Dante hat uns ja bereits mitgeteilt, dass er uns nicht wird berichten können, was er im Paradies erlebt hat. Er hat uns weiterhin mitgeteilt, dass all diejenigen, die noch nicht dort waren, eben Pech gehabt hätten und sich mit einer gleichnishaften Darstellung zufrieden geben sollen. Die konzeptionellen Mängel seines Opus sind ihm also bekannt, er will berichten vom göttlichen Vakuum. Jetzt führt er noch ein drittes Argument ein, wer ihm nicht folgen kann, ist schlicht zu blöd.

O ihr, die ihr im kleinen Boot, verleitet
Von Sehnsucht mir zu lauschen, nachgezogen
Seid meinem Schiff, das im Gesange gleitet,

Vertrauet ferner nicht den Meereswogen,
Kehrt um, lasst an den Heimatstrand euch tragen,
Verlört ihr mich, so wäret ihr betrogen!

Durch niebefahrne Flut will ich mich schlagen,
Minerva haucht, Apoll will mich geleiten,
Die Musenschar zeigt mir den Himmelswagen.

Ihr andern Wenigen, die ihr beizeiten
Das Haupt erhobt zu jener Engelsspeise,
Die hier uns nährt, nicht Sättigung will bereiten,

Ihr wagt ins Salzmeer eher wohl die Reise
Auf euerm Boot, folgt ihr der Furchenspur,
Bevor sich glätten meines Kieles Gleise.


In dieser Deutlichkeit ist die Einleitung ein Novum, so deutlich hat noch kein Dichter seine Leser veräppelt. Dass der Dichter dem Leser kritisch gegenüber steht, es unklar ist, was dieser aus seiner Dichtung herausliest, haben wir öfters. Zu Beginn von Goethes Faust haben wir eine Zueignung, dort lesen wir:

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang

Auch Goethe geht also davon aus, dass „habent sua fata libelli“, dass Bücher ihre Schicksale haben, allerdings beschreibt Goethe, wenn auch ironisch gebrochen, den dynamischen Prozess der Rezeption einer Dichtung durch den Leser:

Dann sauget jedes zärtliche Gemüte

Aus eurem Werk sich melanchol‘ sche Nahrung,
Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.

Goethe beschreibt so ganz nebenbei, darauf können wir hier nicht eingehen, den komplexen Prozess der Rezeption von Dichtung. Der Leser und der Dichter treffen sich da, wo Dichtung authentisch ist, das heißt, wo eine komplexe seelische Dynamik - deren Beschreibung durch Sprache nicht möglich ist, denn Dichtung führt die Sprache an ihre Grenzen, ihr Klang ist jenseits der Sprache - richtig beschrieben wird. Dichtung ist genau das Gegenteil dessen, was Dante macht. Bei Dante bedarf es eines begrifflichen Instrumentariums (der Theologie des Thomas von Aquin), damit er, so seine eigene Behauptung (…Das Haupt erhobt zu jener Engelsspeise / Die hier uns nährt….; gemeint sind die, die Thomas von Aquin gelesen haben, das ist die Engelsspeise), verstanden wird. Dichtung ist das Gegenteil, sie ist keine Illustrierung von Begrifflichkeiten, sie ist, genau umgekehrt, das Gegenteil derselben. Begriffe sind Ideologie, die Beschreibung der versteinerten Welt. Dichtung verflüssigt diese Steine, zieht die Welt in die Subjektivität. In der Lage sind hierzu nur starke Persönlichkeiten, wie eben Goethe, die an der Authentizität festhalten. Was den Begriff Authentizität angeht, haben wir es mit einem Mysterium zu tun, selbst Goethe war nicht in der Lage zu beschreiben, wie es der Dichter schafft, Begriffe von ihrem Fetischcharakter, des Rein für andere sein, von ihrem Charakter als blankgeputzte Spielmarken, zu befreien. Er beschreibt den Dichter öfters, umkreist öfters das Problem. Einmal zum Beispiel im Faust selbst.

Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?

…und in sein Herz die Welt zurücke schlingt: Das ist wohl der Kasus Knactus. Der Dichter nimmt, aufgrund einer komplexen inneren Dynamik ständig eine Neubewertung der Welt vor. Aber nur dann, wenn er diese komplexe Dynamik auch anderen mitteilen kann, ist sie wahr und nicht willkürlich. Wir wissen alle, dass Interpretationen, vor allem in der Schule / Uni, oft als das große Gelaber gelten, wo halt jeder seine Meinung hat, aus irgendwelchen wolkigen Sprachkonstrukten bestehen. Diese wolkigen Sprachkonstrukte verschwinden aber mit der Zeit und übrig bleibt ein Destillat, das schlägt dann ein wie der Blitz, manchmal sogar in das Hirn eines Professorchens, was ja bekanntlich die härteste Nuss für jede Dichtung ist, denn die Jungs und Mädels sind völlig durch den Wind. Wer, wie die Romanisten dies tun, von Textproduktion spricht, sollte in den Ruhestand versetzt werden, denn der Begriff Textproduktion zeigt schon, dass sie das Thema nicht verstanden haben. Wer selber keinen Zugang zur Dichtung hat, wird niemanden ausbilden können, den man guten Gewissens auf Schüler loslassen darf.

Um die Sache auch mal von der ökonomischen Seite zu betrachten. Für die Ausbildung von Phrasendreschern, die dann Schüler mit Phrasen zudreschen, braucht man keine Steuergelder in die Hand zu nehmen. Organisiert man die Literaturvermittlung mit einem United Schwachmatiker Orchestra, vulgus Philologen, dann spricht der Ökonom von einer Fehlallokation der Mittel, das heißt, eine alternative Verwendung hat dann einen höheren Nutzwert. Trivial ist das nicht, denn man kann sich schon fragen, wie formal „gebildete“ Leute die Barbarei organisieren konnten. Das diskutiert Adorno in seiner Schrift „Erziehung zur Mündigkeit“. Er hat so seine Zweifel und lässt die Staatsexamenskandidaten durch die Prüfung rasseln. Das ist die Notbremse. Das Kernproblem sind aber die Professorchen und Dozentchen, denn der Fisch fängt am Kopf an zu stinken.

Aber zurück zu Dante und seinem Programm. In den ersten beiden Terzinen teilt er uns also mit, dass nur wenige auserwählt sind, eben nur die Kenner der Theologie des Thomas von Aquin, seinem Schiff zu folgen.

O ihr, die ihr im kleinen Boot, verleitet
Von Sehnsucht mir zu lauschen, nachgezogen
Seid meinem Schiff, das im Gesange gleitet,

Vertrauet ferner nicht den Meereswogen,
Kehrt um, lasst an den Heimatstrand euch tragen,
Verlört ihr mich, so wäret ihr betrogen!


Das ist weitgehend das Gegenprogramm zur Dichtung. Deren Aufgabe kann es nicht sein, ein Theoriegebäude darzustellen. Sie arbeitet nicht mit Begriffen, sie arbeitet gegen Begriffe. Es nützt auch nichts, wenn man, wie Friedrich Freiherrn von Falkenhausen dies tut, schlicht das Gegenteil behauptet. Es wäre notwendig, dieses konkret, am Text, zu beweisen.

„Es ist bekannt, dass Dante, obschon innerlich mächtig bewegt von mystischen Ideen, zumal vom Einfluss des heiligen Franz von Assisi, auf dem Boden der scholastischen Theologie und Philosophie steht. In Thomas von Aquin vor allem verehrt er den untrüglichen Meister, dessen Lehre er getreulich wiederzugeben beflissen ist. Bis heute deckt die Dante Forschung täglich neue Fäden auf, die das Denken unseres Dichters mit dem System dieses seines Lehrers und mit den Lehrern andrer Häupter dieser Schule verknüpfen. Manche Verse der Commedia klingen fast wie Zitate aus den Lehrbüchern des Aquinaten. Je schärfer man freilich vergleicht, desto mehr muss man staunen, was hier aus den Distinktionen und Syllogismen des Dogmatikers geworden ist. Es ist, als ob das bei aller Großartigkeit des Wuchses allzu dürre Holz der scholastischen Dialektik in der Hand des seherische Dichters zu grünen anfange.“

Aus: Dante, Die göttliche Komödie, insel Taschenbuch, 1997, Seite 472

Genau das haben wir noch nicht feststellen können, dass da irgendwas grünt, das müsste bewiesen werden, am Text. Weiter fällt uns der philologentypische Pathos auf (..innerlich mächtig bewegt…, …untrüglichen Meister…, …seherische Dichter…). Bei den Philologen kann man getrost davon ausgehen, dass immer dann, wenn der Ton besonders weihevoll wird, der Inhalt ähnlich interessant ist wie ein verschwitzter Emmentaler. Über Falkenhausen speziell, der die Divina Commedia 1937 übersetzte, gibt es zwar auch noch was Positives zu berichten: er engagierte sich im Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime, aber seine Aussagen zu Dante werden außer ihm nur noch die professoralen Romanistentrottel teilen.

Bis hierher ist vornehmlich von Dante dem Denker die Rede gewesen. Nicht als ob darüber Dante der Dichter vergessen werden könnte: Nur als Dichter offenbart sich der Denker der göttlichen Komödie. Aber von einem Dichter als Dichter zu reden, ist Verlegenheit. Es heißt sein Werk zerschwatzen, wenn man mit Worten das Unsagbare, das eigentlich Dichterische auszudrücken sich vermisst. Das Geheimnis der dichterischen Wirkung bleibt unergründlich, ob man es nun an der Summe der „poetischen Schönheiten“ dartun will, auf die der Leser mit der Nase gestoßen wird, ob man sie gar aus den Besonderheiten von Reim und Rhythmus, aus Folge und Wechsel bestimmter Vokale und Konsonanten zu errechnen sucht.

Ebenda Seite 480

Wie war das: Das Geheimnis der dichterischen Wirkung bleibt unergründlich. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Bei Dante gibt es kein dichterisches Geheimnis, es gibt Ostereier. Wenn aber eine frei drehende Sehnsucht ums Verrecken nach etwas sucht, von dem sie ergriffen wird, dann kommt ein Pathos zustande, der nur noch denjenigen zum Glühen bringt, dem die Birne weggeknallt ist. Der Autor bezweifelt auch schlicht, dass der gute Falkenhausen vom Reiz der poetischen Bilder dahingeschmolzen ist. Die Divina Commedia ist nicht in der Sprache geschrieben, die man heute als Italienisch bezeichnet, dieses Standarditalienisch kann man tatsächlich bis zur Perfektion beherrschen. Selbst Italienisch Muttersprachler lesen aber das Italienisch des Hochmittelalters nicht flüssig und wir haben auch bereits erlebt, dass Zoozmann, wie alle Übersetzer auch, schon Mühe hat, das überhaupt zu verstehen, geschweige denn von den poetischen Bildern erglüht dahinschmilzt. Im Übrigen dürfte es sehr schwer sein, Dichtung in einer Fremdsprache zu lesen wie in einer Muttersprache. Das kann im Einzelfalle möglich sein, ist aber unter Umständen die Ausnahme. Es setzt voraus, dass man ein Wort innerhalb eines semantischen Feldes einordnen kann, denn nur dann ist die emotionale Besetzung spürbar. Man muss ein Wort geographisch zuordnen können und man muss es auch gesellschaftlich zuordnen können. Für einen Ausländer klingt das völlig gleich (Theodor Storm):

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
schenk ein den Wein , den holden!
wir wollen uns den grauen Tag
vergolden, ja vergolden!

Der Nebel löst sich auf, die Blätter fallen runter
gib mir noch etwas von dem Wein
den grauen Tag heute
wollen wir uns lustig gestalten

Man kann wohl davon ausgehen, dass man nur eine einzige Sprache perfekt beherrscht, die Muttersprache. Wer zwei Sprachen auf dem Niveau der Muttersprache beherrscht, muss eine spezielle Biographie haben, etwa unterschiedliche Sprachen der Eltern und längeres Verweilen in beiden Sprachräumen. Der Autor kennt mehr Leute, die gar keine Sprache auf Muttersprache Niveau sprechen als Leute, die zwei Sprachen auf Mutterspracheniveau sprechen. Man kann leicht dahin kommen, eine Fremdsprache perfekt zu sprechen. Schwierig ist es, alles was an Kultur, geographischen Besonderheiten, Stimmungen, gesellschaftlichen Verhältnissen in einer Sprache verdichtet ist, zu erfassen. Wenn Falkenhausen also behauptet, dass er im Italienischen des Hochmittelalters so tief drin steckt, dass er das sprachlich voll erfasst, dann würden wir schlicht sagen, der lügt wie gedruckt.

Der Dichter hat einen Kompass, mit der Sprache steht er auf Kriegsfuß, er baut keine Wortgebilde, er versucht durch die Sprache diese zu überwinden. Das neutralisierte Bewußtsein, dem es egal ist, woran es sich begeistert, nennt man ganz konservativ Bildungsspießer. Dichtung wird zum Fetisch, der der Verlängerung des Namens dient. Auf die Kurzformel brachte das Friedrich Schiller.

Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.

Das gleiche Problem wie Falkenhausen haben übrigens auch andere. Der konzeptionelle Mangel ist offensichtlich vielen bewußt, geantwortet wird immer auf die gleiche Weise, so schreibt denn auch ein gewisser Fritz R. Glunk (Dante, dtv Portrait, München, 2003, Seite 160): „Das Jenseitsgedicht will ja nicht nur Gefühle auslösen (wie es Verlaine in seiner Dante – Kritik verlangte: Poesie müsse einen Zustand „vollkommener Lust“ herstellen), sondern auch Wissen und Erkenntnis, also - im Danteschen Sinne – „Philosophie. In seiner Erwiderung auf Verlaine hat dann ja auch T.S. Elliot sich dagegen verwahrt, den Philosophen Dante mit dem Dichter aus der ‚Comedia’ auszutreiben. Für ihn waren in dieser Dichtung Gefühl und Bildung untrennbar miteinander verbunden – eine Einheit, die einem oberflächlichen Leser unverständlich bleiben muss.“

Man muss befürchten, dass Verlaine Recht hatte und T.S. Elliot Unrecht. Vertreibt man nämlich die Philosophie aus der Divina Commedia, bleibt nicht mehr viel übrig, geschweige denn Dichtung. Wie der gute Glunk auf die Idee kommt, dass die Einheit von Gefühl und Bildung untrennbar verbunden sind und nur der ganz gewitzte Leser das sieht, erklärt er uns leider auch nicht. Der gute Glunk würde wahrscheinlich auch einen wissenschaftlichen Aufsatz zur Molekularbiologie in Terzinenform schreiben, in der Meinung, dass dann Bildung und Gefühl Hand in Hand gehen. Das Problem ist, er würde bei Lektoren der entsprechenden Fachzeitschriften auf oberflächliche Leser stoßen, die das zwar mal ganz lustig finden würden, aber von einer Veröffentlichung Abstand nehmen würden. Im übrigen textet er so, wie man es von einem ehemaligen Mitarbeiter des Goethe Institutes erwartet, denn das war er. Ein Umstand, den er nicht etwa beschämt verschweigt, sondern den er sogar hervorhebt. Er textet so, wie das Goethe Institut auf seiner Seite www.goethe.de immer textet, ein großes Geblubbere, weitgehend sinnfrei. Der Spaß Goethe Institut kostet den Steuerzahler übrigens schlappe 160 Millionen Euro im Jahr.

Das ist auch noch gut (ebenda Seite 161): „Diese Motivfülle wäre jedoch stumpfes Amalgam geblieben, hätte Dante nicht zur Leidenschaft seiner Frühzeit zurückgefunden, das heißt zur lyrischen Kraft seiner Sprache, wie er sie in der Vita Nova bewiesen hatte. Denn die Commedia ist vor allem dies: Eine bezwingende Dichtung, in deren Feuer jede Thematik eingeschmolzen wird, das Drama eines ganzen Menschenlebens ebenso wie die Politik, die Theologie oder eine vieldeutig deutbare „Philosophie“. Mit philologischem Aufwand lassen sich diese Bestandteile herauspräparieren, und solche Differenzierungen kommen ja dem heute geminderten Verständnis einer hochkomplexen Dichtung auch entgegen. Aber dann fehlt, wie dem Famulus Wagner, doch immer das geistige Band für die zerlegten Einzelteile.“

Hugh! Es sprach der große Blubberer ! Was einen wirklich überrascht, der war Mitarbeiter des Goethe Institutes und Institutsleiter in Casabanca. Fällt Ihnen was auf ? Die Verse:

Wer will was Lebendig's erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.

sagt Mephistopheles zu dem Schüler, Wagner hat damit gar nichts zu tun. Weiter will er uns weismachen, dass er in der Lage ist, über die lyrische Kraft eines Textes, der im Italienischen des Hochmittelalters geschrieben ist, sich ein Urteil bilden zu können. Wir bestreiten nicht, dass die Sonette der Vita Nova mitreißend sind, die hat Zoozmann auch sehr gut übersetzt, so zumindest, dass sie auf Deutsch wirken. Doch in der Vita Nova beschreibt Dante ganz offensichtlich etwas, was er erlebt hat, in der Divina Commedia setzt er ein Sammelsurium an angelesenem Wissen in Terzinen. Da gehen die Musen in die nächste Kneipe einen saufen, da kommen sie nicht, da ist keine lyrische Sprache, weit und breit nicht. Aus marketingtechnischen Gründen prangt übrigens auf der ersten Seite dieses Buches dieser Satz :

Mit freundlicher Empfehlung
der DEUTSCHEN DANTE – GESELSCHAFT

Sage mir, mit wem du umgehst und ich sage dir, wer du bist.

Richtig witzig ist auch noch dieser Halbsatz: Denn die Commedia ist vor allem dies: Eine bezwingende Dichtung… Also wenn jemand bei einer Dichtung feststellen muss, dass es sich um Dichtung handelt, dann ist das Kind ja schon in den Brunnen gefallen, denn offensichtlich gibt es Anlass, daran zu zweifeln, sonst wäre die Bemerkung sinnlos.

Dante teilt uns also in den ersten fünf Terzinen mit, dass er vorhat ein theologisches System verklausuliert darzustellen und dass diejenigen, die dieses System nicht kennen, sich besser erstmal das Original durchlesen. Da würde dann der Autor sagen, das Original würde völlig reichen, so es denn jemanden interessiert. Er beschreibt ziemlich eindringlich NICHT, dass er vorhat, etwas zu beschreiben, was jenseits der Begrifflichkeiten dieses System liegt, und wir haben bis jetzt auch noch nicht feststellen können, dass er das tut. Falkenhausen und Glunk behauptet zwar, dass er dies tut, dass er das dürre Holz der Distinktionen und Syllogismen des Dogmatikers (!) wird ergrünen lassen, den Beweis für diese These, etwa an geeigneten Beispielen, bleiben sie uns allerdings schuldig. Da Dante aber selber sehr viele Hinweise gibt, woran die Lektüre alles scheitern könnte, kann man fast annehmen, dass er sich der konzeptionellen Schwächen bewusst war. Der Einwand, dass auch Goethe und Schiller Gedichte geschrieben haben, die lediglich eine Theorie in Versform erläutern (die Metamorphose der Pflanzen / Goethe, bzw. Das Ideal und das Leben / Schiller) sticht nicht, Gedichte dieses Typs haben nur einen minimalen Anteil an deren Gesamtwerk.

Dann sollt ihr staunen! Halb so staunte nur,
Als Jason griff zur Pflugschar statt zum Bogen,
Die Heldentruppe, die nach Kolchis fuhr.


Die Geschichte hatten wir schon, aber wir wissen noch aus der Hölle, long, long time ago, dass man das üben muss mit der griechischen Mythologie, üben, üben, üben. Wir fangen also ganz von vorne an, es sind nämlich mehrere Geschichten, die ineinander verwoben sind, zu Jason und der Pflugschar kommen wir erst ganz zum Schluss. Wie viele Malheurs beginnt dieses mit Zeus, der ja, soviel wissen wir noch, in gewisser Hinsicht ein Supermann war. Der europäische Durchschnittsmann würde irgendwann mal aus rein biologischen Gründen den Geist aufgeben. In diesem Fall war es aber ein bisschen anders, seine
Schwestergemahlin Hera hatte einen Verehrer und um den abzuschütteln erschuf er eine Wolke, die aussah wie Hera, die dann wiederum von Lapither verknuspert wurde. Als die wolkige Hera dann etwas betrübt durch den Olymp strich, wurde sie von der richtigen Hera mit Athamas, dem König von Böotien verkuppelt. Dieser Athamas hatte aber irgendwann auch keine Lust mehr auf eine Wolke, das kann man ja nachvollziehen und machte sich an Ino ran. Nephele befürchtete dann, dass Ino ihren zwei Kindern, Helle und Phrixos etwas antun könnte und ließ sie von Chrysomeles, einem Widder mit goldenem Fell, der sogar fliegen konnte, hinweg tragen. Helle aber stürzte über dem Bosporus ab, weswegen der Bosporus heute Hellespont heißt. Phrixios wurde in Kolchis abgesetzt, irgendwo am schwarzen Meer. Der Widder mit dem goldenen Fell wurde auf dessen eigenen Wunsch hin geopfert, das goldene Fell wurde Aietes übergeben, dem König von Kolchis. Dieses Fell, das goldene Vlies, war jetzt also in Kolchis. Das ist der erste Teil der Geschichte. Die zweite Geschichte kennen wir auch schon und das Schema ist auch bekannt.

Auf Iolkos regierte Aison, dieser wurde aber von seinem Bruder Pelias verdrängt. Aison hatte einen Sohn, Jason (auf den kommt es jetzt an), der wurde außer Landes geschaftt, damit sein Onkel ihm nichts antun konnte. Dieser Pelias wiederum bekam vom Orakel von Delphi prophezeit, dass er von jemandem gestürzt werde, der nur einen Schuh habe. Als Jason jetzt in Iolkos landete, verlor er beim Verlassen des Schiffes einen Schuh. Pelias fragte ihn, was er, in Anbetracht der Tatsache, dass das Orakel geweissagt hatte, dass jemand mit einem Schuh ihn stürzen werde, mit ihm machen solle. Jason erwiderte, dass er denjenigen auf die Suche nach dem goldenen Flies schicken würde, was Pelias dann auch prompt tat. Jason machte sich also auf die Reise, versammelte 50 Gefährten um sich und ließ sich das Schiff Argos bauen, deshalb heißt die Truppe „ die Argonauten“ und die ganze Geschichte die Argonautensage. In Kolchis angekommen, forderte Jason das goldene Vlies von Aietes, also dem König von Kolchis. Dieser verspraich, selbiges herauszurücken, wenn Jason es schaffe, mit den feuerspeienden Stieren einen Acker zu pflügen und Drachenzähne zu pflanzen. Das war natürlich ganz hinterlistig, weil die Stiere nicht zu bändigen waren und aus den Drachenzähnen Krieger wurden. Mit Hilfe von Medea, der Tochter des Aietes, schaffte er das aber alles. Papa Aietes stellte aber auf stur und deswegen wurde der Drachen, der das Vlies bewachte, auch noch eingeschläfert. Das Vlies gelangte so in den Besitz des Jason.

So schnell fast, als der Himmel umschwingt, flogen
Zum gottgeformten Reiche wir hinan,
Vom miterschaffnen ewgen Durst gezogen


Original:

La concreata e perpetua sete
del deiforme regno cen portava
veloci quasi come 'l ciel vedete .

 Der angeborene und ewige Durst
des nach Gottes Plan gebauten Reiches
Trug uns fast wie die Himmel schnell empor

Der ewige Durst ist wohl das, was im ersten Gesang beschrieben wurde, der Trieb, der nach oben führt, wie auch immer. Bei diesem Trieb spielt es auf jeden Falle keine Rolle, ob Dante mit oder ohne seinen Körper im Paradies ist, dieser Trieb führt immer nach oben, hat also mit dem Auftrieb, wie wir Erdenwürmer ihn kennen, gar nichts zu tun.

Ich sah die Herrin, sie den Himmel an:
Und rascher als am Ziel ein Bolz einschlagen,
Hinfliegen und vom Strang sich lösen kann,

Seh ich zu einem Wunder mich getragen,
Das gleich mich fesselt, doch die Führerin,
Vor der stets offen meine Sorgen lagen,

Kehrt freudigschönen Blicks zu mir sich hin:
„Wir sind dem ersten Stern vereint! Drum richte
Zu Gott das Herz mit dankerfülltem Sinn!“

Im Original:

Beatrice in suso, e io in lei guardava;
e forse in tanto in quanto un quadrel posa
e vola e da la noce si dischiava,

giunto mi vidi ove mirabil cosa
mi torse il viso a sé; e però quella
cui non potea mia cura essere ascosa,  

volta ver' me, sì lieta come bella,
«Drizza la mente in Dio grata», mi disse,
«che n'ha congiunti con la prima stella ».


Beatrices Blick nach oben, meiner ward auf sie gerichtet
und ganz wie ein Pfeil sein Ziel erreicht
und fliegt, wenn von der Sehne er sich löst

war ich an einen Ort gekommen, wo
Von wunderbaren Dingen ich ward gefesselt
Und jene, vor der mein Innerstes nie ward verborgen,

mir zugewandt in Schönheit ihre Fröhlichkeit
erstrahlte als sie mir sagte
du hast ihn nun erreicht, den ersten Stern

Wir akzeptieren jetzt, dass im Paradies alle Körper, egal ob schwerer als Luft oder leichter, nach oben streben. Angemerkt sei noch, dass wir das als Fiktion locker akzeptiert hätten, wir kennen das ja auch als Märchen. Das Problem entsteht eigentlich erst in dem Moment, als Dante versucht, hierfür eine Erklärung zu geben, er also eine rein fiktive Situation rational zu erklären versucht. Nicht die Fiktion an sich ist aus künstlerischer Sicht fragwürdig, sondern der Versuch, die Kausalzusammenhänge logisch zu erklären. Wir akzeptieren ja auch fliegende Teppiche, solange niemand versucht, für diese einen Antrieb zu beschreiben. Auf jeden Fall sorgt dieser Trieb nicht nur dafür, dass die Dinge nach oben schweben, sie tun das sogar pfeilschnell. Was er dort genau sah, verrät er uns nicht, aber sie haben den ersten Himmel erreicht, in dem der Mond aufgehängt ist.

Mir schien‘ s, dass eine Wolke, eine dichte
Uns einschloss: hell, geschliffen fest und rein
Wie ein Demant, funkelnd im Sonnenlichte.

Des Himmels ewge Perle nahm uns ein,
Wie Wassertropfen in sich dringen lassen,
Und ungeteilt doch bleiben, lichten Schein.

War ich nun Leib, und kann Vernunft nicht fassen,
Dass ich in fremde Körper Einlass fand,
Wie ineinanderschachteln sich zwei Massen,

So sei nur heißer unser Wunsch entbrannt,
Die wunderbare Wesenheit zu schauen,
Darin sich Gott und Menschnatur verband.


Im Original:

Parev'a me che nube ne coprisse
lucida, spessa, solida e pulita,
quasi adamante che lo sol ferisse.  

Per entro sé l'etterna margarita
ne ricevette, com'acqua recepe
raggio di luce permanendo unita.  

S'io era corpo, e qui non si concepe
com'una dimensione altra patio,
ch'esser convien se corpo in corpo repe,

accender ne dovrìa più il disio
di veder quella essenza in che si vede
come nostra natura e Dio s'unio.  


Mir schien als ob eine helle Wolke
Uns bedeckte, dicht, fest und rein
wie ein Diamant, der glänzt im Sonnenlichte

Im Innern empfing die Perle uns ganz
Wie ein Lichtstrahl eingefangen wird vom Wasser
Das ungeteilt wenn es von ihm durchdrungen

Da ich in meinem Körper ward noch befangen
Doch die Ausdehnung ward unverändert
wie es doch sein muss, wenn ein Körper in den anderen dringt

musste dies die Sehnsucht steigern
die Essenz zu schauen in der sich
Unsere Natur vereint mit dem Herrgott findet  


In Prosa. Sie sind im ersten Himmel, da ist der Mond aufgehängt. In diesen können sie aber eindringen, wie ein Lichtstahl ins Wasser dringt, ohne dieses zu verändern. Darüber wundert sich Dante: Dass ein Körper in einen anderen eindringen kann, ohne seine Form zu ändern. So abstrakt kann man allerdings die Frage nicht stellen, denn es kommt darauf an, welche Körper zusammengeworfen werden. Schütt ich ein Glas Wasser in einen Ozean, verändert sich keiner. Dass man in den Mond nicht eindringen kann, übersehen wir mal, man kann, wenn man will und solange man noch nicht dort war, sich den Mond auch als Gebilde aus Gas vorstellen. Stellt man ihn sich aber als Gas vor, dann stellt sich das Problem, das Dante aufwirft gar nicht. In ein Gas kann ein anderer Körper eindringen, ohne sich zu verformen. Dante stellt sich also die Frage, warum ein aus Gas geformter Körper sich nicht verhält wie ein fester Körper, sondern wie ein aus Gas geformter Körper. Die Antwort ist eigentlich einfach. Ein aus Gas geformter Körper verhält sich wie ein aus Gas geformter Körper. Wenn Sie also ein Marmeladenbrot essen und sich fragen, warum es nicht wie ein Wurstbrot schmeckt, dann liegt das daran, dass ein Marmeladenbrot eben nach Marmelade schmeckt und weder nach Käse, noch nach Wurst. Die Tatsache aber, dass das Marmeladenbrot nach Marmelade schmeckt, weckt in Dante die Sehnsucht, die Essenz zu schauen, in der sich die menschliche Natur mit Gott vereint.

Dort wird, worauf wir gläubig hier vertrauen,
Uns durch sich selber klar, statt durch Beweis,
Der ersten Wahrheit gleich, drauf Menschen bauen.


Im Original:

Lì si vedrà ciò che tenem per fede,
non dimostrato, ma fia per sé noto
a guisa del ver primo che l'uom crede.  


Dort wird man sehen was hier geglaubt,
ohne dass es bewiesen, durch sich selbst
allein durch Schauen, was der Mensch zuerst geglaubt


Der Mensch hat also einen natürlichen Hang zu glauben, er glaubt also Dinge, die nicht bewiesen sind. Und dieser ursprüngliche Glaube wird dann dort durch Anschauung bestätigt. Damit ist ein Problem, dass Menschen dazu neigen zu glauben, korrekt beschrieben, allerdings müsste das Bildungssystem so eingerichtet werden, dass den Kiddies diese Untugend abgewöhnt wird. Das ist brandaktuell, auch wegen der Frage von Islamunterricht an Schulen. Es kann nicht Aufgabe des deutschen Bildungssystem sein, Kiddies zu indoktrinieren und sie gläubig zu machen. Es kann nur die Aufgabe sein, sie in die Lage zu versetzen, selber zu entscheiden, woran sie glauben wollen.  

Ich sprach: „O Herrin, ewig soll und heiß
Mein Dank für ihn in aller Andacht währen,
Der mich entrückt sterblichem Erdenkreis.


Eine Danksagung zwischendurch schadet auf keinen Fall.

Doch wollt die dunkeln Flecke mir erklären
In diesem Sterne, deretwegen man
Von Kain drunten hört die alten Mähren.“

Er wird dann im Anschließenden die dunklen Flecken erklären (sie können also mal kurz pausieren und sich einen Kaffee kochen, den werden Sie brauchen), aber klären wir erstmal kurz, um welche Flecken es sich handelt. Wir hatten das zwar schon (Hölle, 20. Gesang), aber das ist lange her. Die Geschichte steht so nicht in der Bibel, Bezug genommen wird auf eine Sage. Abel, den Kain später erschlug, opferte dem Herrn einen Teil der Früchte des Ackers, Kain die Dornen, die hätte er eh nicht gebrauchen können. Wo und wie die Sage dann so weitergedichtet wurde, dass Kain mitsamt Dornbusch auf dem Mond landet, ist unklar. Wie man in den Mondflecken einen Mann mit einem Dornbusch auf dem Rücken sehen kann, ist dem Autor auch unklar. 250 Jahre später wird im übrigen Galileo die Mondflecken richtig deuten: Link

Jetzt kommt Dante; die Erklärung kommt von Beatrice, die weiß Bescheid, allein schon die Frage nach den Mondflecken lässt sie gequält lächeln.

Sie lächelte ein wenig und begann:
„Wenn du sich Menschenirrtum siehst bekunden,
Wo nicht der Sinne Schlüssel öffnen kann,

So wird dich fernerhin nicht mehr verwunden
Des Staunens Pfeil: Vernunft hat kurze Schwingen,
Selbst wenn sie mit den Sinnen ist verbunden.

Bevor sie uns also die Mondflecken erklärt, erhalten wir noch eine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten. Wenn Karl Popper das lesen würde, dem heute maßgeblichen Philosophen zu diesem Thema, würde der sich ob seiner Nichtigkeit wahrscheinlich glatt erschießen.

Im Original:  

Ella sorrise alquanto, e poi «S'elli erra
l'oppinion», mi disse, «d'i mortali
dove chiave di senso non diserra,

 certo non ti dovrien punger li strali
d'ammirazione omai, poi dietro ai sensi
vedi che la ragione ha corte l'ali.  

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht: „Wenn irrig
Ist die Meinung jener Sterblichen“, sprach sie,
„wo die Sinne nicht den Schlüssel liefern,

so sollten die Strahlen der Verwunderung
Dich nun nicht mehr treffen, wenn du siehst
Dass nach den Sinnen, die Vernunft hat kurze Flügel“

Das ist jetzt natürlich eine ganz tiefsinnige Aussage, angespielt wird auf das berühmte „Nihil est in intellectu quod prius non fuerit in sensu“, „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war“. Das kommt ursprünglich von Aristoteles und ist dann bei Thomas von Aquin gelandet. Das Problem mit diesem Spruch sind Stücker zwei:

1) Wer so eine Aussage macht, sollte sie auch begründen. Wer irgendeine Andeutung auf einen Zusammenhang in den Raum wirft, ist der klassische Halbgebildete; dazu dürfen wir Dante wohl getrost zählen. Er gehört zu der Sorte von Menschen, die jeden Versprecher mit einem „ah, ein Freudscher“ meinen kommentieren zu müssen. 2) Dante hat uns zwar hiermit bewiesen, dass er irgendwann mal Thomas von Aquin gelesen hat, er hat uns aber noch nicht erklärt, was er uns damit im gegebenen Kontext überhaupt sagen will. Zu Dantes Zeit mussten Aussagen über den Mond zwangsläufig spekulativ sein, sinnliche Erfahrungen mit dem Mond kamen, so weit der Autor das richtig sieht, erst rund 670 Jahre später mit Neil Armstrong, der am 21. Juli 1969 zum ersten Mal den Mond betrat. Richtig ist an der Aussage nur soviel, dass, wenn Dante Neil Armstrong gewesen wäre, also er konkrete sinnliche Erfahrungen mit dem Mond gehabt hätte, er den folgenden Blödsinn nicht geschrieben hätte.  

Allerdings ist das Verfahren Dantes in den Geisteswissenschaften bis auf den heutigen Tag beliebt. Man baut in einen Text irgendwelche Andeutungen auf halbverstandene Theoriegebäude ein, z.B. die Psychoanalyse oder verweist dunkel auf Strömungen innerhalb der Volkswirtschaftlehre, z.B. den Keynesianismus und suggeriert, dass sich eine Behauptung hiermit beweisen ließe. Wer zweifelt, wird auf eben diese „Grundlagen“ verwiesen, die aber nur dunkel angedeutet werden. Damit produziert man ein schwer angreifbares großes Geblubbere. Der Ansatz ist simpel, aber effizient: Wenn du sie nicht überzeugen kannst, verwirre sie. Dante scheint geradezu der Begründer dieser Tradition. Wenn, wie der oben zitierte Falkenhausen schreibt, immer neue Fäden zu den bedeutenden Häuptern der Scholastik gefunden werden, dann kann das auch daran liegen, dass es eine Menge verbeamtete Geistliche gibt, die nichts zu tun haben und Dante die Referenzierung irgendwelcher Bildungsbruchstücke zum Prinzip erhoben hat und es Leute zu geben scheint, die dem so vorgezeichneten Pfad gerne folgen.

Beschäftigen wir uns also mit der ultimativen Erklärung der Mondflecken.

Was aber denkst du selbst bei diesen Dingen?“
Und ich: „Was hier verschieden ist an Dichte,
Wird unten auch verschiednen Anblick bringen“


Der Gedanke geht auf Averroes (geb. 1126 in Córdoba, gest. 1198 in Marrakesch) zurück, dieser ging auch davon aus, dass der Mond selber leuchtet, wenn auch sein Vermögen zu leuchten von der Sonne simuliert wurde. Die Flecken erklärte er sich aus der unterschiedlichen Dichte seines ätherischen Körpers. Dante hat diese Idee in seinem Convivio noch selber vertreten. Beatrice wird jetzt aufräumen, mit diesem Wahn.

„Dir wird dein Glaube bald als Wahn zunichte,“
Sprach sie, „wenn Gegengründe dir‘ s erklären
Und du die Augen nicht verhüllst dem Lichte.  


Bisschen interpretiert, kommt aber hin.

Ed ella: «Certo assai vedrai sommerso
nel falso il creder tuo, se bene ascolti
l'argomentar ch'io li farò avverso.  

Und sie: “Du wirst bald erkennen wie versenkt
Im Irrtum ist dein Glauben, wenn du hörst
Mein Argument, das dir das Gegenteil erweist“

Na jetzt sind wir aber gespannt.

Viele Sterne zeigt die achte dieser Sphären,
An Größe ungleich und Beschaffenheit
Die drum verschiedenen Anblick auch gewähren.


Da hier etwas drinsteckt, was nicht genau übersetzt ist, aber später wichtig sein wird, das italienische Original

La spera ottava vi dimostra molti
lumi, li quali e nel quale e nel quanto
notar si posson di diversi volti.

Die achtes Sphäre zeigt uns viele
Lichter, bei denen in Qualität und Menge
wir viele Merkmale erkennen können  

Dante geht davon aus, dass in der achten Sphäre die Fixsterne aufgehängt sind. (in den unteren sieben Sphären sind die Planeten Mars, Saturn, Jupiter, Merkur etc.). Diese haben unterschiedliche Eigenschaften, was auf eine unterschiedliche Beschaffenheit schließen lässt. Das ist zwar falsch, weil auch völlig identischen Himmelkörper in Abhängigkeit von der Entfernung gleich aussehen können, aber egal.

Bewirkte dies die Art der Dichtigkeit
Dann wäre in allen eine Kraft allein
Verschieden nur verteilt und angereiht

Beatrice geht also ganz didaktisch vor, sie lässt also erstmal gelten, dass man die unterschiedlichen Eigenschaften der Sterne auch durch die unterschiedliche Dichte erklären könnte (dass sich aus der Dichte wesentliche Eigenschaften wie die Leuchtkraft gar nicht ableiten lassen, ist jetzt egal). Jetzt leitet sie über, geradezu dialektisch zum Widerspruch, der dann entsteht.

Verschiedenen Kraft kann aber Frucht nur sein
Verschiedenen Formtriebs: Bis auf einen schwänden
Dann alle! – So sahst bisher es ein.

Ihr erstes Argument ist, dass die Dichte allein für das Aussehen der Sterne nicht verantwortlich sein kann, denn diese besitzen viele Merkmale, die auch alle von unterschiedlichen Kräften gesteuert werden müssen. Also eine Kraft muss für die Farbe zuständig sein, eine andere für die Helligkeit, eine andere für die Größe etc. Auch das ist natürlich Blödsinn. Eine Pflanze zum Beispiel, die zuwenig Wasser bekommt, unterscheidet sich von einer Pflanze die ausreichend Wasser bekommt in vielen Merkmalen, aber die Ursache ist immer die gleiche. In ihrer Logik argumentiert sie aber, dass nach seiner Ansicht es ja nur eine Ursache gibt, die Dichte allein nicht für alle Merkmale verantwortlich sein kann. Völlig niedergeschmettert von der Wucht der Dialektik sind wir natürlich, wenn wir das lesen.

Doch wenn aus Dünnheit Flecke hier entständen
Geschäh es nur, wenn Stellen hier und dort
Sich durch und durch ganz ohne Kernstoff fänden

Oder:

Wie durch den Leib an manchem Ort
Abwechselnd Fett und Muskeln sich erstrecken
So kreuzte sich‘ s im Monde schichtweis fort


Hier stecken zwei Aussagen, die sie später widerlegen will, schauen wir uns also das italienische Original an.

Ancor, se raro fosse di quel bruno
cagion che tu dimandi, o d'oltre in parte
fora di sua materia sì digiuno  

esto pianeto, o, sì come comparte
lo grasso e 'l magro un corpo, così questo
nel suo volume cangerebbe carte.  


Doch wenn die Dichte wäre der Grund
Der dunklen Flecken wie du verlangst, dann
wäre er auf anderen Seite

so abgemagert; möglich auch dass sich verteilt
Das Fett und die Dürre auf einem Körper
Sich verteilt, ganz so wie aufeinandergeschichtet  

Wenn man also die unterschiedlichen Eigenschaften der Sterne mit der Dichte erklären will, was nach Beatrice sowieso nicht geht, weil unterschiedliche Eigenschaften durch unterschiedliche Kräfte hervorgerufen worden sein müssen, dann könnte man dies auf unterschiedliche Art und Weise tun. Auf der einen Seite könnte man annehmen, dass an manchen Stellen gar nichts ist, der Mond also aussieht wie ein Emmentaler, mit lauter Löchern, bzw. Stellen mit geringer Dichte, die durch den ganzen Mond gehen. Die andere Möglichkeit wäre anzunehmen, dass die Dichte unterschiedlich ist, wie bei einem menschlichen Körper, der an manchen Stellen dünn, an anderen Dick ist. Keine Schicht mit einer geringen Dichte geht aber durch den ganzen Mond. Beide Situationen widerlegt sich jetzt natürlich.

Das Erstre ließe sich alsbald entdecken
Bei Sonnenfinsternissen, weil das Licht
Durchstrahlen müsste aller Ort und Ecken


Also wenn die Dichte an den dunklen Stellen geringer ist und diese dunklen Schichten durch den ganzen Mond hindurchreichen, dann müsste ja die Sonne bei Mondfinsternis durch den Mond hindurchscheinen wie bei einem Emmentaler (geringe Dichte oder Loch läuft hier auf das Gleiche hinaus). Beatrice hat uns also mit zwei Argumenten, 1) unterschiedliche Merkmale müssen durch unterschiedliche Ursachen erklärt werden, 2) der Mond müsste sich verhalten wie ein Emmentaler schlagend bewiesen, dass die Dichte nichts mit der Helligkeit zu tun hat. Das Emmentaler Argument greift nun aber dann nicht, wenn die Dichte sich in Schichten verteilt, dann müsste das Licht ja irgendwann, wenn auch auch tiefer im Mondinneren, zurückgeworfen werden.

Das trifft nicht zu. Lass uns darum sehen, ob nicht
Das zweite gilt: Kann auch nicht dies bestehn
So folgt, dass deinem Satz der Halt gebricht


Na jetzt sind aber gespannt wie ein Flitzebogen, was nach dem Emmentaler kommt.

Kann hier nicht durch und durch das Dünne gehen
So muss ein fester Grenzwall sein: hier schließt
Der Gegenpart die Schranke umzudrehen

Muss sich der Strahl entschließen, und er schießt
Zurück wie Farbe von des Glasses Fläche
Das rückwärts man mit Silberblei vergießt


Im Original

S'elli è che questo raro non trapassi,
esser conviene un termine da onde
lo suo contrario più passar non lassi;  

e indi l'altrui raggio si rifonde
così come color torna per vetro
lo qual di retro a sé piombo nasconde.


 Wenn es so ist, dass die Schicht mit der geringen Dichte
Nicht durchdringt so muss es eine Grenze geben wo dessen Gegenteil,
die große Dichte, nichts mehr durchlässt  

ab diesem Punkt wird jeder Strahl zurückgeworfen
wie die Farbe wird vom Glas zurückgeworfen
das von hinten mit Blei ausgekleidet    

Fassen wir das alles mal zusammen (und lassen hier unberücksichtigt, dass das alles kompletter Blödsinn ist, prüfen wir lediglich, ob es in sich logisch stimmig ist). Beatrice will beweisen, dass die Helligkeit (auf diese Eigenschaft scheint sie sich ja weitgehend zu beschränken) nichts mit der Dichte zu tun hat. Das Grundproblem der ganzen Argumentation besteht darin, dass sie den konkreten Zusammenhang zwischen Dichte und Helligkeit nicht nennt. Denkbar wäre ja beides. Geringe Dichte und große Helligkeit oder große Dichte und große Helligkeit. Gehen wir also mal davon aus, dass sie der Meinung ist, dass eine große Dichte mit einer großen Helligkeit einhergeht, bzw. dass sie diesen Kausalzusammenhang widerlegen will. Um dies zu tun, unterscheidet sie zwei Situationen. Bei der ersten reicht eine Schicht mit einer geringen Dichte durch den ganzen Mond hindurch. Wenn dem so wäre, dann müsste bei einer Sonnenfinsternis, bei der Mond vor der Sonne steht, die Lichtstrahlen durch diese Schichten hindurchgleiten, der Mond müsste also an manchen Stellen funkeln. (Dies ist schon mal Quatsch. Für den Beobachter auf der Erde ist das nur dann der Fall, wenn diese Schicht geringer Dichte im Sehstrahl des Beobachters auf der Erde liegt. Durch ein Rohr können wir auch nur hindurchschauen, wenn wir in dieses hineinsehen, nicht wenn wir es von der Seite sehen.) Da er dies nicht tut, schließt sie daraus, dass der Mond nicht von einer Schicht gleicher Dichte durchbohrt ist. Es folgt die zweite hypothetische angenommene Situation. Bei dieser lagern Schichten unterschiedlicher Dichte übereinander, aber keine Schicht geringer Dichte geht durch den ganzen Mond, so dass die Sonnenstrahlen irgendwann auf eine Schicht mit großer Dichte treffen, die diese Strahlen zurückwerfen. Das würde aber bedeuten, dass die Schichten mit geringer Dichte, die also wenig Licht produzieren und folglich, nach der Theorie, die sie widerlegen will, dunkel erscheinen, von den unteren Schichten überstrahlt werden, also trotzdem nicht dunkler erscheinen. Hier könnte man einwenden, meint sie, dass das Licht dunkler erscheint, wenn es von tieferen Schichten zurückgeworfen wird. Da will sie nun etwas widerlegen, was man gar nicht widerlegen muss, denn die paar Kilometer spielen absolut keine Rolle. Der Abstand des Mondes zur Erde verändert sich ja, trotzdem erscheint er deshalb nicht unterschiedlich hell, und bei diesen Schwankungen handelt es sich um mehr aus um ein paar Kilometer, die Schwankung beträgt immerhin 5,5 Prozent. Beschäftigen wir uns also mit der unsinnigen Arbeitshypothese von Beatrice und prüfen, ob sie diese These mit Argumenten widerlegt, die zumindest in sich logisch schlüssig sind.

Jetzt sagst du wohl: hier zeige größre Schwäche
Das Licht als anderwärts und hier allein
Weil es aus weiterer Ferne sich breche


Im Original  

Or dirai tu ch'el si dimostra tetro
ivi lo raggio più che in altre parti,
per esser lì refratto più a retro.  


Nun wirst du sagen, dass der Strahl da dunkler
Scheine, als an anderen Orten
Weil doch der Wiederschein nach hinten verlagert

Diese falsche Arbeitshypothese versucht sie nun umständlich zu widerlegen. Das Problem ist, die Arbeitshypothese ist ganz offensichtlich Unsinn, die hätte man gar nicht widerlegen müssen.

Doch die Erfahrung kann dich leicht befreien
Von diesem Einwurf – pflegt doch sie die Quelle
Des Nährstroms eurere Wissenschaft zu sein

Im Original

Da questa instanza può deliberarti
esperienza, se già mai la provi,
ch'esser suol fonte ai rivi di vostr'arti.  

Von diesem Zweifel kann die Erfahrung
Dich befreien, insofern du ihn hast,
die doch Quelle des Flusses eurer Wissenschaft


Damit kann man dann auch nichts anfangen, weil es zu abstrakt formuliert ist. Die Erfahrung ist erstmal nicht die Quelle der Wissenschaft. Die Quelle der Wissenschaft sind Hypothesen, die, so Popper, falsifizierbar formuliert sein müssen. Man kann von einem Mensch des Mittelalters nicht unbedingt verlangen, dass er einen Ansatz entwickelt, der für den heutigen Wissenschaftsbetrieb Gültigkeit besitzt, aber es hätte ihm durchaus auffallen können, dass Wissenschaft nichts mit Erfahrung, sondern mit Hypothesenbildung zu tun hat. Wer sich für solche Fragen interessiert kann ja mal Karl Popper lesen, „Logik der Forschung“. Wir wollen aber Dante gar nicht am heutigen Stand der Wissenschaft messen, wir fragen uns nur, ob nicht auch der durchschnittlich Gebildete, der mit ein bisschen common sense ausgestattet ist und dem Thomas von Aquin nicht die Birne weggeblasen hat, nicht zu vernünftigeren Einsichten hätte kommen können. Über allem schwebt ja der oben erwähnte Khayyam, 100 Jahre früher, der eine ganz Menge höchst vernünftiger Dinge gesagt hat.

Drei Spiegel nimm, die dir ein Licht erhelle
Doch hinter dir sei aufgestellt das Licht
Zwei stell gleichweit von dir, den dritten stelle

Dazwischen, doch entfernter dein Gesicht
und so, dass sich in den drei Spiegeln allen
Des Lichtes Widerschein gleichmäßig bricht

Ist nun das Bild auch kleiner ausgefallen
Im dritten fernsten Spiegel, wird der Schein
Von allen doch gleichkräftig rückwärtsprallen

Die Versuchsanordnung versteht der Autor zwar nicht und von Physik hat er keine Ahnung, aber was Dante hier schreibt, ist so offensichtlich Blödsinn, dass man sich eine weitere Diskussion erübrigt. Licht breitet sich in der Regel (sieht man mal von Laserlicht ab) wellenförmig aus, die Intensität nimmt also mit zunehmendem Abstand von der Lichtquelle ab. Es mag schon sein, dass Dante die Kerze, die er nachts braucht, um zu lesen, in 10 Meter Entfernung aufgestellt hat, aber das reicht dann nur für die Lektüre des Thomas von Aquin, der Text ist dann eh so dunkel, da kann man einen Bauscheinwerfer mit 1000 Watt draufhalten, das wird nicht heller. Bei normalen Texten verdirbt man sich aber die Augen, wenn die Leselampe in 20 m Entfernung steht. Sein Spiegelexperiment geht so. Er stellt sich vor drei Spiegel, einen rechts, einen links und einen in der Mitte. Über seinem Kopf, aber hinter ihm (dopo il dosso le = hinter seinem Rücken, geht wohl schlecht, es sei denn er ist schon tot und nur noch transparente Seele, durch die das Licht hindurchscheint) stellt er eine Lichtquelle auf. Diese erscheint dann gleich hell, so meint er. Das Problem ist, dass er mit bloßem Auge die Unterschiede nur wahrnehmen wird, wenn er die Spiegel weit entfernt aufstellt. Was passiert, wenn Licht auf einen Spiegel trifft, kann der Autor jetzt nicht entscheiden, kann sogar sein, dass es immer gleich hell ist. Allerdings ist das ein Spezialfall und ein Effekt, der nur unter ganz speziellen Bedingungen auftritt, kann eben gerade nicht verallgemeinert werden, das ist so ganz nebenbei bemerkt eine entscheidende Aussage von Karl Popper. In einem Spezialfall kann auch ein Stein Auftrieb haben, wenn man ihn nämlich in Quecksilber wirft, das eine größere Dicht besitzt als ein leichter Stein. Von dieser speziellen Versuchsanordnung aber zu schließen, dass das immer so ist, ist brandgefährlich. Jemand der das tut, würde dann einen Ziegelstein senkrecht in die Luft werfen und hoffen, dass er nicht mehr zurückkommt, was nicht der Fall sein wird, er wird eine ziemliche Beule bekommen.  

Was haben wir also bis jetzt gesehen? Dante stellt eine wirre These auf, nämlich die, dass die Leuchtkraft mit der Dichte zusammenhängt. Diese wirre These wird von Beatrice mit wirren Argumenten widerlegt. Man könnte auch sagen, da unterhalten sich zwei, die schon reichlich durch den Wind sind. Wir hätten übrigens darüber hinweggesehen, dass alles reichlich wirr ist, das war halt im Mittelalter so. Viel problematischer ist aber, und auch für die heutige Zeit erhellender, dass er falsche Fragen stellt. Sie lernen daraus, dass falsche Fragen zu reichlich chaotischen Antworten führen und es ganz wesentlich darauf ankommt, die richtigen Fragen zu stellen, vor allem in der Politik ist das bedeutsam. Sie können zum Beispiel mehrere Stunden Talkshow damit verbringen, über die Frage zu diskutieren, ob der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,1 oder 0,11 Prozentpunkte gesenkt oder erhöht werden muss. Das ist aber nicht die spannende Frage. Die spannende Frage ist, wie schafft man Arbeitsplätze. Hierzu gäbe es auch klarere Antworten, zum Beispiel die Unternehmen von all den Zwängen und Kosten befreien, die völlig unsinnig sind, also zum Beispiel von der Zwangsmitgliedschaft bei der IHK. Sie können auch stundenlang darüber diskutieren, ob die PISA Studie den Leistungsstand der deutschen Schüler richtig wiedergibt. Sie können sich aber auch damit befassen, das offensichtliche Problem, nämlich dass die Art der Wissensvermittlung an Schulen und Unis gnadenlos veraltet ist, zu lösen, das heißt, verstärkt auf e-learning zu setzen. Bei irrelevanten Fragen ist es völlig wurscht, ob Sie eine richtige oder falsche Antwort erhalten, denn die Antwort ist so irrelevant, wie die Frage. Die hohe Kunst besteht darin, die richtigen Fragen zu stellen. Das Vorgehen Dantes ist insgesamt skurril. Das ganze Werk spielt in einer fiktiven Welt, das ist nicht zu kritisieren, Dichtung kann in einer fiktiven Welt spielen, in der alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt sind, das tun auch Märchen. Innerhalb dieser fiktiven Welt will er dann aber auf einmal bestimmte Zusammenhänge sozusagen „naturwissenschaftlich“ erklären. Dann wird es absurd. Niemand käme auf die Idee, sich bei einem Märchen wie Rumpelstzilchen zu fragen, ob sich jemand tatsächlich selbst zerreißen kann, und niemand käme auf die Idee, aufgrund einer chemischen Analyse zu untersuchen, ob Stroh zu Gold gesponnen werden kann. Solange ein Kunstwerk innerhalb seiner Logik stringent ist, ist alles kein Problem. Der Mischmasch, den Dante veranstaltet, ist aber ein Problem. Er versucht die Plausibilität einer fiktiven Welt zu beweisen. Nicht die Fiktionalität gibt die Divina Commedia der Lächerlichkeit preis, sondern der Versuch, die Plausibilität dieser fiktionalen Welt zu beweisen.

Jetzt, wie die Sonnenglut, trifft Frühjar ein,
Den Schnee zerschmelzt, so dass auf Weg und Stegen
Die Felder von Kälte sich befrein

Will ich, da noch dein Geist in Bann gelegen,
Durchdringen dich mit so lebendiger Glut
Dass dir die Wahrheit funkelnd tritt entgegen    


Wir haben also hier ein typisches Problem der öffentlichen Verwaltung, Beatrice ist ja die Beamtin in öffentlichen Diensten. Subjektiv geht sie davon aus, dass ihre Leistung, also ihr Beweisführung, überragend war, Dante also in die Knie gehen muss, vor der Stringenz der Beweisführung. Sie geht folgerichtig auch davon aus, dass sein Geist nun bereit ist, für die tiefsten Einsichten. Das Problem der öffentlichen Verwaltung ist ja bekanntlich Kontrolle. Diese scheitert daran, dass für die Leistungen der öffentlichen Verwaltung keine Vergleichswerte vorliegen, also nicht bekannt ist, zu welchen Preisen ein marktwirtschaftliches Unternehmen diese Leistung erbringen würde. Es ist nun menschlich, dass die Hingestellten im öffentlichen Dienst davon ausgehen, sich der Illusion hingeben, dass marktwirtschaftliches Unternehmen die Leistungen unter diesen Bedingungen erbringen kann. Da der Autor die Jungs und Mädels in öffentlichen Diensten mal zwei Jahre in Controlling unterrichtet hat, weiß er, dass jeder Versuch, marktwirtschaftliche Elemente in die öffentliche Verwaltung zu bringen, auf erbitterten Widerstand stößt. Wie fatal die Auswirkungen sind, wenn ein Staatsunternehmen als marktwirtschaftliches Unternehmen agiert, zeigte eindringlich die Öffnung des Kommunikationsmarktes. Die Kosten sind hier auf 10 Prozent zusammengeschmolzen. Naheliegend wäre es also, auch den Schienenverkehr freizugeben. Die Schiene selbst staatlich, was auf den Schienen passiert privat. Ein Wolkenkuksheim, das sehen wir bei Beatrice deutlich, führt zu völlig überheblichen Gemütern. Schon Goethe brachte es auf griffige Formel.

Denn der Mensch, der nicht geschunden wird, wird nicht gebildet.

Wir sehen also, dass das mit dem Paradies nicht funktionieren kann. Das ist ein ähnlicher Zustand, wie in der öffentlichen Verwaltung, weitgehend freischwebend. Mit sowas sind Menschen überfordert, da drehen sie hohl. Der sinnvollere Ansatz, was die Kunst angeht, ist im Übrigen die Transzendierung des Lebens und nicht die Verlagerung der Transzendenz ins Jenseits, was im Übrigen auch nicht möglich ist, denn Kunst ist wohl nur da, wo das Leben tobt, jenseits des Lebens haben wir nur noch blasierte Affen.
Wie dem auch immer sei, mit der verzogenen Göre müssen wir uns noch eine Weile beschäftigen. Jetzt wird er uns also erschüttern, der Wahrheit schwerer Hammer. Wir erfahren jetzt, den allertiefsten Grund der Mondflecken.

Im Himmel, drin der Friede Gottes ruht
Schwingt sich ein Körper, dessen Kraft und Walten
Des Weltalls Inhalt fasst in sicherer Hut

Im Original

Dentro dal ciel de la divina pace
si gira un corpo ne la cui virtute
l'esser di tutto suo contento giace.

Im Himmel des göttlichen Friedens
Bewegt sich ein Körper, in dessen Kraft
alles liegt, was er umfasst

Mit dem „Himmel des göttlichen Friedens“ ist das Empyreum gemeint, da thront Gott, das bewegt sich nicht. Im Inneren dieses Himmels liegt das Primum mobile, der erste Beweger, den hat schon Ptolemäus erfunden. Das brauchte er, denn nur, wenn es eine Kraft gibt, die die Sterne bewegt, läßt sich auch erklären, warum sie am Himmel wandern. Das Primum Mobile treibt nun alle Sphären an, die folgen.

Der nächste Himmel, reich an Lichtgestalten
Verteilt das Sein den andern Wesenheiten
Die ungleich ihm, doch in ihm sind enthalten

Also ganz oben ist das Empyreum, da sitzt Gott, das ist unbeweglich, denn der ältere Herr braucht Ruhe. Dann kommt der neunte (der Kristallhimmel), da ist das Primum Mobile, dann der achte, da sitzen die Fixsterne und zwar viele, auf den dann folgenden Kreisen sitzt ja jeweils nur einer (Mond, Merkur, Venus, Sonne, des Mars, Jupiter, Saturn), folglich ist dieser, der achte, reich an Lichtgestalten.

Die anderen Kreise ordnen und bereiten
Den Kräften allen, die in ihnen leben
Den Weg zum Ziel und Samen, die sie leiten

Im Original

Li altri giron per varie differenze
le distinzion che dentro da sé hanno
dispongono a lor fini e lor semenze.


Die anderen Kreise bedingt durch ihre Unterschiede
und Eigenart die sie besitzen
bilden aus den Keim nach Maßgabe ihrer Bestimmung


Die Aussage ist also, dass die Sterne in Abhängigkeit von ihrer Beschaffenheit das empfangene Licht anders verarbeiten, was wiederum unterschiedliche Keime hervorruft, die wiederum eine unterschiedliche Wirkung haben. Das ist jetzt natürlich ein bisschen schwer zu intepretieren. Meint Dante tatsächlich, dass die Sterne einen Einfluss haben auf das irdische Geschehen? Normalerweise ist ja „Einfluss der Sterne“ eher als Metapher gemeint, meint eigentlich Veranlagung / Schicksal / Glück – Pech etc. Zumindest meint Goethe Goethe in den Urworten (Wie die Sonne stand zum Gruße der Planesten / Am Tag, der dich der Welt gegeben / Bist alsobald und fort und fort gediehen / Nach dem Gesetz / Wonach du angetreten) sicher nicht Astrologie, bei ihm ist es eine Metapher für Veranlagung. Bei Dante kann man sich da nicht so sicher sein. Man könnte auch die Stelle aus dem 16. Gesang Purgatorio so deuten, dass Dante einen konkreten Zusammenhang sah zwischen den Sternen und dem Gewusel hienieden.

Ihr Lebenden wälzt immer euers Glückes
Und Unglücks Schuld den Sternen zu und sprecht
Vom unentrinnbarn Zwange des Geschickes.

aus: Purgatorio, 16. Gesang   Dann wäre die Terzine so zu verstehen, dass die Sterne von oben Licht empfangen, dieses in Abhängigkeit von ihrer Beschaffenheit verwerten und dies wiederum das irdische Gewusel beeinflusst.

Verfolge scharf den Weg, den ich betrat
Er wird dich zur ersehnten Wahrheit führen
Und selber findest du den Pfad


Das mag für Dante zutreffen, der Autor hat eher den Eindruck, dass er sich, folgte er dem Pfad der Beatrice, irgendwann mal auf halbem Wege seines Erdenlebens in einem dunklen Wald verirren würde, weil er den Pfad des rechtens Strebens verlöre. Er könnte dann ein Buch schreiben, wie er sich aus den Fängen der Beatrice wieder befreit hat. Den Titel hat er schon: IN DEN FÄNGEN DER HEILIGEN BEATRICE (Rezension: Der Autor beschreibt, weitgehend biographisch, wie er durch Selbstdisziplin und harte Arbeit, sich aus den Fängen der Beatrice, einer Jugendliebe, befreite, langsam seine intellektuelle Unabhängigkeit wieder erlangte und den Weg zurück auf die Erde fand. Süddeutsche Zeitung: Grandioses Werk, hinreisend! Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein literarischer Paukenschlag, psychologische Abgründe! Neue Zürcher Zeitung: Das Schicksal des modernen Menschen! Die Suche nach dem Sinn des Lebens. Der moderne Mensch auf der Klippe des Schicksals ! Überwältigend!).

Der heiligen Kreise Kraft, ihr Drehn und Rühren
Das muss – als ob des Hammers Kunst verräte
Den Schmied – seliger Beweger Anhauch rühren

Im Original

Lo moto e la virtù d'i santi giri,
come dal fabbro l'arte del martello,
da' beati motor convien che spiri;


Der Drehung und die Kraft der heiligen Kreise
muss wie die Kunst des Hammers Schmied
dem gebeneideten Antrieb entspringen

So mehr oder weniger ist das klar, es ist nochmal das Gleiche wie oben. Die heiligen Kreise, also die acht unterhalb des Kristalhimmels, wo da Primum mobile sitzt, müssen, wie die Werkstücke des Schmiedes vom Hammer geformt werden, vom gebenedeiten Antrieb stammen. Italienische Interpetationen übersetzen aber den beati motor mit Engeln und nicht mit Primum mobile. Das läuft aber im Grunde auf das Gleiche hinaus.

Der Himmel, der mit Sternenpracht besäte
Empfängt des Lenkers Bild, damit er wieder
Im Abdruck als sein Siegel ihn verträte

Im Original

e 'l ciel cui tanti lumi fanno bello,
de la mente profonda che lui volve
prende l'image e fassene suggello.  


Und der Himmel, der von so vielen Lichtern verziert
von dem tiefen Geist ihm zugeneigt
empfängt das Bild und trägt seinen Stempel


Der Himmel, der mit so vielen Lichtern verziert ist, ist der achte, der Himmel wo die Fixstern sind. Dieser ist dem tiefen Geist (mente profonda), wer immer das auch sein mag, zugeneigt und wird von ihm geprägt oder durchdrungen. Was immer das auch genau heißen mag.

Und wie die Seele, die der Staub hält nieder
Vielfältige Kräfte ausübt und entfaltet
Du angepasste vielgestaltige Glieder

So auch der Weltgeist, der voll Güte waltet
Sich in Millionen sich in Millionen Sternen kundzugeben
Indes er selbst als große Einheit waltet


Im Original

E come l'alma dentro a vostra polve
per differenti membra e conformate
a diverse potenze si risolve,  

così l'intelligenza sua bontate
multiplicata per le stelle spiega,
girando sé sovra sua unitate.  


Der Seele gleich in eurem Staube
durch vielgestaltige Glieder und
Enthüllt in vielgestaltigen Formen sich zeigt

so zeigt auch die Intelligenz ihre Güte
verfielfacht durch die Sterne
über ihrer Einheit wachend  


Das ist nochmal das Gleiche wie oben. Im Körper soll es eine alma (Seele) geben, die unterschiedlichen Organe koordiniert und da Unterschiedliches leistet. So ähnlich ist das auch mit den Sternen. Die haben ein Zentrum, von dem sie, in Abhängigkeit von ihrer Funktion gesteuert werden. Die Übersetzung von Zoozmann mit Weltgeist ist wohl ein bisschen problematisch, der Begriff ist durch Hegel ziemlich besetzt und das was Dante meint, ist so ziemlich das Gegenteil des hegelianischen Weltgeistes. Letzterer ist nämlich ohne die Menschen das reine unmittelbare Nichts, er entfaltet sich in einem Geschichtsprozess, zeugt Qualitäten, die einmal gezeugt, in ihm aufbewahrt werden, er ist ein Prozess. Dante denkt wohl eher an Gott. Der ist immer gleich, von Anbeginn bis in alle Ewigkeit.

Und mit dem kostbaren Leib, darin sie weben
Verschiedenen Bund verschiedene Kräfte schließen
In ihm sich fesselnd wie in euch das Leben

Und weil die Kräfte heiterem Born entfließen
Durchleuchten sie den Leib, wie sich im Lichte
Des Augensterns pflegt Frohsinn zu ergießen


Das Original

Virtù diversa fa diversa lega
col prezioso corpo ch'ella avviva,
nel qual, sì come vita in voi, si lega.  

Per la natura lieta onde deriva,
la virtù mista per lo corpo luce
come letizia per pupilla viva.


Unterschiedliche Kraft verbindet sich in unterschiedlicher Weise
mit dem kostbaren Körper den sie belebt,
mit dem sie sich, wie bei euch, verbindet

Durch die fröhliche Natur, der sie entsprungen
leuchtet diese Kraft in dem Körper mit dem sie vermischt
wie Freude glänzt in der lebhaften Pupille

Er redet also grundsätzlich von der Kraft, die die Sterne empfangen, die diese wiederum formt und die dann unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Die Sterne sind mit dieser vermischt, bzw. mit dieser durchdrungen und da diese von fröhlicher Natur, leuchten auch die Sterne.

Jetzt hat sie also das mit der Dichte vollkommen widerlegt und kommt zum Schluss.

Das ist der Grund – nicht Dünne oder Dichte -
Dass ihr im Mondlicht seht manch dunkle Stelle,
Die Bildungskraft ist‘ s ! Dass gerecht sie richte

Wägt ihrer Güte Maß den Grad der Helle

Also je heller ein Stern, desto mehr ist er von dieser Kraft durchdrungen.

Gehen wir also den gesamten Gedankengang nochmal durch. Im neunten Himmel sitzt das Primum mobile, das, was zuerst bewegt wurde. Dieses sorgt dafür, dass die darunter liegenden Kreise sich drehen. Die anderen, darunter liegenden Kreise, also zuerst der Kreis, wo die Fixsterne aufgehängt sind und dann die anderen, empfangen von diesem ersten eine Kraft, die sie wiederum, in Abhängigkeit von ihrer Veranlagung formt, wobei diese Ausformung wiederum sich auf das Treiben auf der Erde auswirkt. Da nun die Sterne mit dieser Kraft vermischt sind, leuchten sie auch und zwar desto stärker, je mehr sie von dieser Kraft empfangen haben. Sie sehen also, die gute Beatrice ist ein Fall für die Klapse. Was an diesem Hokuspokus Ptolemäus, was Thomas von Aquin und was Dante ist, müsste man jetzt prüfen. Vermutlich ist Thomas von Aquin das Corpus Delicti. Wieso aus diesem ganzen Hokuspokus dann hervorgehen soll, warum der Mond Flecken hat, ist auch unklar. Wahrscheinlich ist die Mondmasse mit der Kraft nicht richtig durchgemischt worden, das ist dann so ähnlich wie man Rühreier mit Champignons macht, wenn man nicht anständig rührt, dann bleiben halt die Champignons auf der einen Seite. Im Übrigen zweifeln wir ohnehin daran, dass Beatrice Thomas von Aquin und Ptolemäus gelesen hat. Wenn, dann aus reiner Langeweile, denn was die da den ganzen Tag treiben im Paradies, außer im Licht zu baden, wissen wir immer noch nicht. Immerhin sind die Ausführungen Beatrices ein Indiz dafür, dass es im Paradies Bücher gibt. Das ist ja zumindest mal eine Hoffnung im Elend. Dante war übrigens auch noch nie in Neuseeland. Die haben nämlich verdammt viel Licht, die haben bedingt durch das Ozonloch sozusagen zuviel Licht. Wir würden glatt sagen, der CO2 Ausstoß ist da wesentlicher effizienter, als die Kraft, die alle Sterne durchdringt.