Also: Es wird jetzt kompliziert. Zwar hat dieser Gesang nur ganz wenig Ostereier, hält dafür aber einen ganz neuen Typus von Rätseln bereit. Wir fassen das jetzt mal zusammen. Auf eine nicht näher spezifizierte Art und Weise hat Beatrice, solange sie noch auf Erden weilte, die Schokoladenseite Dantes zum Vorschein gebracht; solche Stellen finden sich ja viele in La Vita Nuova, zum Beispiele die da.
Die Liebe wohnt in meiner Herrin Blicken,
Die, was sie anschaun, wunderbar verklären;
Wem einen Gruß sie gnadenvoll gewähren,
Dem bebt durchs Herz unsagbar ein Entzücken.
Der muss die Stirn betroffen abwärts kehren,
Ob seiner Mängel seufzend, die ihn drücken;
Selbst Hass und Hochmut muss vor ihr sich bücken
So weit so gut, das ist psychologisch nicht völlig abwegig, so was gibt
es ja auch bei Goethe, „jede Begierde schweigt in ihrer Gegenwart“
heißt es irgendwo im Werther. Wie man allerdings von da zu Gott kommt,
das ist weniger nachvollziehbar, da muss Dante schon ein sehr spezielles Gemüt
gehabt haben. Das ist also mal ein grundsätzliches Problem. Wieso führt
Beatrice Dante zu einem gottgerechten Leben? Um dieses Problem zu lösen,
hat man dann Beatrice mit der Theologie gleichgesetzt, die Gespielinnen, die
Dante dann erwähnt, sind in dieser Deutung die Philosophen. Auch wir gehen,
aus den oben genannten Gründen, ebenfalls davon aus, dass Dante keine erotischen
Abenteuer hatte, allerdings aus einem anderen Grund. Wir gehen davon aus, dass
er die Frauen mit seinen Theorien so zugetextet hat, dass die schreiend davon
gelaufen sind. Spätesten wenn es vom unnennbaren Orte in das Blut der Frau
tropfte, dürfte Schicht im Schacht gewesen sein. Die Vorhaltungen, die
ihm Beatrice jetzt aber macht, dass er sich von ihr abgewendet hätte, werden
oft so interpretiert, dass er sich der Theologie abgewendet hat. Diese Umdeutung
mag auch darin begründet liegen, dass man den Nationalheiligen nicht auf
konkreteren Irrwegen sehen wollte.
„Und nun zu dir da drüben!“ –
Also wandte
Sie jetzt des Wortes Spitze gegen mich
Der, ach, die Schneide schon als scharf erkannte
Also, wenn die Vorwürfe, die jetzt kommen, sich auf erotische Eskapaden beziehen, dann ist die Sache schon ganz schön weired, also verdreht. Beatrice hat ja geheiratet, ohne mit Dante jemals ein Wort zu gewechselt zu hanen, was ja auch die bleibende Wirkung auf sein Gemüt erklären dürfte., denn die Sehnsucht ist wohl dann am stärksten, wenn sie ins unendlich Unbestimmbare geht, vom Alltag verschont bleibt und die Liebe die lediglich auf einem Bild beruht, ist dann so fern und romantisch wie die Sterne am Nachthimmel Chiles. Unter diesen Umständen ist es aber höchst seltsam, dass sie ihm diese Eskapaden vorwirft, sie könnten ihr ja eigentlich egal sein.
„Du, jenseits dieses heiligen Stromes, sprich:
Sind unbegründet meine schweren Klagen?
Zum Schuldbekenntnis dann ermanne dich.
Ob ihre Klagen unbegründet sind oder nicht, wissen wir nicht, denn so ganz konkret hat sie ja noch gar keine vorgebracht.
Ich fühlte so mich zerknirscht mich und zerschlagen
Dass meine Stimme nicht als Laut zur Kehle
Den Weg sich brach – kein Wörtchen konnt ich sagen
Sie wartet. Dann: „Was fesselt deine Seele?
Was sinnst du? Noch in Lethes Fluten tauchte
Nicht die Erinnerung tilgend deine Fehle!“
Wir wissen zwar jetzt immer noch nicht, was der Bengel ausgefressen hat, wird wohl nichts allzu Tragisches gewesen sein, aber irgendwas hatte er wohl ausgefressen, denn er fühlt sich zerknirrscht, er zumindest scheint zu wissen, wovon Beatrice spricht. Für die zweite Terzine, schauen wir uns besser mal das italienische Original an.
Poco sofferse; poi disse: «Che pense?
Rispondi a me; ché le memorie triste
in te non sono ancor da l'acqua offense».
Sie wartete kurz und dann zu mahnen: Was denkst du dir?
Antworte mir; noch sind die traurigen Erinnerungen
Noch nicht weggespült vom Wasser
Statt der „acqua“ hat Dante Lethe geschrieben, das ist inhaltlich richtig. Durch ein Bad im Lethe werden alle bösen Erinnerungen hinweggewaschen. Damit das aber passieren kann, muss sich Dante erstmal anständig schämen, logo.
Furcht und Verwirrung pressten mich. Ich hauchte
Solch tonlos JA, dass es nur der erkannte,
Der seine Augen statt des Ohres brauchte
Und wie die Armbrust, die zu straff gespannte
Beim Schuss zerreißt die Sehne samt dem Schaft
Nachdem sie matt zum Ziel den Pfeil entsandte
So quoll – befreit aus allzu enger Haft-
Ein Strom aus mir von Seufzern und von Klagen
Dass meiner Stimme ganz gebrach die Kraft
Er war also bockig und verstockt, der Dante. Hm. Das mit der Armbrust verstehen wir natürlich gar nicht, aber wir gehen mal davon aus, dass Dante mit diesen Dingern vertraut war. Wir würden ja eher vermuten, dass, wenn die Sehne reißt, der Pfeil überhaupt nirgends mehr hinfliegt. Ich habe als Kind ja auch immer mit Flitzebogen gespielt, und wenn die gebrochen sind, dann flog der Pfeil gar nicht mehr. Ich hatte sogar mal einen aus Glasfiber, war aber das Gleiche, als er gebrochen ist, flog der Pfeil nirgends mehr hin.
Aber jetzt kommt‘ s.
„Die Sehnsucht, die dein Herz nach mir getragen,“
Sprach sie, „die jenes Gut dich zu erringen
Gelehrt, wie man kein besseres kann erjagen,
Hat deinem Fuß sie Fallen oder Schlingen
Gelegt, dass dir so schnell der Mut entsank
Vorwärts und aufwärts hoffnungsvoll zu dringen?
Schauen wir uns noch kurz das italienische Original an.
Ond'ella a me: «Per entro i mie' disiri,
che ti menavano ad amar lo bene
di là dal qual non è a che s'aspiri,
quai fossi attraversati o quai catene
trovasti, per che del passare innanzi
dovessiti così spogliar la pene?
Das sprach sie zu mir: „Es war das Verlangen nach
mir,
dass dich anhielt das Gute zu lieben
jenseits dessen es nichts wert zu wünschen ist
welche Gräben und welche Ketten
hast du nun gefunden, dich dich gehindert
weiterzuschreiten und die Hoffnung aufzugeben
Wir haben hier die schon eingangs vorgefundene Verknüpfung von der Liebe zu Beatrice und der Liebe zu Gott. Da ein solcher Zusammenhang psychologisch möglich ist, es also vorstellbar ist, dass die Liebe zu einer Frau die Schokoladenseite hervorkehrt, kann man das noch ein Stück nachvollziehen. Mit der Liebe zu Gott wird es schon schwieriger, es sei denn, die Angebete ist eine Nonne, da wird einem dann nichts anderes übrig bleiben, als Jesus und den Herrgott gleich mitzulieben. Da dieser Nexus aber psychologisch doch sehr schwach ist, wird Beatrice dann oft als Symbol für die Theologie gesehen. Diese Interpretation hat aber den ganz entscheidenden Nachteil, dass dann ausgeklammert wird, dass Dante Beatrice tatsächlich mal geliebt hatte, also so ganz konkret und er eben diese Erfahrung sublimiert, wie man Neudeutsch sagt. Wäre Beatrice lediglich die Theologie, dann könnte man sie glatt wegrationalisieren oder irgendeine andere Frau einsetzen. Dieser Nexus Liebe zu Beatrice / Liebe zu Gott (bzw. für alles, wofür er in Dantes Vorstellung steht) ist aber ziemlich einmalig in der Literaturgeschichte. Der Einzige, bei dem die Liebe zu einer Frau Ansporn zu guten Taten war, war Don Quijote und seine sin par Dulcinea del Toboso, allerdings hatte Don Quijote einen an der Waffel. Mit Sicherheit kann man aber sagen, dass dieser Nexus nicht allgemein besteht. Bei den Typen, bei denen die Luxusmieze Zubehör zum Porsche ist, ist das nämlich nicht so. Weiter gibt es wesentlich mehr Beispiele, wo eine Frau noch die letzten Sicherungen durchbrennen lässt, und das dürfte auch der Normalfall sein. So ist das zum Beispiel bei Dimitri Karamasoff und Gruschenka.
Und welchen Vorteil, Förderung und Dank
Schien leuchtend dir der anderen Stirn zu schmücken
Dass es dich treu in ihre Nähe zwang
Wir sind uns absolut sicher, dass Beatrice hier irrt, Latin Lover sieht anders aus, dass Dante Affären hatte, können wir ausschließen. Da der Autor selber mal eine hübsche Kommilitonin in einer Kneipe mit einer Theorie über den französischen Roman der Gegenwart zugetextet hat, was dann auch das erste und letzte Mal war, dass er überhaupt die Gelegenheit hatte, sie damit zuzutexten, weiß er, dass sowas gar nicht funktioniert. Und die Theorie über den französischen Roman der Gegenwart ist im Vergleich zu Thomas von Aquin geradezu das pralle, volle Leben. Was funktioniert sind Gedichte, das sieht man ja bei Goethe. Der ist nach Schiller durch die Gegend gelaufen, als ob er einen Krückstock, hatte irgendwas mit seinem Rücken, verschluckt hätte, hatte ein völlig zerfallenes Gebiss und sah auch sonst nicht besonders aus, hat aber die Frauen reihenweise dahinschmelzen lassen. (Das sind übrigens bad news für die body builder dieser Welt, die Mädels wollen es schon knackig, aber keine Hirntoten. Knackig soll es aber schon sein. Das heißt man lässt den spritfressenden Dinosaurier in der Garage und fährt Fahrrad.) Aber bei Dante war ja nach La vita nuova Thomas von Aquin angesagt und damit wird das nix. Also Beatrice ist definitiv auf dem Holzweg. Wir verbürgen uns hier und sind bereit dies zu vereidigen: Dante hatte keine Seitensprünge. Das mag schon sein, dass es etwas gab, was ihn „treu in ihre Nähe zwang“, aber allzu nahe wurde das nicht. Der Abstand war immer groß genug, dass kein Anlass zur Sorge bestand. Das Bisschen hätte sie ihm schon gönnen können, die Beatrice.
Kann dem Zerknirrschen eine Antwort glücken?
Die Stimme brach, ein schwerer Seufzer flog
Eh mir‘ s gelang, im Wort mich auszudrücken
Weinend sprach ich: „Die Gegenwart betrog
Mit ihrer Lust mich, ihr ans Herz zu fliegen
Als euer Trostanblick sich mir entzog
Nein, nein, nein. Das glauben wir ihm einfach nicht. Wir haben ja oben gesehen, dass es viele lebenslustige, attraktive Frauen in Florenz gab, aber wir glauben nicht, dass Dante da gelandet ist. Wir würden sagen, die Sache ist voll trickreich. Er versucht sich der Welt als der Größte aller Latin Lover zu verkaufen, so durch die Hintertür. Das ist es.
Und sie: „Wenn du geleugnet und verschwiegen
Was du gebeichtet – offen doch und kund
Säh deine Schuld des Richters Auge liegen
Doch beicht sie des Sünders eigner Mund
So kehrt bei uns, abstumpfend, sich entgegen
Der Schneide gleich des Schleifsteins rauhes Rand
Die Aussage ist simpel, die Übersetzung etwas verdreht. Die Beamtin im Dienste Gottes Beatrice will sagen, dass dem wachenden Auge, das was Dante gebeichtet hat, also die Geschichte mit den Love Affairs, dem Auge des Gesetzes ohnehin nicht entgangen wäre, da er seine Schuld aber freiwillig bekennt, wird ihm verziehen. Das mit dem Schleifstein verstehen wir nicht richtig, ungefähr ist wohl gemeint, dass man mit einem Schleifstein, legt man das Messer richtig an, selbiges schärfen kann, legt man es allerding falsch drauf, wird es stumpf.
Doch kräftiger brennen, deines Irrtums wegen
Muss dich die Scham! Und dass du ganz gefeit
Wenn dir Sirenen wieder Schlingen liegen
So säe nicht mehr Tränen voller Leid
Vernimm, welch andere Weg dich wohl zu trösten
Vermochte, als ich ließ die Zeitlichkeit
Das ist nicht so richtig richtig. Schauen wir uns das Original an.
Tuttavia, perché mo vergogna porte
del tuo errore, e perché altra volta,
udendo le serene, sie più forte,
pon giù il seme del piangere e ascolta:
sì udirai come in contraria parte
mover dovieti mia carne sepolta.
Damit du nun dich schämst für
Deine Sünde, und das nächst mal
Wenn die Sirenen singen widerstehst
hör auf zu weinen und vernimm
wie dich hätte führen sollen
Auf anderen Pfad meine toter Körper
Sie erzählt ihm jetzt also, was er nach ihrem Ableben hätte tun sollen, was ihn dann seine Sünde noch stärker wird spüren lassen.
Ich weiß es wohl: Natur und Künste flößten
Dir mindre Lust ein, als die schönen Glieder
Die einst mich schmückten, nun in Staub sich lösten
Das Problem bei Dante ist, dass er ein einschneidendes Erlebnis hatte, seine Begegnung mit Beatrice und er rund um dieses Ereignis, ein ganzes System bastelt. Wir nehmen ihm ab, dass so ein Ereignis einschneidend sein kann, wir nehmen ihm auch ab, dass man ein Bild einer Frau ein Leben lang mit sich herumtragen kann. Bis dahin ist die Angelegenheit authentisch. Um dieses Ereignis herum baut Dante dann aber ein ganzes System auf, versucht dieses Erlebnis in ein theologisches Gedankengebäude zu integrieren. Das Ergebnis ist ein Wortgebilde, das weder psychologisch noch künstlerisch motiviert, also nicht authentisch ist. Wir gehen mal davon aus, dass sich auch bei Goethe das Bild Charlotte Buffs ein für allemal eingeprägt hat, wenn auch der Roman von Thomas Mann „Lotte in Weimar“ psychologisch richtiger ist, die Zeit entzaubert, aber er hat um dieses Erlebnis herum nicht ein ganzes System gebaut. Im Detail ist die letzte Terzine auch unverständlich. Will er uns sagen, dass die Liebe zu einer Frau das Tiefste ist, was man so empfindet, dann kann er Recht haben, naheliegenderweise ist das tiefer als Natur und Künste (natura o arte). Der Nexus zwischen der Liebe zu einer Frau und der Liebe zu Gott ist übrigens auch deswegen komisch, weil über diesen Umweg die Frauen ja dann nicht zu Gott kommen, es sei denn, sie sind lesbisch. Zwar hat der Autor schon feststellen können, das viele Frauen Frauen ästhetisch anziehender finden als Männer, ohne dass sie mit diesen in die Kiste steigen wollen, aber er bezweifelt, dass die über diesen Umweg dann zu Gott kommen.
Und sank durch meinen Tod dein Glück danieder,
Das dich erhob – was hing sich dein Verlangen
So bald an niedre Erdendinge wieder?
Wir wüssten jetzt natürlich gerne, wo ihn dieses Glück hinhob, vermuten aber, dass es irgendwie richtig Gott ging. Bei den niederen Erdendingen haben wir auch so ein ungefähre Vorstellung, was gemeint ist, finden das allerdings höchst abstrakt, bzw. würden wohl eher auf christliches wishfull thinking tippen. Interessant wäre es mal zu erforschen, wie dieser Blödsinn in die Welt kam, die Liebe, die nach oben führt und die andere, die überall hinführt. Die Liebe, die überall hinführt, hat natürlich was Verwirrendes an sich. Egal welche Ideologie gerade herrschend ist, sie funkt dazwischen.
Zeit war’s, als du den ersten Streich empfangen
Dich aufzuschwingen aus dem Sinnentrug
Mir nach! Die allem Erdentand entgangen
Also im Original steht nicht Sinnentrug, obwohl es wahrscheinlich hinkommt.
Ben ti dovevi, per lo primo strale
de le cose fallaci, levar suso
di retro a me che non era più tale.
Du hättest, schon nach der ersten Verstrickung
in die trügerischen Dinge, gut daran getan
dich zu mir zu erheben, die zu diesen nicht mehr gehörte
Man kann wohl annehmen, dass mit trügerischen Dingen tatsächlich die Sinne gemeint sind, die trügen, genau genommen wohl die Sinnlichkeit.
Nicht lähmen durften dich im hohen Flug
Ein Mägdlein oder andere Eitelkeiten
Eh dir Enttäuschung neue Wunden schlug
Kommt so in etwa hin, auch wenn es nicht ganz das Original ist.
Non ti dovea gravar le penne in giuso,
ad aspettar più colpo, o pargoletta
o altra vanità con sì breve uso.
Die Flügel hätten dich nicht nach unten ziehen
dürfen
um neue Schlägge zu erwarten, weder ein Mädchen
noch andere Eitelkeiten, von so kurzer Dauer
Auch damit können wir natürlich wenig anfangen. Es ist eine
äußerst plakativ und abstrakt vorgetragene Moralvorstellung, so abstrakt,
dass man gar nichts dazu sagen kann. Das Einzige, was wir den Zeilen entnehmen
können, ist, dass Beatrice ihm irgendwelche Beziehungen zu Frauen vorwirft,
woraus wir schließen, dass Dante trotz Thomas von Aquin doch nicht der
griesgrämige Misanthrop war, als den wir ihn bis jetzt kennen gelernt haben.
Dem jungen Vogel kann man wohl bereiten
Fallen und Köder oder Netz und Bogen -
Der ältre flieht gewitzigt sie beizeiten
Wir gehen davon aus, dass Beatrice mit Köder, Netz und Bogen die Frauen meinte und schließen aus der Gleichsetzung von Köder und Frau, dass sie eine äußerst negative Meinung über ihre Geschlechtsgenossinnen hatte. Das Zweite ist, dass sie es offensichtlich als Aufgabe der Männer ansieht, eben diesen, durch die Frau präsentierten Fallen zu entgehen, was die Sache noch schlimmer macht. Die Frau ist einzig ein Köder und nicht in der Lage, Dinge sinnvoll einzuordnen und der Mann muss also allein dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Sie spricht also den Frauen jede Urteilsfähigkeit ab. Der Autor würde mal sagen, dass die drei monotheistischen Religionen, also das Christentum, der Islam und das Judentum, denn nur diese kennen solche verworrenen Ansichten, das menschliche Gehirn haben löchrig werden lassen wie einen Schweizerkäse.
So stand ich – sie fuhr fort: „Geht dir zu
Herzen
So tief mein Wort schon, hebe auf den Bart,
Blick her! Noch mehr wird dich das Schauen schmerzen!“
Nicht glaub ich, dass der Eichbaum leichtrer Art
Sich lässt entwurzel, wenn die Faust der Winde
Aus Jarba ihn erfasst auf wilder Fahrt
Als ich auf ihr Geheiß das Kinn geschwinde
Aufhob und wohl erkannte, wie versteckt
Im Worte Bart sich Gift für mich befinde
Was die Trulla mit dem Bart sagen wollte, ist klar. Einem jungen Menschen hätte man solch einen Fehltritt noch verziehen. Dante aber hatte einen Bart und da es weder in der Hölle noch im Läuterungsberg sanitäre Einrichtungen gab, war er also schon älter, und da ist ein solcher Fehltritt natürlich unverzeihbar. Probleme bereitet das „Aus Jarba ihn erfasst“. Aeneas, das ist der Held in der Äneis von Vergil hatte eine Love Affair mit Dido, der Königin von Karthago, die aber mit Jarba verheiratet war, der ob dieser Affäre in Wut entbrannte. Die Winde, die von da kommen, werfen die Schiffe um, genau wie Dante jetzt umgeworfen wird, als er den Blick zu Beatrice hebt.
Den als ich meine Brauen aufgereckt
Hab ich, dass all die Engelsurgestalten
Mit Blumenstreuen ruhten, gleich entdeckt
Auch sah mein Aug, noch im Bann gehalten
Sich Beatricen wenden nach dem Tier
In dem als einem zwei Naturen walten
Also den ganzen Umzug kann man sich in etwa so vorstellen, wie ihn Boticelli gemalt hat.
Das Tier, das den Wagen zieht, halb Greif, halb Löwe, steht für Jesus, warum auch immer. Wenn Jesus nicht gerade durch ein Lamm symbolisiert wird, dann eben durch einen Greif.
Mehr übetraf ihr einstiges Selbst sie hier
Im Schleier thronend auf dem heiligen Sessel
Als einst auf Erden anderer Frauen Zier
Wir bezweifeln das natürlich inzwischen. Wir können uns überhaupt nicht vorstellen, dass eine so moralinsaure Trulla attraktiv war.
Wie brannte da mich heiß der Reue Nessel
Dass hassenswert ich fand die flüchtige Lust
Die mich Verblendeten einst schlug in Fessel
Das Problem ist immer das gleiche. Dante trägt eine bestimmte moralische
Vorstellung abstrakt vor. Sagen kann man dazu gar nichts. Man könnte höchstens
darüber spekulieren, ob der mittelalterliche Mensch grundsätzlich
zu jeder Art von Introspektion und differenzierterer Selbstbeobachtung unfähig
war. Was natürlich frappiert, ist der Unterschied zum Decamerone von Boccaccio,
fast ein Zeitgenosse Dantes. Er wurde 1313 geboren und starb 1375. Der Decamerone
lässt an Deutlichkeit und Sinnlichkeit nur wenig Spielraum für Interpretationen,
das ist sehr konkret. Daraus könnte man dann schließen, dass die
Unfähigkeit Dantes zur differenzierten Stellungnahme nicht allein durch
die Zeit bedingt war. Es gab durchaus Dichter, die mehr leisten konnten, als
die schlichte Darstellung einer bestimmten Theologie in Terzinenform. Wir können
also bei Dante etwas Wichtiges lernen. Wer sich das Hirn mit einer bestimmten
Ideologie vollkleistert, kriegt von der bunten Vielfalt des Lebens nicht mehr
viel mit.
Da sank ich in die Knie, weil mir die Brust
Zu scharf der Selberkenntnis Zahn zernagte -
Die mir den Schmerz verhängt, ihr ist bewusst
Wir wissen zwar immer noch nicht genau, was der Bengel angestellt hat, außer dass er sich vielleicht in eine andere Frau verliebt hatte, aber wir erfahren, dass er völlig zerknirrscht war und die Trulla das wusste.
Doch als mir‘ s nach der Ohnmacht wieder tagte
Sah ich auf mich gebeugt die Sängerin
Vom Wald, die „Fasse mich nur“ zu mir sagte
Die Sängerin vom Walde ist die Frau, die ihm Blumen pflückend entgegen kam, als er sich dem irdischen Paradies näherte. Sie taucht ihn jetzt in den Lethe, der alle Erinnerung an die Sünden löscht, natürlich nur, nachdem ordentlich bereut wurde, was er ja jetzt getan hat.
Mit ihren schönen Armen jetzt umschlang
Das Weib mein Haupt und tauchte in die Wogen
So tief es, dass sie mich zu trinken zwang
Vom rein erotischen Standpunkt macht das natürlich mehr her, als von einem Mann in die Fluten getaucht zu werden. Man könnte also eigentlich auch Johannes den Täufer abschaffen und durch eine bellisima donna ersetzen, dann würde sich auch der Autor taufen lassen.
Darauf übergab sie, aus dem Bad gezogen
Zum Tanz den Schönen mich, die alle vier
Hold ihren Arm mir um die Schultern bogen
Die vier Frauen sind die vier Kardinaltugenden Tugenden, Gerechtigkeit, Weisheit, Stärke und Mäßigung. Die kennen wir schon aus dem 29. Geträller.
In Purpurkleidern schritten links vier Frauen
Die tanzten sorgsam wie die eine sang
Die dreigeaugt als Führerin zu schauen
Bei der nächsten Terzine müssen wir uns diese Verse aus dem 1. Geträller des Läuterungsberges in Erinnerung rufen.
Und sieh! am andern Pol vom Firmament,
Von rechts erstrahlt des Viergestirnes Schimmer,
Das seit dem ersten Paar kein Mensch mehr kennt.
Das ist das Kreuz des Südens.
„Am Himmel sind wir Sterne, Nymphen hier
Eh Beatrice ging auf Erdenauen,
Verpflichtete man uns zu Mägden hier“
Die Interpretation hängt jetzt allerdings davon ab, ob es tatsächlich das Kreuz des Südens ist, das die vier Kardinaltugenden am Himmel darstellt. Da man dieses von der nördlichen Welthalbkugel ja gar nicht sieht, leuchten diese Tugenden da auch nicht, das kann von Dante so gemeint sein. In italienischen Kommentaren wird das Viergestirn als Kreuz des Südens gedeutet. Wieso sie im Paradies Nymphen sind und am Himmel Sterne kann man unter Umständen so verstehen. Im Läuterungsberg, wo ja das Wahre, Gute, Schöne noch gebüßt wird, sind diese Tugenden das Ziel. Im Paradies werden sie gewollt, wie man eben eine Frau / Nymphe etc. will. Psychologisch gesehen ist das nicht ganz falsch. Wenn ein Stern da oben mir ein Ziel vor Augen hält, ist mir das natürlich wurscht, aber wenn mich eine Nymphe um etwas bitten würde, wäre das schon anders.
Wir führen vor ihr Auge dich; die drei Frauen
Die tiefer sehen, schärfen erst das deine
Dass du den Glanz kannst ungeblendet schauen
Die anderen drei Frauen kennen wir ebenfalls bereits aus dem ersten Geträller des Läuterungsberges, sie stehen für die drei theologischen Tugenden, also Liebe, Glaube, Hoffnung. Wieso jetzt Liebe, Glaube, Hoffnung tiefer sehen, hat irgendwas mit Theologie zu tun, aber der Autor hat irgendwie sehr stark den Verdacht, dass eine weitergehende Recherche nichts Erspriessliches zu Tage fördern würde.
So sangen sie holdselig im Vereine
Und führten mich dicht vor die Brust des Greisen
Wo uns erwartete die Himmlischreine
Den Greis kennen wir auch schon aus dem 29.Gesang des Läuterungsberges. Da Dante direkt vor Beatrice geführt wird und die anderen Greise vor dem Wagen hergehen, muss es der letzte sein.
Vier weitere folgten, Demutvolle, Schlichte
Als letzter kam ein einzelner Greis gegangen,
Schlafwandelnd, doch mit sinniger Gebärde
aus dem 29. Gesang
Der stellt die Offenbarung des Johannes dar, da da ja in die Zukunft geschaut wird, hat er eine sinnende Gebärde.
Sie sprachen: „Hier lass frei die Blicke schweifen,
Betrachte der Smaragden helle Pracht,
Draus Amors Pfeil dich einstmals sollte streifen
Also die Augen, die in Smaragden heller Pracht leuchten, gehören Beatrice.
Wohl tausend Wünsche zogen, heiß-entfacht,
Zu ihrer Augen Schimmer hin die meinen-
Des Greisen hatten die ihren acht
Das ging dann völlig in die Hose, also die Übersetzung. Das italienische Original sieht so aus.
Mille disiri più che fiamma caldi
strinsermi li occhi a li occhi rilucenti,
che pur sopra ‘l grifone stavan saldi.
Tausend Wünsche heißer als Flammen
zwangen meine Augen sich zu den flammenden Augen zu erheben
die sich über dem Greif befanden
Der Wagen wird von dem Greif gezogen, der Greif ist Jesus, der zieht den Wagen Kirche.
In deren Glanz, dem fleckenlosen, reinen
Ich wie im Spiegel sah das Doppeltier
In zwei Gestalten ganz getrennt erscheinen
In den Augen von Beatrice spiegelt sich also der Greif / Jesu. Und zwar in zwei unterschiedlichen Gestalten.
O Leser, male mein Erstaunen dir
Als ich des Abbilds Wandlung dort entdeckte
Und unverwandelt sah das Urbild hier
Er sieht also den Greif und gleichzeitig die zwei Gestalten, aus denen sich
dieser zusammensetzt. Das ist soweit schon mal nicht schlecht, aber wir wissen
deswegen immer noch nicht, was er sieht. Abwechselnd einen Löwen und dann
wieder einen Vogel? Selbst wenn wir konzedieren, dass der Löwe für
den irdischen Teil Jesu steht und der Vogelkopf für den himmlischen Teil,
wissen wir immer noch nicht, was sich da in den Augen von Beatrice spiegelt.
Nehmen wir mal an, dass es abwechselnd ein Greifvogel war und dann wieder ein
Löwe.
Indem sich meine Seele, die erschreckte
Der Kost erlabte, die dem seligen Drang
Je mehr sie sättigte, je mehr erweckte
Was für eine Kost (cibo) das jetzt ist, erfahren wir natürlich nicht, also irgendwie die göttliche Erleuchtung. Diese Kost auf jeden Fall ist die einzige, bei der es legitim ist, dass man mehr danach verlangt, je mehr man davon bekommt, also sozusagen eine legitime Sucht. Allerdings steht auch dieser Zusammenhang im psychologischen Nirvana. Gäbe es einen solchen Zusammenhang, dann müsste ja alle Menschen von dieser Kost automatisch gar nicht genug kriegen können. Es müsste dann also reichen, die Menschheit mal ein bisschen mit christlicher Kost anzufüttern, damit sie dann von alleine danach verlangen. Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall.
Sah ich die dreie von erhabnem Rang
Sich herbewegen aus der seligen Mitte
Im Reigentanz nach himmlischem Gesang
Das sind ganz offensichtlich die drei Frauen, die die drei theologischen Tugenden Liebe, Glaub, Hoffnung verkörpern.
O Beatrice – (Wohlklang war die Bitte)-
Dein heilig Auge lass den Dulder sehen
Der bis hierher sich rang mit Mühsalsschritte
Zoozmann hat hier ein recht ungewöhnliches Konstrukt eingeführt, dessen tieferer Sinn uns sich auch nicht erschließt. Das Original sieht so aus.
«Volgi, Beatrice, volgi li occhi santi»,
era la sua canzone, «al tuo fedele
che, per vederti, ha mossi passi tanti!
„Wende, Beatrice, wende deine heiligen Augen“,
dies war ihr Gesang, „deinen Anhänger zu,
der, um dich zu sehen, soviele Schritte tat“
Die drei Frauen, die Verkörperung von Liebe, Glaube, Hoffnung bitten also Beatrice, ihren Getreuen Dante anzuschauen.
Begnade ihn mit Gnade! Hör uns flehen:
Lass deiner zweiten Schönheit Strahlenquelle
ihm durch den Schleier länger nicht entgehen
Das ging dann ebenfalls in die Hose. Das Original sieht so aus.
Per grazia fa noi grazia che disvele
a lui la bocca tua, sì che discerna
la seconda belleza che tu cele».
Aus Gnade sei uns gnädig und enthülle
ihm deinen Mund, damit er erkenne
die zweite Schönheit, die du birgst
Die erste Schönheit sind also die Augen und die zweite der Mund. Der Rest von der Frau ist dann ein Gerippe, vermuten wir, also mehr Schönheit ist nicht.
O Glanz des Himmelslichts! O ewge Helle!
Wen hat der Musendienst so bleich gemacht,
Wer trank genugsam die kastalische Weite
Dem matt nicht schien die höchste Farbenpracht
Soll er dich malen, wie du mir dich neigtest
Von Himmelslust und Harmonie umlacht,
Als du entschleierst dich dem Äther zeigtest
Das ist solala. Das Original sieht so aus.
O isplendor di viva luce etterna,
chi palido si fece sotto l'ombra
sì di Parnaso, o bevve in sua cisterna,
che non paresse aver la mente ingombra,
tentando a render te qual tu paresti
la dove armonizzando il ciel t'adombra,
quando ne l'aere aperto ti solvesti?
O Glanz des ewigen, lebendigen Lichtes,
wer erbleichte so im Schatten oder
Im Parnass, trank aus seiner Quelle,
des Geist jetzt nicht ermattet
Beim Versuch zu schildern deine Art
da wo die Harmonien des Himmels dich kleiden
Als du im offenen Äther dich gezeigt
Auch wenn man versucht dies gerade zu rücken, ist es etwas weired. Sagen will er (angeredet wird Beatrice, „Glanz des ewigen, lebendigen Lichtes), dass auch die Dichter, die im Schatten brüteten oder auf dem Parnass (ein Berg in Zentralgriechenland, Sitz der Musen) gescheitert wären bei dem Versuch, Beatrice zu schildern, als sie jetzt endlich den Schleier weg nahm und auch ihren Mund zeigte.
Also der große show down, die Wiederbegnung mit Beatrice, war ein ziemliches Desaster. Wir können aber dem 31. Gesang auch etwas Tröstliches entnehmen. Wer ewig irgendeiner Jugendliebe nachtrauert, der kann das auch lassen. Kennen Sie den Roman „Liegen lernen“ von Frank Gossen? Das ist so eine ähnliche Geschichte. Da vergöttert er in seiner Jugend eine Frau (Britta), die ist total revolutionär, intellektuell, gebildet, sieht super aus etc. etc. Die verlässt ihn dann, und er hat was mit x Frauen, sucht aber immer Britta. Schließlich trifft er sie in Berlin, die macht da irgendwie was mit Journalismus bei der TAZ. Und? Die Frau ist die fertige Spießerin geworden. Das Buch ist übrigens verfilmt worden, und der Film ist schlichtweg genial. (Fühlt sich „ganz warm an“ meinte Heike Makkatsch und recht hat sie). Es ist irgendwie so, dass Frauen alle Gefühle ästhetisch enorm verdichten, ein richtiger Kerl muss aber mal das Herz in beide Hände nehmen können und heroisch beschließen, dass nicht hinter jeder ästhetischen Aura auch tatsächlich ein substantieller Inhalt steckt. Der substantielle Inhalt scheint zwar nirgends so zu glühen, wie in der ästhetischen Aura der Frauen, was einen wiederum, das ist fast schon dantesk, für bestimmte Inhalte glühen lässt, der Inhalt selber muss aber gar nicht vorhanden sein. Das verstehen Sie nicht? Also ich erklär Ihnen das, ich bin ja nicht Dante. Wenn eine wunderhübsche Frau auf jeder Demo für den Freiheitskampf der Sandinisten auf die Straße geht, dann marschieren sie mit, und wenn sie Nicaragua Kaffee verkauft, dessen Erlös direkt an die Sandinisten geht, dann kaufen Sie mehr von dem Zeug, als Ihr Magen verdauen kann. Während Sie aber noch mit Magenschmerzen im Bett liegen, nimmt die dann eine Stelle im gehobenen, nichttechnischen Dienst an, wird also Beamtin, das ist noch schlimmer, wie Theologin zu werden. Amen.