Die konzeptionellen Probleme nehmen zu. Das grundsätzliche Problem besteht darin, dass Dante einen utopischen Horizont beschreiben will, der völlig unvermittelt ist, an keiner Erscheinung des Weltenlaufes ansetzt. Notwendigerweise bastelt er dadurch etwas zusammen, was gänzlich unvermittelt ist. Wir erfahren lediglich, dass paradiesische Zustände dann herrschen, wenn das Leuchten zunimmt, eine Vision von Glück, die kein Mensch nachvollziehen kann. Was Dante zusammenkleistert (und vor und nach ihm auch die Theologen aller Art bis hinab zum Ratzinger, Joseph) sind Wortgebilde ohne empirisches Substrat, ein salto mortale aus einem vermeintlich irdischen Jammertal in ein mit Glückseligkeit angefülltes Nichts. Eine Darstellung der scholastischen Theologie in Terzinenform muss scheitern, denn Dichtung beschreibt nicht das Nichts. Sie beschreibt ganz im Gegenteil die Erfahrungsdichte, die durch die Wörter versteckt wird. Außerhalb dieser Erfahrungsdichte gibt es keine Dichtung, es gibt dort nicht mal einen vernünftigen Satz. Jeder Versuch, das glückselige Nichts zu beschreiben, führt zu einem leeren Wortgeklingel, das auch dann nicht besser wird, wenn es in Terzinen gegossen wird. Treffend bemerkte schon der persische Dichter Khayyam vor 900 Jahren:

Das Rätsel dieser Welt löst weder du noch ich,
Jene geheime Schrift liest weder du noch ich. -
Wir wüssten beide gern, was jener Schleier birgt,
Doch wenn der Schleier fällt, bist weder du noch ich.

Zutreffend stellt Khayyam fest, dass wir über das Jenseits nichts werden sagen können, insbesondere und das ist in diesem Zusammenhang noch viel entscheidender, werden wir nicht darüber denken können. Des Weiteren stellt Khayyam auch zutreffend fest, dass es naheliegender ist, sich auf der Erde umzutun.

Der Himmel gab sein Geheimnis noch Keinem kund,
Schloss aber schon Tausenden von Königen den Mund.
Trink Wein, Freund: vom Tod kommt kein Leben zurück,
Und es gibt kein Glück als genossenes Glück.
Das sieht Dante zwar, wie wir gleich sehen werden, durchaus ähnlich, aber irgendwie zieht er daraus nicht die richtigen Schlüsse. Was den Autor aber tatsächlich beschäftigt ist etwas anderes. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Entstehen von hochwertiger Dichtung mit den gesellschaftlichen Bedingungen zusammenhängt, denn Khayyam ist nicht einsam auf weiter Flur, es gibt noch einen, Hafis. Der ist fast ein Zeitgenosse Dantes (geb. 1320, gest. 1390) und eine deutlich andere Liga.

Gib von jenem Wein dem alten
der dem Landmann Kraft verleiht
denn ich will mit neuem Saume
zieren meines Lebens Kleid
mach mich trunken und entfremde
mich der Welt auf dass ich dann
dieser Welt verborgene Dinge
dir berichte edler Mann

Die Dinge, die in DIESER Welt verborgen sind, darüber will er berichten. Um dies zu tun, muss man ein bisschen neben dieser Welt stehen (Wein), aber es ist diese Welt, die transzendiert wird. Das ist also tatsächlich Lyrik. In Persien erleben wir auch schon zu dieser Zeit eine individuelle Einstellung zum Gang der Dinge und ein breites Spektrum an Gefühlen. Im Mittelalter und insbesondere bei Dante erleben wir die Darstellung einer Ideologie in Terzinenform. Das kann zum Einen ganz konkrete Gründe haben: Eine individuelle Verarbeitung hätte ihn unter Umständen auf den Scheiterhaufen gebracht, wäre aber auf jeden Fall nicht karrierefördernd gewesen. (Wie übrigens die Abfassung der Divina Commedia in Latein auch nicht karrierefördernd gewesen wäre. Dies dürfte der tiefere Grund sein, warum er sie nicht auf Lateinisch geschrieben hat). Zum anderen scheint es so zu sein, dass sich flächendeckend ausbreitende Ideologien dazu neigen, das Individuum zu eliminieren.

Vom Mittelpunkt zum Rand und rückwärts wallt
Das Wasser, je nachdem an seine Schale
Ein Stoß von außen oder innen prallt.

Vor meine Seele trat mit einem Male
Dies Gleichnis mir – als das glorreiche Leben
Des heilgen Thomas schwieg im Himmelsstrahle -

Ob dieser Ähnlichkeit: Dass der soeben
Beschloss und jetzt es Beatricens Mund
Gefiel, im Rückprall gleichsam, anzuheben:

Was er uns mit diesem Bild veranschaulichen will ist, dass sich beim Redefluss des Thomas von Aquin die Wellenströme (Schallwellen?) von außen nach innen bewegten, die Theologen stehen ja im Kreis um Dante und Beatrice herum, Dante und Beatrice stehen in der Mitte. Hebt aber Beatrice an zu sprechen, dann bewegen sich die Wellen von innen nach außen. Er stellt sich also sozusagen den Dialog (bzw. die jeweiligen Monologe) als ein hin und her Fließen der Wellen vor. Wir sehen mal von der Tatsache ab, dass hiermit schlagend bewiesen ist, dass ein Bild nicht mehr sagt als tausend Worte, sondern ein gehaltvoller Satz sehr viel mehr sagt als ein Bild und überlegen, ob das überhaupt richtig ist. Richtig ist, dass wenn man einen Stein in eine große Pfütze wirft, dies zu Wellenformen führt, die sich kreisförmig ausdehnen, wobei der Mittelpunkt des sich ausdehnenden Kreises die Stelle ist, wo der Stein ins Wasser fiel. Also von mir aus können Wellen sich vom Zentrum ausdehnen und die Ohren der kreisförmig darum stehenden Theologen treffen. Das Problem ist, dass das Spiel umgekehrt nicht funktioniert. Selbst wenn man es schafft, so auf den Topf zu schlagen, dass die Wellen nur von einem Punkt starten, würden sie sich kreisförmig ausdehnen, allerdings würde nur ein Teil des Kreises im Topf landen und die Öffnung des Kreisbogens wäre entgegengesetzt zum Kreisbogen, der ihm aus dem Inneren entgegenschwappt. Werden aber durch den Schlag auf den Topf (im Original vaso) mehrere Stellen angestoßen, bilden die alle Kreise; wir erhalten ein diffuses Muster. Am wahrscheinlichsten ist aber, dass der ganze Topf vibriert, wir erhalten ein völlig chaotisches Muster. Das verwendete Bild ist also nicht nur rein physikalisch völliger Unsinn, sondern obendrein nicht suggestiv, wäre nicht mal suggestiv, wenn es richtig wäre. Es ist kompletter Blödsinn. Und dass Dante ein solches Bild einfällt, wenn Beatrice anhebt zu sprechen, ist nur im Paradies möglich. Im Paradies erahnt aber Beatrice alle Fragen Dantes, das hätte sie mal besser schon auf Erden getan und dem schüchternen Lover einen Brief geschickt.

„Dem hier ist‘ s nötig, ob er’s auch nicht kund
In Worten gab, ja noch nicht einmal dachte,
Dass er erschöpfe andrer Wahrheit Grund.

Also „dem“ ist Dante. Der traut sich aber mal wieder nicht zu fragen. Erstaunlich ist, dass er sich das nicht mal wagt zu denken. Das ist zwar ein geflügeltes Wort, man kann jemandem mitteilen, dass er es nicht wagen solle, auch nur daran zu denken, praktisch gesehen funktioniert das aber nicht. Gedanken erscheinen völlig unkontrolliert. Man müsste schon Freud und sein „Über Ich“ aus der Truhe ziehen um eine Situation zu konstruieren, bei der die Gedanken kontrolliert werden. Dante also, so Beatrice, wagt nicht zu fragen noch zu denken, dass irgendjemand ihm die tiefsten Gründe der Wahrheit erschließt. Die Frage allerdings, die Dante, nach der Meinung von Beatrice, nicht gewagt hat zu denken, ist so abwegig, dass wir eher dazu neigen anzunehmen, dass er sie schlicht auch gar nicht gedacht hat.

Sagt ihm, ob dieses Licht, dies gottentfachte,
Das euer Sein umblüht, im Glanz wie jetzt
Für ewig währt und ihm kein Ende machte?

Und dauert‘ s, so erklärt ihm, wenn ersetzt
Einst euern Leibern wird das Sichtbarwerden,
Ob es euch dann die Sehkraft nicht verletzt?“ -

In der ersten Frage geht es also darum, ob im Paradies ein Stromausfall möglich ist und alle Lichter ausgehen. Die Antwort ist relativ klar, auf der Sonne geht das Licht in ein paar Milliarden Jahren schon aus, aber dann ist der Autor nicht mehr da. Die zweite Frage ist kniffliger, da geht es um das Schicksal der Menschheit. Bis jetzt sind die Theologen und das ganze paradiesische Volk ja nur Lichter, die immer heller strahlen, je weiter es nach oben geht. Irgendwann aber ist ja das Jüngste Gericht, da stehen die Toten wieder auf und die Lichter bekommen ihre sterbliche Hülle zurück. Im Folgenden werden wir erfahren, dass sie dann noch viel heller leuchten. Dabei stellt sich dann aber ein Problem, denn mit dem Körper bekommen sie natürlich auch die Augen zurück und diese sind natürlich für diese Sehstärke nicht ausgerichtet. Die Antwort kann, das ist Ihnen auch klar, nicht darin bestehen, dass Sie eine Sonnenbrille aufsetzen, die gab es nämlich damals noch nicht. Würde man eine Frage dieser Art im irdischen Jammertal stellen, wären die Reaktionen sicher unterschiedlich, von schallendem Gelächter über totale Verblüffung bis zu besorgten Blicken. Im Paradies allerdings ist die Reaktion eine vollkommen andere.

Wie oft im stärkern Frohsinnsdrang auf Erden
Die Tanzenden, wenn sie den Reigen schlingen,
Mit Jauchzerlaut sich lustiger gebärden,

So zeigte stärkrer Glanz in beiden Ringen,
Dass sie der frommen Bitte Antwort gaben
Mit höherm Lustgefühl und süßerm Klingen.

Also wenn man die Divina Commedia tatsächlich, wie der oben erwähnte verbeamtete Geistliche, als Roman sehen will, dann ist es auf jeden Fall ein surrealistischer Roman. Diese Lichter glänzen heller, weil sie die Frage beantworten dürfen, wie nach dem Jüngsten Gericht, wenn die Toten auferstehen, sich die Augen an das Licht anpassen. Ich hätte ja naheliegendere Fragen. Wo gibt es einen Schutzanzug, der dafür sorgt, dass man auf der Sonne nicht gegrillt wird?
Wer‘ s je beklagt, dass wir zu sterben haben,
Um dort zu leben, hat noch nie empfunden,
Wie Himmelstau erquickend weiß zu laben!

Wow! Das stimmt! Denn das wäre ja nur möglich, wenn man vom Paradies wieder zurückkommt, man muss also erstens von den Toten auferstehen und zweitens auch im Paradies landen und das schafft nur Dante. Der wiederum hat uns aber ein paar Geträller weiter vorne mitgeteilt, dass, wieder im irdischen Jammertal angekommen, alle Erinnerungen an das Paradies gelöscht sind.

Der „Eins und Zwei und Drei“ bleibt unumwunden,
Der ewig herrscht in „Einem Zwein und Dreien“
Der all das All umfasst, selbst-ungebunden,

Ihn pries dreimal in Wonnemelodein
Der Geisterkranz, dass solch Gesang mir schien
Höchstem Verdienst genügend Lohn zu weihen.

Also der „Eins und Zwei und Drei“ das ist die Dreifaltigkeit, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen. Der wurde gepriesen in Wonnemelodien. Um uns einen Eindruck darüber zu vermitteln, wie herrlich die klangen, teilt er uns mit, dass damit, also durch das Absingen dieser Wonnemelodien, jeder Verdienst, also jede Arbeit, abgegolten wäre. Da hier wieder, wie durchgängig durch die ganze Divina Commedia, die Wörter sich jeder empirischen Substanz entledigt haben, ist es schlicht eine Phrasendrescherei.

Und aus dem engsten Kreise, dem verliehn
Göttlichstes Licht, klang Stimmenlaut so milde
Wie einst der Engel wohl gegrüßt Marien:

Der Erleuchtete ist Salomon. Das kriegt man aber nicht mehr raus, das ist jetzt ein Osterei der Megaklasse, weil überhaupt keine Anhaltspunkte geliefert werden, um wen es sich handeln könnte. Einziger Hinweis ist die Bemerkung ein paar Geträller vorher, dass Salomon das hellste Licht war im inneren Kreis. Unklar ist, wie Salomon es ins Paradies geschafft hat. Der ist ja auch vor Christi Geburt geboren. Das ist zwar einerseits erfreulich, weil es ja zeigt, dass Dante doch nicht vollkommen ideologisch verblendet war, andererseits aber unerfreulich, weil wir eher vermuten, dass ihm das gar nicht aufgefallen ist.

„Solang das Fest im Paradiesgefilde
Nicht endet, wird sich unsre Liebe schmücken
Mit solchem lichtausstrahlenden Gebilde;

Soll heißen, bis zum jüngsten Gericht werden die erstmal so weiter leuchten wie die Glühwürmchen.

Nach Liebesglut wird Klarheit uns beglücken
Nach Glut das Anschaun – und dies ist so groß,
Als Gnadenübermaß uns will entzücken.

Im Original

La sua chiarezza séguita l'ardore;
l'ardor la visione, e quella è tanta,
quant'ha di grazia sovra suo valore

Die Helligkeit folgt der Glut;
Die Glut dem Schaun, und jedem ward
Diese durch Gnade seinen Verdienst folgend verliehen

Es wird also ein Vergleich gezogen zum Kohleofen. Je mehr Glut da drin ist, desto mehr leuchtet er, wobei die Menge an Glut vom Verdienst abhängt, das sich das Flämmchen zu Lebzeiten erworben hat bzw. vom Himmel, in den es gnädig versetzt worden ist. Bis jetzt hieß es zwar immer, das Licht kommt direkt von oben, aus dem Empyreum, aber es ist wohl doch ein bisschen anders, aus dem Empyreum kommt offensichtlich Kohle, die glüht dann. Erstaunlich ist aber, dass Dante das Licht mit Glut in Verbindung bringt, das tut er tatsächlich. Im italienischen Original steht tatsächlich ardore, das heißt unter anderem auch Glut. Wenn aber das Licht tatsächlich von der Glut kommt, stellt sich die Frage, warum es da nicht saumäßig heiß ist, also unabhängig von der Tatsache, dass die Sonne an sich schon ziemlich heiß ist.

Doch im verklärten Fleisch und sündenlos
Durchatmet uns ein gottgefällger Wesen:
Wir sind vervollkommt und der Halbheit bloß.

Im Original

Come la carne gloriosa e santa
fia rivestita, la nostra persona
più grata fia per esser tutta quanta;

Wenn das siegreiche und heilige Fleisch
wieder sich erhebt, so wird auch unsere Person
vollkommen, wenn in ihrer Gänze sie wieder aufersteht

Soll heißen, wenn das siegreiche Fleisch, siegreich, weil es den Tod überwunden hat und wieder aufersteht, dann sind sie noch vollkommener (eigentlich più grata = gottgefälliger, weil Gott liebt die knackigen Körper),
wenn die Seele wieder mit dem Geist verbunden wird. Das Problem ist das alte. Dante erklärt manchmal irgendwelche Details seiner absurden Welt, ob die Flammen ewig brennen, wie man nach oben steigt (entgegen der Schwerkraft), dass die Körper keinen Schatten werfen etc. etc. Merkwürdig ist auch, dass im Läuterungsberg die Körper sichtbar waren, wenn auch lichtdurchlässig, hier aber sind sie körperlos. Zu klären wäre also, wieso sie hier den Körper verloren haben. Wenn er aber manchmal die Plausibilität seiner fiktiven Welt zu erklären sucht und über andere, genauso absurde Sachverhalte hinweggeht, dann ist kein ästhetisches Prinzip mehr zu erkennen, weil er dadurch, dass er manchmal die Plausibilität zu begründen versucht ein Element in sein Werk hineinträgt, dem das Werk als Ganzes nicht standhält. Niemand käme auf die Idee, sich zu fragen, wie die kleine Seejungfrau von Andersen an Land überhaupt atmen kann, bzw. im Wasser, weil die Geschichte in sich konsistent ist. Würde Andersen jetzt aber die Maßstäbe der Plausibilität in das Märchen hineintragen, die Prinzessinnen der Meere also zum Beispiel mit Sauerstofflaschen ausstatten, dann müsste auch der ganze Rest der Geschichte plausibel sein, er müsste dann auch klären, wie die Prinzessinnen auf dem Grunde des Meeres eine Trauerweide pflanzen konnten. Welcher inneren Logik eine Dichtung folgt, ist letztlich egal, aber die innere Logik muss dann stringent durchgehalten werden. Das ist bei Dante nicht der Fall. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Dante gar nicht davon ausgeht, dass es sich um eine Fiktion handelt, sondern dass er der Meinung ist, dass das Paradies tatsächlich so aussieht, was wiederum komisch wäre, denn dann hätte er sich ja gar nicht bei Thomas von Aquin rückversichert; die konkrete Ausgestaltung des Paradieses hat er sich alleine ausgedacht. Wenn er aber an das Paradies in dieser Version tatsächlich glaubte, dann lernen wir, dass die Kapitulation des Geistes auch Vorteile haben kann. Er hätte dann immerhin die absolute Gewissheit gehabt, dass es nach dem von ihm konstatierten irdischen Jammertal irgendwie glücklich weitergeht. Wie genau weiß er zwar auch nicht, denn außer, dass dort alles leuchtet wie von Bauscheinwerfern angestrahlt und außer irgendwelchen Leuten, die auf irgendwelche abstrusen Fragen noch abstrusere Antworten geben, berichtet er uns ja eigentlich nichts aus dem Paradies, zumindest nichts, was wir mit Glück verbinden würden. Glaubt er aber an den ganzen Blödsinn, dann ist das sicher für ihn tröstlich. Das scheint ein Mechanismus zu sein, der Religion teilweise auch erklärt. Erst durch die Kapitulation des Geistes gelingt der Sprung ins Paradies. Das wiederum kann der Grund sein, warum die Aufklärung manchmal so schlechte Karten hat. Sie plädiert dafür, den Geist auch unter widrigen Umständen anzuschalten, sie verspricht aber kein Glück, ist ergebnisoffen. Die Hoffnung der Religion ist, dass der menschliche Geist scheitert und sich in den Schoß der Kirche begibt, die das ewige, wenn auch unbekannte Glück im Jenseits verspricht. Dieselbe Konstellation haben wir im Faust. Wer allerdings dort auf die Kapitulation des Geistes hofft, ist nicht der Papst, sondern der Teufel.

Faust: Ich fühl's, vergebens hab ich alle Schätze
Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
Bin dem Unendlichen nicht näher.


Mephistopheles: Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,…

Die Diskussion allerdings scheint heute theoretisch, weil sich gezeigt hat, dass Nachdenken langfristig zu deutlich mehr Handlungsoptionen führt, als der Kamikaze Sprung ins Jenseits. Möglich jedoch, dass es noch einige bayrische Bergdörfer gibt, bei der die Abwesenheit von Geist zu einer solchen Enge geführt hat, dass allein der Kamikaze Sprung ins Jenseits bei wenig konkretem Glückversprechen das Einzige ist, was als utopischer Horizont verbleibt. Durchaus möglich, dass die Kapitulation des Geistes genau die Probleme schafft, die anschließend mit der Kapitulation des Geistes gelöst werden sollen.

Dann werden wir noch hellern Lichts genesen,
Das gnadenreich das höchste Gut uns spendet,
Und dies zu schaun, wird Er uns Kraft erlesen.

Im Original

per che s'accrescerà ciò che ne dona
di gratuito lume il sommo bene,
lume ch'a lui veder ne condiziona;

wachsen wird was uns das höchste Gut
an Licht unentgeltlich gibt,
ein Licht, dass zu sehen er uns befähigt

Wenn also die Körper wieder auferstehen und sich mit den im Moment nur als Flammen sichtbaren Seelen verbinden, wird es noch heller. Da stellt sich bei Dante dann die Frage, ob die Augen überhaupt in der Lage sein werden, diese Helligkeit zu schauen.

Dann muss das Anschaun wachsen, ungeblendet,
Wachsen die Liebe, die das Schauen nährt,
Wachsen der Strahl, der diese Liebe sendet!

Denn wie die Kohle, draus die Stichglut fährt,
Sie an lebendger Leuchtkraft überwindet,
Dass sie sich stark im Eigenglanz bewährt,

So wird die Glut, die leuchtend uns umrindet,
Besiegen einst des Fleisches lichten Schein,
Wenn Gott der Erdenschollen es entbindet.

Im Original

onde la vision crescer convene,
crescer l'ardor che di quella s'accende,
crescer lo raggio che da esso vene

Ma sì come carbon che fiamma rende,
e per vivo candor quella soverchia,
sì che la sua parvenza si difende;

così questo folgór che già ne cerchia
fia vinto in apparenza da la carne
che tutto dì la terra ricoperchia;

Im Original

So muss auch das Schauen wachsen,
es wächst die Glut, die an jener sich entzündet,
es wächst der Strahl, der aus dieser kommt

aber wie die Kohle die Flamme erzeugt,
die durch hellen Schein jene überstrahlt,
ihre eigene Erscheinung wird bewahren

so wird dieser Glanz der uns umgibt
einst besiegt sein offensichtlich von dem
was ganz mit Erde ist bedeckt

Also welcher Glanz hier welchen anderen Glanz überdecken wird ist unklar. Wir vermuten mal eher, dass irgendwann der Körper auftaucht und dann so ziemlich alleine vor sich hinglänzt. Wahrscheinlich ist das ganz tiefsinnig gemeint, weil im Christentum das Fleisch ja öfter mal negativ beschrieben wird (Fleischeslust), soll hier wohl erklärt werden, dass frei von allem Erdendust, das Fleisch blüht wie ein argentinisches Rumpsteak in der Pfanne oder so ähnlich. Das Problem ist immer das gleiche. Ohne ein empirisches Substrat gibt es keine Dichtung und über das himmlische Megaloch gibt es nichts zu berichten.

Dann wird solch Strahlenmeer uns nicht zur Pein;
Gewappnet – alle Freuden zu genießen –
Wird jedes Werkzeug unsers Leibes sein!“ -

Soll heißen, dass sich die Augen an die Helligkeit anpassen und fähig sein werden, die unendliche Helligkeit zu genießen. Selbst wenn man in eine 500 Watt Glühbirne schauen könnte, ist dem Autor unklar, wieso das besondere Glücksgefühle auslösen soll. Es soll im Gegenteil sogar Leute geben, die bei Kerzenschein glücklich sind. Hängt aber auch wahrscheinlich davon ab, was man dann macht, zum Lesen ist das ja unpraktisch.

Die Chöre riefen Amen gleich und ließen
Die Sehnsucht merken durch dies rasche Amen,
Sich ihren toten Körpern anzuschließen,

Wahrscheinlich wollte Dante mit dem ganzen Trara ein Problem lösen. Das Jüngste Gericht gehört zwar eigentlich nicht zum Kanon der christlichen Ideologie, aber die Vorstellung ist weit verbreitet. Wenn also die Lichter schon ohne die Wiederauferstehung vollkommen glückselig sind, braucht es naheliegenderweise kein Jüngstes Gericht, es muss also noch eine Steigerung möglich sein.

Nicht nur für sich, als auch in andrer Namen,
Als Eltern, Freunde und was ihnen teuer
Auf Erden war, eh sie zur Lichtwelt kamen.

Das ist jetzt neu. Im Läuterungsberg ging es immer darum, dass irgendjemand im irdischen Jammertal für einen betet, dann ging es schneller aufwärts. Hier wird jetzt für die gebetet, die noch im irdischen Jammertal sind.

Und sieh! Den frühern Glanz umschlang ein neuer,
Gleichprächtig wie der erste anzuschauen,
Als wenn der Himmel prangt im Morgenfeuer.

Puh! Wenn das jetzt so weiterleuchtet, fängt bald an das Papier zu leuchten, dann würde meine Stromrechnung aufgrund der göttlichen Gnade sinken.

Und ähnlich wie beim frühen Abendgrauen
Am Himmel Pünktchen hier und da erglänzen,
Auftauchend bald und schwindend bald im Blauen -:

So schien‘ s, dass plötzlich hier mit andern Tänzen
Ein dritter Ring neuartger Wesen kreiste,
Die beiden andern lodernd zu umkränzen.

O wahres Funkensprühn vom heilgen Geiste!
Geblendet schloss sich mir und übermannt
Das Auge, weil urplötzlich alles gleißte!

Also irgendwie hat die Dante Platte jetzt einen Kratzer, die hat sich festgehakt. Zu den Worten kann man auch ein Gedicht schreiben, das hat der Autor mal getan. Das heißt dann schlicht Worte.

Worte

Worte sind den Vögeln gleich
im ewigem Flug verhungernd
schwirren durch die Luft wie Staub
klingen nicht, und lassen nichts erklingen

Worte sind die Rillen auf den Felsen
vor namenloser Zeit da eingeritzt
erstarrte Zeichen
glühenden Gesteins

das Auge, das unsere Seele trifft
die Hand, die verloren durch die Haare streicht
das Lächeln, das unser Lachen verstummen läßt
wird uns zurückführen, zu den Worten

Wer allerdings einen allzu tiefen Blick in die Summa theologiae des Thomas von Aquin tut, der verstummt dann endgültig.

Doch so in Schönheit lachend und entbrannt
Wies Beatrice sich, dass mir‘ s entschwunden
Nebst anderm, dem kein Menschensinn hält Stand.

Im Original

Ma Beatrice sì bella e ridente
mi si mostrò, che tra quelle vedute
si vuol lasciar che non seguir la mente

Doch Beatrice zeigte sich so schön und lächelnd
dass dies zu jenen Visionen gehört
die man verlässt, weil der Geist ihnen nicht kann folgen

Soll heißen, es war ein Erlebnis, das so herrlich war, dass es das menschliche Fassungsvermögen übersteigt, es bleibt also nicht im Geiste haften und folglich kann er auch nichts darüber berichten. Der Autor würde sagen, dass Dante lügt wie gedruckt. Er versucht, wie schon so oft, die Sterilität seines Machwerkes zu begründen. Entweder ist der Leser zu blöd bzw. strengt sich nicht genug an oder es wird, wie hier, die Behauptung aufgestellt, dass die herrlichen Erlebnisse des Jenseits nicht im irdischen Jammertal beschrieben werden können, aber durchaus vorhanden waren. Die Sache ist die: Es ist nicht so, dass sich die Erfahrungen des himmlischen Megalochs nicht beschreiben ließen, es ist schlicht so, dass im himmlischen Megaloch tote Hose ist und es nichts zu berichtigen gibt. Der Geist hat nichts, dem er folgen könnte und die Erinnerung nichts, an was sie sich erinnern könnte.

Als sich die Sehkraft mir zurückgefunden,
Sah ich mit meiner Herrin schon nach oben
Zum höhern Heil entrückt mich in Sekunden;

Beatrice und Dante schweben also empor zum Mars.

Doch spürte ich‘ s, dass ich emporgehoben,
Am neuen Stern, der mir in lichter Reine
Entgegenlachte, glühendrot – umwoben.

Dass er ein Stockwerk weiter oben gelandet ist, merkt er nur daran, dass er jetzt den Mars sieht, die nächste Station.

In jener Sprache, die als die all-eine
Von Herzen quillt, bracht ich Dankopfer dar,
Wie sich‘ s gebührt, dem neuen Gnadenscheine;

Und dass die Gabe wohlgefällig war,
Ließ mich erkennen schon ein gnädig Zeichen,
Noch eh die Glut erlosch auf dem Altar.

Denn sieh! In zweier Strahlen glühnden Speichen
Erschimmerte korallenrote Pracht-
„O Gott!“ rief ich, „wie schön! Wie ohnegleichen!“

Im Original

Con tutto 'l core e con quella favella
ch'è una in tutti, a Dio feci olocausto,
qual conveniesi a la grazia novella

E non er'anco del mio petto essausto
l'ardor del sacrificio, ch'io conobbi
esso litare stato accetto e fausto;

ché con tanto lucore e tanto robbi
m'apparvero splendor dentro a due raggi,
ch'io dissi: «O Eliòs che sì li addobbi!».

Aus ganzem Herzen und in jener Sprache
Die überall vorhanden, brachte ich Gott ein Opfer
wie es sich ziemte, für die neue Gnade

Und in meinem Herzen war noch nicht erloschen
die Glut des Opfers, als ich erkannte,
dass angenommen ward, das glückliche und selige Zeichen

denn zwei so helle und so klarer
Glanz entströmte zwischen zwei Strahlen,
dass ich sagte: „Mit welchen Schmuck kleidest du die Erwählten.“

Während er also nach oben schwebte, betete er (jene Sprache die überall vorhanden, weil sie immer das gleiche meint). Dieses Dankgebet war fällig, weil Gott ihn ja ein Stockwerk weiter nach oben befördert hat. Während er aber noch betet, sieht er, dass sein Gebet erhöht worden war, weil jetzt auch auf dem Mars irgendjemand das Licht angemacht hat. Überraschend ist das Wort olocausto, das im Deutschen ja nur in Verbindung mit den Verbrechen an den Menschen jüdischen Glaubens verwendet wird. Der Begriff holokaútoma stammt aber aus dem Griechischen und bedeutet Brandopfer. Dante benutzt den Begriff hier aber lediglich im Sinne von Opfer. Hierunter versteht er auch das Gebet.
Ansonsten alles wie gehabt, das Paradies glänzt wie von Meister Proper frisch gebohnert.

Wie zwischen beiden Polen pflegt bei Nacht
Milchstraßensterngeschlängel hinzugleiten,
So dass es selbst die Weisen zweifeln macht,

Im Original

Come distinta da minori e maggi
lumi biancheggia tra ' poli del mondo
Galassia sì, che fa dubbiar ben saggi;

Wie erkennbar zwischen den Polen
große und kleine Lichter leuchten
In der Milchstraße, so dass selbst die Wissenden zweifeln

Gemeint ist, dass die Milchstraße an der scheinbaren Rotation am Himmel nicht teilnimmt, weil sie, nach moderner Auffassung, nicht um die Sonne dreht. Das war den Weisen im Mittelalter unverständlich, da ja alles irgendwie an der Glaskugel aufgehängt war. Die Milchstraße wird auch von allen Systemen, die auf den Aristotelischen Ideen aufsetzen, also auch das System des Ptolemäus, erstmal nicht berücksichtigt. Die fast zutreffende Reihenfolge der Planeten „Erde, Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn“ beruht auf der scheinbar geringeren Kreisform, die die Planeten nach dem ptolemäischen Weltbild am Himmel beschreiben. Richtig ist „Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto“. Beim heliozentrischen Weltbild ist natürlich die Erde, Sonne und Mond nicht mit drin. Die anderen (Uranus, Neptun, Pluto) tauchen nicht auf. Sie wurden erst (sehr viel) später entdeckt. Uranus im Jahre 1781, Neptun im Jahre 1846 und Pluto im Jahre 1930.

So sterndurchweht sah ich sich hier verbreiten
Den Zwillingsstrahl zum heilgen Kreuzeszeichen
im Kern des Mars durch die Quadrantenseiten.

Im Original

sì costellati facean nel profondo
Marte quei raggi il venerabil segno
che fan giunture di quadranti in tondo

so angeordnert machten diese Strahlen
in den Tiefen des Mars das heilige Zeichen
das die Quadranten bilden in einem Kreis

Ein Quadrant ist schlicht sowas

Das heißt das, was alle aus dem Mathematikunterricht kennen, da kann man so schöne Funktionen einzeichnen, oder aus der Volkwirtschaftslehre, da ist das ganz beliebt, das keynessche IS-LM Modell wird z.B. gerne als Quadrant dargestellt, obwohl Keynes selber es nicht so vorgestellt hat. Macht man jetzt noch einen hübschen Kreis drum, erhält man sowas.

Die zwei Strahlen formten also ein Kreuz mit gleichlangen Armen.

Hier muss die Dichtkunst dem Gedächtnis weichen:
Am Kreuze leuchtend sah ich Christum ragen,
So hell, dass es kein Wortbild kann erreichen.

Das ist einer der wenigen von Dante in Variationen öfter erwähnten Zusammenhänge, den wir ihm tatsächlich glauben, zumindest was das Ergebnis angeht: „Die Dichtkunst weicht dem Gedächtnis.“ Das heißt, wir haben es mit Dichtung ohne empirisches Substrat zu tun, das heißt mit einem leeren Wortgeklingel. Die Dichtkunst kann dem Gedächtnis nicht weichen, kann ohne Gedächtnis, wenn wir Gedächtnis als den Moment verstehen, indem eine komplexe Beziehung zwischen Individuum und Welt sich kristallisiert, gar nicht entstehen. Dante ist der Meinung, er könne ohne Gedächtnis dichten, über ein himmlisches Megaloch schreiben. Genau das kann er aber nicht, das kann niemand. Das Gedächtnis ist auch nicht gewichen, es gibt kein Gedächtnis von einem himmlischen Megaloch, das Gedächtnis war nie da. Es fällt auf, dass Dante sehr oft von der Unmöglichkeit schreibt, das Erlebte zu schildern, ständig die Musen, den Chef der Musen (Apollo) anruft, den Leser schlicht für zu blöd erklärt, wenn er seiner „Dichtung“ nicht folgen kann, hin und wieder anmerkt, dass sein Gedächtnis aussetzt etc. etc. Die Häufung fällt auf. Es ist davon auszugehen, dass Dante klar war, dass ohne empirisches Substrat keine Dichtung möglich ist. Der Satz „so hell, dass es kein Wortbild kann erreichen“ beschreibt zwar, isoliert betrachtet, einen richtigen Sachverhalt, nämlich dass Dichtung die Sprache an ihre Grenzen führt, sie trifft, wo sie Begriffe auflöst. Im himmlischen Megaloch ist aber nichts, was man treffen könnte. Wir dürfen also die oben genannte Terzine durchaus als so eine Art Freudsche Fehlleistung deuten.

Doch wer sein Kreuz hat Christo nachgetragen,
Entschuldigt gerne, was ich hier verschwiegen,
Wird ihm in jenem Licht einst Christus tagen.

Soll heißen, alle die, die an Christus glauben, werden ihm verzeihen, weil sie ja hoffen können, irgendwann diesen Christus, von dem er nicht berichten kann, in natura zu sehen.

Von Arm zu Arm, vom Fuß zum Gipfel stiegen
Zuckende Lichter, und durch ihren Reigen
Schien beim Begegnen hellre Glut zu fliegen.

Im Original

Di corno in corno e tra la cima e 'l basso
si movien lumi, scintillando forte
nel congiugnersi insieme e nel trapasso

Von Arm zu Arm bewegten sich die Lichter,
von oben nach unten, noch heller leuchtend
wenn sie sich trafen beim vorüberfliegen

Eins kann man sagen, Dante leidet nicht an einer Lichtallergie, das ist das Positivste, was es zu berichten gibt. Allerdings ist auch unklar, welchen Narren er an den Baustrahlern gefressen hat. Teilweise kann man das mit den Lichtern ja noch nachvollziehen, Licht ist eben das Gegenteil von Finsternis, und finstere Zeiten sind durchaus auch Zeiten geistiger Umnachtung. Durchaus auch poetisch doppeldeutig, wenn Goethe um eine Lampe bat, als es zu Ende ging: Mehr Licht! Allerdings sollte in Zusammenhang mit Licht auch das genannt werden, was überhaupt durchleuchtet wird und welche Sachverhalte der Erleuchtete konkret geklärt hat. Die Metapher ist dann wirkungslos, wenn es nichts zu durchleuchten gibt. Wer ständig erleuchtet durch die Gegend rennt, dem darf man unterstellen, dass er irgendeinen Pilz gefunden hat und sich direkt in die Erleuchtung verabschiedet hat. Langfristig wirkungsvoller sind aber die Erleuchteten, die sich mit der real existierenden Realität mal auseinandergesetzt haben und dann erleuchtet wurden. Dieser Prozess hat zwar was mit Arbeit zu tun, macht aber langfristig mehr Spaß.

So pflegen tanzend wohl mit Heben, Steigen,
Langsam und eilig, grade und geschweift,
Staubteilchen groß und winzig sich zu zeigen

Im Sonnenstrahl, der durch ein Ritzchen streift
Zum dunkeln Raum, wenn Kühlung zu erringen
Absicht und Kunst nach einer Schutzwand greift.

Das stimmt. Fällt in einen dunklen Raum Sonnenlicht, so sind in dem Lichtstrahl manchmal Staubkörner, Flusen und ähnliches zu sehen.

So aus den Lichtern, die das Kreuz umschlang,
Floss eine Melodie, mein Herz berauschend,
Obwohl kein Wort verständlich mir vom Sang,

Als nur, dass er – erhabnen Lobspruch tauschend -
„Steh auf und siege!“ rief; war‘ s deutlich zwar,
So stand ich doch, umsonst nach Deutung lauschend,

Also die Melodien lösten sich aus den Lichtern, wie Staubkörner in einem Lichtstrahl aufleuchtend. Das Problem bei Dante ist nicht nur, dass er über
ein paradiesisch / himmlisches Megaloch dichtet ohne jedes empirisches Substrat, sondern dass er obendrein auch noch ständig Vergleiche zusammenzimmert, die im Grunde nur eines zeigen. Sprache ist eines der schwächsten Kommunikationsmittel überhaupt, denn sie ist das einzige Kommunikationsmittel, das sui generis existiert, dem jede Unmittelbarkeit fehlt und die aus sich selbst heraus auch nicht authentisch ist. Während andere Kommunikationsformen wie Musik oder Malerei unmittelbar und damit authentisch sind, ist Sprache dies nicht. Authentisch an der Sprache ist eigentlich nur die grammatikalische Struktur. Wird gegen diese verstoßen, dann wird das als Fehler honoriert, grammatikalisch korrekt formulierter Schwachsinn geht runter wie das Maß Bier durch den Schlund des Oberbayern. Bei der zweiten Terzine vermuten wir jetzt, dass Dante uns eine Plattitüde als höchstes moralisches Streben verkaufen will. Aus dem ganzen Gesang und Geträller (mit diesem verhält es sich ähnlich wie mit dem Licht, wir bekommen so etwa 100 mal erzählt, dass die Melodei so schön war, dass sie sich nicht beschreiben lässt) hört er nur die Worte „steh auf und siege“ heraus, betont aber, dass er den tieferen Sinn nicht deuten könne, was wir ihm natürlich nicht abnehmen, denn die Divina Commedia ist eine Commedia Terrestre, also eine irdische Komödie, schließlich ist die Rezeption durch die verbeamteten Geistlichen durchaus komisch und wenn wir irdisch mit „menschlich allzu menschlich“ übersetzen, dann ist es eine allzu menschliche Komödie. Wenn die Divina Commedia irdischen Ursprungs ist, dann können wir annehmen, dass Dante mit dem „steh auf und siege“ einen Zweck verfolgte und dieser ihm auch sehr wohl bekannt war; anzufügen, dass er hier nach Deutung lauscht, ist schlicht albern. Er will uns mitteilen, dass derjenige, der sich zu Christus erhebt siegen wird. Das offen auszusprechen war wohl selbst ihm zu platt.

Und hierdurch so von Liebe ganz und gar
Durchzückt, gesteh ich, dass seit jenen Stunden
Mein Herz nie wonniger gefesselt war.

Hm. Das Problem ist das: Oberflächlich betrachtet ist das Nonsense, weil man sich fragt, wie sein Herz in Wonnen gefesselt wird bei der Erinnerung an etwas, an das er sich gar nicht erinnert (seine Interpretation) bzw. wie sein Herz sich voll Wonne erinnert, wenn gar keine Erinnerung vorliegt (die tatsächliche Situation). Eine andere Interpretation, die Sinn ergeben würde, trauen wir Dante nicht zu. Sie würde von einer Befähigung zur Introspektion ausgehen und von einer Befähigung, das menschliche „Herz“ und seine manchmal etwas merkwürdigen Gemütszustände zu erfassen. Das würde voraussetzen, dass man sich für das Individuum interessiert, was bei Dante ja nicht der Fall ist. Für ihn ist das Individuum lediglich der Wachs, auf den der Herrgott seinen Stempel drückt. Eine Aussage, dass es eine Sehnsucht gibt, die sich weder aus einer konkreten Erfahrung speist noch aus einer Vision von Glück, ist wohl möglich. Einen solchen skurrilen Fall beschreibt Nietzsche.

Wenn die Sehnsucht vergeht,
bleibt die Sehnsucht nach der Sehnsucht

Vermisst wird also nicht das Sehnen nach etwas, sondern das Sehnen an sich. Etwas Ähnliches beschreibt auch Goethe. Sehnsucht als unbestimmte Erwartungshaltung, das dumpfe Gefühl, das da noch was kommen muss.

So gib mir auch die Zeiten wieder,
da ich noch selbst im Werden war,
da sich ein Quell gedrängter Lieder
ununterbrochen neu gebar,
da Nebel mir die Welt verhüllten,
die Knospe Wunder noch versprach,
da ich die tausend Blumen brach,
die aller Täler reichlich füllten!
Ich hatte nichts und doch genug:
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug!
Gib ungebändigt jene Triebe,
das tiefe schmerzenvolle Glück,
des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
gib meine Jugend mir zurück!

Vermisst wird also ein seelischer Zustand als solcher, nicht der Grund, der diesen Zustand hervorruft. Goethe kann man sowas zutrauen und auch noch einiges mehr. Bei Dante jedoch haben wir es mit einem weitgehend uninspirierten Terzinenschmied zu tun, es macht wenig Sinn, ihm Tiefe anzudichten. Diese unbestimmte Sehnsucht ist im übrigen nicht mal schlecht. Kommt noch Hirn dazu, kann sie durchaus Aufbruch bedeuten. Nietzsche bleibt da irgendwo stecken. Die Sehnsucht macht scharf und wenn du scharf bist, das hat Nina Haagen treffend beobachtet, musst‘ e rangehen.

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Sehnsucht speist sich aber, das kann man dann bei Ernst Bloch nachlesen (das Prinzip Hoffnung), sinnigerweise mit utopischen Linien im Weltenlauf.

Solch Ausdruck wird vielleicht zu kühn gefunden,
Als trät ich Beatricens Augen nah,
Darin mein Wunsch und Wollen ruht gebunden?

Im Original

Forse la mia parola par troppo osa,
posponendo il piacer de li occhi belli,
ne' quai mirando mio disio ha posa;

Vielleicht habe ich zuviel gewagt durch meine Worte,
vernachlässigte das Glück der schönen Augen
die schau ich sie an, meine Sehnsucht stillen

Es fällt ihm also auf, dass die Augen Beatrices unter Umständen genauso in der Lage wären, sein Herz in ähnlichen Wonnen zu fesseln. Das glauben wir ihm sogar. Würde er sich den ganzen nicht erinnerlichen Theologenkram und die nicht vorhandene Erinnerung an das himmlisch / göttliche Megaloch aus der Birne tun, dann wäre er wieder bei der Vita Nuova, in einem Zustand also, als der Theologenkrimskrams ihm noch nicht das Hirn verqualmt hat.

Die Liebe wohnt in meiner Herrin Blicken,
Die, was sie anschaun, wunderbar verklären;
Wem einen Gruß sie gnadenvoll gewähren,
Dem bebt durchs Herz unsagbar ein Entzücken.
Der muss die Stirn betroffen abwärts kehren,
Ob seiner Mängel seufzend, die ihn drücken;
Selbst Hass und Hochmut muss vor ihr sich bücken.
Beatrice allerdings ist inzwischen ja zur Beamtin im höheren himmlischen Dienst mutiert, das wird also auch nix. Und wenn er seine Zeit mit was Vernünftigem verbracht hätte und sich um die leichtbekleideten Florentinerinnen gekümmert hätte?

Doch da lebendger Schönheitsausdruck ja
Je höher, desto größre Kraft entfaltet,
Und da ich jetzt nicht ihre Augen sah,

So hoff ich, dass ihr mich entschuldigt haltet
Und überzeugt seid von des Dichters Wahrheit:
Die Himmelslust wird hier nicht ausgeschaltet,

Je mehr man steigt, je reiner strahlt die Klarheit!

Im Original

ma chi s'avvede che i vivi suggelli
d'ogne bellezza più fanno più suso,
e ch'io non m'era lì rivolto a quelli,

escusar puommi di quel ch'io m'accuso
per escusarmi, e vedermi dir vero:
ché 'l piacer santo non è qui dischiuso,
perché si fa, montando, più sincero.

Doch wer bedenkt dass der Ausdruck
Jeder Schönheit steigt, je mehr man steigt,
und dass ich mich jenen nicht gewidmet

der kann mich dessen was ich mich beschuldige
Entschuldigen, und wird sehen, wie wahr ich sehe:
die heilige Freude endet nicht hier,
wird im Steigen tiefer noch

Sagen will er uns, dass er im Moment von den Kreuzen hin und weg war, wobei er aber gar nicht mehr weiß, wie herrlich die Kreuze und die Lichter waren. Auch wenn wir anerkennen, dass es eine ziellose Sehnsucht gibt, so sehen wir bei Dante die tragische Version dieses Phänomens. Hier ist die tiefste Ergreifung, die allerdings lediglich sich selbst ergreift. Den Zustand an sich, die Sehnsucht nach der Sehnsucht, kann man, entsprechende Begabung vorausgesetzt, die bei Dante aber nicht vorliegt, beschreiben. Beschreibt man aber die Sehnsucht nach einem himmlisch / göttlichen Megaloch, dann erreichen wir die Metaebene. Weder der Zustand an sich noch das Ziel dieses Zustandes ist irgendwie nachvollziehbar. Weiter will er uns sagen, dass die tiefe Beglückung, die er fühlte beim Anblick der Kreuze, ihn die schönen Augen der Beatrice nicht haben vergessen lassen, er wird sie weiter unten schildern, wenn sie noch herrlicher strahlen. Unter diesem Gesichtspunkt erhalten die Anfangsverse der Divina Commedia (Auf halbem Wege unsers Erdenlebens / Musst ich in Waldesnacht verirrt mich schaun / Weil ich den Pfad verlor des rechtens Streben), einige der wenigen Verse mit tatsächlich poetischer Kraft, eine völlig neue Bedeutung. In Waldesnacht verirrt war er nicht, bevor er zu seiner Reise durch die drei Stadien des Jenseits aufgebrochen ist, sondern danach. Der Autor würde behaupten, dass die Katharsis, irgendwas in der Art hat Dante wohl mit seinem Opus Magnus im Sinn, also eine Schocktherapie ausgelöst durch starke Emotionen, nur funktionieren kann, wenn eben solche Emotionen ausgelöst werden. Im himmlisch / göttlichen Megaloch gibt es aber keine Emotionen, da halten lediglich einige ältere Herren Vorträge über alle möglichen höchst abstrusen Themen. Wer sich damit zu lang beschäftigt, der verliert den Kontakt zur Realität und dann befindet er sich tatsächlich in tiefer Waldesnacht. Was immer es auch gewesen sein mag, was Dante nach seiner subjektiven Einschätzung in die tiefe Waldesnacht geführt haben mag, Wollust, Geiz, Hochmut, Gier, es ist harmlos. Wäre er zu einem Psychologen gegangen, hätte dieser zwar ein Krankheitsbild diagnostiziert, es ist für diese Berufgruppe einfach interessanter, davon auszugehen, dass alle einen psychischen Knacks haben, doch objektiv betrachtet war er kerngesund. Der Drogenkonsum und das damit einhergehende reichlich alberne ständige vor sich Hinstrahlen, selige Lächeln und die skurrilen Licht- und Glanzerscheinungen treten erst im Paradies auf. Das führt dann dazu, dass wir konstatieren müssen, dass die sehr bodenständigen Schwaben (wobei einem diese Bodenständigkeit ja auch ab und an auf die Nerven gehen kann) den richtigen Ratschlag geben:

Brettl bohre, net end Luft gucka.