicher Kreativität in der von den beamteten Geistlichen betriebenen Geisteswissenschaft, das ewige Wiederkauen der gleichen Inhalte mit den gleichen Methoden, die als einziges Ziel hat, zu einer reichhaltigen Fülle von Meinungen noch eine weitere Meinung hinzuzufügen, völlige Blindheit und Aversion gegen technische Entwicklungen wie dem Internet, mit Steuergeldern finanzierte Selbstbeweihräucherung bei völliger Ausblendung der Tatsache, dass die Gesellschaft sie inzwischen nur noch als Witzbudenfiguren sieht, sind Ausdruck der Tatsache, dass sie die Welt wohl weniger als die Summe der Möglichkeiten, sondern eher als status quo sehen. Das Problem dabei ist, dass ihre Studenten / Schüler auf eine sehr dynamische, sich rasant entwickelnde Welt stoßen werden, wenn sie die Universität / Schule verlassen und diese Deppen nicht in der Lage sind, sie auf diese vorzubereiten. Diese werden zum Beispiel das Problem haben, andere Menschen für irgendwas begeistern zu müssen. Können Sie das nicht, werden sie entweder Beamte im Schuldienst, da ist das nicht nötig, die Kiddies machen das halt dann solange, wie sie müssen, oder sind arbeitslos. Denn Kultur ist erstmal ein Produkt und nur wer andere Leute dafür begeistern kann, wird es verkaufen. Begeistern kann aber nur, wer selber begeistert ist und an das, was er tut, auch tatsächlich glaubt. Anstatt über Studiengebühren nachzudenken, die im Übrigen Blödsinn sind, wäre es sinnvoller, über die Qualifikation des universitären Personals nachzudenken. Man kann soviel Geld in die Unis pumpen wie man will, wenn dort nur Pfeifen beschäftigt sind, dann wird das nichts nützen. Ein Blick auf die Websites einiger romanischer Seminare reicht vollkommen, um das ganze Elend in seiner herrlichen Pracht zu sehen.
Und ohne dass er euch die Freiheit nimmt,
Wie auch das Schiff, das sich im Auge spiegelt,
Nicht durch des Auges Kraft im Strome schwimmt.
Das soll eine Spitze gegen die Prädestinationslehre sein, also gegen die Vorstellung, dass das Schicksal des Menschen durch göttliche Verfügung vorherbestimmt ist. Es liegt dem Autor fern, hier die Prädestinationslehre verteidigen zu wollen, sie ist genauso unsinnig, wie alle anderen Varianten des Determinismus und eine Diskussion darüber ist auch nicht zielführend. Zielführender ist eine Diskussion, die sich damit beschäftigt, wie man das kreative Potential eines Menschen vollkommen ausschöpft, was letztlich auch eine Erweiterung des Fächerkanons in den Schulen bedeuten würde. Manche Schüler würden zum Beispiel aufblühen und einiges lernen, wenn sie ein schuleigenes Kino betreiben, mit Einkauf, Verkauf, Marketing oder selbst gefertigte Filzhüte verkaufen würden. Sie würden vielleicht Dinge lernen, die man später ganz konkret gebrauchen kann. Sinnvoll wäre auch, die Schüler als Lehrer einzuspannen, damit ist man nämlich ziemlich oft konfrontiert, irgendwelchen Leuten irgendwas verklickern zu müssen, das kann man auch mal üben. Wesentlich sinnvoller als eine abstrakte Diskussion über Schulsysteme wäre eine Diskussion über die Ausgestaltung von Schulen. Schüler könnten ja auch Audio CDs produzieren, professionell in einem Tonstudio eingespielt. Wer an irgendeine Vorherbestimmung glaubt, hat die Dynamik dieser Gesellschaft nicht begriffen. Sie erzeugt ständig neue Jobs und damit neue Anforderungsprofile, was jemand „kann“ ist also weitgehend irrelevant, die Frage ist eher, ob es gerade passt. Zu hinterfragen wäre, (1) ob der enge schulische Fächerkanon das Leistungsspektrum eines Menschen tatsächlich erfasst, (2) ob die Schule nicht die Leistungsfähigkeit eines Menschen innerhalb einer bestimmten Art der Vermittlung misst, (3) ob das Gesamtergebnis nicht besser wäre, wenn sich Schulen weniger mit Benotung, als mit der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit befassen würden. Es ist typisch, dass Philologen ihre Ziele so beschreiben.
„für ein begabungsgerechtes, vielgliedriges Schulwesen, damit Qualität
und Leistung schulischer Bildung garantiert sind
für klare Schulprofile und landesweit gültige Qualitätsstandards,
damit die Vergleichbarkeit und Aussagekraft der Abschlußprüfungen
erhalten bleiben
für eine qualifizierte und schulformbezogene Lehrerausbildung sowie stetige, verläßliche und vorausschauende Einstellungspolitik, damit der Fachunterricht langfristig gesichert ist
für den Beamtenstatus der Lehrer und Lehramtsanwärter und eine leistungsgerechte Besoldung, damit unsere Unabhängigkeit gewahrt bleibt
für spürbare Arbeitserleichterungen im Schulalltag und für vernünftige Arbeitsbedingungen der Lehrerinnen und Lehrer, damit die Grenze unserer Belastung nicht überschritten und das notwendige Engagement der Lehrkräfte für ihre Schülerinnen und Schüler nicht untergraben wird.“
aus: http://www.phv-nw.de
Sie wollen also, dass alles so bleibt, wie es ist. Die Widersprüche sind offensichtlich. Sie wollen eine leistungsgerechte Bezahlung. So weit so gut. Die ließe sich ja unter Umständen durch Qualitätsstandards und Vergleichbarkeit erzielen, wer besser abschneidet, bekommt mehr Geld. Der Autor weiß aber, da er mal zwei Jahre in der Verwaltung unterrichtet hat, dass Beamte genau das in der Regel nicht wollen. Sie wollen eine leistungsgerechte Bezahlung, was das aber ist, würden sie am liebsten selbst bestimmen und nicht anhand objektiver Kriterien festgelegt wissen. Gravierender ist aber, dass wir im Grunde nur Phrasen finden, keine Reflektion, nicht mal den Ansatz davon, über notwendige Veränderungen. Schon die Einführung und Anerkennung einer Sprache wie Türkisch, Russisch, Arabisch etc. als zweite Fremdsprache stößt auf Widerstand.
Schon dies würde natürlich zu einem anderen Ergebnis führen.
Kinder mit Migrationshintergrund müssten nicht mehr eine Fremdsprache
mehr beherrschen, als ihre deutschen Mitschüler.
Der langen Rede kurzer Sinn. Determinismus finden wir oft, schon die Forderung
nach Beibehaltung eines „vielgliedrigen“ Schulsystems ist ein solcher
Determinismus, geht er doch davon aus, dass dieser „begabungsgerecht“ sei.
Determinismus scheint aber eher eine self-fulfilling prophecy zu sein. Der
Determinismus legt die Parameter so fest, dass das rauskommt, was der Determinismus
als Ergebnis behauptet. Der Philologenverband scheint auch Probleme mit einem
anderen Tatbestand zu haben. Gelingt es nicht, den Kiddies klar zu machen,
dass Literatur und Sprachen Gaudi pur ist, dann braucht man diese Fächer
von vorneherein nicht unterrichten. Sie werden sich nie mehr damit beschäftigen,
es handelt sich um eine Verschwendung von Zeit und Steuergeldern. Wenn ganze
Klassenverbände zum frühest möglichen Zeitpunkt Französisch
abwählen und einen Neuanfang mit Spanisch starten, weil dies notentechnisch
sinnvoller ist, dann sollte man darüber nachdenken, was da schief gelaufen
ist. Zwei Jahre Französisch- Unterricht, die dann in eine Abwahl münden,
sind ein in Euro zu bewertender Schaden. Der Philologenverband wird jetzt natürlich
vorschlagen, die Option Abwahl nicht mehr zu ermöglichen und das Elend
um zwei Jahre zu verlängern, damit es nach dem Abitur endgültig begraben
wird. Der Autor würde sagen, man denkt über die Unterrichtsführung
nach. Aber zurück zu unserer Terzine (Und ohne dass er euch die Freiheit
nimmt / Wie auch das Schiff, das sich im Auge spiegelt / Nicht durch des Auges
Kraft im Strome schwimmt). Der Vergleich ist schief. Bezieht man es konkret
auf das Schiff, dann trifft die Prädestinationslehre zu. Das Schiff bewegt
sich genau so, wie es die Naturgesetze vorschreiben. Erst wenn man es auf Schiff
plus Mannschaft bezieht, stellt sich die Frage nach dem freien Willen, allerdings
hinkt der Vergleich dann ebenfalls. Die Prädestinationslehre behauptet,
dass das Schicksal des Menschen von Gott festgelegt wird. Das Auge beobachtet
nur. Hätte das Auge noch die Fähigkeit, Schicksale vorherzubestimmen,
sieht aber davon bewusst ab, dann würde der Vergleich Dantes einen Sinn
ergäben.
Wie sich das Ohr dem Orgelklang entriegelt,
So wird, was dir die Zukunft lässt geschehn,
Von dorther meinem Blicke klar entsiegelt. -
Im Original
Da indi, sì come viene ad orecchia
dolce armonia da organo, mi viene
a vista il tempo che ti s'apparecchia.
Von dort, ganz wie die süßen Töne einer Orgel
Ans Ohr uns dringen, seh ich die Zeit
Die vor dir liegt
Also der Cacciaguida sieht, dass Dante ins Exil geschickt wird und dass es ihm dort dreckig geht und dieser Tatbestand ist für ihn so süß wie die Töne, die einer Orgel entströmen. Also wer Cacciaguida zum Freund hat, der braucht keine Feinde mehr.
Wie Hippolyth entflohen aus Athen
Vor seiner zweiten Mutter listgen Ränken,
So wirst du aus Florenz von dannen gehen.
Hippolytos war der Sohn des Theseus (den hatten wir schon, das war der mit
dem Minotaurus). Aphrodite
ist sauer auf ihn, weil er Artemis liebt, Göttin der Keuschheit. Sie sorgt
dafür, dass sich Phaidra, die
Frau des Theseus, in Hippolytos verliebt. Dieser wiederum weist die Avancen
seiner Stiefmutter zurück, worauf sich Phaidra erhängt. Vorher schreibt
sie aber noch einen Liebesbrief, in dem sie schildert, dass Hippolytos sie
bedrängt habe. Als Theseus, ihr Gatte, heimkommt und den Brief liest,
verbannt er Hippolytos und schickt ihm obendrein noch Poseidon hinterher. Dieser
lässt ein Meeresungeheuer vor den Pferden des Hippolytos auftauchen, wodurch
diese scheu werden. Hippolytos stürzt vom Pferd und wird zu Tode geschleift.
Irgendwie gibt dieser ganze eingesprenkelte Griechenquark einen Einblick in
die Funktionsweise des Hirns von Dante. Er hatte wohl irgendeine Idee (…suche
jemand, der verbannt worden ist…) und ratterte dann mental die ganze
griechische Mythologie durch. Alternativ hätte er ja auch irgendwas erfinden
können, was der Geschichte eine psychologische Dimension gibt oder die
Gefühle eines Menschen beschreibt, der gerade erfahren hat, dass man ihn
verbannt hat, also z.B. so was:
wie weise warst du doch als du
die Florentin verbracht in eine andere
Stadt, des Zugriffs der Verleumdner sicher
Mal rein kaufmännisch betrachtet, sieht es doch so aus. Da Dante selber schon eine Menge Leute ins Exil geschickt hat, wusste er wohl, dass Florenz ein ziemlich unsicheres Pflaster ist. Vernünftig wäre es also gewesen, wenn er sich denn unbedingt in die Händel seiner Stadt einmischen wollte, erstmal Hab und Gut in Gold umzuwandeln und dieses irgendwo sicher anzulegen. Dann hätte er sich das ganze Malheur, das er jetzt beschreibt, gespart. In Venedig oder sonstwo hätte er sich ein neues, vielleicht kleineres Häuschen gekauft und dort hätte er friedlich leben können. Wir sehen also, dass das intensive Studium des Thomas von Aquin die Probleme (das irdische Jammertal) überhaupt erst schafft, die dieser dann mit einem beherzten Sprung ins Jenseits lösen will. Wenn Sie aber die ehrliche Meinung des Autors wissen wollen: so unpraktisch veranlagt war Dante gar nicht, der hat Kapital nach außen geschafft, was er uns natürlich nicht erzählt.
Das wünscht und strebt man dir schon einzutränken,
Und dort, wo Christus täglich steht zu Markt,
Wird dem es glücken, der dich sucht zu kränken.
Im Original
Questo si vuole e questo già si cerca,
e tosto verrà fatto a chi ciò pensa
là dove Cristo tutto dì si merca
Das will man und das strebt man schon an,
und bald wird es getan, schon denkt man daran,
dort, wo Jesus wird zur Ware
Dante geht also davon aus, dass Bonifaz VIII dabei ist, dafür zu sorgen, dass er aus Florenz verbannt wird. Mit „Dort, wo Jesus wird zur Ware“ ist der Heilige Sessel oder die römische Kurie genannt. Sie betrieb Simonie, also den Handel mit kirchlichen Ämtern.
Wie stets, wird mit Verlästrung nicht gekargt
Des Unglücks – aber zeugen wird die Rache
Laut für die Wahrheit, bis sie neu erstarkt.
Im Original
La colpa seguirà la parte offensa
in grido, come suol; ma la vendetta
fia testimonio al ver che la dispensa
Die Schuld wird dem Getroffenen nachgerufen,
so ist es immer; die Rache jedoch wird
Zeugnis geben, denn sie wird den Schuldigen treffen
Dante geht also davon aus, dass der Schuldige dieser Verleumdungen irgendwann bestraft wird, entweder im Himmel oder auf Erden.
Was dir das Liebste nebst dem eignen Dache,
Musst du verlassen: Dieser Pfeil entdeckt
Zuerst dir, wie solch Bannfluch elend mache.
Im Original
Tu lascerai ogne cosa diletta
più caramente; e questo è quello strale
che l'arco de lo essilio pria saetta
Alles was dir lieb wirst du verlassen
Dies ist jene Wunde, die aus dem Pfeil des
Bogen der Verbannung stammt
Zoozmann übersetzt mit Dach, also Häusle, daraus schließen wir, Zoozmann war ein Schwabe (…schaffa, schaffa Häusle baua ond et noch de Mädle schaue…). Im Original ist nix mit Häusle. Wir können auch absolut nicht nachvollziehen, wieso man seine Güter verliert, wenn man exiliert wird. Er hätte das nur umwandeln müssen in Gold. Die Frage also, ob die irdischen Dinge vergänglich sind oder nicht, reduziert sich teilweise auf ein schlichtes kaufmännisches Problem.
Wie scharfgesalzen fremdes Brot doch schmeckt
Erfährst du – und wie über fremde Stiegen
Das Aufundab so bittern Kummer weckt.
Das ist es eben, was nicht glaubhaft ist. Wenn derart viele Leute ins Exil geschickt wurden und alle wussten, dass dieses Risiko besteht, dann besteht Anlass zu der Vermutung, dass diese eine Infrastruktur jenseits von Florenz geschaffen hatten. Diese Vermutung erscheint noch begründeter, wenn man bedenkt, dass sie sich außerhalb von Florenz organisieren konnten. Die Behauptung Dantes, dass er durch das Exil völlig verarmt ist, erscheint unglaubwürdig. Betrachtet man die verschiedenen Gruppen von Emigranten, und der Autor kennt persönlich sehr viele verschiedene Gruppen, so wird man feststellen, das Gutbetuchte, und um Gutbetuchte handelt es sich, meist einen Großteil ihres Vermögens retten können. Es bedürfte einer speziellen Analyse der Struktur dieser Gesellschaft, um Aussagen darüber zu machen, wie mittelos Dante tatsächlich war.
Doch wird‘ s am tiefsten deinen Stolz besiegen,
Mit jener Schar, der Bosheit ist Bedürfen
Und Arglist Brauch, in einer Kluft zu liegen.
Im Original
E quel che più ti graverà le spalle,
sarà la compagnia malvagia e scempia
con la qual tu cadrai in questa valle;
Doch was am meisten wird den Rücken dir beschweren
ist die böse und dumme Gesellschaft
mit der zusammen wirst fallen in dieses Tal
Auch diese Terzine bringt uns nicht wirklich weiter, weil wir über die genauen Hintergründe nichts erfahren. Im Grunde wäre ein schlichtes Tagebuch interessanter, als dieser hochtrabend klingende Blödsinn. Ein Tagebuch würde es uns tatsächlich erlauben, uns ein Bild der damaligen Verhältnisse zu machen.
Bald zeigt sie sich an Denkart und Entwürfen
Dir undankbar und ruchlos; doch dabei
Wird sie – nicht du! – die Stirn sich blutig schürfen.
Im Original
che tutta ingrata, tutta matta ed empia
si farà contr'a te; ma, poco appresso,
ella, non tu, n'avrà rossa la tempia
aller Undank, alle Tollheit, alle Treulosigkeit
wird sich gegen dich vereinen; doch schon bald
werden ihre und nicht deine Schläfe bluten
Angespielt wird unter Umständen auf die Schlacht in den Bergen von Lastra (in der Nähe von Florenz), wo ein Zusammenschluss von Ghibellinen und weißen Guelfen 1304 definitiv geschlagen wurde. Ob diese Deutung stimmt, kann man bezweifeln, denn damit verlor Dante erstmal die Möglichkeit, nach Florenz zurückzukehren. Wir können auch nicht nachvollziehen, warum genau er nun gegen seine Mitexilierten wettert. Vermutlich fanden diese seine politischen Ideen so abstrus, wie sie tatsächlich sind.
Man kann auch bezweifeln, dass Dante seine Besitztümer tatsächlich verloren hat. Seine Frau, Gemma Donati, war eine Cousine von Corso Donati, also des Chefs der schwarzen Guelfen, die nun in Florenz regierten. Dass diese ihre eigene Nichte enteignet haben, ist eher unwahrscheinlich. Zwar fordert Gemma Donati 1329 die Güter ihres Mannes zurück, ein Zeichen dafür, dass diese mal konfisziert worden waren, aber ob sie auch tatsächlich enteignet wurde, müsste geklärt werden. Weiter sind die Söhne in Florenz aufgewachsen, von irgendwas werden sie wohl gelebt haben.
Doch merkst du erst, wie sie bestialisch sei,
So siehst du, wie es dir nur konnte nützen,
Männlich dich selbst zu machen zur Partei!
Im Original
Di sua bestialitate il suo processo
farà la prova; sì ch'a te fia bello
averti fatta parte per te stesso
Die Bestialität ihres Handelns wird davon
Zeugnis geben; so dass es dir gut erscheinen
Wird, allein mit dir eine Partei gegründet zu haben
Das ist jetzt die Meinung Dantes, dass die anderen bestialisch sind. Da wir nichts über die näheren Umstände wissen, können wir uns der Meinung Dantes anschließen oder es bleiben lassen. Allerdings hat ja Dante schon die Lobeshymne auf die Barbarei gesungen, auf die Inquisition, auf das römische Reich, auf die Zerstörung Mailands, auf die Vernichtung Jerusalems durch Titus etc. etc. Barbarei ist es bei Dante auf jeden Fall immer dann, wenn die von ihm gepflegte Intoleranz auf ihn zurückschlägt. Das kennt der Autor auch aus seiner Verwandtschaft (einige seltene Exemplare). Die Angriffskriege Hitlers waren ok, als aber die Bomben auf Deutschland niederprasselten, war das natürlich unfair. Wie schon öfter gesagt: Dante an sich ist nicht das Problem, es gibt und gab immer reichlich Spinner auf der Welt. Wenn sich aber eine bedeutende Schar demutsvoll um so einen Spinner versammelt und diese abstruse Gedankenwelt ohne kritische Reflektion in öffentliche Bildungseinrichtungen trägt, dann wird es schon etwas problematischer.
Mit erstem Obdach wird dich unterstützen
Die Großmut des Lombarden, dessen Schild
Die Leiter ist, die Adlerflügel schützen.
Dein wird er pflegen rücksichtsvoll und mild,
Dass unter euch vom Geben und Begehren
Das erste ist, was sonst als letztes gilt.
Im Original
Lo primo tuo refugio e 'l primo ostello
sarà la cortesia del gran Lombardo
che 'n su la scala porta il santo uccello;
ch'in te avrà sì benigno riguardo,
che del fare e del chieder, tra voi due,
fia primo quel che tra li altri è più tardo
Der erste Zuflucht und das erste Heim
Wird die Gastfreundschaft des großen Lombarden sein
Der oberhalb der Leiter trägt den heiligen Vogel
und der einen wohlwollenden Blick auf dich geworfen,
so dass zwischen tun und sagen, zwischen euch zwei,
das Erste zuerst eintritt und nicht wie sonst das Zweite
Gemeint ist Bartolomeo I della Scala (gest. 1304), dessen Familie, die Scaliger, durch Mastino I della Scala die Macht in Verona an sich gerissen hatten. Bartolomeo I della Scala ist der Neffe dieses Mastino, dazwischen hatte kurz, nachdem Mastino 1277 ermordet worden war, dessen Bruder Alberto die Macht übernommen, welcher sie dann eben an Bartolomeo vererbte. Auf diesen folgten dann dessen Brüder Alboino und Cangrande I della Scala, der schon erwähnte große Hund. Letzterer dehnt den Herrschaftsbereich dann durch Kriege aus. Mit „der oberhalb der Leiter trägt den heiligen Vogel“ wird auf das Wappen der Scaliger angespielt. Das sah so aus:
Auf einer Leiter ein Adler. Die Hunde links und rechts wurden unter Umständen unter Cangrande della Scala eingeführt, dem großen Hund (Canus = Hund, grande = groß).
Dort wirst du ihn sehn, dem von diesem hehren
Gestirn schon durch Geburt ward Kraft gegeben
Zu Taten an Bedeutung reich und Ehren.
Noch konnten auf das Kind sich nicht erheben
Der Völker Augen, weil um seinen Pfad
Neun Jahr lang erst die ewgen Kreise schweben.
Im Original
Con lui vedrai colui che 'mpresso fue,
nascendo, sì da questa stella forte,
che notabili fier l'opere sue.
Non se ne son le genti ancora accorte
per la novella età, ché pur nove anni
son queste rote intorno di lui torte;
Mit ihm zusammen wirst du jenen sehen, der
Bei der Geburt so geprägt von jenem starken Sterne,
dass die Welt noch hören wird von seinen Werken
Noch hat die Menschheit nichts davon erfahren,
weil er noch jung an Jahren, erst neun mal
umkreisten ihn die ewigen Kreise
Gemeint ist eben jener Haudegen Cangrande I della Scala. Er war, als sein Bruder Bartolomeo die Herrschaft übernahm erst neun Jahre alt. Die ewigen Kreise sind die Kreise der Glaskuppel, in denen sich die Planeten drehen. Genaugenommen ist es aber ein ganzes Uhrwerk. Denn der Mars (jener starke Stern) flitzt bei Ptolemäus ja täglich einmal um die Erde, die Veränderung auf der Ekliptik ergibt sich dann durch ein Steigen und Fallen dieses Kreises, das ist es, was 9 mal passiert ist. Wie dem auch immer sei, der Bengel war damals neun Jahre alt.
Doch eh den hohen Heinrich mit Verrat
Umspinnt der Baske, wird er Funken sprühen,
Er, dem nie Gold und Mühsal Abbruch tat.
Im Original
ma pria che 'l Guasco l'alto Arrigo inganni,
parran faville de la sua virtute
in non curar d'argento né d'affanni
Doch eh noch der Baske den hohen Heinrich betrügt
werden Funken sprühen aus seiner Tugend,
er wird sich nicht kümmern um Geld und Mühsal
Angespielt wird auf den Papst Clemens V. Dieser wurde 1250 in Villandrot (50 km südlich von Bordeaux) geboren, das liegt erstmal in der Gascogne. Dass das Baskenland sich jemals bis vor kurz Bordeaux ausgedehnt hatte, würde der Autor erstmal bestreiten. Das Bild zeigt die heutige Lage. Das hellbraune ist das Baskenland, da fehlt ein ziemliches Stück bis nach Bordeaux.
Papst Clemens V krönte Heinrich VII zwar widerwillig zum Kaiser, paktierte aber mit Robert von Anjou, dem König von Neapel, der wiederum mit dem französischen König kooperierte, der sich durch die Wiederherstellung des Heiligen Römischen Reiches bedroht fühlte. Mit den Funken, die seine Tugend sprüht, sind die Eroberungen der oben genannten Städte gemeint.
So glorreich wird der Herrliche erblühen,
Dass ihn und seine Taten totzuschweigen
Die Feinde selbst vergeblich sich bemühen.
Die Terzine folgt jetzt weitgehend dem Motto „wrong or right my country“.
Cangrande I della Scala war auf jeden Fall ein Anhänger des von Dante
heiß ersehnten Heinrich VII. Dieser machte ihn zum Reichsvikar (Stellvertreter
des Kaisers) von Verona. Dieser Cangrande I della Scala gliedert durch Krieg
nacheinander Treviso, Belluno, Bassano, Feltre und Padua in seinen Herrschaftsbereich
ein. 1318 wird
er zum Generalkapitän des Ghibellinenbundes gewählt. Historisch gesehen
ist das bedeutungslos. Der Herrschaftsbereich war schon 30 Jahre nach seinem
Tod wieder auf Verona beschränkt, weil sich die von der Partei der Guelfen
beherrschten Städte (Florenz und Venedig) gegen ihn verbündeten und
1337 die Scaliger bezwangen.
Auf ihn vertrau! Er wird sich hilfreich zeigen:
Durch ihn wird Wandel werden, dass die Reichen
Herunter und hinauf die Armen steigen.
Im Original
A lui t'aspetta e a' suoi benefici;
per lui fia trasmutata molta gente,
cambiando condizion ricchi e mendici;
Bau’ auf ihn und sein Wohlwollen
er wird die Verhältnisse vieler Menschen ändern,
er wird vertauschen die Stände der Reichen mit denen der Bettler
Was damit gemeint ist, ist völlig unklar. Der Autor hat nichts gefunden, was irgendwie als Indiz dafür gewertet werden könnte, dass Cangrande Interesse gehabt hätte, Vermögen umzuschichten. Vermutlich hatte er lediglich ein Interesse daran, das aufstrebende Bürgertum zu enteignen, was aber langfristig nicht gelang. Die Gesellschaftsschicht, die die wirtschaftliche Macht hat, kann man schlecht von der politischen Macht ausschließen.
Lass nicht dies Wort aus deinem Herzen weichen,
Doch halt‘ s geheim...“ und dann sprach er zu mir
Von Dingen, die noch Wundern werden gleichen.
Im Original
e portera'ne scritto ne la mente
di lui, e nol dirai»; e disse cose
incredibili a quei che fier presente.
Und du wirst noch viel tragen über ihn im
Geiste, und es nicht kundtun; und er sagte
Dinge, die unglaublich denen die noch auf Erden
Das ist jetzt wieder der alte Trick. Wenn Dante nichts mehr einfällt und eigentlich fällt ihm ja nie was ein, dann erzählt er uns, dass etwas ganz Tiefsinniges erzählt wurde (ohne dann aber näher darauf einzugehen), oder dass das im Paradies Gehörte im irdischen Jammertal nicht erzählt werden kann, oder dass ihm die Sprache fehlt, oder dass der Leser zu blöd ist, oder, oder, oder. Wir haben allerdings wenig Anlass anzunehmen, dass er uns hier ein tiefes Geheimnis verbirgt. Da er ja bis jetzt über einige tausend Terzinen hinweg nur Flachsinn produziert hat, haben wir wenig Anlass zu der Annahme, dass Dante jemals einen Geistesblitz hatte. Dante hätte Unternehmensberater werden sollen, die haben den gleichen Trick, das hat der Autor mal in der öffentlichen Verwaltung beobachten können. Die marschieren da rein, mit edlen schwarzen Anzügen und dezenten Krawatten, hauen eine Folie nach der anderen auf den Tageslichtprojektor und geben einen Schwall von Wörtern ab, die Tiefsinn suggerieren (change management, total cost of ownership, costing, Ressourcen Allokation, Zielvereinbarung etc. etc.), aber so tiefsinnig gar nicht sind, dass die Beamten dasitzen wie begossene Pudel. Kaum ist die letzte Folie aufgelegt, segeln sie von hinnen, präsentieren aber eine Rechnung, die die Relevanz des Gesagten nochmal unterstreicht. Zwar hätte der gute Cacciaguida noch einiges über Cangrande erzählen können, z.B. welche persönlichen Interessen dieser verfolgte, von was er lebte, Bildungsstand etc., aber im Paradies versteht man wohl nicht, dass diese konkreten Informationen interessant wären. Dem guten Dante ist also schlicht außer seinem Gebrabbel zu dem Thema nichts eingefallen. Das aber ist ihm aufgefallen, dass er absolut nichts zu berichten hat und deswegen bringt er diesen Quark, behauptet, dass ihm noch ganz spannende Dinge berichtet worden wären.
Dem, der sie einst erlebt, und schloss: …“Lass hier
Zu meinem Wort dir nun den Schlüssel geben:
Schon droht ganz nah verborgner Fallstrick dir!
Doch auf der Nachbarn bösliches Bestreben
Blick ohne Neid, mein Sohn – denn ihrer Saat
Gerechte Strafe wirst du überleben!“ -
Im Original
Poi giunse: «Figlio, queste son le chiose
di quel che ti fu detto; ecco le 'nsidie
che dietro a pochi giri son nascose.
Non vo' però ch'a' tuoi vicini invidie,
poscia che s'infutura la tua vita
vie più là che 'l punir di lor perfidie».
Dann fuhr er fort: „Mein Sohn, dies sind die
Erklärungen, zu dem was dir ward gesagt; dies
Die Geheimnisse, die hinter wenigen Drehungen sind versteckt
Nicht dich, sondern deine Nachbarn bemitleide,
es könnte sein, dass dein Leben länger währt,
als es braucht ihre Niedertracht zu strafen
Das Problem ist, dass Dante mit allen im Clinch steht, mit den schwarzen Guelfen, den weißen Guelfen, den Päpsten, den Ständen, den Häretikern etc. etc., dass sich gar nicht mehr erschließen lässt, auf wen die Aussage gemünzt sein soll. Aber irgendwen von seinen zahlreichen Feinden wird die „gerechte“ Strafe wohl treffen, das ist wahrscheinlich, vor allem da das statistisch relevante Merkmal „Niedertracht zu strafen“ unscharf definiert ist. Je nachdem wie groß die Gruppe ist, bei der das Ereignis als eingetreten gesehen wird, steigt die Eintrittswahrscheinlichkeit.
Als so der Heilge mir zu wissen tat,
Der Einschlag im Gewebe sei vollendet,
Mit dem ich erst unfertig vor ihn trat,
Im Original
Poi che, tacendo, si mostrò spedita
l'anima santa di metter la trama
in quella tela ch'io le porsi ordita,
Dann zeigte die heilige Seele durch
ihr Schweigen, dass der Faden nun gewebt,
in jenem Tuch, um das ich sie bat
Soll heißen, Cacciaguida hat ihm nun in vagen Andeutungen aus der Sicht der Vergangenheit die Dante bereits im Detail bekannte Zukunft erzählt. Der Autor würde sagen, Dante hat ganz schön Glück gehabt, dass er noch irgendwelche Leute getroffen hat, die ihn irgendwie zumindest ansatzweise für voll genommen haben.
Begann ich wieder, als der Geist geendet -
Wie man an den sich, der das Rechte sieht,
Wert hält und liebt, um Rat in Zweifeln wendet -:
Au weia, wenn Dante eine Frage stellt, dann schwant uns Übles.
„Wohl seh ich, Vater, schon, wie näherzieht
Der Tag, der mir mit hartem Stoß will dienen,
Was den am schwersten trifft, der Vorsicht flieht.
Im Original
Ben veggio, padre mio, sì come sprona
lo tempo verso me, per colpo darmi
tal, ch'è più grave a chi più s'abbandona;
Ich sehe, mein Vater, so wie die Zeit
mir entgegen treibt, um mir zu geben jenen Schlag,
der schlimmer ist, je mehr man sich ihm überlässt
Da hat Zoozmann etwas interpretiert, das kann stimmen oder auch nicht. Es könnte tatsächlich gemeint sein, dass derjenige, der ohne Rücksicht auf Verluste immer seine Meinung sagt, tatsächlich öfter mal eine übergebraten bekommt. Genauso gut könnte aber gemeint sein, dass derjenige richtig eine übergebraten bekommt, der sich nicht richtig verteidigt.
Drum heißt es, wappnen sich mit Schild und Schienen,
Damit – muss ich schon eine Heimat missen -
Mir nicht die zweite rauben die Terzinen.
Im Original
per che di provedenza è buon ch'io m'armi,
sì che, se loco m'è tolto più caro,
io non perdessi li altri per miei carmi
deshalb sollt ich mich wohl Vorsicht wappnen,
so dass, wo mir jetzt schon genommen ward der liebste Ort,
ich nicht auch noch die anderen verliere durch meine Worte
Tut er nicht, kein Problem. Er hat jetzt dem Cangrande della Scala soviel Honig um den Bart geschmiert, dass er da bleiben kann bis an sein Ende. Und im übrigen ist das Teil so megaverquast geschrieben, dass es eh keiner seiner Zeitgenossen gelesen hat.
Drunten in endlos – bittern Finsternissen,
Am Läuterberg, von dessen Gipfelkreise
Der Herrin Auge mich emporgerissen,
Und dann hier oben auf der Sternweltreise
Vernahm ich viel, das – wenn ich‘ s weitersage -
Manchem zu stark gepfeffert dünkt als Speise.
Im Original
Giù per lo mondo sanza fine amaro,
e per lo monte del cui bel cacume
li occhi de la mia donna mi levaro,
e poscia per lo ciel, di lume in lume,
ho io appreso quel che s'io ridico,
a molti fia sapor di forte agrume;
Unten in der Welt der Bitterniss ohne Ende
und auf dem Berg von dessen Gipfel
Die Augen meiner Herrin mich hinweggetragen
und später dann im Himmel, von Licht zu Licht,
hab ich Dinge gelernt, die wenn ich sie erzähle,
manchem der Geschmack abstoßend wird erscheinen
Wir sehen noch gar nicht, dass er dort irgendwas neues erfahren hat. Meistens war es so, dass er irgendwelche Leute gesehen hat und über die hat er dann einen Kommentar abgelassen, wer die Leute waren, wusste er aber schon vorher. Tatsächlich ist aber über die Rezeption der Divina Commedia zur Zeit Dantes nichts bekannt. 1337 wurde von einigen Florentiner Bürgern der Regierung von Florenz eine Petition vorgetragen, mit der erreicht werden sollte, dass die Divina Commedia an mehreren Tagen im Monat öffentlich vorgelesen wird. 167 stimmten dafür und 19 dagegen. Das allerdings haut den Autor um. Das würde ja unter Umständen bedeuten, dass manche Bürger von Florenz das Teil tatsächlich gelesen hatten. Stellen Sie sich mal vor, sie machen eine Petition beim deutschen Bundestag und beantragen, dass Goethes Faust bzw. wichtige Zitate,in Säulen eingemeißelt werden, die man dann quer durch die Stadt aufstellt. Der Autor befürchtet, das brächte die Parlamentarier ins Grübeln. Faust? Ja. Da war was. 12 Klasse. Reclam. Mephistopheles. Gretchen. Du siehst mit diesem Trank im Leibe / bald Helena in jedem Weib. Ja. Wenn de scharf bist, ist manches nicht so wichtig. Faust II gibt‘ s auch noch, nicht gelesen. Gibt auch noch nen Urfaust. Weimar. Weimar hat auch was damit zu tun, oder Wetzlar? Wie dem auch immer sei, ein paar Florentiner haben sich da durchgequält. Kann aber auch sein, dass die Predigten grottenschlecht waren und alles, was an intellektuellem Niveau darüber lag, war willkommen. Eine der ersten Lesungen fand am 31. Oktober 1373 statt in der Kirche Badia, gelesen hat Boccaccio höchstpersönlich, obwohl der mit seinem ziemlich erotischen Decamerone glatt in den tiefsten Kreis der Hölle gehört. Wie dem auch immer sei, wir gehen davon aus, dass egal welche message das Teil hat, sie wäre, verquast wie das Ding geschrieben ist, nie angekommen.
Doch wenn als Wahrheitsfreund ich furchtsam zage,
So flieht man mich, so bin ich tot bei allen,
Die ‚alte Zeit’ einst nennen diese Tage.“
Im Original
e s'io al vero son timido amico,
temo di perder viver tra coloro
che questo tempo chiameranno antico
doch wenn ich der Wahrheit nur ein scheuer Freund,
fürcht ich an Bedeutung zu verlieren bei jenen,
die diese Zeit die alte nennen werden
Also eines muss man Dante auf jeden Fall lassen, ein gesundes Selbstbewußtsein hat er. Zwar dachte auch Goethe ständig über seine Wirkung auf die Nachwelt nach (es hat der Autor wenn er schreibt / so was gewisses das ihn treibt. / Der Trieb zog auch den Alexander / und alle Helden mit einander/ drum schreib ich auch allhier mich ein: / ich möcht nicht gern vergessen sein), allerdings hatte er auch Anlass zu der Annahme, dass er eine nachhaltige Wirkung haben wird, denn er war schon zu Lebzeiten bekannt, wohingegen Dante gänzlich unbekannt war. Wie dem auch immer sei, Dante ist der Meinung, dass ihn die Nachwelt vergessen wird, wenn er nicht treu bei der Wahrheit bleibt. Daraus schließen wir, dass Dante über die Mechanismen, die zur Etablierung eines Kanons führen, nie nachgedacht hat. Wahrheit spielt da absolut keine Rolle und wir haben bislang auch noch nicht feststellen können, dass er irgendetwas Wahres erzählt, wir haben noch nicht mal herausgefunden, was er eigentlich unter wahr (vero) überhaupt versteht.
Da sah ich mein Juwel ein Glühn umwallen,
So lächelndhell, als ob die Sonne ließe
Auf goldne Spiegel ihre Strahlen fallen.
Im Original
La luce in che rideva il mio tesoro
ch'io trovai lì, si fé prima corusca,
quale a raggio di sole specchio d'oro;
Das Licht, das ich dort fand, in welchem
mein Schatz lächelte, begann zuerst zu funkeln,
wie ein Sonnenstrahl in einem goldenen Spiegel
Das haben wir befürchtet. Das macht das Gelichter schon die ganze Zeit, strahlen ohne Ende.
Er sprach: „Wer im Gewissen frei nicht hieße
Von eigner Schuld, und wen die Fremde drückt,
Wir finden, dass dein Vers zu ätzend fließe.
Trotz all dem künde frei und ungeschmückt
Die ganze Vision, wie sie erschaut hat
Dein Blick –: und kratzen mag sich, wenn es jückt.
Im Original
indi rispuose: Coscienza fusca
o de la propria o de l'altrui vergogna
pur sentirà la tua parola brusca
Ma nondimen, rimossa ogne menzogna,
tutta tua vision fa manifesta;
e lascia pur grattar dov'è la rogna.
dann antwortete er: Ein Gewissen das verdunkelt
von der eigenen oder fremder Scham
wird deine Worte als hart empfinden
doch dennoch, jede Lüge nimm hinweg
verkünde alles das, was du gesehen
und lass nur Kratzen, wo die Krätze
Soweit der Ratschlag. Selbstredend geht Dante davon aus, dass er die Wahrheit kennt und rein moralisch gesehen zu den Erleuchteten gehört. Da wir aber nicht wissen, welche Ziele Dante mit der Divina Commedia konkret verfolgte, können wir auch nicht sagen, ob er tatsächlich alles niederschrieb, was ihm durch den Kopf ging.
Wenn anfangs auch vor dem Geschmack gegraut hat
Dem Kostenden, vollkräftge Lebensspeise
Wird sie für jeden, der sie erst verdaut hat!
Im Original
Ché se la voce tua sarà molesta
nel primo gusto, vital nodrimento
lascerà poi, quando sarà digesta
Wenn auch deine Stimme störend, wenn
Sie zum ersten Mal genossen, vitale Nahrung
Wird sie sein, wenn sie erstmal verdaut
Auch damit können wir nichts anfangen. Es ist eine weitere hohle Phrase.
Dein Ruf wird brausen eine Sturmwindsweise,
Die Stämme rütteln, die am höchsten ragen -
Und das wird dir zu nicht geringem Preise.
Im Original
Questo tuo grido farà come vento,
che le più alte cime più percuote;
e ciò non fa d'onor poco argomento
Dein Schrei wird sein wie der Wind,
der nur die höchsten Wipfel erschüttert,
was dir gereichen wird zum Ruhme
Das kann man unter Umständen so deuten. Die höchsten Wipfel sind die „wahrheitsliebenden“, „moralisch integren“ was auch immer. Nur diese werden sich von seinem Werk angesprochen fühlen, was ihm wiederum zur Ehre gereicht. Kann man so sehen, aber im Grunde ist das Unsinn. Wenn er mit der Divina Commedia ein Umdenken bewirken wollte, dann ist dies ja gerade nicht die relevante Zielgruppe. Wenn er mit den „höchsten Wipfel“ die Leute meint, die seine Meinung teilen, dann rennt er bei diesen ja offene Türen ein. Die folgenden Terzinen machen aber klar, dass er wohl eher an Leute dachte, die in der Gesellschaft Rang und Namen hatten.
Drum wies der Himmel dir, das Tal der Klagen
Und jener Hügel, wo sich Seelen klären,
Nur solche, die bekannte Namen tragen.
Nie wird des Hörers Glauben das bewähren
Und sicher machen, was aus Wurzeln sprießt
Bedeutungsloser und verborgner Sphären,
Geglaubt wird nur, was leuchtend Licht umfließt!“
Im Original
Però ti son mostrate in queste rote,
nel monte e ne la valle dolorosa
pur l'anime che son di fama note,
che l'animo di quel ch'ode, non posa
né ferma fede per essempro ch'aia
la sua radice incognita e ascosa,
né per altro argomento che non paia».
Im Original
Doch haben sich dir nur gezeigt in jenen Kreisen,
am Berg und in dem Tal der Schmerzen
nur Seelen die bekannt sind allen
denn die lauschende Seele, wird nicht glauben
einem Beispiel dessen Wurzeln
unbekannt sind und verborgen
und auch keinem anderen Argument, das sich nicht offenbart
Dante sagt also, dass alle seine Sünder, sich in der Läuterung Befindlichen oder bereits im Paradies Angelangten deswegen bekannte Persönlichkeiten der Zeitgeschichte sein müssen, weil nur bekannte Beispiele illustrativ sind. Daran glaubt auch die Werbung und so macht dann der Bobbele Becker Werbung für so ziemlich alles: von Nutella über das Handy bis zur Unfallversicherung. Der Autor ist sich aber sehr unsicher, ob es tatsächlich stimmt, dass schlecht gemachte Werbung mit einem täppischen Bobbele mehr Wirkung erzielt als gut gemachte Werbung mit professionellen, wenn auch unbekannten Schauspielern. Ist aber nicht sein Thema, da sich das Problem eh von alleine lösen wird. Die effizienteste Werbung ist die Werbung im Internet, weil hier eine bestimmte Zielgruppe sehr genau erreicht werden kann und die Wirkung auf diese Zielgruppe sehr präzise bestimmt werden kann, sie ist damit sehr viel billiger als alle Alternativen, so dass in 10 Jahren das, was man heute als Werbung kennt, ein Epiphänomen sein wird. Zweitens ist der Autor der Meinung, dass Dante gezwungen war, bedeutende Figuren der Zeitgeschichte zu wählen, denn das Prinzip Osterei (Auffinden einer Person, eines Ortes, eines Ereignisses aufgrund geschichtlicher Fakten) kann nur funktionieren, wenn es mehr oder weniger allgemein bekannte Informationen zu dieser Person gibt. Da aber Dante aufgrund der konzeptionellen Schwächen und aufgrund dichterischen Unvermögens ohne das Prinzip Osterei keinen Spannungsbogen aufbauen kann, war er darauf angewiesen, seine Divina Commedia mit dem entsprechenden Personal auszustatten. Drittens ist die ganze Passage unsinnig. Gegenstand einer Dichtung können alle Gesellschaftsschichten sein. Dass es im Mittelalter vorwiegend der Adel war , der auch als Sujet die Malerei dominierte (wenn es nicht gerade zum x-ten Mal irgendwelche Heiligen waren) , hängt eher mit dem Auftraggeber zusammen, als mit der Eignung zum künstlerischen Sujet. Interessant ist die Aussage höchstens insofern, als sie zeigt, dass es ein ideologischer Rahmen ist, der wiederum die Aufmerksamkeit lenkt.