Dante hat uns ja bereits mitgeteilt, dass er uns nicht wird berichten können,
was er im Paradies erlebt hat. Er hat uns weiterhin mitgeteilt, dass all diejenigen,
die noch nicht dort waren, eben Pech gehabt hätten und sich mit einer
gleichnishaften Darstellung zufrieden geben sollen. Die konzeptionellen Mängel
seines Opus sind ihm also bekannt, er will berichten vom göttlichen Vakuum.
Jetzt führt er noch ein drittes Argument ein, wer ihm nicht folgen kann,
ist schlicht zu blöd.
O ihr, die ihr im kleinen Boot, verleitet
Von Sehnsucht mir zu lauschen, nachgezogen
Seid meinem Schiff, das im Gesange gleitet,
Vertrauet ferner nicht den Meereswogen,
Kehrt um, lasst an den Heimatstrand euch tragen,
Verlört ihr mich, so wäret ihr betrogen!
Durch niebefahrne Flut will ich mich schlagen,
Minerva haucht, Apoll will mich geleiten,
Die Musenschar zeigt mir den Himmelswagen.
Ihr andern Wenigen, die ihr beizeiten
Das Haupt erhobt zu jener Engelsspeise,
Die hier uns nährt, nicht Sättigung will bereiten,
Ihr wagt ins Salzmeer eher wohl die Reise
Auf euerm Boot, folgt ihr der Furchenspur,
Bevor sich glätten meines Kieles Gleise.
In dieser Deutlichkeit ist die Einleitung ein Novum, so deutlich hat noch kein
Dichter seine Leser veräppelt. Dass der Dichter dem Leser kritisch gegenüber
steht, es unklar ist, was dieser aus seiner Dichtung herausliest, haben wir öfters.
Zu Beginn von Goethes Faust haben wir eine Zueignung, dort lesen wir:
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang
Auch Goethe geht also davon aus, dass „habent sua fata libelli“,
dass Bücher ihre Schicksale haben, allerdings beschreibt Goethe, wenn
auch ironisch gebrochen, den dynamischen Prozess der Rezeption einer Dichtung
durch den Leser:
Dann sauget jedes zärtliche Gemüte
Aus eurem Werk sich melanchol‘ sche Nahrung,
Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.
Goethe beschreibt so ganz nebenbei, darauf können wir hier nicht eingehen,
den komplexen Prozess der Rezeption von Dichtung. Der Leser und der Dichter
treffen sich da, wo Dichtung authentisch ist, das heißt, wo eine komplexe
seelische Dynamik - deren Beschreibung durch Sprache nicht möglich ist,
denn Dichtung führt die Sprache an ihre Grenzen, ihr Klang ist jenseits
der Sprache - richtig beschrieben wird. Dichtung ist genau das Gegenteil dessen,
was Dante macht. Bei Dante bedarf es eines begrifflichen Instrumentariums (der
Theologie des Thomas von Aquin), damit er, so seine eigene Behauptung (…Das
Haupt erhobt zu jener Engelsspeise / Die hier uns nährt….; gemeint
sind die, die Thomas von Aquin gelesen haben, das ist die Engelsspeise), verstanden
wird. Dichtung ist das Gegenteil, sie ist keine Illustrierung von Begrifflichkeiten,
sie ist, genau umgekehrt, das Gegenteil derselben. Begriffe sind Ideologie,
die Beschreibung der versteinerten Welt. Dichtung verflüssigt diese Steine,
zieht die Welt in die Subjektivität. In der Lage sind hierzu nur starke
Persönlichkeiten, wie eben Goethe, die an der Authentizität festhalten.
Was den Begriff Authentizität angeht, haben wir es mit einem Mysterium
zu tun, selbst Goethe war nicht in der Lage zu beschreiben, wie es der Dichter
schafft, Begriffe von ihrem Fetischcharakter, des Rein für andere sein,
von ihrem Charakter als blankgeputzte Spielmarken, zu befreien. Er beschreibt
den Dichter öfters, umkreist öfters das Problem. Einmal zum Beispiel
im Faust selbst.
Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?
…und in sein Herz die Welt zurücke schlingt: Das ist wohl der Kasus Knactus. Der Dichter nimmt, aufgrund einer komplexen inneren Dynamik ständig eine Neubewertung der Welt vor. Aber nur dann, wenn er diese komplexe Dynamik auch anderen mitteilen kann, ist sie wahr und nicht willkürlich. Wir wissen alle, dass Interpretationen, vor allem in der Schule / Uni, oft als das große Gelaber gelten, wo halt jeder seine Meinung hat, aus irgendwelchen wolkigen Sprachkonstrukten bestehen. Diese wolkigen Sprachkonstrukte verschwinden aber mit der Zeit und übrig bleibt ein Destillat, das schlägt dann ein wie der Blitz, manchmal sogar in das Hirn eines Professorchens, was ja bekanntlich die härteste Nuss für jede Dichtung ist, denn die Jungs und Mädels sind völlig durch den Wind. Wer, wie die Romanisten dies tun, von Textproduktion spricht, sollte in den Ruhestand versetzt werden, denn der Begriff Textproduktion zeigt schon, dass sie das Thema nicht verstanden haben. Wer selber keinen Zugang zur Dichtung hat, wird niemanden ausbilden können, den man guten Gewissens auf Schüler loslassen darf.
Um die Sache auch mal von der ökonomischen Seite zu betrachten. Für die Ausbildung von Phrasendreschern, die dann Schüler mit Phrasen zudreschen, braucht man keine Steuergelder in die Hand zu nehmen. Organisiert man die Literaturvermittlung mit einem United Schwachmatiker Orchestra, vulgus Philologen, dann spricht der Ökonom von einer Fehlallokation der Mittel, das heißt, eine alternative Verwendung hat dann einen höheren Nutzwert. Trivial ist das nicht, denn man kann sich schon fragen, wie formal „gebildete“ Leute die Barbarei organisieren konnten. Das diskutiert Adorno in seiner Schrift „Erziehung zur Mündigkeit“. Er hat so seine Zweifel und lässt die Staatsexamenskandidaten durch die Prüfung rasseln. Das ist die Notbremse. Das Kernproblem sind aber die Professorchen und Dozentchen, denn der Fisch fängt am Kopf an zu stinken.
Aber zurück zu Dante und seinem Programm. In den ersten beiden Terzinen teilt er uns also mit, dass nur wenige auserwählt sind, eben nur die Kenner der Theologie des Thomas von Aquin, seinem Schiff zu folgen.
O ihr, die ihr im kleinen Boot, verleitet
Von Sehnsucht mir zu lauschen, nachgezogen
Seid meinem Schiff, das im Gesange gleitet,
Vertrauet ferner nicht den Meereswogen,
Kehrt um, lasst an den Heimatstrand euch tragen,
Verlört ihr mich, so wäret ihr betrogen!
Das ist weitgehend das Gegenprogramm zur Dichtung. Deren Aufgabe kann es nicht
sein, ein Theoriegebäude darzustellen. Sie arbeitet nicht mit Begriffen,
sie arbeitet gegen Begriffe. Es nützt auch nichts, wenn man, wie Friedrich
Freiherrn von Falkenhausen dies tut, schlicht das Gegenteil behauptet. Es wäre
notwendig, dieses konkret, am Text, zu beweisen.
„Es ist bekannt, dass Dante, obschon innerlich mächtig bewegt von
mystischen Ideen, zumal vom Einfluss des heiligen Franz von Assisi, auf dem Boden
der scholastischen Theologie und Philosophie steht. In Thomas von Aquin vor allem
verehrt er den untrüglichen Meister, dessen Lehre er getreulich wiederzugeben
beflissen ist. Bis heute deckt die Dante Forschung täglich neue Fäden
auf, die das Denken unseres Dichters mit dem System dieses seines Lehrers und
mit den Lehrern andrer Häupter dieser Schule verknüpfen. Manche Verse
der Commedia klingen fast wie Zitate aus den Lehrbüchern des Aquinaten.
Je schärfer man freilich vergleicht, desto mehr muss man staunen, was hier
aus den Distinktionen und Syllogismen des Dogmatikers geworden ist. Es ist, als
ob das bei aller Großartigkeit des Wuchses allzu dürre Holz der scholastischen
Dialektik in der Hand des seherische Dichters zu grünen anfange.“
Aus: Dante, Die göttliche Komödie, insel Taschenbuch, 1997, Seite 472
Genau das haben wir noch nicht feststellen können, dass da irgendwas
grünt, das müsste bewiesen werden, am Text. Weiter fällt uns
der philologentypische Pathos auf (..innerlich mächtig bewegt…, …untrüglichen
Meister…, …seherische Dichter…). Bei den Philologen kann
man getrost davon ausgehen, dass immer dann, wenn der Ton besonders weihevoll
wird, der Inhalt ähnlich interessant ist wie ein verschwitzter Emmentaler. Über
Falkenhausen speziell, der die Divina Commedia 1937 übersetzte, gibt es
zwar auch noch was Positives zu berichten: er engagierte sich im Widerstand
gegen das nationalsozialistische Terrorregime, aber seine Aussagen zu Dante
werden außer ihm nur noch die professoralen Romanistentrottel teilen.
Bis hierher ist vornehmlich von Dante dem Denker die Rede gewesen. Nicht als
ob darüber Dante der Dichter vergessen werden könnte: Nur als Dichter
offenbart sich der Denker der göttlichen Komödie. Aber von einem
Dichter als Dichter zu reden, ist Verlegenheit. Es heißt sein Werk zerschwatzen,
wenn man mit Worten das Unsagbare, das eigentlich Dichterische auszudrücken
sich vermisst. Das Geheimnis der dichterischen Wirkung bleibt unergründlich,
ob man es nun an der Summe der „poetischen Schönheiten“ dartun
will, auf die der Leser mit der Nase gestoßen wird, ob man sie gar aus
den Besonderheiten von Reim und Rhythmus, aus Folge und Wechsel bestimmter
Vokale und Konsonanten zu errechnen sucht.
Ebenda Seite 480
Wie war das: Das Geheimnis der dichterischen Wirkung bleibt unergründlich.
Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Bei Dante gibt
es kein dichterisches Geheimnis, es gibt Ostereier. Wenn aber eine frei drehende
Sehnsucht ums Verrecken nach etwas sucht, von dem sie ergriffen wird, dann kommt
ein Pathos zustande, der nur noch denjenigen zum Glühen bringt, dem die
Birne weggeknallt ist. Der Autor bezweifelt auch schlicht, dass der gute Falkenhausen
vom Reiz der poetischen Bilder dahingeschmolzen ist. Die Divina Commedia ist
nicht in der Sprache geschrieben, die man heute als Italienisch bezeichnet,
dieses Standarditalienisch kann man tatsächlich bis zur Perfektion beherrschen.
Selbst Italienisch Muttersprachler lesen aber das Italienisch des Hochmittelalters
nicht flüssig und wir haben auch bereits erlebt, dass Zoozmann, wie alle
Übersetzer auch, schon Mühe hat, das überhaupt zu verstehen,
geschweige denn von den poetischen Bildern erglüht dahinschmilzt. Im Übrigen
dürfte es sehr schwer sein, Dichtung in einer Fremdsprache zu lesen wie
in einer Muttersprache. Das kann im Einzelfalle möglich sein, ist aber
unter Umständen die Ausnahme. Es setzt voraus, dass man ein Wort innerhalb
eines semantischen Feldes einordnen kann, denn nur dann ist die emotionale Besetzung
spürbar. Man muss ein Wort geographisch zuordnen können und man muss
es auch gesellschaftlich zuordnen können. Für einen Ausländer
klingt das völlig gleich (Theodor Storm):
Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
schenk ein den Wein , den holden!
wir wollen uns den grauen Tag
vergolden, ja vergolden!
Der Nebel löst sich auf, die Blätter fallen runter
gib mir noch etwas von dem Wein
den grauen Tag heute
wollen wir uns lustig gestalten
Man kann wohl davon ausgehen, dass man nur eine einzige Sprache perfekt beherrscht,
die Muttersprache. Wer zwei Sprachen auf dem Niveau der Muttersprache beherrscht,
muss eine spezielle Biographie haben, etwa unterschiedliche Sprachen der Eltern
und längeres Verweilen in beiden Sprachräumen. Der Autor kennt mehr
Leute, die gar keine Sprache auf Muttersprache Niveau sprechen als Leute, die
zwei Sprachen auf Mutterspracheniveau sprechen. Man kann leicht dahin kommen,
eine Fremdsprache perfekt zu sprechen. Schwierig ist es, alles was an Kultur,
geographischen Besonderheiten, Stimmungen, gesellschaftlichen Verhältnissen
in einer Sprache verdichtet ist, zu erfassen. Wenn Falkenhausen also behauptet,
dass er im Italienischen des Hochmittelalters so tief drin steckt, dass er
das sprachlich voll erfasst, dann würden wir schlicht sagen, der lügt
wie gedruckt.
Der Dichter hat einen Kompass, mit der Sprache steht er auf Kriegsfuß,
er baut keine Wortgebilde, er versucht durch die Sprache diese zu überwinden.
Das neutralisierte Bewußtsein, dem es egal ist, woran es sich begeistert,
nennt man ganz konservativ Bildungsspießer. Dichtung wird zum Fetisch,
der der Verlängerung des Namens dient. Auf die Kurzformel brachte das
Friedrich Schiller.
Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.
Das gleiche Problem wie Falkenhausen haben übrigens auch andere. Der konzeptionelle
Mangel ist offensichtlich vielen bewußt, geantwortet wird immer auf die
gleiche Weise, so schreibt denn auch ein gewisser Fritz R. Glunk (Dante, dtv
Portrait, München, 2003, Seite 160): „Das Jenseitsgedicht will ja
nicht nur Gefühle auslösen (wie es Verlaine in seiner Dante – Kritik
verlangte: Poesie müsse einen Zustand „vollkommener Lust“ herstellen),
sondern auch Wissen und Erkenntnis, also - im Danteschen Sinne – „Philosophie.
In seiner Erwiderung auf Verlaine hat dann ja auch T.S. Elliot sich dagegen
verwahrt, den Philosophen Dante mit dem Dichter aus der ‚Comedia’ auszutreiben.
Für ihn waren in dieser Dichtung Gefühl und Bildung untrennbar miteinander
verbunden – eine Einheit, die einem oberflächlichen Leser unverständlich
bleiben muss.“
Man muss befürchten, dass Verlaine Recht hatte und T.S. Elliot Unrecht.
Vertreibt man nämlich die Philosophie aus der Divina Commedia, bleibt
nicht mehr viel übrig, geschweige denn Dichtung. Wie der gute Glunk auf
die Idee kommt, dass die Einheit von Gefühl und Bildung untrennbar verbunden
sind und nur der ganz gewitzte Leser das sieht, erklärt er uns leider
auch nicht. Der gute Glunk würde wahrscheinlich auch einen wissenschaftlichen
Aufsatz zur Molekularbiologie in Terzinenform schreiben, in der Meinung, dass
dann Bildung und Gefühl Hand in Hand gehen. Das Problem ist, er würde
bei Lektoren der entsprechenden Fachzeitschriften auf oberflächliche Leser
stoßen, die das zwar mal ganz lustig finden würden, aber von einer
Veröffentlichung Abstand nehmen würden. Im übrigen textet er
so, wie man es von einem ehemaligen Mitarbeiter des Goethe Institutes erwartet,
denn das war er. Ein Umstand, den er nicht etwa beschämt verschweigt,
sondern den er sogar hervorhebt. Er textet so, wie das Goethe Institut auf
seiner Seite www.goethe.de immer textet,
ein großes Geblubbere, weitgehend sinnfrei. Der Spaß Goethe Institut
kostet den Steuerzahler übrigens schlappe 160 Millionen Euro im Jahr.
Das ist auch noch gut (ebenda Seite 161): „Diese Motivfülle wäre
jedoch stumpfes Amalgam geblieben, hätte Dante nicht zur Leidenschaft
seiner Frühzeit zurückgefunden, das heißt zur lyrischen Kraft
seiner Sprache, wie er sie in der Vita Nova bewiesen hatte. Denn die Commedia
ist vor allem dies: Eine bezwingende Dichtung, in deren Feuer jede Thematik
eingeschmolzen wird, das Drama eines ganzen Menschenlebens ebenso wie die Politik,
die Theologie oder eine vieldeutig deutbare „Philosophie“. Mit
philologischem Aufwand lassen sich diese Bestandteile herauspräparieren,
und solche Differenzierungen kommen ja dem heute geminderten Verständnis
einer hochkomplexen Dichtung auch entgegen. Aber dann fehlt, wie dem Famulus
Wagner, doch immer das geistige Band für die zerlegten Einzelteile.“
Hugh! Es sprach der große Blubberer ! Was einen wirklich überrascht,
der war Mitarbeiter des Goethe Institutes und Institutsleiter in Casabanca.
Fällt Ihnen was auf ? Die Verse:
Wer will was Lebendig's erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
sagt Mephistopheles zu dem Schüler, Wagner hat damit gar nichts zu tun.
Weiter will er uns weismachen, dass er in der Lage ist, über die lyrische
Kraft eines Textes, der im Italienischen des Hochmittelalters geschrieben ist,
sich ein Urteil bilden zu können. Wir bestreiten nicht, dass die Sonette
der Vita Nova mitreißend sind, die hat Zoozmann auch sehr gut übersetzt,
so zumindest, dass sie auf Deutsch wirken. Doch in der Vita Nova beschreibt
Dante ganz offensichtlich etwas, was er erlebt hat, in der Divina Commedia setzt
er ein Sammelsurium an angelesenem Wissen in Terzinen. Da gehen die Musen in
die nächste Kneipe einen saufen, da kommen sie nicht, da ist keine lyrische
Sprache, weit und breit nicht. Aus marketingtechnischen Gründen prangt
übrigens auf der ersten Seite dieses Buches dieser Satz :
Mit freundlicher Empfehlung
der DEUTSCHEN DANTE – GESELSCHAFT
Sage mir, mit wem du umgehst und ich sage dir, wer du bist.
Richtig witzig ist auch noch dieser Halbsatz: Denn die Commedia ist vor allem
dies: Eine bezwingende Dichtung… Also wenn jemand bei einer Dichtung
feststellen muss, dass es sich um Dichtung handelt, dann ist das Kind ja schon
in den Brunnen gefallen, denn offensichtlich gibt es Anlass, daran zu zweifeln,
sonst wäre die Bemerkung sinnlos.
Dante teilt uns also in den ersten fünf Terzinen mit, dass er vorhat ein theologisches System verklausuliert darzustellen und dass diejenigen, die dieses System nicht kennen, sich besser erstmal das Original durchlesen. Da würde dann der Autor sagen, das Original würde völlig reichen, so es denn jemanden interessiert. Er beschreibt ziemlich eindringlich NICHT, dass er vorhat, etwas zu beschreiben, was jenseits der Begrifflichkeiten dieses System liegt, und wir haben bis jetzt auch noch nicht feststellen können, dass er das tut. Falkenhausen und Glunk behauptet zwar, dass er dies tut, dass er das dürre Holz der Distinktionen und Syllogismen des Dogmatikers (!) wird ergrünen lassen, den Beweis für diese These, etwa an geeigneten Beispielen, bleiben sie uns allerdings schuldig. Da Dante aber selber sehr viele Hinweise gibt, woran die Lektüre alles scheitern könnte, kann man fast annehmen, dass er sich der konzeptionellen Schwächen bewusst war. Der Einwand, dass auch Goethe und Schiller Gedichte geschrieben haben, die lediglich eine Theorie in Versform erläutern (die Metamorphose der Pflanzen / Goethe, bzw. Das Ideal und das Leben / Schiller) sticht nicht, Gedichte dieses Typs haben nur einen minimalen Anteil an deren Gesamtwerk.
Dann sollt ihr staunen! Halb so staunte nur,
Als Jason griff zur Pflugschar statt zum Bogen,
Die Heldentruppe, die nach Kolchis fuhr.
Die Geschichte hatten wir schon, aber wir wissen noch aus der Hölle, long,
long time ago, dass man das üben muss mit der griechischen Mythologie,
üben, üben, üben. Wir fangen also ganz von vorne an, es sind
nämlich mehrere Geschichten, die ineinander verwoben sind, zu Jason und
der Pflugschar kommen wir erst ganz zum Schluss. Wie viele Malheurs beginnt
dieses mit Zeus, der ja, soviel wissen wir noch, in gewisser Hinsicht ein Supermann
war. Der europäische Durchschnittsmann würde irgendwann mal aus rein
biologischen Gründen den Geist aufgeben. In diesem Fall war es aber ein
bisschen anders, seine
Schwestergemahlin Hera hatte einen Verehrer und um den abzuschütteln erschuf
er eine Wolke, die aussah wie Hera, die dann wiederum von Lapither verknuspert
wurde. Als die wolkige Hera dann etwas betrübt durch den Olymp strich,
wurde sie von der richtigen Hera mit Athamas, dem König von Böotien
verkuppelt. Dieser Athamas hatte aber irgendwann auch keine Lust mehr auf eine
Wolke, das kann man ja nachvollziehen und machte sich an Ino ran. Nephele befürchtete
dann, dass Ino ihren zwei Kindern, Helle und Phrixos etwas antun könnte
und ließ sie von Chrysomeles, einem Widder mit goldenem Fell, der sogar
fliegen konnte, hinweg tragen. Helle aber stürzte über dem Bosporus
ab, weswegen der Bosporus heute Hellespont heißt. Phrixios wurde in Kolchis
abgesetzt, irgendwo am schwarzen Meer. Der Widder mit dem goldenen Fell wurde
auf dessen eigenen Wunsch hin geopfert, das goldene Fell wurde Aietes übergeben,
dem König von Kolchis. Dieses Fell, das goldene Vlies, war jetzt also in
Kolchis. Das ist der erste Teil der Geschichte. Die zweite Geschichte kennen
wir auch schon und das Schema ist auch bekannt.
Auf Iolkos regierte Aison, dieser wurde aber von seinem Bruder Pelias verdrängt.
Aison hatte einen Sohn, Jason (auf den kommt es jetzt an), der wurde außer
Landes geschaftt, damit sein Onkel ihm nichts antun konnte. Dieser Pelias wiederum
bekam vom Orakel von Delphi prophezeit, dass er von jemandem gestürzt werde,
der nur einen Schuh habe. Als Jason jetzt in Iolkos landete, verlor er beim
Verlassen des Schiffes einen Schuh. Pelias fragte ihn, was er, in Anbetracht
der Tatsache, dass das Orakel geweissagt hatte, dass jemand mit einem Schuh
ihn stürzen werde, mit ihm machen solle. Jason erwiderte, dass er denjenigen
auf die Suche nach dem goldenen Flies schicken würde, was Pelias dann auch
prompt tat. Jason machte sich also auf die Reise, versammelte 50 Gefährten
um sich und ließ sich das Schiff Argos bauen, deshalb heißt die
Truppe „ die Argonauten“ und die ganze Geschichte die Argonautensage.
In Kolchis angekommen, forderte Jason das goldene Vlies von Aietes, also dem
König von Kolchis. Dieser verspraich, selbiges herauszurücken, wenn
Jason es schaffe, mit den feuerspeienden Stieren einen Acker zu pflügen
und Drachenzähne zu pflanzen. Das war natürlich ganz hinterlistig,
weil die Stiere nicht zu bändigen waren und aus den Drachenzähnen
Krieger wurden. Mit Hilfe von Medea, der Tochter des Aietes, schaffte er das
aber alles. Papa Aietes stellte aber auf stur und deswegen wurde der Drachen,
der das Vlies bewachte, auch noch eingeschläfert. Das Vlies gelangte so
in den Besitz des Jason.
So schnell fast, als der Himmel umschwingt, flogen
Zum gottgeformten Reiche wir hinan,
Vom miterschaffnen ewgen Durst gezogen
Original:
La concreata e perpetua sete
del deiforme regno cen portava
veloci quasi come 'l ciel vedete .
Der angeborene und ewige Durst
des nach Gottes Plan gebauten Reiches
Trug uns fast wie die Himmel schnell empor
Der ewige Durst ist wohl das, was im ersten Gesang beschrieben wurde, der Trieb,
der nach oben führt, wie auch immer. Bei diesem Trieb spielt es auf jeden
Falle keine Rolle, ob Dante mit oder ohne seinen Körper im Paradies ist,
dieser Trieb führt immer nach oben, hat also mit dem Auftrieb, wie wir
Erdenwürmer ihn kennen, gar nichts zu tun.
Ich sah die Herrin, sie den Himmel an:
Und rascher als am Ziel ein Bolz einschlagen,
Hinfliegen und vom Strang sich lösen kann,
Seh ich zu einem Wunder mich getragen,
Das gleich mich fesselt, doch die Führerin,
Vor der stets offen meine Sorgen lagen,
Kehrt freudigschönen Blicks zu mir sich hin:
„Wir sind dem ersten Stern vereint! Drum richte
Zu Gott das Herz mit dankerfülltem Sinn!“
Im Original:
Beatrice in suso, e io in lei guardava;
e forse in tanto in quanto un quadrel posa
e vola e da la noce si dischiava,
giunto mi vidi ove mirabil cosa
mi torse il viso a sé; e però quella
cui non potea mia cura essere ascosa,
volta ver' me, sì lieta come bella,
«Drizza la mente in Dio grata», mi disse,
«che n'ha congiunti con la prima stella ».
Beatrices Blick nach oben, meiner ward auf sie gerichtet
und ganz wie ein Pfeil sein Ziel erreicht
und fliegt, wenn von der Sehne er sich löst
war ich an einen Ort gekommen, wo
Von wunderbaren Dingen ich ward gefesselt
Und jene, vor der mein Innerstes nie ward verborgen,
mir zugewandt in Schönheit ihre Fröhlichkeit
erstrahlte als sie mir sagte
du hast ihn nun erreicht, den ersten Stern
Wir akzeptieren jetzt, dass im Paradies alle Körper, egal ob schwerer als
Luft oder leichter, nach oben streben. Angemerkt sei noch, dass wir das als
Fiktion locker akzeptiert hätten, wir kennen das ja auch als Märchen.
Das Problem entsteht eigentlich erst in dem Moment, als Dante versucht, hierfür
eine Erklärung zu geben, er also eine rein fiktive Situation rational zu
erklären versucht. Nicht die Fiktion an sich ist aus künstlerischer
Sicht fragwürdig, sondern der Versuch, die Kausalzusammenhänge logisch
zu erklären. Wir akzeptieren ja auch fliegende Teppiche, solange niemand
versucht, für diese einen Antrieb zu beschreiben. Auf jeden Fall sorgt
dieser Trieb nicht nur dafür, dass die Dinge nach oben schweben, sie tun
das sogar pfeilschnell. Was er dort genau sah, verrät er uns nicht, aber
sie haben den ersten Himmel erreicht, in dem der Mond aufgehängt ist.
Mir schien‘ s, dass eine Wolke, eine dichte
Uns einschloss: hell, geschliffen fest und rein
Wie ein Demant, funkelnd im Sonnenlichte.
Des Himmels ewge Perle nahm uns ein,
Wie Wassertropfen in sich dringen lassen,
Und ungeteilt doch bleiben, lichten Schein.
War ich nun Leib, und kann Vernunft nicht fassen,
Dass ich in fremde Körper Einlass fand,
Wie ineinanderschachteln sich zwei Massen,
So sei nur heißer unser Wunsch entbrannt,
Die wunderbare Wesenheit zu schauen,
Darin sich Gott und Menschnatur verband.
Im Original:
Parev'a me che nube ne coprisse
lucida, spessa, solida e pulita,
quasi adamante che lo sol ferisse.
Per entro sé l'etterna margarita
ne ricevette, com'acqua recepe
raggio di luce permanendo unita.
S'io era corpo, e qui non si concepe
com'una dimensione altra patio,
ch'esser convien se corpo in corpo repe,
accender ne dovrìa più il disio
di veder quella essenza in che si vede
come nostra natura e Dio s'unio.
Mir schien als ob eine helle Wolke
Uns bedeckte, dicht, fest und rein
wie ein Diamant, der glänzt im Sonnenlichte
Im Innern empfing die Perle uns ganz
Wie ein Lichtstrahl eingefangen wird vom Wasser
Das ungeteilt wenn es von ihm durchdrungen
Da ich in meinem Körper ward noch befangen
Doch die Ausdehnung ward unverändert
wie es doch sein muss, wenn ein Körper in den anderen dringt
musste dies die Sehnsucht steigern
die Essenz zu schauen in der sich
Unsere Natur vereint mit dem Herrgott findet
In Prosa. Sie sind im ersten Himmel, da ist der Mond aufgehängt. In diesen
können sie aber eindringen, wie ein Lichtstahl ins Wasser dringt, ohne
dieses zu verändern. Darüber wundert sich Dante: Dass ein Körper
in einen anderen eindringen kann, ohne seine Form zu ändern. So abstrakt
kann man allerdings die Frage nicht stellen, denn es kommt darauf an, welche
Körper zusammengeworfen werden. Schütt ich ein Glas Wasser in einen
Ozean, verändert sich keiner. Dass man in den Mond nicht eindringen kann,
übersehen wir mal, man kann, wenn man will und solange man noch nicht dort
war, sich den Mond auch als Gebilde aus Gas vorstellen. Stellt man ihn sich
aber als Gas vor, dann stellt sich das Problem, das Dante aufwirft gar nicht.
In ein Gas kann ein anderer Körper eindringen, ohne sich zu verformen.
Dante stellt sich also die Frage, warum ein aus Gas geformter Körper sich
nicht verhält wie ein fester Körper, sondern wie ein aus Gas geformter
Körper. Die Antwort ist eigentlich einfach. Ein aus Gas geformter Körper
verhält sich wie ein aus Gas geformter Körper. Wenn Sie also ein Marmeladenbrot
essen und sich fragen, warum es nicht wie ein Wurstbrot schmeckt, dann liegt
das daran, dass ein Marmeladenbrot eben nach Marmelade schmeckt und weder nach
Käse, noch nach Wurst. Die Tatsache aber, dass das Marmeladenbrot nach
Marmelade schmeckt, weckt in Dante die Sehnsucht, die Essenz zu schauen, in
der sich die menschliche Natur mit Gott vereint.
Dort wird, worauf wir gläubig hier vertrauen,
Uns durch sich selber klar, statt durch Beweis,
Der ersten Wahrheit gleich, drauf Menschen bauen.
Im Original:
Lì si vedrà ciò che tenem per fede,
non dimostrato, ma fia per sé noto
a guisa del ver primo che l'uom crede.
Dort wird man sehen was hier geglaubt,
ohne dass es bewiesen, durch sich selbst
allein durch Schauen, was der Mensch zuerst geglaubt
Der Mensch hat also einen natürlichen Hang zu glauben, er glaubt also Dinge,
die nicht bewiesen sind. Und dieser ursprüngliche Glaube wird dann dort
durch Anschauung bestätigt. Damit ist ein Problem, dass Menschen dazu neigen
zu glauben, korrekt beschrieben, allerdings müsste das Bildungssystem so
eingerichtet werden, dass den Kiddies diese Untugend abgewöhnt wird. Das
ist brandaktuell, auch wegen der Frage von Islamunterricht an Schulen. Es kann
nicht Aufgabe des deutschen Bildungssystem sein, Kiddies zu indoktrinieren und
sie gläubig zu machen. Es kann nur die Aufgabe sein, sie in die Lage zu
versetzen, selber zu entscheiden, woran sie glauben wollen.
Ich sprach: „O Herrin, ewig soll und heiß
Mein Dank für ihn in aller Andacht währen,
Der mich entrückt sterblichem Erdenkreis.
Eine Danksagung zwischendurch schadet auf keinen Fall.
Doch wollt die dunkeln Flecke mir erklären
In diesem Sterne, deretwegen man
Von Kain drunten hört die alten Mähren.“
Er wird dann im Anschließenden die dunklen Flecken erklären (sie
können also mal kurz pausieren und sich einen Kaffee kochen, den werden
Sie brauchen), aber klären wir erstmal kurz, um welche Flecken es sich
handelt. Wir hatten das zwar schon (Hölle, 20. Gesang), aber das ist lange
her. Die Geschichte steht so nicht in der Bibel, Bezug genommen wird auf eine
Sage. Abel, den Kain später erschlug, opferte dem Herrn einen Teil der
Früchte des Ackers, Kain die Dornen, die hätte er eh nicht gebrauchen
können. Wo und wie die Sage dann so weitergedichtet wurde, dass Kain mitsamt
Dornbusch auf dem Mond landet, ist unklar. Wie man in den Mondflecken einen
Mann mit einem Dornbusch auf dem Rücken sehen kann, ist dem Autor auch
unklar. 250 Jahre später wird im übrigen Galileo die Mondflecken richtig
deuten:
Link
Jetzt kommt Dante; die Erklärung kommt von Beatrice, die weiß Bescheid,
allein schon die Frage nach den Mondflecken lässt sie gequält lächeln.
Sie lächelte ein wenig und begann:
„Wenn du sich Menschenirrtum siehst bekunden,
Wo nicht der Sinne Schlüssel öffnen kann,
So wird dich fernerhin nicht mehr verwunden
Des Staunens Pfeil: Vernunft hat kurze Schwingen,
Selbst wenn sie mit den Sinnen ist verbunden.
Bevor sie uns also die Mondflecken erklärt, erhalten wir noch eine Einführung
in das wissenschaftliche Arbeiten. Wenn Karl Popper das lesen würde, dem
heute maßgeblichen Philosophen zu diesem Thema, würde der sich ob
seiner Nichtigkeit wahrscheinlich glatt erschießen.
Im Original:
Ella sorrise alquanto, e poi «S'elli erra
l'oppinion», mi disse, «d'i mortali
dove chiave di senso non diserra,
certo non ti dovrien punger li strali
d'ammirazione omai, poi dietro ai sensi
vedi che la ragione ha corte l'ali.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht: „Wenn
irrig
Ist die Meinung jener Sterblichen“, sprach sie,
„wo die Sinne nicht den Schlüssel liefern,
so sollten die Strahlen der Verwunderung
Dich nun nicht mehr treffen, wenn du siehst
Dass nach den Sinnen, die Vernunft hat kurze Flügel“
Das ist jetzt natürlich eine ganz tiefsinnige Aussage, angespielt wird
auf das berühmte „Nihil est in intellectu quod prius non fuerit in
sensu“, „Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen
war“. Das kommt ursprünglich von Aristoteles und ist dann bei Thomas
von Aquin gelandet. Das Problem mit diesem Spruch sind Stücker zwei:
1) Wer so eine Aussage macht, sollte sie auch begründen. Wer irgendeine
Andeutung auf einen Zusammenhang in den Raum wirft, ist der klassische Halbgebildete;
dazu dürfen wir Dante wohl getrost zählen. Er gehört zu der Sorte
von Menschen, die jeden Versprecher mit einem „ah, ein Freudscher“
meinen kommentieren zu müssen. 2) Dante hat uns zwar hiermit bewiesen,
dass er irgendwann mal Thomas von Aquin gelesen hat, er hat uns aber noch nicht
erklärt, was er uns damit im gegebenen Kontext überhaupt sagen will.
Zu Dantes Zeit mussten Aussagen über den Mond zwangsläufig spekulativ
sein, sinnliche Erfahrungen mit dem Mond kamen, so weit der Autor das richtig
sieht, erst rund 670 Jahre später mit Neil Armstrong, der am 21. Juli 1969
zum ersten Mal den Mond betrat. Richtig ist an der Aussage nur soviel, dass,
wenn Dante Neil Armstrong gewesen wäre, also er konkrete sinnliche Erfahrungen
mit dem Mond gehabt hätte, er den folgenden Blödsinn nicht geschrieben
hätte.
Allerdings ist das Verfahren Dantes in den Geisteswissenschaften bis auf den
heutigen Tag beliebt. Man baut in einen Text irgendwelche Andeutungen auf halbverstandene
Theoriegebäude ein, z.B. die Psychoanalyse oder verweist dunkel auf Strömungen
innerhalb der Volkswirtschaftlehre, z.B. den Keynesianismus und suggeriert,
dass sich eine Behauptung hiermit beweisen ließe. Wer zweifelt, wird auf
eben diese „Grundlagen“ verwiesen, die aber nur dunkel angedeutet
werden. Damit produziert man ein schwer angreifbares großes Geblubbere.
Der Ansatz ist simpel, aber effizient: Wenn du sie nicht überzeugen kannst,
verwirre sie. Dante scheint geradezu der Begründer dieser Tradition. Wenn,
wie der oben zitierte Falkenhausen schreibt, immer neue Fäden zu den bedeutenden
Häuptern der Scholastik gefunden werden, dann kann das auch daran liegen,
dass es eine Menge verbeamtete Geistliche gibt, die nichts zu tun haben und
Dante die Referenzierung irgendwelcher Bildungsbruchstücke zum Prinzip
erhoben hat und es Leute zu geben scheint, die dem so vorgezeichneten Pfad gerne
folgen.
Beschäftigen wir uns also mit der ultimativen Erklärung der Mondflecken.
Was aber denkst du selbst bei diesen Dingen?“
Und ich: „Was hier verschieden ist an Dichte,
Wird unten auch verschiednen Anblick bringen“
Der Gedanke geht auf Averroes (geb. 1126 in Córdoba, gest. 1198 in Marrakesch)
zurück, dieser ging auch davon aus, dass der Mond selber leuchtet, wenn
auch sein Vermögen zu leuchten von der Sonne simuliert wurde. Die Flecken
erklärte er sich aus der unterschiedlichen Dichte seines ätherischen
Körpers. Dante hat diese Idee in seinem Convivio noch selber vertreten.
Beatrice wird jetzt aufräumen, mit diesem Wahn.
„Dir wird dein Glaube bald als Wahn zunichte,“
Sprach sie, „wenn Gegengründe dir‘ s erklären
Und du die Augen nicht verhüllst dem Lichte.
Bisschen interpretiert, kommt aber hin.
Ed ella: «Certo assai vedrai sommerso
nel falso il creder tuo, se bene ascolti
l'argomentar ch'io li farò avverso.
Und sie: “Du wirst bald erkennen wie versenkt
Im Irrtum ist dein Glauben, wenn du hörst
Mein Argument, das dir das Gegenteil erweist“
Na jetzt sind wir aber gespannt.
Viele Sterne zeigt die achte dieser Sphären,
An Größe ungleich und Beschaffenheit
Die drum verschiedenen Anblick auch gewähren.
Da hier etwas drinsteckt, was nicht genau übersetzt ist, aber später
wichtig sein wird, das italienische Original
Dante geht davon aus, dass in der achten Sphäre die Fixsterne aufgehängt
sind. (in den unteren sieben Sphären sind die Planeten Mars, Saturn, Jupiter,
Merkur etc.). Diese haben unterschiedliche Eigenschaften, was auf eine unterschiedliche
Beschaffenheit schließen lässt. Das ist zwar falsch, weil auch völlig
identischen Himmelkörper in Abhängigkeit von der Entfernung gleich
aussehen können, aber egal.
Bewirkte dies die Art der Dichtigkeit
Dann wäre in allen eine Kraft allein
Verschieden nur verteilt und angereiht
Beatrice geht also ganz didaktisch vor, sie lässt also erstmal gelten,
dass man die unterschiedlichen Eigenschaften der Sterne auch durch die unterschiedliche
Dichte erklären könnte (dass sich aus der Dichte wesentliche Eigenschaften
wie die Leuchtkraft gar nicht ableiten lassen, ist jetzt egal). Jetzt leitet
sie über, geradezu dialektisch zum Widerspruch, der dann entsteht.
Verschiedenen Kraft kann aber Frucht nur sein
Verschiedenen Formtriebs: Bis auf einen schwänden
Dann alle! – So sahst bisher es ein.
Ihr erstes Argument ist, dass die Dichte allein für das Aussehen der
Sterne nicht verantwortlich sein kann, denn diese besitzen viele Merkmale, die
auch alle von unterschiedlichen Kräften gesteuert werden müssen. Also
eine Kraft muss für die Farbe zuständig sein, eine andere für
die Helligkeit, eine andere für die Größe etc. Auch das ist
natürlich Blödsinn. Eine Pflanze zum Beispiel, die zuwenig Wasser
bekommt, unterscheidet sich von einer Pflanze die ausreichend Wasser bekommt
in vielen Merkmalen, aber die Ursache ist immer die gleiche. In ihrer Logik
argumentiert sie aber, dass nach seiner Ansicht es ja nur eine Ursache gibt,
die Dichte allein nicht für alle Merkmale verantwortlich sein kann. Völlig
niedergeschmettert von der Wucht der Dialektik sind wir natürlich, wenn
wir das lesen.
Doch wenn aus Dünnheit Flecke hier entständen
Geschäh es nur, wenn Stellen hier und dort
Sich durch und durch ganz ohne Kernstoff fänden
Oder:
Wie durch den Leib an manchem Ort
Abwechselnd Fett und Muskeln sich erstrecken
So kreuzte sich‘ s im Monde schichtweis fort
Hier stecken zwei Aussagen, die sie später widerlegen will, schauen wir
uns also das italienische Original an.
Ancor, se raro fosse di quel bruno
cagion che tu dimandi, o d'oltre in parte
fora di sua materia sì digiuno
esto pianeto, o, sì come comparte
lo grasso e 'l magro un corpo, così questo
nel suo volume cangerebbe carte.
Doch wenn die Dichte wäre der Grund
Der dunklen Flecken wie du verlangst, dann
wäre er auf anderen Seite
so abgemagert; möglich auch dass sich verteilt
Das Fett und die Dürre auf einem Körper
Sich verteilt, ganz so wie aufeinandergeschichtet
Wenn man also die unterschiedlichen Eigenschaften der Sterne mit der Dichte
erklären will, was nach Beatrice sowieso nicht geht, weil unterschiedliche
Eigenschaften durch unterschiedliche Kräfte hervorgerufen worden sein müssen,
dann könnte man dies auf unterschiedliche Art und Weise tun. Auf der einen
Seite könnte man annehmen, dass an manchen Stellen gar nichts ist, der
Mond also aussieht wie ein Emmentaler, mit lauter Löchern, bzw. Stellen
mit geringer Dichte, die durch den ganzen Mond gehen. Die andere Möglichkeit
wäre anzunehmen, dass die Dichte unterschiedlich ist, wie bei einem menschlichen
Körper, der an manchen Stellen dünn, an anderen Dick ist. Keine Schicht
mit einer geringen Dichte geht aber durch den ganzen Mond. Beide Situationen
widerlegt sich jetzt natürlich.
Das Erstre ließe sich alsbald entdecken
Bei Sonnenfinsternissen, weil das Licht
Durchstrahlen müsste aller Ort und Ecken
Also wenn die Dichte an den dunklen Stellen geringer ist und diese dunklen Schichten
durch den ganzen Mond hindurchreichen, dann müsste ja die Sonne bei Mondfinsternis
durch den Mond hindurchscheinen wie bei einem Emmentaler (geringe Dichte oder
Loch läuft hier auf das Gleiche hinaus). Beatrice hat uns also mit zwei
Argumenten, 1) unterschiedliche Merkmale müssen durch unterschiedliche
Ursachen erklärt werden, 2) der Mond müsste sich verhalten wie ein
Emmentaler schlagend bewiesen, dass die Dichte nichts mit der Helligkeit zu
tun hat. Das Emmentaler Argument greift nun aber dann nicht, wenn die Dichte
sich in Schichten verteilt, dann müsste das Licht ja irgendwann, wenn auch
auch tiefer im Mondinneren, zurückgeworfen werden.
Das trifft nicht zu. Lass uns darum sehen, ob nicht
Das zweite gilt: Kann auch nicht dies bestehn
So folgt, dass deinem Satz der Halt gebricht
Na jetzt sind aber gespannt wie ein Flitzebogen, was nach dem Emmentaler kommt.
Kann hier nicht durch und durch das Dünne gehen
So muss ein fester Grenzwall sein: hier schließt
Der Gegenpart die Schranke umzudrehen
Muss sich der Strahl entschließen, und er schießt
Zurück wie Farbe von des Glasses Fläche
Das rückwärts man mit Silberblei vergießt
Im Original
S'elli è che questo raro non trapassi,
esser conviene un termine da onde
lo suo contrario più passar non lassi;
e indi l'altrui raggio si rifonde
così come color torna per vetro
lo qual di retro a sé piombo nasconde.
Wenn es so ist, dass die Schicht mit der geringen
Dichte
Nicht durchdringt so muss es eine Grenze geben wo dessen Gegenteil,
die große Dichte, nichts mehr durchlässt
ab diesem Punkt wird jeder Strahl zurückgeworfen
wie die Farbe wird vom Glas zurückgeworfen
das von hinten mit Blei ausgekleidet
Fassen wir das alles mal zusammen (und lassen hier unberücksichtigt,
dass das alles kompletter Blödsinn ist, prüfen wir lediglich, ob es
in sich logisch stimmig ist). Beatrice will beweisen, dass die Helligkeit (auf
diese Eigenschaft scheint sie sich ja weitgehend zu beschränken) nichts
mit der Dichte zu tun hat. Das Grundproblem der ganzen Argumentation besteht
darin, dass sie den konkreten Zusammenhang zwischen Dichte und Helligkeit nicht
nennt. Denkbar wäre ja beides. Geringe Dichte und große Helligkeit
oder große Dichte und große Helligkeit. Gehen wir also mal davon
aus, dass sie der Meinung ist, dass eine große Dichte mit einer großen
Helligkeit einhergeht, bzw. dass sie diesen Kausalzusammenhang widerlegen will.
Um dies zu tun, unterscheidet sie zwei Situationen. Bei der ersten reicht eine
Schicht mit einer geringen Dichte durch den ganzen Mond hindurch. Wenn dem so
wäre, dann müsste bei einer Sonnenfinsternis, bei der Mond vor der
Sonne steht, die Lichtstrahlen durch diese Schichten hindurchgleiten, der Mond
müsste also an manchen Stellen funkeln. (Dies ist schon mal Quatsch. Für
den Beobachter auf der Erde ist das nur dann der Fall, wenn diese Schicht geringer
Dichte im Sehstrahl des Beobachters auf der Erde liegt. Durch ein Rohr können
wir auch nur hindurchschauen, wenn wir in dieses hineinsehen, nicht wenn wir
es von der Seite sehen.) Da er dies nicht tut, schließt sie daraus, dass
der Mond nicht von einer Schicht gleicher Dichte durchbohrt ist. Es folgt die
zweite hypothetische angenommene Situation. Bei dieser lagern Schichten unterschiedlicher
Dichte übereinander, aber keine Schicht geringer Dichte geht durch den
ganzen Mond, so dass die Sonnenstrahlen irgendwann auf eine Schicht mit großer
Dichte treffen, die diese Strahlen zurückwerfen. Das würde aber bedeuten,
dass die Schichten mit geringer Dichte, die also wenig Licht produzieren und
folglich, nach der Theorie, die sie widerlegen will, dunkel erscheinen, von
den unteren Schichten überstrahlt werden, also trotzdem nicht dunkler erscheinen.
Hier könnte man einwenden, meint sie, dass das Licht dunkler erscheint,
wenn es von tieferen Schichten zurückgeworfen wird. Da will sie nun etwas
widerlegen, was man gar nicht widerlegen muss, denn die paar Kilometer spielen
absolut keine Rolle. Der Abstand des Mondes zur Erde verändert sich ja,
trotzdem erscheint er deshalb nicht unterschiedlich hell, und bei diesen Schwankungen
handelt es sich um mehr aus um ein paar Kilometer, die Schwankung beträgt
immerhin 5,5 Prozent. Beschäftigen wir uns also mit der unsinnigen Arbeitshypothese
von Beatrice und prüfen, ob sie diese These mit Argumenten widerlegt, die
zumindest in sich logisch schlüssig sind.
Jetzt sagst du wohl: hier zeige größre Schwäche
Das Licht als anderwärts und hier allein
Weil es aus weiterer Ferne sich breche
Im Original