Ich schwieg doch war mein Wunsch und damit auch die
Frage
So heiß mir eingezeichnet auf meiner Stirn
dass es die Frage nichts mehr hätte klären können
Kontextbezogen kann man sich das vorstellen, dass also der Gesichtsaudruck zu
erkennen gibt, was den Besitzer dieses Ausdruckes innerlich bewegt, wenn jemand
mit einem Stadtplan auf der Straße steht. Bei den Fragen, die Dante bewegen,
wird aber kaum jemand behaupten können, dass sie besonders kontextbezogen
sind. Nimmt man es ganz genau, dann stellen sich eigentlich drei Fragen.
1) Konnte Beatrice tatsächlich erraten, welche höchst abstrakten
Fragen Dante in seinem Busen hin und her wälzt?
2) Was will uns Dante mit diesem reichlich langen Vorspann eigentlich sagen?
Das ist ja ein Dauerbrenner bei ihm, er hat ständig Angst, irgendwas zu
fragen. Würde er dem Autor eine solche Frage stellen, wäre die Angst
durchaus berechtigt, denn die Antwort wäre saftig. Die zur Theologie mutierte
Beatrice aber glüht wahrscheinlich innerlich vor Begierde, ihm auf seine
höchst abstrakten Fragen eine Antwort zu geben. Das haben Missionare so
an sich, sie müsse ihre tiefsten Wahrheiten um jeden Preis der Menschheit
mitteilen.
3) Mit dem Vorspann will uns Dante wahrscheinlich mitteilen, dass man elementares
Interesse daran haben kann, solche Fragen beantwortet zu sehen. Er will uns
also unbedingt mitteilen, dass diese Fragen für ihn eine große Bedeutung
haben, will sozusagen der Gefahr, dass wir sie für reichlich abstrakt
halten, vorbeugen. Genau das nehmen wir ihm aber nicht ab und die Tatsache
allein, dass er uns mitteilt, wie viel ihm an der Beantwortung dieser Fragen
liegt, legt schon den Verdacht nahe, dass er selber an deren Relevanz zweifelt.
Und Beatrice tat wie Daniel,
Der grimmem Zorn Nebukadnezars wehrte,
Als er entbrannte ungerecht und schnell
Bezug genommen wird auf Daniel 2, 1-49. Nebukadnezar hatte einen Traum, den
er aber vergessen hatte und diesen Traum, den er vergessen hat, will er nun
gedeutet haben und da keiner der dafür zuständigen Sterndeuter einen
unbekannten Traum deuten kann, will er alle Sterndeuter umbringen. Daniel ist
da pfiffiger. Da Nebukadnezar eh nicht weiß, was er geträumt hat,
erzählt er ihm irgendeinen Traum und deutet diesen auch gleich. Wir finden
das vernünftig. Wer so saublöd ist wie Nebukadnezar, den muss man
einfach veräppeln. Was wir jetzt allerdings nicht verstehen, ist, was das
mit den Fragen Dantes zu tun hat. Der kennt ja seine Fragen, auf die will er
eine Antwort. Wir glauben nicht, dass Dante da ganz hintersinnig war. Eine Parallele
wäre dann gegeben, wenn Dante gar keine Frage hatte, aber die Beantwortung
dieser nicht vorhandenen Frage so wichtig war, dass er dafür sogar Leute
hätte umbringen lassen, oder eben, wie er in der Terzine vorher schreibt,
ganz begierig war, eine nicht vorhandene Frage beantwortet zu sehen. Also wenn
er das meinte, dann verneigen wir uns vor Dante, dann hat er die Welt so grandios
veräppelt, dass wir ihn aus ganzer Seele bewundern. Wir befürchten
aber eher, dass Dante gar nicht gemerkt hat, wie absurd sein Vergleich ist.
Die biblische Geschichte ist auf jeden Fall lustig.
Und im zweiten Jahr der Regierung Nebukadnezars hatte Nebukadnezar Träume,
so daß sein Geist sich beunruhigte und er nicht mehr schlafen konnte.
Da befahl der König, man solle die Traumdeuter und die Wahrsager, die Zauberer
und die Chaldäer zusammenrufen, damit sie dem König seine Träume
verkündeten. So kamen sie und traten vor den König. Da sprach der
König zu ihnen: Ich habe einen Traum gehabt, und mein Geist ist beunruhigt,
bis ich den Traum verstehe! Hierauf gaben die Chaldäer dem König auf
aramäisch zur Antwort: O König, mögest du ewig leben! Erzähle
deinen Knechten den Traum, so wollen wir die Deutung verkünden! Der König
antwortete den Chaldäern: Mein Entschluß steht unwiderruflich fest:
Wenn ihr mir nicht den Traum samt seiner Deutung verkündet, so sollt ihr
in Stücke zerhauen und eure Häuser zu Misthaufen gemacht werden; wenn
ihr mir aber den Traum und seine Deutung verkündet, so sollt ihr von mir
Geschenke und Gaben und große Ehre empfangen. Darum sagt mir den Traum
und seine Deutung! Da antworteten sie zum zweiten Mal und sprachen: Der König
möge seinen Knechten den Traum erzählen, so wollen wir die Deutung
verkünden! Der König antwortete und sprach: Ich weiß nun sicher,
daß ihr Zeit gewinnen wollt, weil ihr seht, daß mein Entschluß
unwiderruflich feststeht. Wenn ihr mir den Traum nicht mitteilt, so bleibt für
euch nur ein Urteil; denn ihr habt euch vorgenommen, lügenhafte und trügerische
Worte vor mir zu reden, bis sich die Zeiten ändern. Darum sagt mir den
Traum, damit ich weiß, daß ihr mir auch die Deutung verkünden
könnt! Die Chaldäer antworteten vor dem König und sprachen: Es
gibt keinen Menschen auf Erden, der verkünden könnte, was der König
befiehlt; deshalb hat auch nie irgend ein großer und mächtiger König
so etwas von irgend einem Traumdeuter, Wahrsager oder Chaldäer verlangt!
Denn die Sache, die der König verlangt, ist schwer. Es gibt auch niemand,
der es dem König mitteilen könnte, ausgenommen die Götter, deren
Wohnung nicht bei den Menschen ist. Hierüber wurde der König aufgebracht
und sehr zornig, und er befahl, alle Weisen von Babel umzubringen. Und der Befehl
ging aus, und die Weisen von Babel sollten getötet werden; und man suchte
auch Daniel samt seinen Gefährten, um sie zu töten. Da erwiderte Daniel
dem Arioch, dem Obersten der Scharfrichter des Königs, der ausgezogen war,
um die Weisen zu töten, mit klugen und verständigen Worten. Er begann
und sprach zu Arioch, dem Bevollmächtigten des Königs: Warum ist dieser
strenge Befehl vom König ausgegangen? Da erklärte Arioch die Sache
dem Daniel. Daniel aber ging hinein und bat den König, ihm eine Frist zu
gewähren, damit er dem König die Deutung verkünden könne.
Darauf zog sich Daniel in sein Haus zurück und teilte die Sache seinen
Gefährten mit, Hananja, Misael und Asarja, damit sie von dem Gott des Himmels
Erbarmen erflehen möchten wegen dieses Geheimnisses, damit nicht Daniel
und seine Gefährten samt den übrigen Weisen von Babel umkämen.
Hierauf wurde dem Daniel in einem Gesicht bei Nacht das Geheimnis geoffenbart.
Da pries Daniel den Gott des Himmels. Daniel begann und sprach: Gepriesen sei
der Name Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit! Denn sein ist beides, Weisheit und
Macht. Er führt andere Zeiten und Stunden herbei! Da fiel der König
Nebukadnezar auf sein Angesicht und verneigte sich tief vor Daniel und befahl,
ihm Speisopfer und Räucherwerk darzubringen. Der König ergriff dann
das Wort und sprach zu Daniel: Wahrhaftig, euer Gott ist der Gott der Götter
und der Herr der Könige und ein Offenbarer der Geheimnisse, daß du
dieses Geheimnis offenbaren konntest! Darauf machte der König den Daniel
groß und gab ihm sehr viele Geschenke und setzte ihn zum Herrscher über
die ganze Provinz Babel und zum Oberhaupt über alle Weisen von Babel. Daniel
aber erbat sich vom König, daß er Sadrach, Mesach und Abednego über
die Verwaltung der Provinz Babel einsetzte; Daniel aber blieb am Hof des Königs.
Also Daniel hat Nebukadnezar erzählt, dass sein Gott ihm erzählt hat,
was er geträumt hat, woraus Nebukadnezar dann schließt, dass dieser
Gott supermächtig sein muss und diesen Traum hat er dann auch noch glatt
gedeutet. Hätte der Nebukadnzear den Autor gefragt, hätte der natürlich
ganz anders zugeschlagen. In etwa so: Der Herr hat mir deinen Traum erzählt.
In deiner Schatzkammer liegen drei Tonnen Gold, die du absolut nicht brauchst,
das ist in den Augen des Herrn eine völlige Verschwendung, der Herr hat
dir also bedeutet, dass dieses Gold an mich zu übergeben seinen Willen
erfüllt und damit dein Glück vollendet.
Obwohl also das, was jetzt kommt ebenfalls suggeriert, dass Beatrice eine nicht
gestellte Frage beantwortet, gehen wir mal davon aus, dass Dante da nicht ganz
bibelfest war.
Und sprach: „Ich sah es längst, dass dich verzehrte
Ein Doppelwunsch, und dass von beiden Quälern
Einer dem anderen stets das Wort erschwerte.
Du denkst: bleibt nur der gute Wille stählern
Und fest, wie kann mir fremder Zwang den Wert
Und wie den Umfang des Verdienstes schmälern?
Und dann bezweifelst du, was Plato lehrt,
Ob wirklich zu der Sterne Heimatkreise
Die Seele von der Erde wiederkehrt?
Im Original
e disse: «Io veggio ben come ti tira
uno e altro disio, sì che tua cura
sé stessa lega sì che fuor non spira.
Tu argomenti: "Se 'l buon voler dura,
la violenza altrui per qual ragione
di meritar mi scema la misura?".
Ancor di dubitar ti dà cagione
parer tornarsi l'anime a le stelle,
secondo la sentenza di Platone .
Und sie sagte: “Ich sehe schon, dass
Sowohl das eine wie das andere Verlangen
dich verzehrt, und dass deine Neugierde
ßen dringt
Du argumentierst: „Wenn guter Wille ist beständig,
wie kann die Gewalt von irgendjemand
mir des Verdienstes Lohne verringern
Und weiter peinigt dich die Frage
dass Platon sagt dass die Seelen
zurückkehren zu den Sternen
Also der Autor würde es mal so sehen. Die Frage, wieso man lediglich in
der ersten Sphäre des Paradieses landet, wenn man zwangsverheiratet wurde
und so das Gelübde nicht erfüllen konnte, kann man sich stellen, konkreter
würde man sich natürlich die Frage stellen, wie man archaische Gesellschaften,
bei der die Ehre der Frau verletzt wird, wenn diese vergewaltigt wurde, wieder
auf Vordermann bringt. Hier ist letztlich der Staat gefordert, der mal bestimmten
Leuten klar macht, wo der Hammer hängt. Die zweite Frage hat sich Dante
nicht gestellt, da machen wir jede Wette, das hat sich Beatrice ausgedacht,
die liest im Himmel gerade das Buch Timaios von Platon. Dort werden die Seelen
dann von Zeit zu Zeit in Körpern inkarniert (natürlich ausschließlich
männlichen) und auf die Erde verfrachtet. Nach dem Tod kehren die Seelen
auf ihren Stern zurück. Wem solche Fragen auf den Nägeln brennen,
dem muss es einfach verdammt gut gehen, Verbannung hin, Verbannung her.
Von diesen Fragen wird gleich laut, gleich leise
Dein Herz bestürmt: Die erste bleib verschont,
Dass ich der zweiten schärfres Gift dir weise.
Im Original:
Queste son le question che nel tuo *velle*
pontano igualmente; e però pria
tratterò quella che più ha di felle
Das sind die Fragen die deinen Willen
Gleichermaßen beherrschen; zuerst werde
Ich die behandeln, die mehr Gift enthält
Mit dem Gift ist gemeint, dass die zweite Frage, also dass die Seelen zwischen
der Erde und den Sternen hin und herwandern (wobei es bei Platon im Detail ein
bisschen anders war, waren die Männer feige, dann wurden sie als Frauen
wiedergeboren). Da dies den christlichen Glauben mehr in Frage stellt als die
zweite (die nach dem Gelübde), enthält sie größeres Gift.
Wir sehen also, dass, wenn zwei Gruppen von psychotisch Gestörten aufeinandertreffen,
Fragen diskutiert werden und Emotionen auslösen, worüber man sich
als Außenstehender nur noch an den Kopf fassen kann. Wenn auch die Fragen
an sich auf das Vorliegen einer Psychose schließen lassen, sind die Auswirkungen
dieser Emotionen höchst konkret. Die Christen und die Moslems prügeln
sich, weil bei den einen die Dreifaltigkeit als Polytheismus gedeutet wird,
die Katholiken prügeln sich mit den Protestanten, weil man bei den einen
in den Himmel kommt ohne Buße und bei den anderen nur mit, die Shiiten
und die Sunniten prügeln sich, weil bei den einen Ali der eigentliche Nachfolger
Mohammeds ist und bei den anderen nicht. Also höchst bizarre Fragen, die
aber durchaus zu Mord und Totschlag führen. Beatrice wird uns jetzt also
erklären, wie das funktioniert mit dem Plato.
Der Seraph, der dem Herrn am nächsten wohnt,
Auch Moses, Samuel, das Johannes-Paar,
Maria selber, die am höchsten thront,
Weilen im selben Himmel wie die Schar
Der andern Geister, die dir hier erschienen,
Auch währt nicht kürzer ihnen Tag und Jahr.
In Original:
D'i Serafin colui che più s'india,
Moisè , Samuel, e quel Giovanni
che prender vuoli, io dico, non Maria,
non hanno in altro cielo i loro scanni
che questi spirti che mo t'appariro,
né hanno a l'esser lor più o meno anni;
Wie der Seraph, der am meisten von Gott durchstrahlt,
so wie auch Moses, Samuel und jener Johannes
den du kennst, das sag ich dir, und auch Maria
haben nicht in einem anderen Himmel ihren Sitz
als jene Geister die dir gerade erschienen
und haben auch nicht mehr oder weniger an Jahren
Seraph ist eine Art Engel, beschrieben wird der in Jesaja 6, 1-7:
Des Jahres, da der König Usia starb, sah ich den HERRN sitzen auf einem
hohen und erhabenen Stuhl, und sein Saum füllte den Tempel. Seraphim standen
über ihm; ein jeglicher hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie
ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen
sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR
Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll! daß die Überschwellen
bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. Da sprach
ich: Weh mir, ich vergehe! denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem
Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen
mit meinen Augen.
Er wohnt also direkt da, wo der Herr wohnt, also ganz oben, hat sechs Flügel
und zwei Füße, aber keine Arme. Die brauchen sie auch nicht, denn
Arme braucht man nur, wenn man irgendwas Praktisches macht, aber das machen
die im Himmel ja aus Prinzip nicht. In dieser Sphäre halten sich auch Moses,
Samuel, Johannes und Maria (entweder der Johannes aus dem Evangelium des Johannes
oder der Johannes aus der Offenbarung, welchen Dante meint, wissen wir nicht,
wir gehen davon aus, dass beide im Empyreum gelandet sind) auf. Entscheidend
ist dann der Nachsatz „...haben nicht in einem anderen Himmel ihren Sitz,
als jene Geister, die dir gerade erschienen“. Das heißt konkret,
dass zwar das Abbild dieser Geister im Mond ist, sie sich aber tatsächlich
nicht dort aufhalten. Das mit den Jahren ist dann schwierig. Angedeutet wird
wahrscheinlich, dass man im Paradies nicht aufsteigt wie im Läuterungsberg,
wo man mit den Jahren ja aufsteigt. Im Paradies hat man seinen Platz und da
ist man dann bis in alle Ewigkeit.
Dem ersten Kreis zur Zierde alle dienen,
Doch ist verschiedner Art ihr süßes Leben,
Wie Gottes Hauch verschieden – fühlbar ihnen.
Im Original:
ma tutti fanno bello il primo giro ,
e differentemente han dolce vita
per sentir più e men l'etterno spiro .
Qui si mostraro, non perché sortita
sia questa spera lor, ma per far segno
de la celestial c'ha men salita.
Doch alle sind die Zierde des ersten Kreises
und verschieden ist ihr süßen Leben
weil mehr oder weniger sie fühlen den ewigen Atem
Sie erscheinen hier, nicht weil sie vorbestimmt
sind dieser Sphäre, sondern um Zeugnis abzulegen
des Himmels in welchem sie enden
Das heißt jetzt auf Deutsch, dass sich zwar manche im ersten Kreis befinden,
also in der Sphäre des Mondes, aber tatsächlich sind sie wie alle
im Empyreum, also ganz oben. In der ersten Sphäre erscheinen sie nur als
abschreckendes Beispiel, also um zu illustrieren, dass man da landet, wenn man
zum Beispiel, wenn auch unter Zwang, ein Gelübde bricht. Der Text ist also
etwas unklar, weil wir zwei Aussagen haben. Zum einen heißt es, dass alle
im Empyreum sind, also gleich nah bei Gott (Wie der Seraph, der am meisten von
Gott durchstrahlt, so wie auch Moses…), auf der anderen Seite heißt
es, dass sie weiter unten weniger von dem Licht Gottes abbekommen (…und
verschieden ist ihr süßen Leben…). Logisch schlüssig
wird das also nur, wenn man davon ausgeht, dass sie im Mondhimmel lediglich
erscheinen, sich aber nicht tatsächlich da aufhalten. Zu vermuten ist,
dass Dante hier eigene Vorstellungen entwickelt, zumindest hat der Autor diese
Vorstellungen bei Thomas von Aquin nicht gefunden.
So wird man nur verständlich euresgleichen,
Denn nur, was euern Sinnen eingeprägt,
Kann dem Verstand zur würdgen Zier gereichen.
im Original:
Così parlar conviensi al vostro ingegno,
però che solo da sensato apprende
ciò che fa poscia d'intelletto degno.
So muss man euren Geist ansprechen
der nur durch die Sinne lernt,
was später auch der Verstand würdigt
Wie Beatrice auf die Idee kommt, dass Menschen nur das verstandesmäßig
erfassen bzw. weiterverarbeiten, was sie vorher sinnlich erfahren haben, ist
dem Autor völlig rätselhaft und seine Laune, dem hinterher zu recherchieren,
hält sich in Grenzen. Er weiß, dass die Bedeutung der Sinne für
die Erfahrung eine philosophische Streitfrage ist, aber nicht jede Frage, die
gestellt wird, ist auch sinnvoll. Bedauerlicherweise scheinen es geradezu die
sehr theoretischen Fragen zu sein, die zu besonders langen Diskussionen Anlass
geben. Interessanter wäre natürlich die Frage nach dem Zusammenhang
zwischen Kenntnis und Interesse. Die meisten Leute interessieren sich ja auch
nicht für Wirtschaft und für das Auf und Ab der Börsenkurse,
bis zu dem Tag, wo mal ein paar Tausend Euro hops gegangen sind, dann wollen
sie schon wissen, wie das funktioniert. Die Frage Kenntnis und Interesse ist
auch deswegen bedeutender, weil wahrscheinlich alle Menschen so mehr oder weniger
alles lernen und verstehen können, vorausgesetzt, sie interessieren sich
dafür. Im Übrigen ist die sinnliche Wahrnehmung selbst theoriegeladen.
Nur wer ein bestimmtes theoretisches Interesse hat, wird die Tatsache, dass
Äpfel vom Baum fallen, interessant finden. Interessant fand das zum Beispiel
Isaac Newton, dem fiel, so die Legende, 1666 unter einem Apfelbaum liegend ein
Apfel auf die Birne, was ihn dann zur Gravitationskraft führte. Was die
Philosophen auf diesen Hokuspokus mit den Sinneswahrnehmungen brachte, ist dem
Autor ein Rätsel. Der menschliche Verstand braucht keine Sinneswahrnehmungen,
um sich in Marsch zu setzen. Er denkt gnadenlos über alles nach, was ihn
irgendwie aus irgendeinem Grund interessiert.
Darum erteilt auch, weil sie dies erwägt,
Die Heilge Schrift dem Schöpfer Fuß und Hand,
Die doch dabei im Sinn ganz andres trägt.
Im Original:
Per questo la Scrittura condescende
a vostra facultate, e piedi e mano
attribuisce a Dio, e altro intende;
So erteilt auch die Schrift
Eurer Auffassungsgabe gemäß, dem
Schöpfer Hand und Fuß, auch wenn sie anderes meint
Sagen will er, dass Gott in den Beschreibungen ja aussieht wie ein Mensch und
diesen ja auch nach seinem Ebenbilde geschaffen hat:
Genesis, 1, 26: Und Gott sprach: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das
uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über
die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze
Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
Was ja wiederum witzig ist, denn bei Moses 5, 8 heißt es dann: Du sollst
dir kein Bildnis machen, keinerlei Gleichnis, weder des, das oben im Himmel,
noch des, das unten auf Erden, noch des, das im Wasser unter der Erde ist.
Wenn Gott den Menschen aber nach seinem Ebenbild geschaffen hat, dann sieht
er höchstwahrscheinlich aus wie ein Mensch, womit dann schlagend bewiesen
ist, dass es sich bei der Bibel um die Schrift eines Ketzers handelt: Quod erat
demonstrandum, was zu beweisen war. Der Islam ist da übrigens konsequenter,
der hat wirklich kein Bild von Allah, was psychologisch raffinierter ist, denn
das Denkverbot wird dann radikaler. Die Position Beatrices liegt dann irgendwo
dazwischen. Die Bibel hat zwar ein Bildnis, aber das ist nur deswegen da, weil
wir armen Erdenwürmer einfach zu blöd sind, etwas zu erfassen, was
wir uns nicht konkret vorstellen können. Wahrscheinlich besteht darin auch
die Erbsünde, also wenn es jemand noch nicht begriffen hat: Die jetzige
Version ist ja die, dass wir Menschen von der Erbsünde belastet sind, weil
Eva einen Apfel gegessen hat und weil Eva einen Apfel gegessen hat, wird Jesus
ans Kreuz genagelt, obwohl der Apfelklau strafrechtlich nur Mundraub ist ( § 248a
StGB, Verfolgung nur auf Antrag). Raffinierter ist das: Die Erbsünde besteht
darin, dass irgendjemand in der Bibel Gott beschreibt, obwohl das nach der Bibel
verboten ist. Na gut, wahrscheinlich auch nicht, der Autor hat etwas Probleme
der christlichen Logik zu folgen.
So malt auch Kirchenkunst im Menschenstand
Gabriel, Michael und Raphaelen,
Durch den Tobiä Blindheit Heilung fand.
Im Original hat Dante ein Osterei versteckt, das hat Zoozmann schon für
uns gefunden.
e Santa Chiesa con aspetto umano
Gabriel e Michel vi rappresenta,
e l'altro che Tobia rifece sano.
und die heilige Kirche zeichnet
mit menschlichem Angesicht den Gabriel
und Michael und den anderen, der Tobias gesunden ließ
Im Original haben wir also das Osterei Raphael suchen müssen, was wir natürlich
als gewitzte mit google bewaffnete Ostereiersucher auch selber könnten.
Die Geschichte wird im apokryphen, nicht zum Kanon der Bibel gehörenden
Buch Tobias erzählt. Die Geschichte ist ein bisschen weired, verdreht.
Tobit, also der Vater des Tobias, begräbt einen Juden, was verboten ist.
Dadurch ist er unrein geworden und darf sein Haus nicht betreten. Deshalb schläft
er draußen, wo wiederum Sperlinge das machen, was Vögel ab und zu
mal machen und dieses Etwas fällt in seine Augen und er erblindet. Tobit
hat wiederum Geld versteckt und weist seinen Sohn Tobias an, dieses zu holen.
Der Engel Raphael bietet sich unterwegs als Weggefährte an und bewahrt
ihn vor allen möglichen Gefahren, insbesondere sorgt er aber dafür,
dass Tobias einen Fisch fängt, der Heilkräfte hat. Mit dessen Galle
wird Tobit geheilt.
Das eigentliche Rätsel ist aber etwas anderes. Wir finden ja das Verbot
sich ein Bildnis zu machen psychologisch sinnvoll, das dient dem Machterhalt
der monotheistischen Religionen. Merkwürdig ist aber, dass Beatrice sagt,
dass die Anordnung im Himmel nur deswegen so ist, damit den Menschen sinnlich
wahrnehmbar vor Augen geführt wird, dass man in einer unteren Sphäre
des Paradieses landet, wenn man nicht ganz astrein war, eigentlich nur deswegen,
weil die Menschen zu blöd sind, um etwas zu kapieren, was sie nicht sehen.
Aber im Paradies ist doch eh kein Mensch, es ist also völlig wurscht. Die
ganze Anordnung ist also nur deshalb so, weil Dante da mal vorbeischlurft, denn
es ist der einzige Mensch, der das Paradies jemals als Mensch betritt. Und Dante
hätte das auch begriffen, wir würden es ja auch begreifen. Hätte
man ihm gesagt, dass zwar alle im Empyreum sind, aber manche davon halt doch
nicht ganz astrein sind und dort nur sind, weil Gott eben gnädig ist, dann
hätte er das begriffen. Das ist also schon ein ziemlicher Aufwand, den
Gott da wegen Dante betrieben hat.
Doch was Timäus lehrte von den Seelen,
Gleicht dem nicht, was hier sichtbar – aber gerne
Glaubt man, er spreche ohne zu verhehlen.
Im Original:
Quel che Timeo de l'anime argomenta
non è simile a ciò che qui si vede,
però che , come dice, par che senta.
Was Timäus berichtet von den Seelen,
ist nicht dem ähnlich, was wir hier erblicken
denn er scheint, wie man sagt, alles wörtlich zu meinen
Im Buch Timaios wird, wie oben bereits geschildert, das Hin und Herwandern der
Seelen zwischen der Erde und den Planeten beschrieben. Da wird Platon natürlich
völlig missverstanden, obwohl Beatrice das nicht in einem persönlichen
Gespräch hat erfahren können, denn Platon ist ja ungetauft im ersten
Kreis der Hölle gelandet, sie im Paradies. Beatrice kann ihre Einsichten
also nur aus der Sekundärliteratur oder aus ihrem eigenen Kopf ausgegraben
haben, beides reichlich unsichere Quellen. Sie fragen sich jetzt natürlich,
warum man Platon überhaupt erwähnen soll? Also Sie können auch
reichlich weltfremde Fragen stellen, mal ganz ehrlich. Beatrice ist doch sowas
wie Beamter im himmlischen öffentlichen Dienst, gehört also zur selben
Kategorie, wie die verbeamteten Geistlichen, vulgus Professor. Und die schmieren
sich nur dann Butter auf‘ s Brot, wenn das auch Aristoteles, Kant, Hegel,
Diderot, Schelling, Fichte, Schleiermacher, Ortega y Gasset, Unamuno, Pascal,
Foucoult, Bergson und Gramsci gemacht haben. Sagen Sie jetzt nicht, dass es
völlig wurscht ist, was Plato gesagt hat, selbst der Irrtum Platons ist
wichtiger als die richtige Ansicht eines erbärmlichen Erdenwurms, deswegen
werden wir jetzt über die Irrtümer Platons aufgeklärt.
Er sagt, die Seele kehrt zu ihrem Sterne,
Und glaubt, dass sie ihm ehemals entwich,
Als sie Natur dem Körper gab zum Kerne.
Vielleicht ist‘ s richtiger, dass man anders sich
Sein etwa missverstandnes Wort erkläre -
Dann ist der Sinn wohl minder lächerlich;
Im Original:
Dice che l'alma a la sua stella riede,
credendo quella quindi esser decisa
quando natura per forma la diede;
e forse sua sentenza è d'altra guisa
che la voce non suona, ed esser puote
con intenzion da non esser derisa.
Er sagt die Seele gehe zu den Sternen,
glaubt also dass alles schon entschieden
Wenn die Natur ihr eine Form verleiht
doch vielleicht ist sein Urteil anderer Natur
als es das Wort vermuten lässt und kann auch
So verstanden werden, dass es nicht lächerlich klingt
Sie geht also davon aus, dass Platon etwas anderes meint, als er schreibt, also
nicht wörtlich zu nehmen ist und wenn man es richtig auffasst, ist es nicht
vollkommen lächerlich, denn etwas, das im Widerspruch zum christlichen
Glauben steht, ist natürlich lächerlich. Richtig muss es also heißen:
Denn etwas Wahres träf sein Bogen, wäre
Die Meinung so: In Lob und Tadel kehrte
Der Einfluss wieder heim zu seiner Sphäre.
Im Original:
S'elli intende tornare a queste ruote
l'onor de la influenza e 'l biasmo, forse
in alcun vero suo arco percuote.
Wenn er damit jenen Rädern zuweist
Die Ehre des Verdienstes und des Fehls,
vielleicht etwas Wahres beinhaltete sein Bogen
Beatrice korrigiert also Platon dahingehend, dass dieser nicht meint, dass die
Seelen immer auf den gleichen Planeten zurückkehren, sondern sagen will,
dass die Sterne das menschliche Leben beeinflussen. Man muss Platon also nicht
wörtlich nehmen, sondern das Wort als Metapher auffassen. Meint Beatrice.
Weiter teilt uns Beatrice noch mit, dass alle Plato bislang falsch verstanden
haben.
Fast alle Welt verstand, was Plato lehrte,
Zu Unrecht, so dass früher man die Sterne
Merkur, Mars, Jupiter als Götter ehrte.
Im Original:
Questo principio , male inteso, torse
già tutto il mondo quasi, sì che Giove,
Mercurio e Marte a nominar trascorse.
Dieses Prinzip, schlecht verstanden, verwirrte
Schon die ganze Welt, bis es schließlich geschah
dass man diese Planeten Jupiter, Merkur und Mars nannte
Der Autor ist sich noch nicht richtig schlüssig, ob er tatsächlich
wissen will, was Platon uns sagen wollte. Bei Platon allerdings sind Merkur
und Mars tatsächlich Götter, die wurden nämlich von dem Demiurgen,
also sozusagen dem Primum Mobile, dem ersten Bewegten, tatsächlich geschaffen.
Auf folgende Weise soll es sich also nach ihrer Erzählung mit der Entstehung
dieser Götter verhalten, und so wollen wir es wiedergeben: Als Kinder der
Ge (Erde) und des Uranos (Himmel) wurden Okeanos und Tethys geboren; diese aber
zeugten Phorkys und Kronos und Rhea und alle, die mit ihnen kamen; von Kronos
und Rhea aber stammen Zeus und Hera und alle, von denen uns bekannt ist, daß
sie als ihre Geschwister gelten, und schließlich noch andere Abkömmlinge
von diesen. Als nun alle die Götter entstanden waren, sowohl die, welche
sichtbar umherwandeln, als auch diejenigen, die sich nur dann zeigen, wenn sie
wollen, da sprach der Schöpfer dieses Alls folgendes zu ihnen: «Ihr
Götter, von Göttern abstammend, ich bin euer Urheber und der Vater
der Werke, die durch mich entstanden sind und nicht zerstört werden können,
solange ich nicht will.
Und erst später gibt er diesen Göttern dann eine Seele in Planetenform.
Dass aber die Verknüpfung von Planeten mit Göttern (Venus, Mars, Merkur)
auf Platon zurückgeht, würde der Autor jetzt so aus dem Bauch heraus
bestreiten. Er würde eher vermuten, dass Platon hier die griechische Mythologie
in seinem System verbaute. Dafür spricht auch, dass er einen Demiurg einsetzt,
der die anderen Götter erschuf. Rein logisch gesehen kommt er damit aber
auch nicht weiter. Damit hat er zwar erklärt, wer Gaia erschuf, aber die
Frage, wer den Demiurg erschuf, bleibt weiterhin unerklärt. Das ist ja
überhaupt die Kernfrage: Wer erschuf Gott?
Der andre Zweifel birgt in seinem Kerne
Viel weniger Gift und hätte nie vermocht,
Dass sich zu weit von mir dein Weg entferne.
Der andere Zweifel ist der, ob derjenige, dessen Gelübde durch gewaltsame
Einwirkung Dritter gebrochen wurde, Schuld auf sich lädt. Sie sehen also
Fragen über Fragen. Wie heißt es so schön bei Goethe:
Oh glücklich, wer noch hoffen kann,
aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen
Bei Plato fühlte sich ja das Herz des Autors jugendlich erschüttert
(Wo kommt das her, das „jugendlich erschüttert“ ? Richtig,
Goethe isses!). Die ganze Angelegenheit erinnert ihn an einen Aufsatz, den er
mal in der Schule schreiben musste, über Platons Ideenlehre. Da hatte er
einen Kumpel, Sie sehen also, dass sich der Autor immer schon mit den richtigen
Leuten umgeben hat, der brauchte für diesen Aufsatz nicht mal eine Minute,
der ganze Aufsatz bestand aus einem Satz:
Sex and drums and Rock‘ n Roll is all my brain and body needs.
Der teacher war natürlich nicht amused. Der Aufsatz des Autors war länger,
der sabbelt den besten Hund kaputt, aber nicht wirklich ertragreicher, wenn
auch besser benotet.
Dass Gottes Rat oft scheinbar unterjocht
Der Menschen Recht – das stärke euch im Glauben,
Statt dass ihr ketzrisch auf die Meinung pocht!
Im Original:
Das mit den Griechen kennen wir schon, das ist üben, üben, üben.
Hier laufen zwei Handlungsstränge zusammen, beide kennen wir schon. Der
eine Handlungsstrang ist der, dass sich die Kinder von Ödipus, Eteokles
und Polyneikes in die Wolle bekamen. Geplant war, dass beide abwechselnd in
Theben regieren, aber Eteokles setzte seinen Bruder ab und dieser wiederum suchte
sich Gefährten, mit denen zusammen er gegen Theben zog. In der Schlacht
kam sowohl Polyneikes wie auch Eteokles um. Innerhalb dieser Geschichte gibt
es nun eine Nebengeschichte. Auch Ampharos, der Vater des Alkmaion (auf dessen
Schicksal die Terzine anspielt) sollte gegen Theben ziehen, was dieser aber
nicht wollte, weil er voraussah, dass er diesen Krieg nicht überleben wird.
Daraufhin besticht Polyneikes mit dem Halsband der Harmonia (ein von Hephaistos
gefertigtes Halsband, auf dem ein Fluch lag) die Frau des Ampharos, Eriphyle,
damit diese ihren Gatten dazu überredet, doch an dem Krieg teilzunehmen.
Der Krieg endet, wie von Ampharos vorhergesehen, in einem Desaster und es beginnt
die zweite Runde. Zehn Jahre später zogen die Epigonen, die Söhne
der "Sieben gegen Theben", wieder in den Krieg, diesmal erfolgreich,
der Sohn des Eteokles, Laodamas, wird getötet. An diesem Feldzug nimmt
auch der Sohn des Ampharos teil, Alkmaion. Ampharos trug diesem, bevor er in
die Schlacht zog, auf, seinen unvermeidlichen Tod zu rächen, das heißt
seine Mutter Eriphyle zu töten. Er tat dies aber erst, nachdem sich seine
Mutter nochmal bestechen ließ und so bewirkte, dass beide Söhne,
also Alkmaion wie auch Amphilochus, in den Krieg zogen. Alkmaios kam also den
Sohnespflichten nach, aber nicht seinen Pflichten als Sohn. Ob Dante hier also
das geeignete Objekt zur Illustrierung verwendet hat, kann man bezweifeln. Denn
eine Mutter, die ihren eigenen Sohn wegen einem Firlefanz in den Krieg schickt,
ist ja auch etwas merkwürdig. Alkmaion hätte auch ganz ohne seinen
Vater Grund genug gehabt, auf seine Mama sauer zu sein.
Dies ist der Punkt, und den vergiss mitnichten:
Wenn auch der Zwang den Willen unfrei macht,
Wird Tat zur Schuld, muss man den Täter richten!
Im Original:
A questo punto voglio che tu pense
che la forza al voler si mischia, e fanno
sì che scusar non si posson l'offense .
Ich will, dass du verstehst,
dass die Kraft mit dem Willen sich vermischt,
und zwar so, dass die Beleidigung nicht entschuldigt werden kann
Heißen soll das wohl, dass auch dann, wenn sich der Wille lediglich nackter
Gewalt beugt, Gott dennoch beleidigt wird. Fasst man die Dialektik der Beatrice
zusammen, dann sieht man sofort ein, dass die Worte so erleuchtend waren, dass
Dante das nie vergessen darf. Das erste Argument war, dass man sich auch dann
nicht vom Pfad der Tugend darf abbringen lassen, wenn man auf einem Rost geröstet
wird, das war die Sache mit Laurentius. Das zweite Argument war, dass auch dann,
wenn der Wille Gottes Pfaden zu folgen lediglich durch nackte Gewalt gebrochen
wird, dies dennoch eine Sünde ist. Es fällt da etwas schwer, den Unterschied
zwischen diesen zwei Argumenten zu finden, aber abgesehen davon ist der Autor,
ganz im Gegensatz zu Dante, auch nicht so richtig überzeugt. Selbst die
zusammenfassende Erläuterung anhand eines Beispiels können wir nicht
so richtig nachvollziehen.
Piccarda also sprach – dies unterscheide! -
Vom Willen an sich selbst, vom andern ich,
Und darum zeugten Wahrheit dir wir beide.“
Im Original:
Però, quando Piccarda quello spreme,
de la voglia assoluta intende, e io
de l'altra; sì che ver diciamo insieme».
Weil, als Piccarda jenes berichtet,
meinte sie den absoluten Willen, und
Ich den anderen; so meinen wir dasselbe
Die Logik ist also die: Piccarda behauptet, dass das Gelübde der Konstanze
zwar gebrochen wurde (durch die Gewalt Dritter), aber dass Konstanze im Herzen
dem Gelübde treu blieb. Beatrice sagt nun, dass das zwar richtig sei, aber
eben nicht ausreicht, weil sie nicht ins Kloster zurückmarschiert ist,
als dies möglich war. Irgendwie will uns Beatrice irgendwas von Thomas
von Aquin erklären. Dieser behauptet, dass auch der Schuld auf sich lädt,
der dem absoluten Willen Gottes aus Furcht nicht Folge leistet. Sie können
aus diesem Abschnitt aber etwas Entscheidendes für das ganze Leben lernen.
Wer völlig abstruse Fragen stellt, bekommt noch abstrusere Antworten. Allerdings
gilt das nur, wenn da nicht ein mächtig halluzinogener Pilz involviert
ist. Denn Dante ist von der Antwort geradezu begeistert. Leute allerdings, denen
nicht mal die Frage klar ist, schauen hier natürlich wie ein Schwein ins
Uhrwerk, sind fasziniert, was Dante alles begeistert.
Also ergoss die heilge Welle sich,
Die aus der Wahrheit Ursprungsquell entsprungene,
Und söhnte aus mit beiden Zweifeln mich.
Wow! Dante hat jetzt also erstens sein Problem mit den Göttern Platons
geklärt, die zwischen den Planeten und der Erde hin- und herwandern und
zweitens weiß er jetzt, dass Schuld auf sich lädt, wer dem Willen
Gottes aus Furcht nicht folgt. Das waren natürlich jetzt mächtig viele
Terzinen dafür und wir wissen nicht mal, ob wir tatsächlich schlauer
sind.
„Geliebte der Urliebe, Gottdurchdrungene,“
Rief ich, „wie überströmt mit Lebensmut
Solch Wort die Seele mir, die Lichtbezwungene!
Nicht tief genug ist meiner Inbrunst Glut,
Euch Gabe gegen Gabe darzubringen -:
Der alles kann und sieht, mach‘ s freundlich gut!
Lucy in the sky with diamonds. Es muss die Wahnsinns Pilze gegeben haben in
der Toskana, aber die in Brandenburg, da hat Falkenhausen gelebt, einer der
zahlreichen Dante Interpreten, die müssen das totale Hammerkraut gewesen
sein, denn der schreibt: „ Was Beatrice, die Gottgeliebte lehrt, ist Ausfluß
göttlicher Wahrheit, befruchtend wie Sonnenschein und Regen für den
Geist, der in ihr Frieden und sichere Zuflucht fand. (Dante, Die Göttliche
Komödie, Insel Taschenbuch, Frankfurt, 1977, Seite 600.)
Nie wird dem Geiste Sättigung gelingen,
Als mit dem Licht, das aus der Wahrheit quillt,
Und außer ihr nicht lässt sie sich erringen.
Dazu Falkenhausen: Dass dem Menschen Wahrheit erkennbar sei, ist thomistische
Lehre im Gegensatz zur stoischen. Da der Zweifel nichts anderes ist als der
Keim zur Wahrheit, wagt Dante noch eine Frage: nach der Möglichkeit eines
Ersatzes für unerfüllte Gelübde. (ebenda Seite 600)
Dass Thomas von Aquin uns armen Erdenwürmern zutraut, die Wahrheit zu erkennen,
finden wir natürlich gut und wir freuen uns auch darüber, dass Dante
uns mitteilt, dass Thomas von Aquin davon überzeugt ist. Allerdings steht
die Befürchtung im Raum, dass diese Aussage allein zur Steuerung der Wissenschaft
und zum Austüten von Steuergeldern dafür nicht ganz ausreicht. Ganz
düster sieht es dann aus, wenn man sich mal kurz überlegt, was das
Bundesministerium für Bildung und Forschung so treibt. Dieses Institut
wird ja momentan von einer Doktorin geleitet, von Dr. Annette Schavan, die ist
ja Theologin und da scheint mit den Erkenntnissen von Thomas von Aquin tatsächlich
ein milliardenschweres Ministerium geleitet zu werden. Wer über dieses
Ministerium dann nachdenkt, der denkt an Heine: Denk ich an Deutschland in der
Nacht / bin ich um den Schlaf gebracht. Dieses Ministerium tütet zum Beispiel
32 Millionen Euro aus für die Förderung von Web2 im e-learning Bereich,
obwohl dieser Bereich, privatwirtschaftlich organisiert, überhaupt kein
Geld braucht. Der Autor macht so was nämlich und verdient damit Geld. Die
32 Millionen fließen an irgendwelche Professorchen, die von dem Thema
keine Ahnung haben und die Steuergelder glatt verbrennen. Eine Geschichte des
Scheiterns und der gnadenlos verbrannten Steuergelder ist diese Seite:
http://www.medien-bildung.net. Da sind alle Projekte gelistet, eines bedeutungsloser
als das andere und manchmal hängt sogar ein Preisschild dran. Das kann
man dann zusammenaddieren. Wer dann immer noch glaubt, dass Thomas von Aquin
einen Ansatz bietet, die Produktion von Wissen effizient zu steuern, der hat
schlicht einen an der Waffel. Die Wahrheit erlangt man nicht dadurch, dass man
vom Licht des Schöpfers durchströmt wird, man kann aber mal ein Handbuch
zu Controlling in die Hand nehmen, das hilft. Wenn man wissen will, wie man
den wissenschaftlichen Fortschritt evaluiert, kann man das Buch von Karl Popper,
Logik der Forschung, in die Hand nehmen.
Da ruht er, wie im Dickicht ruht das Wild,
Wenn er‘ s erreicht hat, und er kann‘ s erreichen,
Sonst bliebe alle Sehnsucht ungestillt.
Im Original:
Posasi in esso, come fera in lustra ,
tosto che giunto l'ha; e giugner puollo:
se non, ciascun disio sarebbe *frustra*.
In ihr ruht er, wie das Tier im Nest,
wenn er einmal sie hat gefunden, und finden kann er sie
sonst wäre jede Sehnsucht unerfüllt
„Er“ ist der Geist, der ruht in „ihr“, also der Wahrheit,
wie das Tier im Nest. Könnte der Geist die Wahrheit nicht finden, bliebe
jede Sehnsucht unerfüllt. Irgendwie haben wir den Eindruck, dass Dante
sich wiederholt, ohne dass die Argumentation deshalb logisch stringenter würde.
Drum sprossen, einem Schössling zu vergleichen,
Am Fuß der Wahrheit Zweifel – doch Natur
Spornt uns, vom Weg zur Höh nicht abzuweichen!
Das klingt ja erstmal nach dem Durchscheinen der Toleranz, zweifeln darf man
also. Aber nur, wenn die Pflanze entlang des vom Gärtner Kirche eingepflanzten
Bambusstabes nach oben rankt landet man nicht auf dem Scheiterhaufen.
Ist die Sache mit der Fragerei unglücklich gestartet, so wird die absurde
Antwort eine noch absurdere weitere Frage aufwerfen.
Dies treibt nur, dies ermutigt jetzt mich nur,
Dass ich in Ehrfurcht, Herrin, Euch befrage
Nach einer andern Wahrheit dunkler Spur:
Ob Fehlgelübde man im Lauf der Tage
Durch andres gutes Werk ersetzen kann,
Dass es zu leicht nicht laste Eurer Wage?“
Was er also wissen will ist, ob die Schuld, die man dadurch auf sich lädt,
dass ein Gelübde, das gebrochen wurde, wenn auch unter Gewalt, durch Taten
zumindest teilweise verringert werden kann.
Betrachtet man die Diskussion zwischen den Beiden und die Wirkung, die diese
Diskussion hervorruft, bekommt man eine Vorstellung über die Natur des
Lichtes, die durch das Paradies strahlt. Das ist vielleicht kein Pilz, aber
die Wirkung ist irgendwie ähnlich.
Da sahn mich Beatricens Augen an,
Göttliche Liebesfunken darin zeigend,
Dass meine Kraft mir zu entfliehn begann
Und ich mich selbst verlor, die Augen neigend.
Weil er also die oben beschriebene Frage stellt, schaut sie ihn mit göttlichen
Liebesfunken in den Augen an. Der Autor kennt das wirklich nur bei Leuten, die
mit zugedröhnter Birne durch die Gegend laufen. Da hat dann das, was objektiv
passiert auch nichts mehr mit den Reaktionen zu tun, die ausgelöst werden.