Die psychotische Erkrankung nimmt jetzt zu, es werden zunehmend höchst
subtile Antworten auf Fragen gegeben, die kein Mensch stellen würde. Die
Frage, die jetzt diskutiert wird, ist, ob die Schuld, die man durch das Brechen
eines Gelübdes auf sich geladen hat, durch irgendetwas kompensiert werden
kann. Umgekehrt würde ja ein Schuh daraus, man könnte sich zum Beispiel
fragen, ob das 8. Gebot (Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen
Nächsten) und andere Moralvorstellungen, zum Beispiel, dass man nicht
lügen soll oder immer die Wahrheit sagen soll, tatsächlich sinnvoll
ist. Das 8. Gebot zum Beispiel verbietet auch, positiv über einen anderen
zu berichten. Das kann sinnvoll sein, selbst wenn es mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt.
Es soll ja Leute geben, die brauchen einen Tritt in den Arsch, es gibt aber
auch welche, die brauchen das Gegenteil. Und warum man immer die Wahrheit sagen
soll, hat sich auch noch keinem wirklich erschlossen. Wenn die Unwahrheit angemessener
ist, dann eben die Unwahrheit. Dergestalt könnte man auch die nun folgende
Diskussion über die gebrochenen Gelübde abbrechen. Wenn es Unsinn
ist, sollte man es brechen, das Gelübde. Beatrice sieht das natürlich
jetzt alles etwas weniger praxisorientiert und ziemlich theoretisch. Sieht
man mal von der etwas weltfremden Sicht der Dinge ab, gibt es noch ein Problem.
Die zwei sind irgendwie voll gut drauf, aber bei der Beschreibung kann man
sich durchaus fragen, ob das noch gesund ist.
„Siehst du in Liebesglut entflammt mich stehen,
Die deinen Augen so die Kraft benommen
Wie nie es mag durch Erdenglanz geschehen,
So staune nicht! Ein Anschaun, das vollkommen,
Lässt in der Einsicht, die wir schon ergründet,
Fortschreitend wachsen uns zu Nutz und Frommen
Im Original
S'io ti fiammeggio nel caldo d'amore
di là dal modo che 'n terra si vede,
sì che del viso tuo vinco il valore,
non ti maravigliar; ché ciò procede
da perfetto veder, che, come apprende,
così nel bene appreso move il piede.
Wenn ich dir von der Glut der Liebe erleuchtet erscheine
auf eine Art wie auf Erden nie ward gesehen
so dass ich übertreffe noch die Kraft deiner Augen
sei nicht überrascht, denn dieses
rührt von vollkommener Einsicht, die,
in dem Maße wie sie lernt, dem gut Gelernten folgt
Also was das genau heißten soll, weiß kein Mensch, Falkenhausen
interpretiert das so.
Beatrice erklärt das blendende Leuchten ihres Auges als Wirkung des Gottschauens,
kraft dessen der Schauende selbst in das Wesen der Gottheit eindringt und so
von ihrer Liebe und ihrem Licht erfüllt wird.
(La Divina Commedia, insel Taschenbuch, Frankfurt am Main, 1997, Seite 600)
Was da genau passiert, ist zwar unklar, wir haben ja lediglich eine Vorstellung
davon, wie das ist, wenn man ein Sonnenbad nimmt, unter Umständen kennen
wir auch noch die Wirkung des Lichtes auf das Gemüt, aber wie man durch
Licht zur Schau Gottes kommt, da müssen wir leider glatt passen. Entweder
hatte Dante ein sehr spezielles Gemüt, oder er weiß so richtig auch
nicht, welche Emotion er uns eigentlich beschreiben will. Auf jeden Fall lernen
wir, dass die Gottschau nicht rational ist, irgendwie findet die Gottschau dadurch
statt, dass man von irgendeinem Licht durchströmt wird. Das Merkwürdige
dabei ist, dass dann der Ursprung aller Erkenntnis vollkommen irrational ist,
es aber trotzdem zu rational nachvollziehbaren Erklärungsmustern führen
soll.
Nimmt man andere Kommentare zu den Versen oben, wird es noch erstaunlicher.
Rudolf Baehr zum Beispiel, das ist der, der die Reclam Ausgabe kommentiert hat,
schreibt zum Beispiel.
Je mehr das Auge der Seligen Gottes Herrlichkeit erkennt, desto heller strahlt
es davon wider. Der Glanz in Beatrices Augen nimmt mit dem Steigen der Kreise
zu. (Divina Commedia, Reclam, Stuttgart, 2006, Seite 484)
Irgendwie hat sich noch nie jemand überlegt, wie das eigentlich aussähe,
wenn die Augen tatsächlich strahlen würden, also ganz wörtlich,
strahlen. Der Autor würde nämlich eher vermuten, dass das voll shocking
wäre. Würde dem guten Baehr auf der Straße ein Frau begegnen,
deren Augen strahlen, dann würde er wahrscheinlich vor Schreck in Ohnmacht
fallen. Wenn sowas also irgendwer schreibt, dann geht das gar nicht, bei Dante
allerdings scheint irgendwie alles durchzurutschen. Der Autor kann ja auch mal
ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern. Im Moment lässt die
infos24 GmbH ja von zwei professionellen Musikerinnen Musik einspielen, aus
didaktischen Zwecken für die
www.spanisch-lehrbuch.de, das klingt dann ziemlich gewaltig. Diese
Musikerinnen wiederum brauchen Texte und da hat dann der Autor mal eine Festplatte,
deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen war, reaktiviert und Gedichte von ihm ausgekramt,
das geht dann so.
Wenn sie eine Quelle wäre
wie hell wäre sie, wie klar
wie sanft ihr Murmeln
wie würde sich der Mond dort spiegeln
wie würden dort die Elfen tanzen
Wenn sie eine Rose wäre
wie schön wäre sie, wie schlank
wie würde der Wind mit ihrer Blüte spielen
der Regen sanft nur, um ihre Blätter streicheln
wie würden auch die Kobolde erstaunen
Wenn sie ein Stern wäre
wie hell wäre sie, wie klar
wie würden alle Prinzen sie bewundern
ihr Licht diamantengleich
das Ohr der Prinzessin schmücken
Und was war der Kommentar? Eine Frau ist keine Quelle. Punkt. Also wenn man
nicht Dante heißt, dann kriegt man irgendwie überhaupt keinen Text
durch, obwohl eine Frau, in die man verliebt ist, durchaus was von einer vor
sich hinmurmelnden, klaren Quelle haben kann. Man kann ja friedlich neben ihr
sitzen, ihr Lächeln bestaunen und was sie vor sich hin murmelt. Das ist
auf jeden Fall realistischer und friedlicher, als eine Frau, deren Augen Lichtwellen
aussenden, wenn das passiert, ist es nämlich vorbei mit der Harmonie der
Seelen. Nach meinen letzten Erfahrungen mit der Verschriftung meiner tiefstempfundesten
Gefühle geh ich davon aus, dass Sie auch davon ausgehen, dass eine Frau
keine Quelle sein kann, das mag ja so sein. Aber völlig unabhängig
wie Sie darüber denken, der Autor würde sagen, dass das, was Dante
beschreibt, noch viel abwegiger ist.
So seh ich auch, wie klarer schon sich kündet
In deinem Geist ein Strahl vom ewgen Licht,
Das, nur gesehen, die Liebe schon entzündet
Wenn diese aber andrer Reiz besticht,
Geschieht‘ s nur, weil von jenem ewigen Schimmer
Verkannter Abglanz diesen Reiz durchbricht
Im Original
e s'altra cosa vostro amor seduce,
non è se non di quella alcun vestigio,
mal conosciuto, che quivi traluce.
und wenn etwas anderes eure Liebe verführt
dann ist es nur der Abglanz dieser Liebe
die, verkannt, dort leuchtet
Er will uns also sagen, dass irgendwie alles was auf Erden geliebt wird, irgendwie
ein Ausfluss der Liebe zu Gott ist. Es ist zu vermuten, dass das irgendwo bei
Thomas von Aquin steht, allerdings findet der Autor die These so abwegig, dass
er keine rechte Lust hat, nachzuschauen, wo das steht. Der Autor teilt ja, wie
oben beschrieben, nicht die Ideen Freuds, also dass alles was als Liebe daherkommt,
irgendwie sublimierte Libido ist, das wäre sozusagen die bottom up Variante.
Die Variante top down, also alles kommt von oben, teilt er aber auch nicht.
Er würde sagen, es handelt sich hier um ganz verschiedene Dinge, die nichts,
aber rein gar nichts, miteinander zu tun haben, also weder bottom up noch top
down. Psychologisch richtiger ist natürlich mal wieder Goethe, der schreibt
im Werther „Jede Begierde schweigt in ihrer Gegenwart“. Da wird
immerhin mal die Begierde und die Liebe getrennt und zutreffend festgestellt,
dass die manchmal nichts miteinander zu tun haben. Den Gott lässt Goethe
dann ganz weg, das ist ein anderes Thema. Bei Dante kommt irgendwie alles in
einen großen Mixer und wird vermischt, das führt dann zu Sprachkonstrukten,
die psychologisch so abwegig sind wie der schlechteste Hollywoodfilm ohne jedoch
diese Abwegigkeit durch irgendetwas zu kompensieren.
Tu vuo' saper se con altro servigio,
per manco voto, si può render tanto
che l'anima sicuri di letigio
Du willst wissen, ob durch anderen Dienst,
soviel geleistet werden kann, dass die
Seele frei ist von Bestrafung wegen des gebrochenen Gelübdes
Es gibt ja Dinge im Leben, die würde der Autor gerne wissen. Wir sind jetzt
im Paradies, das wird in Italien ein Jahr lang in der Schule gemacht, nachdem
ein Jahr lang die Hölle und ein Jahr lang der Läuterungsberg gemacht
wurden. Den Autor würde jetzt interessieren, wie ein Lehrer die italienischen
Kiddies dazu bringt, sich ebenfalls für diese Frage zu interessieren. Dass
dieser Versuch gestartet wird, lässt allerdings keine Rückschlüsse
auf das italienische Bildungssystems zu, denn auch die Philologentrottel schreiben
Lehrpläne, da fragt sich der unbedarfte Dritte ebenfalls, ob die eigentlich
einen an der Waffel haben. Götz von Berlichingen in der neunten Klasse
entspricht so in etwa dem Purgatorium in der zwölften Klasse. Es kann also
durchaus nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschäftigung mit Kultur
den Leuten neue Möglichkeiten entfaltet, bei manchen scheint die Beschäftigung
mit dieser eher dazu zu führen, dass die Birne völlig abgefackelt
wird, was auch der Erfahrung des Autors entspricht. Dieser z.B. hat in seiner
Magisterarbeit diesen Kommentar aus der Sekundärliteratur kommentiert:
Die Figuren im Theater Antonio Buero Vallejos kämpfen für die Freiheit,
diese zu finden ist ausgesprochen schwierig.
Sein Kommentar dazu war dann, dass diese Aussage so vage ist, dass sie nicht
einmal falsch sein kann. Mit diesem Satz war der nette ältere Herr dann
ganz und gar überfordert, einen Angriff auf einen seiner Compañeros
empfand er, im Übrigen völlig zutreffend, auch als Angriff auf ihn
selbst. Das ist nämlich das Problem der Philologentrottel. Zu einer windelweichen
Aussage Stellung zu nehmen, ähnelt dem Versuch, einen Pudding an die Wand
zu nageln. Der Autor hält das in der Summe auch nicht für harmlos,
denn dieses pseudowissenschaftliche Gesülze kostet Geld, und zwar Geld
des Steuerzahlers. Schafft es dieses Gesocks dann auch noch, alle möglichen
Frankreich Zentren, Zentren für Ibero-Amerikanische Studien, Sonderforschungsbereich
für Tralala zu etablieren und mit Steuergeldern finanziert zu bekommen,
dann wird es allmählich zum Problem. Weiter kann man sich nach dem Sinn
dieser Veranstaltungen fragen, wenn die Darstellung von Kulturen weitgehend
privat organisiert wird, das heißt, dass diese Institutionen zur Völkerverständigung
nichts beitragen, dafür aber Einfluss nehmen auf die mit Bildung beauftragten
Institutionen. Ein nüchterne Analyse der Fremdsprachendidaktik, auch ganz
ohne Pisa Studie, wird zu dem Ergebnis kommen, dass die Beschreibung Vermittlung
von Fremdsprachen an Schulen mit dem Begriff katastrophal ein ziemliches Understatement
wäre. Die Sache kann sehr konkret betrachtet werden. Die infos24 GmbH z.B.
entwickelt Lernsoftware für Spanisch, Französisch, Englisch und Italienisch,
Deutsch (und demnächst auch für Russisch, Arabisch, Chinesisch und
Japanisch) diese liegen im Netz vor, sind kostenlos und hinsichtlich linguistischer
Durchdringung, Authentizität und Unterhaltungswert allem, was an den Schulen
verteilt wird, überlegen. Hierbei handelt es sich um Hybridmedien, sie
liegen im Netz, auf Papier und auf CD vor. Allein der Einsatz dieser Medien
anstatt der handelsüblichen maßlos überteuerten Schulbücher
würde zu einer Ersparnis von einigen 100 Millionen Euro pro Jahr führen
bei deutlich höherer Qualität. Geld, das dann für die Unterstützung
von Schülern aus einkommensschwachen Familien eingesetzt werden kann. Die
Beantwortung solcher höchst konkreter Fragen ist zwar nicht das Anliegen
der Philologentrottel, dafür aber von gesellschaftlicher Relevanz. Die
Beliebtheit Dantes bei diesem Gesocks hängt wohl auch damit zusammen, dass
es weit weniger mühsam ist, über die Rolle der Bedeutung in bedeutungsvollen
Prozessen zu schwadronieren, als ganz konkrete Probleme zu lösen.
So Beatrice diesen Sang begann;
Und dem gleich, der gern ohne Störung lehrt,
Ging sie im heiligen Vortrag weiter dann
Das glauben wir auf‘ s Wort. Die Trulla hat was Missionarisches an sich,
die würde noch ans andere Ende der Welt ziehen, um irgendwelchen Leuten
den wahren Glauben zu verkünden. Wenn Dante sich also ständig befürchtet,
durch weiteres Fragen seine Beatrice zu erzürnen, so ist diese Furcht völlig
unbegründet, die ist geradezu erpicht darauf, den wahren Glauben zu verkünden.
Das höchste Gut, das Gott uns je beschert,
In seiner Güte und Freigiebigkeit
vollgültig Pfand, das er selbst höchstlich ehrt
Ist freier Wille, den als Ehrenkleid
Er allem, was von ihm Vernunft bekommen,
Sonst keinem, stets verlieh und noch verleiht.
Im Original
Lo maggior don che Dio per sua larghezza
fesse creando, e a la sua bontate
più conformato, e quel ch'e' più apprezza,
fu de la volontà la libertate;
di che le creature intelligenti,
e tutte e sole, fuoro e son dotate.
Das größte Gut, das Gott in seiner Großmut
hat gegeben, das am meisten zeugt
von seiner Güte und jenes das er am meisten schätzt
war der freie Wille, mit welchem jedes Wesen,
das Intelligenz besitzt,
Und nur jene, waren und werden ausgestattet
Auch das steht wahrscheinlich irgendwo bei Thomas von Aquin, dass der
Mensch einen freien Willen hat, allerdings ist auch hier der Abstraktionsgrad
enorm hoch, die Vorstellung wird behauptet, aber nicht psychologisch nachvollziehbar
dargestellt. Der Autor sieht das natürlich eher praktisch und würde
sagen, es kommt darauf an, die Welt so zu gestalten, dass solch existentiellen
Entscheidungen für das Gute oder das Böse gar nicht getroffen werden
müssen. Ist das Kind in den Brunnen gefallen, dann kann der Einzelne auch
nichts mehr tun. Die Selbstauffopferung ist dann sinnlos.
Erwäg es! Und der hohe Wert des frommen
Gelübdes wird dir klar sein ohne Frage,
Wenn Gott das Angebotne angenommen.
Bei diesem menschlich-göttlichen Vertrage
Muss man den höchsten Schatz zum Opfer bringen,
Dass man durch freie Tat sich sein entschlage
Im Original
Or ti parrà, se tu quinci argomenti,
l'alto valor del voto, s'è sì fatto
che Dio consenta quando tu consenti;
ché, nel fermar tra Dio e l'uomo il patto,
vittima fassi di questo tesoro,
tal quale io dico; e fassi col suo atto.
Nun erkennst du, wenn du es bedenkst,
den hohen Wert des Gelübdes, dass Gott
Anerkennt wenn du zustimmst,
dass wenn der Vertrag zwischen Gott und
Mensch gebrochen, dieser Schatz, von dem ich sprach,
verloren geht und dies aus eigenem Entschlusse
Das versteh wer will. Der große Schatz ist der „freie Wille“,
also die Möglichkeit, sich für oder gegen etwas zu entscheiden. Wer
also beschlossen hat, ein Gelübde einzuhalten, hat von diesem Schatz Gebrauch
gemacht. Wer dann aber anschließend beschließt, das Gelübde
zu brechen, der verliert diesen Schatz. Wieso, weshalb, warum, verrät uns
Beatrice allerdings nicht, das steht dann wahrscheinlich irgendwo bei Thomas
von Aquin. Spontan würde man ja eher sagen, dass es mit dem freien Willen
auch vereinbar ist, das Gelübde zu brechen. Wahrscheinlich hat man bei
Dante aber nur die Möglichkeit, sich für Gott zu entscheiden, man
kann sich zwar auch dagegen entscheiden, aber dann landet man eben zwei Stockwerke
weiter unten. Die Diskussion um den freien Willen kann eigentlich kaum geführt
werden, wenn man nicht über die Konsequenzen diskutiert, die die jeweilige
Entscheidung mit sich bringt. Rein strafrechtlich würde man ja auch eher
von Zurechnungsfähigkeit sprechen. Zu Thomas von Aquin gibt es ja sage
und schreibe ein Buch neueren Datums (1998).
Link Allerdings ist sich der Autor noch nicht ganz sicher, ob da wirklich
die Fragen geklärt werden, die der Menschheit auf den Nägeln bringen.
Er ist sich nicht mal sicher, ob das Buch überhaupt geschrieben worden
wäre, wenn nicht die Aussicht auf eine Professorenstelle vorhanden gewesen
wäre und Steuermittel geflossen wären. Der Autor ist tatsächlich
der Meinung, dass Geisteswissenschaften einen Nutzwert für die Gesellschaft
stiften können. Die Gesellschaft macht ja den lieben lang Tag nichts anderes,
als über Themen nachzudenken, die eigentlich das Gebiet der Geisteswissenschaften
sind. Allerdings funktioniert das weitgehend unter Ausschluss eben dieser Geisteswissenschaften.
Für Bücher, deren alleiniger Zweck die Erlangung einer Professorenstelle
ist, braucht man keine Steuermittel einsetzen. Da man nicht nur eine Hand zum
Nehmen hat, sondern auch eine zweite zum Geben, wäre es durchaus sinnvoll,
diesen Tatbestand den „Geisteswissenschaftlern“ einmal mitzuteilen.
Welch ein Ersatz nun kann dafür gelingen?
Will nicht, auch wer sein Opfer gut verwandt,
Nur aus geraubtem Gut Gewinn erringen?
Im Original
Dunque che render puossi per ristoro?
Se credi bene usar quel c'hai offerto,
di maltolletto vuo' far buon lavoro.
Was kannst du bieten als Ersatz,
Wenn du glaubst gut zu nutzen was du angeboten,
wenn mit geraubtem Gut du Gutes willst bewirken
Das geht irgendwie so. Der Mensch hat die Möglichkeit, sich durch freien
Willen für Gott zu entscheiden, das ist der Schatz, also die Möglichkeit,
Gott etwas anzubieten. Hat man es ihm aber angeboten und später, indem
man das Gelübde bricht, wieder entzogen, dann hat man den Schatz ja geraubt.
Derjenige der das tut, versucht also, mit einem geraubten Schatz Gutes zu bewirken.
Die Logik stimmt, wenn der freie Wille tatsächlich ein Schatz ist, dann
ist es parallel zur Überweisung von 10 000 Euro für soziale Zwecke,
die ja dann nicht mehr sinnvoll sind, wenn man die Überweisung wieder rückgängig
macht. Allerdings fällt es schwer, die Verleihung des freien Willens durch
Gott unter Würdigung der Gesamtumstände als Schatz anzusehen, denn
wenn man sich nicht für Gott entscheidet, dann schmachtet man ja bis in
alle Ewigkeit in der Hölle, also „freier Wille“ ist hier ziemlich
relativ, er besteht lediglich darin, die Hölle nicht zu wählen. So
wie Dante das sieht, kann man das eigentlich nur sehen, wenn einen eine feste
Verwurzelung im katholischen Glauben dazu bringt, alles irgendwie umzuinterpretieren.
Das ist eben der Charakter der psychotischen Erkrankung, sie betrachtet alles
aus einem verengten Blickwinkel.
Den Hauptpunkt hast du richtig nun erkannt
Doch weil die Kirche darf Dispens erteilen
So scheint‘ s, dass hier ein Widerspruch entstand
Drum darfst du eher nicht vom Tische eilen,
Bis ich die schwere Kost, die du gespeist,
Verdaulicher dir machte mittlerweilen.
Ab und an sagt Beatrice sogar was Richtiges. Die Kost ist schwer, das muss sie
uns wirklich in kleinere Happen aufteilen, damit wir das fassen. Allerdings
steht die Befürchtung im Raum, dass durch simple Andeutungen auf das theologische
System des Thomas von Aquin die Happen nicht wirklich kleiner werden und man
eigentlich, so es denn einen interessiert, auch gleich das Original lesen könnte,
vor allem auch in Anbetracht der Tatsache, dass Beatrice was Thomas von Aquin
angeht, eine unsichere Quelle ist, denn die hat ihn auch nicht gelesen.
Merk auf und präg mein Wort in deinen Geist!
Nie kann Gehörtes dir die Zeit vernichten,
Wenn du es dauernd zu behalten weißt.
Im Original:
Apri la mente a quel ch'io ti paleso
e fermalvi entro; ché non fa scienza,
sanza lo ritenere, avere inteso.
Öffne deinen Geist für das was ich dir sage
und behalte es dort gut; weil es keine Wissenschaft gibt
wenn das Erkannte nicht erinnert
Wir sind noch nicht ganz überzeugt, dass das wirklich ein Programm für
die Wissenschaft ist, insbesondere ob, das ist ja ein Problem bei der politischen
Steuerung der Investition in Forschung und Entwicklung, die Apparate, die sich
mit Forschung und Entwicklung beschäftigen, so sinnvoll gesteuert werden
können, aber wahrscheinlich ist das hier egal.
Zwei Punkte braucht‘ s, dies Opfer zu errichten;
Der erste: Des Gelübdes Gegenstand,
Der Zweite: Dem Vertrage sich verpflichten!
Im Original
Due cose si convegnono a l'essenza
di questo sacrificio: l'una è quella
di che si fa; l'altr'è la convenenza.
Zwei Dinge sind Bedingung
Dieses Opfers: Eines ist der
Grund de Gelübdes, der andere das Versprechen
Hm. Das ist schon grenzwertig. Beatrice teilt uns mit, das man eine Gelübde
nur ablegen kann, wenn es etwas zu geloben gilt, als Keuschheit, Armut, Askese
etc. und zweitens das Versprechen, dieses Gelübde auch tatsächlich
einzuhalten. Das ist jetzt komisch. Das ist zwar richtig, aber irgendwie trotzdem
nicht überzeugend. Das ist so ähnlich ,wie wenn uns jemand mitteilt,
dass man einen Gegenstand, den es nicht gibt, zum Beispiel ein Auto das auf
100 km nur einen Liter Apfelsaft braucht, auch nicht kaufen kann. Das ist zutreffend,
aber irgendwie hätten wir uns das fast gedacht. Zweitens teilt uns Beatrice
mit, dass man zu einem Gelübde auch gehört, dass man dieses auch einhalten
will. Das ist so ähnlich wie zu behaupten, dass das oben beschriebene Auto
nicht nur existieren muss, sondern man es auch kaufen will, sonst kommt kein
Kauf zustande. Richtig ist das auch, das ist nicht der Punkt. Es gibt einfach
Erkenntnisse, die sind so unglaublich richtig, dass sie irgendwie alternativlos
sind. Die Kost war also bis hierher eigentlich nicht schwer verdaubar, wir verstehen
das ohne weiteres.
Nicht eher löst sich dieses Band,
Bis es erfüllt ist; daher gab ich oben
Dir seine Eigenschaft genau bekannt
Im Original
Quest'ultima già mai non si cancella
se non servata; e intorno di lei
sì preciso di sopra si favella:
Diese Letzte wird gelöst nur
Wenn sie erfüllt; und über die
Gab ich dir oben, so genau Bescheid
„Diese Letzte“ ist das Versprechen das Gelöbnis einzuhalten.
Das mit dem „so genau Bescheid“ sehen wir noch nicht richtig, das
war die Geschichte mit dem freien Willen, der darin besteht, dass man sich für
das freiwillig entscheiden darf, was Gott will, andernfalls landet man in der
Hölle, aber immerhin landet man da dann freiwillig, was natürlich
besser ist, als da unfreiwillig zu landen. Ob das jetzt großzügig
ist von Gott, weiß der Autor auch nicht. Also ein System, wo man völlig
unabhängig von der Lebensführung mal im Himmel, mal in der Hölle
landet, wäre schon voll krass. Drum war auch bei den Juden das Geloben
Und opfern nötig, wenn sie dann und wann Aus dem Gelobten anderes unterschoben
Im Original
però necessitato fu a li Ebrei
pur l'offerere, ancor ch'alcuna offerta
sì permutasse, come saver dei
nötig war’ s den Juden
auch zu opfern, doch konnte, wie du weißt
manches Opfer gewandelt werden
Das wird jetzt kompliziert. Der Vers bezieht sich auf das dritte Buch Mose (Levitikus),
Kapitel 27. Dort heißt es:
Der Herr sprach zu Mose: Rede zu den Israeliten und sag zu ihnen: Will jemand
ein Gelübde für den Herrn einlösen, das er nach dem üblichen
Wert einer Person abgelegt hat, so gilt für einen Mann zwischen zwanzig
und sechzig Jahren ein Schätzwert von fünfzig Silberschekel, nach
dem Schekelgewicht des Heiligtums, für eine Frau ein Schätzwert von
dreißig Schekel, für einen Jugendlichen zwischen fünf und zwanzig
Jahren, wenn es ein Junge ist, ein Schätzwert von zwanzig Schekel, wenn
es ein Mädchen ist, ein Schätzwert von zehn Schekel, für einen
Knaben zwischen einem Monat und fünf Jahren ein Schätzwert von fünf
und für ein Mädchen ein Schätzwert von drei Silberschekel, für
einen Mann von sechzig und mehr Jahren ein Schätzwert von fünfzehn
und für eine Frau ein Schätzwert von zehn Schekel. Ist derjenige,
der das Gelübde gemacht hat, nicht in der Lage, den Schätzwert zu
entrichten, dann soll er die Person dem Priester vorstellen. Dieser soll den
Schätzwert nach Maßgabe dessen, was der Gelobende aufbringen kann,
feststellen.
Also wir verstehen das jetzt so. Hat jemand ein Gelübde abgelegt und
will dieses brechen, dann muss er Zaster lockermachen. Wieviel hängt dann
von der geistigen Zurechnungsfähigkeit ab. Bei einem Mann zwischen 20
und 50 ist es zum Beispiel 50 Schekel. Bei einer Frau sind es nur noch 30 Schekel,
da nimmt gut wohl aufgrund geistiger Unzurechnungsfähigkeit einen geringeren
Wert, die wussten ja gar nicht, auf was sie sich da eingelassen haben. Ist
es Kind, dann werden bei einem Jungen 5 und bei einem Mädchen 3 Schekel
fällig, schon die Mädchen sind also im Vergleich zu den Jungs leicht
unzurechnungsfähig, da gelten dann mildernde Umstände. Bei den Männer
und Frauen über sechzig (die wären nach der damaligen Lebenserwartung
eh bald über die Wupper gegangen) wird es wieder billiger, das Gelübde
hätte eh nicht allzu lange gegolten. Also die Logik des Levitikus ist
schon etwas vertrackt, wir müssen das nicht verstehen, aber darauf spielt
Dante an.
Den Gegenstand des Opfers also kann
Man wohl vertauscht mit einem anderen sehen,
Und ohne dass uns Reue tät in Bann,
Jedoch willkürlich darf es nie geschehen
Gestatten kann allein den Tausch der Last
Des weißen und des gelben Schlüssels Drehen
Die Geschichte mit dem Schlüssel hatten wir schon beim Eingang in den
Läuterungsberg. Allein die Kirche kann entscheiden, wie für ein gebrochenes
Gelübde Ersatz zu leisten ist. Die Schlüssel stehen
für die Kirche, sie macht das Tor zum Himmel auf. Der weiße Schlüssel
(eigentlich der silberne Schlüssel) steht für die Weisheit und der
der gelbe Schlüssel (eigentlich der goldene) steht für die Autorität
des Priesters (siehe Purgatorio IX Gesang).
In der nächsten Terzine lernen wir, dass die Beziehung zwischen Gott und
seinen Knechten geregelt ist wie im BGB, dort heißt es zum Beispiel im § 463.
Fehlt der verkauften Sache zur Zeit des Kaufes eine zugesicherte Eigenschaft,
so kann der Käufer statt der Wandelung oder der Minderung Schadensersatz
wegen Nichterfüllung verlangen. Das gleiche gilt, wenn der Verkäufer
einen Fehler arglistig verschwiegen hat.
Im Grunde müsste ja Beatrice noch viel tiefer diskriminieren. Es macht
ja wohl einen Unterschied, ob jemand schon zum Zeitpunkt der Leistung des Gelübdes
wusste, dass er es nicht einhalten wird (dann wäre es arglistige Täuschung)
oder ihm das erst später eingefallen ist. Dieser Unterscheidung trifft
aber weder Gott noch das bürgerliche Gesetzbuch. Es ist zu wandeln, unabhängig
davon, ob Täuschung, Irrtum oder Fehler vorliegt. Aus rechtlicher Sicht
ist das wohl komplizierter, wir vermuten, dass die arglistige Täuschung
auch strafrechtlich relevant ist. Im Himmel spielt das aber keine Rolle, da
muss man nur wandeln.
Doch töricht ist‘ s, wenn du gewechselt hast,
Und das Ersatzgelübde nicht vom alten
So abweicht, wie die Sechs die Vier umfasst
Soll heißen, dass das, was man Gott als Ersatz anbietet, größer
sein muss, als das ursprüngliche Gelübde. Klingt kompliziert, ist
aber common sense. Wenn ich einen VW Golf kaufe und der hat einen Mangel und
ich krieg als Ersatz einen Mercedes mache ich das natürlich.
Wenn drum Gelübde als so wertvoll galten,
Dass tief die Waage sank durch ihr Gewicht,
Kann andere Zahlung kaum Ersatz enthalten
Vordergründig ist das kaufmännischer Usus, durch ein höherwertiges
Gut kann man immer wandeln. Probleme bereitet es nur, einzusehen, dass das Gelübde
einen Wert hat. Die Theorie von oben, dass der enorme Wert dadurch entsteht,
dass das Gelübde ein Schatz ist, weil man es aus freiem Willen tut, leuchtet
ja nicht unbedingt ein. Ein Zivilgericht würde sich im Streitfalle schlapp
lachen, wenn man den freien Willen als immaterielles Vermögen in der Bilanz
aktiviert, oder noch krasser ausgedrückt, man hätte wohl eine Klage
wegen Bilanzfälschung am Hals. Auch theologisch kommen wir da nicht ganz
mit. Gott gibt uns sozusagen eine Währung, mit der wir in den Himmel kommen,
in dem wir unseren freien Willen dazu nutzen, irgendein Gelübde abzulegen,
Mönch zu werden, zu fasten, in Keuschheit zu leben whatever. Verwenden
wir ihn anders, dann drohen empfindliche Strafen. Unter diesen Umständen
wäre es netter gewesen, wir hätten keinen freien Willen und Gott würde
dafür sorgen, dass wir das tun, was ihm gefällt. Et non nos inducas
in tentationem / Und führe uns nicht in Versuchung.
O Menschen, spottet der Gelübde nicht!
Seid treu, doch nicht so vorschnell im Versprechen
Wie Jephita, der des ersten Opfers Pflicht
Mit eine „Herr, ich irrte“ hätte brechen
Gesollt, statt Schlimmeres tun! Solch arger Schwur
Vermocht‘ s, den Griechenfeldherrn zu bestechen,
Dass Iphiginie nicht sich selber nur
Beweinte, nein! Dass jammernd ihrer dachte,
Wer nur von diesem Götterdienst erfuhr.
Die Geschichte mit Jephita steht in Richter Kapitel 11.
Jeftahs Gelübde und Sieg
Aber der König der Kinder Ammon erhörte
die Rede Jephthahs nicht, die er zu ihm sandte.Da kam der Geist des HERRN auf
Jephthah, und er zog durch Gilead und Manasse und durch Mizpe, das in Gilead
liegt, auf die Kinder Ammon. Und Jephthah gelobte dem HERRN ein Gelübde
und sprach: Gibst du die Kinder Ammon in meine Hand: was zu meiner Haustür
heraus mir entgegengeht, wenn ich mit Frieden wiederkomme von den Kindern Ammon,
das soll des HERRN sein, und ich will's zum Brandopfer opfern. Also zog Jephthah
auf die Kinder Ammon, wider sie zu streiten. Und der HERR gab sie in seine
Hände. Und er schlug sie von Aroer an, bis wo man kommt gen Minnith, zwanzig
Städte,
und bis an den Plan der Weinberge, eine sehr große Schlacht. Und wurden
also die Kinder Ammon gedemütigt vor den Kindern Israel. Da nun Jephthah
kam gen Mizpa zu seinem Hause, siehe, da geht seine Tochter heraus ihm entgegen
mit Pauken und Reigen; und sie war sein einziges Kind, und er hatte sonst keinen
Sohn noch Tochter. Und da er sie sah, zerriß er seine Kleider und sprach:
Ach, meine Tochter, wie beugst du mich und betrübst mich! Denn ich habe
meinen Mund aufgetan gegen den HERRN und kann's nicht widerrufen. Sie aber
sprach: Mein Vater, hast du deinen Mund aufgetan gegen den HERRN, so tue mir,
wie es aus deinem Mund gegangen ist, nachdem der HERR dich gerächt
hat an deinen Feinden, den Kindern Ammon. Und sie sprach zu ihrem Vater: Du
wollest mir das tun, daß du mir lassest zwei Monate, daß ich von
hinnen hinabgehe auf die Berge und meine Jungfrauschaft beweine mit meinen
Gespielen. Er sprach: Gehe hin! und ließ sie zwei Monate gehen. Da ging
sie hin mit ihren Gespielen und beweinte ihre Jungfrauschaft auf den Bergen.
Und nach zwei Monaten kam sie wieder zu ihrem Vater. Und er tat ihr, wie er
gelobt hatte; und sie war nie eines Mannes schuldig geworden. Und es ward eine
Gewohnheit in Israel, daß die Töchter Israel jährlich hingehen,
zu klagen um die Tochter Jephthahs, des Gileaditers, des Jahres vier Tage.
Als man kann ja gegen die Juristen einiges sagen, die haben ja an der Uni fast
so einen schlechten Ruf wie die Koffermännchen, also die BWLer. Aber verglichen
mit der himmlischen Gerechtigkeit, ist die irdische ja geradezu Ausdruck der
Vollkommenheit. Da macht jemand ein Gelübde, dass er das erste, was ihm
entgegenläuft, umbringt, in diesem Falle seine Tochter, und Gott lässt
das zu. Da erscheint das irdische Recht ja geradezu mustergültig. Der Vertrag
wäre sittenwidrig und das Verhalten Gottes wäre wohl auch unter strafrechtlichen
Gesichtspunkten zu bewerten. Wenn also der Jurist Günther Beckstein den
christlichen Glauben als das Fundament der deutschen Kultur bezeichnet, dann
kann man sich schon fragen, was die Juristen eigentlich da treiben an der Uni.
Das dürfte auch der Grund sein, warum er heute zurückgetreten ist.
Wahrscheinlich liegt da einiges im Argen.
Das mit der Iphiginie ist dann eine ganz andere Geschichte, die hatten wir
auch schon, das ist griechische Mythologie. Ja, das ist die Iphiginie auf Tauris,
die wir alle noch aus der Schule kennen: Das Land der Griechen mit der Seele
suchend. Ganz dunkel erinnern Sie sich, richtig? Das Reclam Heftchen. Wir würden
ja nicht sagen, dass das die Kategorie Divina Commedia ist, aber es werden
da Fragen diskutiert, die durchaus nicht die sind, die man sich mit 17 so stellt.
Sie sehen also, dass es durchgeknallte Bildungsbürokraten nicht nur in
Italien gibt, sondern auch in Deutschland. Was den einen ihre Divina Commedia
ist den anderen ihre Iphiginie auf Tauris. Der Irrsinn hat also irgendwie System,
bzw. wenn man Geld in ein System schüttet, dann finden sich auch immer
ein paar Irre, die es am Leben erhalten.
Wiederholen wir also die ganze Geschichte, denn eines haben wir gelernt, griechische
Mythologie ist üben, üben, üben.
Iphigenie war die Tochter von Agamemnon (König von Mykene) und Klytämnestra.
Agamemnon führte im trojanischen Krieg (der findet statt, weil Paris, Helena,
die Gattin des Menelaos, entführt hat, weil Aphrodite, das Luder, dafür
gesorgt hatte, dass eben diese Helena sich in ihn verliebte, damit er sie wiederum
zur Schönsten erklärt. Veranstaltet hat den ganzen Rummel Eris, noch
so eine Schlampe, weil die nicht zur himmlischen Party eingeladen war und Unruhe
stiften wollte) das Heer der Griechen an. Dass dem so war, geht darauf zurück,
dass alle griechischen Könige sich bereit erklärt hatten, Helenas
Ehre zu verteidigen, wenn diese denn irgendwann mal einen Gatten haben würde.
Auf Agamemnon wiederum haftete der Fluch der Tantaliden, die Geschichte hatten
wir auch schon. Tantalos hatte den Göttern seinen Sohn Pelops zum Abendessen
serviert, um mal zu schauen, ob die das überhaupt merken. Sie merkten es
und waren stinksauer. Die Nachfahren des Tantalos wurden verflucht bis in die
fünfte Generation. Verflucht heißt, dass sie dazu verdammt waren,
ihre engsten Nachfahren zu töten. So weit die Geschichte. Was aber Agamemnon
angeht, hätte es des Fluches gar nicht bedurft, denn der hate im Hain der
Artemis einen Hirsch erlegt und sich gerühmt, ein besserer Jäger zu
sein als Artemis. Die Göttin war natürlich not amused und rächte
sich, in dem sie vor Aulis Windstille herrschen ließ, so dass die griechische
Flotte nicht weiterfahren konnte. Der Seher Kalchas wiederum weissagt, dass
erst dann wieder Wind aufkomme, wenn Agamemnon seine Tochter Iphiginie opfere.
Ob sie dann geopfert wurde oder nicht ist unklar, auf jeden Fall entrückte
Artemis sie nach Tauris, wo sie Priesterin im Tempel der Artemis wurde. Im Vergleich
zum christlichen Gott, also geradezu gnädig. Klytämnestra wiederum
war sauer, weil ihr Göttergatte scheinbar die gemeinsame Tochter hingemeuchelt
hatte und des weiteren sah sie wohl auch nicht ein, dass der in die Fremde zog,
um sich wegen eines Weibsbildes zu balgen. Aus all diesen Gründen und weil
sie Spaß haben wollte, nahm sie sich einen anderen Lover, nämlich
Aigisthos. Als nun der Göttergatte zurückkkam, war also die Ehe das,
was neudeutsch zerrüttet heißt, aus verschiedenen Gründen. Die
Griechinnen waren aber genauso radikal wie die Griechen, Klytämnestra murkste
also Agamemnon ab, streng nach dem Motto, das Ende vom Schwein ist der Anfang
der Wurst. Daraufhin war wiederum Orest sauer und brachte seine Mutter um, woraufhin
ihn wiederum die Erinnyen vefolgten. Damit das aufhörte, begab sich Orest
auf Geheiß des Apollon mit seinem Kumpel Pylades nach Tauris um dort die
Statue der Artemis zu holen, wurde aber dort gefangengenommen und solltel im
Tempel der Artemis, das machte man damals so, geopfert werden. Nach vielem hin
und her erkannte Orest, dass die Priesterin seine Schwester war.
Bei Goethe lässt dann der Chef der Tauren, sozusagen ein zivilisierter
Barbar, die drei ziehen. Der ganze Plot ist also schon reichlich abgefahren.
Der Zusammenhang mit dem gebrochenen Gelübde ist also etwas dünn,
Dante will uns aber im Grunde lediglich mitteilen, dass man sich vorher überlegen
soll, was für ein Gelübde man ablegt. Auch hier finden wir natürlich
die irdische Rechtssprechung konsequenter. Sittenwidrige Verträge sind
von vorneherein nichtig. Das Problem ist also eindeutig Gott selbst, denn der
akzeptiert das bürgerliche Gesetzbuch nicht.
§ 138 BGB:
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt,
ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
Wir würden mal sagen, dass auch für Gott das BGB Gültigkeit besitzen muss, sonst wird die Sache völlig wirr. Es ist keinesfalls so, dass der Autor davon ausgeht, dass die irdische Gerechtigkeit zu Recht führt, aber sie scheint doch weit kalkulierbarer zu sein, also die himmlische. Probleme treten auf, wenn Richter Probleme damit haben, wirtschaftliche Zusammenhänge zu erfassen, was oft der Fall ist. Der Autor hat z.B. vor kurzem einen Freund bei der Durchsetzung eines Prozesses unterstützt, da ging es um Scheinselbständigkeit. Das war mühsam. Zuerst musste man den beauftragten Rechtsanwalt solange trimmen, bis der vor Gericht einen vollständigen Satz zustande brachte und dann auch noch der Richterin beibringen, wie man den Streitwert einer Verhandlung berechnet, was die Kriterien sind zur Beurteilung von Scheinselbständigkeit etc. etc. Das war mühsam, wenn auch letztlich erfolgreich. Die Gesetze an sich sind schon ok, aber die Anwendung derselben scheitert etwas am beteiligten Personal. Über die Ausbildung der Juristen sollte man vielleicht auch mal nachdenken. Mein Tipp an Sie. Sollten Sie einem Rechtsstreit im Bereich Arbeitsrecht entgegensehen, dann konsultieren Sie einen FACHANWALT für Arbeitsrecht und keinen, wo lediglich steht SCHWERPUNKT Arbeitsrecht. Schwerpunkt Arbeitsrecht können Sie ziemlich in die Tonne treten. Da können Sie auf einen völligen Anfänger stoßen.
O Christenvolk, nach festem Grunde trachte,
Nicht haltlos treib, ein Flaum in Windeseile,
Und dass nicht jedes Wasser wäscht, beachte!
Im Original
Siate, Cristiani, a muovervi più gravi:
non siate come penna ad ogne vento,
e non crediate ch'ogne acqua vi lavi.
Christen, handelt wohl bedacht
seid nicht wie eine Feder ausgeliefert jedem Winde
und glaubt nicht, dass jedes Wasser wasche
Das mit der Feder verstehen wir ohne weiteres, man soll halt Fels in der Brandung
sein und nicht Blättchen im Wind. Das mit dem Wasser im Grunde auch. Nicht
jedes Gelübde, das man ablegt, ist geeignet, die Waagschale günstig
zu beeinflussen. Die Gelübde, die gar nicht gehalten werden können
zum Beispiel, haben diese Wirkung nicht.
Zwei Testamente wurden euch zuteile,
Der Kirche Hirt will euren Führer machen,
Mehr braucht es nicht, zu eurem Seelenheile
Das geht im Original ein bisschen anders.
Avete il novo e 'l vecchio Testamento,
e 'l pastor de la Chiesa che vi guida;
questo vi basti a vostro salvamento.
Ihr habt das neue und das alte Testament,
und der Kirche Hirte leitet euch,
mehr braucht es nicht zu eurer Rettung
Das ist jetzt wahrscheinlich ganz vertrackt theologisch. Im Alten Testament
wird beschrieben, im oben erwähnten dritten Buch Moses eben, dass ein Opfer
durch ein anderes unter Umständen ersetzt werden kann. Im Neuen Testament
kommt dann die Gnadenlehre, Gott ist gnädig, weil er dem Menschen erlaubt,
sich freiwillig für die Hölle zu entscheiden.
Will das Gelüste euern Sinn entfachen,
Seid nicht wie blöde Lämmer – Menschen seid!
Dass euch die Judenbürger nicht verlachen.
Auch das hat irgendwas mit dem Neuen Testament zu tun, dieses gilt ja für
Menschen jüdischen Glaubens nicht. Im Neuen Testament ist aber die Gnadenlehre
formuliert. Man soll diese jetzt so nutzen, dass diese nicht ad absurdum geführt
wird.
Gleicht nicht den Lämmerchen, die vor der Zeit
Der Muttermilch entfliehn, um nach Belieben
Umherzuschweifen in Einfältigkeit
Im Original
Non fate com'agnel che lascia il latte
de la sua madre, e semplice e lascivo
seco medesmo a suo piacer combatte!».
Handelt nicht wie jene Lämmer, die vorzeitig
Der Muttermilch entwöhnt, die einfältig und aufgeregt
nach Gutdünken mit sich selber streiten
Soll heißen, dass man sich der Führung der Kirche anvertrauen soll
und nicht versuchen soll, aus eigener Kraft zur Einsicht zu gelangen. Das ist
so in Kurzform das Programm der Antiaufklärung, denn Kant schreibt ja in
jener berühmten Schrift „Was ist Aufklärung“:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeinhin von allen ferneren Versuchen ab.
Das mit den Frauen ist zwar ein bisschen grenzwertig, aber ansonsten hat er Recht. An den entsprechenden Stellen darf man getrost Kirche, Religion, Christentum einsetzen, das kommt dann etwa hin. So die Richtung ist das Fundament der abendländischen Kultur, das hat der Beckstein falsch verstanden. Wir schicken ihm mal ein email mit einem Aphorismus von Theodor Storm, der bringt das auf den Punkt. Beatrice auf jeden Fall glüht weiter wie das Hähnchen im Backofen.
So Beatrice sprach, wie hier geschrieben,
Die Sehnsuchtsblicke dahin aufgeschlagen,
Wo kräftiger sprießt die Welt an Lebenstrieben
Im Original
Così Beatrice a me com'io scrivo;
poi si rivolse tutta disiante
a quella parte ove 'l mondo è più vivo.
So wie ich es schrieb, so sprach Beatrice
Um dann den Blick sehnsüchtig dahin zu lenken
wo die Welt noch mehr von Leben ist durchdrungen
Sie hat ihn also in Richtung Empyreum gerichtet, dahin wo Gott thront. Wie man
aber von derart trivialen Einsichten so entzückt sein kann, ist ein Rätsel.
Ich sah sie schweigen, sah Verklärung tagen
Auf ihrer Stirn, dass ich den Mut verloren,
Obwohl mich neues brannte, mehr zu fragen
Also der Autor würde es mal so formulieren. Wenn das ganze Thema sich irgendwie
als Frage aufdrängen würde, dann könnte man sich noch über
zahlreiche Detailfragen diskutieren. Hier allerdings sind wir erstmal froh,
dass Dante eingeschüchtert ist und nicht weiter fragt.
Und wie der Pfeil sich pflegt ins Ziel zu bohren,
Eh ausgeschwirrt der Strang, ging‘ s aufwärts weiter
Zum Flug ins zweite Himmelreich erkoren
Im Original:
e sì come saetta che nel segno
percuote pria che sia la corda queta ,
così corremmo nel secondo regno.
Und wie der Pfeil sein Ziel erreicht
Noch bevor die Saite aufhört zu vibrieren
so stiegen wir zum zweiten Kreise
Das gehört jetzt zum Thema Dante und seine Bilder. Ob die Saite, mit der
der Pfeil abgeschossen wurde aufhört zu vibrieren, bevor der Pfeil das
Ziel erreicht oder nicht, hängt davon ab, wie weit das Ziel entfernt ist.
Fliegt der Pfeil 150 Meter, dann vibriert die Saite nicht mehr. Andersherum
gesagt, über die Geschwindigkeit, mit der die zwei in den nächste
Sphäre des Paradieses aufsteigen, sagt das Bild gar nichts aus. Geschwindigkeit
gibt man an in zurückgelegte Strecke / Zeit (km/h). Das Bild macht aber
weder eine Aussage über die zurückgelegte Strecke noch über die
Zeit.
Wie sah ich meine Herrin doch so heiter,
Als sie der Weg ins neue Sternlicht brachte,
Das gleich zu hellem Glanze schien bereiter
Im Original
Quivi la donna mia vid'io sì lieta,
come nel lume di quel ciel si mise,
che più lucente se ne fé 'l pianeta.
Dort sah ich meine Herrin so vom Glück erstrahlt
als sie in das Licht jenes Himmels eintrat
dass noch mehr glänzte der Planet
Der Planet ist Merkur, der ist in der zweiten Sphäre des Paradieses aufgehängt.
Aus irgendeinem Grunde leuchtet Merkur noch stärker, als Beatrice in seine
Sphäre einschwebt. Man könnte versucht sein zu glauben, es sei umgekehrt,
Merkur gibt sein Licht ab, aber der nächste Vers macht klar, dass dem nicht
so ist. Beatrice lässt Merkur heller leuchten, nicht umgekehrt.
War der Planet verwandelt schon und lachte,
Bedenkt, wie mir nun selbst zumute war,
Den die Natur so wandelvoll doch machte!
Im Original
E se la stella si cambiò e rise,
qual mi fec'io che pur da mia natura
trasmutabile son per tutte guise!
Wenn der Stern schon eine Wandlung erfuhr und lachte
wie sehr war die Änderung, die ich erfuhr,
der schon von Natur zur Wandlung neigt
Dante und seine Bilder... Das Problem ist, dass seine Bilder so abwegig
und abstrakt sind, dass die poetische Wirkung gänzlich null ist. Selbst
wenn man auf dem Merkur eine Wasserstoffbombe zündet, wird er davon kaum
erstrahlen. Wir bezweifeln schlicht, dass die Terzinen Dantes irgendwas mit
Dichtung zu tun haben. Wir haben eher den Eindruck, dass er fest entschlossen
war, alle Gesänge in etwa gleich lang werden zu lassen, da musste dann
eben hin und wieder aufgefüllt werden, wenn ihm die Puste ausging.
Als ob in einem Weiher still und klar
Ein Brocken fällt, danach man hastig schieben
Und drängen sieht der Fische ganze Schar,
So drängte her, von Neugier angetrieben,
Vieltausend Leuchten und jedwede sprach:
„Seht den! Er kommt, zu mehren unser Lieben!“
Im Original
Come 'n peschiera ch'è tranquilla e pura
traggonsi i pesci a ciò che vien di fori
per modo che lo stimin lor pastura,
sì vid'io ben più di mille splendori
trarsi ver' noi, e in ciascun s'udìa:
« Ecco chi crescerà li nostri amori».
Wie in einem Fischteich, welcher still und rein
Die Fische zu allem stürmen was von Außen kommt
weil sie dies für Nahrung halten,
so sah auch ich tausende von Lichtern
auf uns sich stürzen, und von jeder hörte man:
„Da ist jemand, der unsere Liebe wird mehren“
Das Bild ist zwar schon besser, aber so richtig beeindruckt sind wir immer noch
nicht.
Und als die Lichter nahten nach und nach,
Da gab sich kund ihr seelisches Entzücken
In einem Blitz, der hell aus ihnen brach
A bisserl frei übersetzt.
E sì come ciascuno a noi venìa,
vedeasi l'ombra piena di letizia
nel folgór chiaro che di lei uscia.
Und als sie sich uns näherten
sah man den Schatten voll des Glückes
Durch den Glanz, den er entsandte
Also Schatten sind die Seelen und deren Glück sieht man daran, dass sie
glänzen.
Denk, Leser, würd ich jetzt dir unterdrücken
Den Schlussbericht, wie quälte dich mit Pein
Der Wunsch, in der Erzählung fortzurücken
Im Original
Pensa, lettor, se quel che qui s'inizia
non procedesse, come tu avresti
di più savere angosciosa carizia;
Bedenke Leser, wenn das was hier begonnen
nicht weiterginge, welche Pein der Mangel
Mehr zu erfahren die bedrückte
Dante geht also davon aus, dass der Leser ganz heiß darauf ist, zu erfahren,
wie es weitergeht. Da muss der Autor jetzt mal ernsthaft in sich gehen. Ihn
interessiert es eigentlich im Grunde gar nicht, er geht eher davon aus, dass
Dante in den nächsten 28 Gesängen alle möglichen Probleme wälzt,
die den Autor nie beschäftigen würden. Er würde auch sagen, das
ganze Werk hat so erhebliche konzeptionelle Mängel, dass es ohne einen
staatlichen Apparat, der es künstlich am Leben erhält, mausetot wäre.
Er liest es zu Ende, um sich ein abschließendes Urteil bilden zu können.
Interessant ist es lediglich, weil es den Fortschritt zeigt, der auf literarischem
/ philosophischem Gebiet in den letzten 600 Jahre gemacht wurde. Das eigentlich
Bemerkenswerte an der Divina Commedia ist auch nicht das Werk selbst, sondern
die Tatsache, dass es als das repräsentativste Werk der italienischen Literatur
gilt und wie es dazu kam. Etabliert hat es sich wohl zu einem Zeitpunkt, als
Italien noch fest im katholischen Glauben verwurzelt war und einmal zum festen
Bestandteil des Apparates geworden, das ist typisch für Bürokratien,
ist es niemals wieder eliminiert worden. Es gibt wohl keine Studien, die versuchen
die Beliebtheit Dantes in Italien objektiv zu messen, z.B. über geeignete
Tests herauszufinden, was die Italiener über das Werk tatsächlich
wissen. Es ist aber davon auszugehen, dass die tatsächliche Verwurzelung
in der Bevölkerung weit geringer ist, also die Verwurzelung Goethes im
deutschsprachigen Sprachraum. Beide Dichter sind zwar, wie auch Cervantes in
Spanien, fester Bestandteil des Apparates, aber Goethes Faust ist eben im Grunde
ein topaktuelles Werk, die dort enthaltene Gesellschaftskritik könnte bissiger
und pointierter nicht sein. Der Massenansturm auf Weimar ist teilweise durch
die Propaganda des Apparates bedingt, beruht aber wohl auch teilweise auf konkreter
Kenntnis des Werkes. Hier stecken dann auch die interessanten Fragen. Inwieweit
die Selbstwahrnehmung des Apparates mit der objektiven Situation tatsächlich
übereinstimmt. Last not least. Auch ein Werk wie die Divina Commedia wäre,
mit einem nüchternen Kommentar versehen, der ohne schwülstige Kommentare
den Text lesbar macht, vielleicht sogar noch ganz amüsant zu lesen. Es
ist kein Werk, das die Sicht auf die Dinge grundlegend verändert, das Leben
transzendiert, wie Goethe, Rilke, Dostojewsky, James Joyce, Marcel Proust. Aber
als ein Werk des Mittelalters wäre es dann mal ganz amüsant zu lesen.
Die oftmals vorgebrachte These, dass Dante die italienische Nationalsprache
geschaffen hat, müsste im Übrigen auch mal überprüft werden.
Dass ein Werk, dass im 14 / 15 / 16 Jahrhundert nur von einem infinitesimal
kleinen Prozentsatz der Bevölkerung gelesen wurde, eine Beitrag leisten
kann zur Schaffung einer Nationalsprache, klingt erstmal völlig abwegig.
Wahrscheinlicher ist, dass Dante der erste war, der in einem Dialekt schrieb,
der später aufgrund der ökonomischen und kulturellen Bedeutung sich
am schnellsten ausbreitete. Solche Phänomene kennen wir ja auch aus anderen
Sprachen. Das Kastillische wird zum Beispiel zum Standard auf der iberischen
Halbinsel, weil Kastilien im Zuge der Reconquista die Führung übernahm.
Erwägst du dies, so siehst du gerne ein,
Wie gern ich selber vordrang auf der Fährte,
Um mit der Geister Los vertraut zu sein
Also aus der Tatsache, dass wir, die Leser enttäuscht wären, wenn er
uns den Rest nicht erzählen würde, sollen wir schließen, wie
sehr er selbst darauf brannte, mehr zu erfahren. No comment, sagte Al Capone.
O du Begnadigter, dem der verklärte
Triumphesthron im Anschaun wird erschlossen
Obwohl für dich des Krieges Dienst noch währte!
Das Licht entzündet uns, das ausgegossen
Durch alle Himmel: Sollen wir dir dienen,
So frage, bis dir Sättigung erflossen“
Ein Geist von denen, die mir hier erschienen,
Sprach so und Beatrice rief: „Sprich, sprich;
Und wie man Göttern glaubt, so glaub auch ihnen!“
Das Prinzip kennen wir schon von der Hölle und aus dem Purgatorio. Dante
unterhält sich mit den Seelen und erfährt hierbei alles mögliche.
„Wohl seh ich, würdiger Geist, umsponnen dich
Vom Eigenlicht, das dir beim Lächeln immer
Tief aus den Auge blitzt und seltsamlich.
Doch sag, wer bist du? Und was ward der Flimmer
So niederer Sphäre dir zum Aufenthalt,
Der überstrahlt wird von dem stärksten Schimmer
Im Original
«Io veggio ben sì come tu t'annidi
nel propri lume, e che de li occhi il traggi,
perch'e' corusca sì come tu ridi;
ma non so chi tu se', né perché aggi,
anima degna, il grado de la spera
che si vela a' mortai con altrui raggi».
Ich sehe wohl wie du eingenistet
in eigenem Licht, und von den Augen den Glanz,
weil er so klar ist, wenn du lächelst
aber ich weiß nicht wer du bist, und warum du,
erhabne Seele, du im Besitz bist jener Sphäre
die von anderen Strahlen verdeckt den Sterblichen
Das
ist jetzt ein bisschen schwierig. Das „aggi“, das einen an agire
(handeln) denken lässt, ist eigentlich ein abbia, also der congiuntivo von
avere (haben). Natürlich „hat“ die Seele, die mit Dante spricht,
den Merkur Himmel nicht, sie weilt da nur. Das ist die erste Schwierigkeit. Die
zweite Schwierigkeit ist, dass da irgendwelche Strahlen so stark leuchten, dass
sie den Merkur verdecken. Höchstwahrscheinlich ist die Sonne gemeint, die
ist zwei Sphären weiter oben aufgehängt und leuchtet so stark, dass
sie das Leuchten des Merkur überdeckt. Eine Gesamtdarstellung der Geographie
der Divina Commedia zeigt dieses Bild.
Wir sehen, da, wie Dante sich die Sphären des Paradieses vorstellt. Ob sich
die anderen Angaben der Skizze, Jerusalem liegt genau gegenüber des Läuterungsberges,
mit den astronomischen und geographischen Angaben der Divina Commedia in Einklang
zu bringen sind, ist fraglich. Das Problem wurde schon oft diskutiert.
So sprach ich zu der weißen Lichtgestalt,
Die erst mich angeredet: und umzogen
Ward sie vom hellerm Freudenglanz alsbald.
Im Original
Questo diss'io diritto alla lumera
che pria m'avea parlato; ond'ella fessi
lucente più assai di quel ch'ell'era.
So sprach ich zu jener Lichtgestalt
die zuerst das Wort an mich gerichtet,
und diese ward noch mehr erleuchtet, als sie es ohnehin schon war
Auch mit diesem Bild können wir wenig anfangen. Die Lichtmetaphorik ist
zu abstrakt, ist zu sehr reines Wortkonstrukt, als dass wir damit irgendetwas
anfangen könnten.
Und wie die Sonne, wenn sie aufgesogen
Den Schleier, den der Nebeldunst gewebt,
Sich dann verbirgt durch neue Flammenbogen,
So barg sich mir, von größrer Lust belebt,
Die heilige Gestalt im Strahlenringe
Und gab zur Antwort, flackerglutumbebt
Was ich im folgenden Gesange singe.
Die Seele, die sich mit ihm unterhält, ist Kaiser Justinianus. Dieser wird
im Folgenden einen ganz großen Bogen spannen, also die gesamte römische
Geschichte im Schnelldurchlauf.