Dante hat jetzt ein ernsthaftes Problem. Im Grunde könnte ja jetzt mal Beatrice auftauchen und so langsam könnte es ja auch in Richtung Paradies gehen. Nun muss aber jeder Teil des teuflischen Machwerks 33 Gesänge haben, denn die drei ist eine magische Zahl, folglich fehlen noch ein paar Gesänge. Man hätte natürlich auch aus ein paar Gesängen zwei machen können, aber die wären dann sehr kurz geraten, also der Betrug wäre sofort aufgefallen. Folglich haben wir den 28. Gesang. In diesem werden dann Fragen beantwortet, die kein Mensch jemals stellen würde, Fragen allerdings, die jeder stellen würde, werden nicht gestellt, geschweige denn beantwortet. Das mit der Zahlenarithmetik bei Dante ist ohnehin eine merkwürdige Geschichte, er will ja auch neun Kreise der Hölle, neun Terrassen und neun Himmel. Da es bei ihm aber offensichtlich mehr Leute gibt, die in der Hölle landen, mussten da Unterkreise eingezogen werden (man hätte ja auch schlicht ein paar Kreise einziehen können, aber dann hätten wir halt nicht mehr 9 / 9 / 9 gehabt). Beim Läuterungsberg wiederum war das nicht nötig, da musste er sogar noch zwei Pseudoterrassen vor dem eigentlichen Läuterungsberg einführen, damit es passt.
Da ich umsonst den Sehnsuchtsdrang bekämpfte,
Durch Gottes schönen und lebendgen Wald,
Der dichtbelaubt des Morgens Frühlicht dämpfte,
Dahinzustreichen – schritt ich alsobald
Vom Waldessaum nach und nach feldein und machte
Auf einer duftgewürzten Wiese Halt
???? Also hier hat ganz offensichtlich wieder Zoozmann was versemmelt. Warum sollte er auf einmal den Sehnsuchtsdrang bekämpfen wollen, schließlich ist das doch das einzige Ziel, irgendwie ins Paradies zu kommen. Im Original tönt das so.
Vago già di cercar dentro e dintorno
La divina foresta spessa e viva,
ch'a li occhi temperava il novo giorno,
sanza più aspettar, lasciai la riva,
prendendo la campagna lento lento
su per lo suol che d'ogne parte auliva.
Ich begehrte schon nach vorne und ins Innere
des göttlichen Waldes, der dicht und tief begrünt vorzudringen,
als der neue Tag die Augen erreichte
ohne noch zu warten, ließ ich den Rand des Berges,
sacht und langsam das Land betretend,
dessen Duftes Boden, alles überströmte
Auch dieser Vers gibt Rätsel auf.
Ich fühlte Lufthauch, ohne Wandel sachte
Und lieblich-fächelnd, meine Stirn umspielen,
Als ob des Lenzes Flügel ihn entfachte,
Dass ich das Laubwerk sich auf schwanken Stielen
Anmutig sah nach jener Seite neigen,
Wohin des Berges Morgenschatten fielen,
Das italienische Original geht so.
Un'aura dolce, sanza mutamento
avere in sé, mi feria per la fronte
non di più colpo che soave vento;
per cui le fronde, tremolando, pronte
tutte quante piegavano a la parte
u' la prim'ombra gitta il santo monte;
Ein sanfter Hauch, der keine Wandel
Kannte, traf mich an der Stirn
nicht stärker, als ein sanfter Wind
durch ihn neigte sich das Laub zitternd
Auf jene Seite, wo der erste Schatten
Traf den heiligen Berg
Dante muss eine ganz spezielle Stirn haben. Der Autor ist ja schon Radrennen
gefahren, ganz mächtig auf Tempo und ohne Helm, da werden bergab Geschwindigkeiten
bis zu 80 km / h erreicht, aber ihm ist noch nie aufgefallen, dass man da irgendwas
an der Stirn spürt. An der Stirn spürt man nur was, wenn es sehr kalt
ist und regnerisch. Was uns eigentlich viel mehr interessieren würde, ist,
wo dieses Paradies überhaupt liegt. Wir gehen mal davon aus, dass Dante
mal wieder Thomas von Aquin referiert. Bei Thomas von Aquin hat das Paradies
drei Bereiche, den irdischen, den himmlischen und den geistlichen. Näher
beschrieben wird aber nur das irdische Paradies, in dem wir uns momentan befinden
und das sich bei Thomas von Aquin irgendwo im Osten befindet. Das irdische Paradies
stellt er sich als ganz konkret vorhanden vor. Er beschreibt es als einen Ort,
in der Schrift Quaestio, in dem ständig eine laue Brise weht, die Luft
außerordentlich rein ist und der angefüllt ist mit blühenden
Pflanzen. Das Empyreum, also das himmlische Paradies ist das Reich der Fixsterne,
Wohnort der Gesegneten. Das geistliche Paradies ist die Gottesschau. Da Thomas
von Aquin entweder in Frankreich oder Italien war, ist das der Bezugspunkt für
Osten. Das ist zwar zugegebenermaßen ein weites Feld, das geht dann von
der Türkei bis China, aber selbst diese sehr vage Aussage ist nicht in
Einklang zu bringen mit der Tatsache, dass der Läuterungsberg irgendwo
auf der südlichen Halbkugel liegt. Wie Dante von da aus zum irdischen Paradies
latscht, ist ziemlich unklar. Wir wissen aber bereits, dass die Bibel auf jede
Frage eine Antwort hat. Im Evangelium des Johannes 18, 33-37 lesen wir: Pilatus
ging nun wieder hinein in das Prätorium und rief Jesus und sprach zu ihm:
Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du dies von dir selbst
aus oder haben dir andere von mir gesagt? Pilatus antwortete: Bin ich etwa ein
Jude? Deine Nation und die Hohenpriester haben dich mir überliefert; was
hast du getan? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn
mein Reich von dieser Welt wäre, hätten meine Diener gekämpft,
damit ich den Juden nicht überliefert würde; jetzt aber ist mein Reich
nicht von hier. Da sprach Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König?
Jesus antwortete: Du sagst es, dass ich ein König bin. Ich bin dazu geboren
und dazu in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der
aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.
Sein Reich ist also nicht von dieser Welt. Wahrscheinlich kreist es um die Erde
und just in dem Moment, als Dante rüberhopsen wollte, ist es vorbeigeflogen,
oder sowas in der Art.
Zum alten Wald drang ich gemächlich ein,
Der bald mich tief umschloss, dass nicht zu sehen,
Wo meines Eintritts Stelle mochte sein.
Da hemmte mich ein Bach im Weitergehen,
Der linkshin bog mit leisem Wellenschlag
Die Gräser, die an seinem Ufer stehen.
Nicht kann, als Spiegelbild vom klarsten Tag,
Irdische Flut beschämen dieses feuchte
Gewog, das bis zum Grund durchsichtig lag
Er stößt also an einen Bach und diesen Bach findet er ganz ungewöhnlich,
weil a) die Gräser, die an seinem Rand stehen, vom Wasser gebogen werden
und b), weil man auf den Grund sehen konnte.
Hm. Also der Autor kennt tatsächlich eine ganze Menge Bäche und Flüsse,
wo am Ufer irgendwelche Gräser stehen, die von der Strömung gebogen
werden. Stünde das in einem Reiseprospekt, würde sich der Autor fragen,
ob die einen an der Waffel haben.
EINZIGARTIGES ERLEBNIS ! FÜNF STERNE HOTEL DIREKT AM UFER DES RIO TALAI! BETRACHTEN SIE, WIE SICH DIE GRÄSER AM UFER BIEGEN! EIN ERLEBNIS, DASS SIE NIE VERGESSEN !!
Da würde ich glatt auf dem Balkon Urlaub machen, da spielen die Kinder auf der Straße immer irgendwelche Szenen von irgendwelchen indischen Bollywood Filmen nach, mit Tanz und Gesang, das ist wesentlich lustiger. Und dann merkt er noch an, dass das Wasser vollkommen rein ist (das mit dem „bis zum Grund durchsichtig lag“ stammt von Zoozmann). So ein Wasser gibt es nicht auf der Erde, behauptet Dante. Da fragt man sich natürlich, mit was für Wasser Dante seine Spaghetti gekocht hat. Wenn er Spaghetti mit Wasser gekocht hat, bei dem noch mit bloßem Auge eine Verschmutzung zu erkennen war, dann wundert es einen nicht, dass er nur 56 Jahre alt geworden ist. Offensichtlich scheint aber Dante selbst den Bach nicht berauschend zu finden, denn er versucht jetzt noch, was ganz Ungewöhnliches über diesen Bach zu erzählen.
Obwohl die dunkle Flut mich dunkler deuchte,
Weil nie durchbrach den dichten Kranz der Schatten
Der Sonne Schimmer noch des Mondes Leuchte.
Das Orginal sieht dann so aus.
Tutte l'acque che son di qua più monde,
parrieno avere in sé mistura alcuna,
verso di quella, che nulla nasconde,
avvegna che si mova bruna bruna
sotto l'ombra perpetua, che mai
raggiar non lascia sole ivi né luna.
Alle Wasser, die hier auf Erden noch Schmutz
Zu haben scheinen
im Vergleich zu jenen, die nichts verbergen
auch wenn in dunkler Dunkelheit dort fließen
unter dem dichten Laub das ewig grünt, so dass
Die Sonne nicht und nicht der Mond hier strahlt
Also wenn kein Licht da ist, absolut keines, was ja der Fall ist, wenn keine Sonnenstrahlen noch Mondstrahlen durch das Laubdach dringen, dann ist rabenschwarze Nacht, er sieht dann gar nichts. Abgesehen davon: selbst wenn der Mond durchdringt, reicht dessen Leuchtkraft nicht aus, Wasser überhaupt zu sehen. Der Autor würde sagen, dass Dante noch nie nachts im Wald war, denn nachts im Wald, dass kann der Autor Ihnen versichern, ist es absolut dunkel. Dante hat wohl das gleiche Problem wie die Berliner, er hält vier Bäume, die beieinander stehen für einen Wald. Ein Wald ist aber sowas wie der Schwarzwald, und da ist es nachts zappenduster, und wer sich da nachts verläuft, der hat ganz schlechte Karten.
Mein Fuß stand still, doch meine Augen hatten
Das Flüsschen überbrückt, froh zu betrachten
Jenseits die frischen, maiengrünen Matten.
Also das mit den „meine Augen hatten das Flüsschen überbrückt“ ist natürlich wieder Zoozmann, das ahnen wir schon, wir haben ja Übung. Was wohl die Augen Zoozmanns über die Lesebrille hinweg überbrückt haben, als er das übersetzte? Das Original sieht so aus.
Coi piè ristretti e con li occhi passai
di là dal fiumicello, per mirare
la gran variazione d'i freschi mai;
Mit ruhigen Füßen ließ ich gleiten
meine Augen jenseits des Flusses, um zu schauen
die große Vielfalt an Blumen
Wie das gehen soll, wo er doch unter einem Laubdach steht, das keinen Lichtstrahl durchlässt, ist das Geheimnis Dantes.
Und mir erschien – wie häufig, eh wir‘
s dachten
Ein Etwas naht, dass hingerissen schier
Wir staunend unsrer Sinne nicht mehr achten -
Ein einsam Weib, das singend nahte mir
Und emsig Blumen aus den Blumen pflückte
Auf dem verschwendrisch knospenden Revier.
Soweit so gut, er sieht eine Frau, und das haut ihn um. Vor kurzem hab ich ja irgendwo einen Artikel der Journaille gelesen, dass die Jugend von heute nicht mehr kommunizieren kann, also auch das Anbaggern immer plumper wird. Wenn also Dante eine Frau zum ersten Mal sieht, geht das so.
„O schöne Frau, der warm das Herz durchzückte
Der Liebe Strahl – ich seh‘ s dem Auge an,
Darein noch stets ihr Bild die Seele drückte -
Sie sehen also, dass die Youngsters durch die Lektüre der Divina Commedia lernen können, wie man eine Frau anbaggert, „o schöne Frau, der warm das Herz durchzückte…“. So spricht auch Dante eine wildfremde Frau an, das muss einfach funktionieren, da schmilzt noch die Disco Queen dahin wie Butter in der Sonne, bin ich mir ganz sicher.
Da gibt es ja allen Ernstes Leute, die behaupten, die Divina Commedia sei im Grunde ein Roman; das behauptet Prof. Dr. Willi Wittschier, und der ist Professor, der muss das wissen:
„Die Göttliche Komödie ist eine Art »Roman in Versen«, der als poetisch erzählendes Textgebilde auch alle narrativen Kriterien erfüllt. Erzähltexte sprechen uns -wie Sie bestimmt wissen- gerade wegen der handelnden Figuren und der suggestiven Räume an. In der Divina Commedia erscheinen -direkt oder indirekt- Hunderte von Männern und Frauen, und es werden uns unglaublich faszinierende Räume vorgestellt. Figuren und Räume wollen wir daher als »narratologische« Parameter in diesem ‚Hauptseminar’ gezielt untersuchen.“
http://www1.uni-hamburg.de/romanistik/lehrplan/SoSe2002/ss02wi2.htm
„Die Göttliche Komödie ist eine Art Roman in Versen“, sagt er, der Professor, weil er alle narrativen Kriterien erfüllt.Welche das sind, sagt er uns natürlich nicht: der ist ein bisschen wie Dante, der Professor, ersterer wird auch nie so richtig konkret. Auf jeden Fall untersucht der Professor im Hauptseminar die „narratologischen“ Paramenter Figuren und Räume. Wow! Und der Professor ist also der Meinung, dass die Räume und Figuren bei Dante suggestiv sind? Mich beschäftigt eine andere Frage. Ein Ausbildungsbetrieb muss ziemlich klar nachweisen, dass er einen Auszubildenden auch tatsächlich ausbilden kann, ihn also tatsächlich auf‘s Berufsleben vorbereiten kann. Und dieser Ausbildungsbetrieb muss selber auch in der real existierenden Welt bestehen können, das ist nämlich die Grundbedingung, sonst kann er nicht ausbilden. Wieso darf eigentlich jede Hanswurst Professor spielen in dieser unserer Republik, auch wenn sie keinen Plan hat von der real existierenden Welt außerhalb der Uni? Könnte nicht mal irgendjemand darüber nachdenken, dass wir Profis brauchen im Berufsleben? Leute, die in der Lage sind, Kultur, Literatur, Sprachen zu einer Sache zu machen, die die Leute interessiert, weil es witzig und bereichernd ist und ab und an mal sogar eine Antwort liefert auf eine Frage. Leute brauchen, die andere begeistern können, weil sie begeistert sind und keine hohlen Schwätzer?
Die Terzine oben hat Dante etwas versemmelt. Dem Auge (ich seh‘ s dem Auge an, darin noch stets ihr Bild die Seele drückte) sieht man gar nichts an, weder den Seelenzustand, noch irgendwelche Charaktereigenschaften. Allerdings kann man der gesamten Haltung manchmal etwas über die Gemütsverfassung entnehmen und so steht das auch im Original.
“Deh, bella donna, che a' raggi d'amore
ti scaldi, s'i' vo' credere a’ sembianti
che soglion esser testimon del core”
“Sag schöne Frau, die dich die Strahlen
Der Liebe wärmen, wenn ich glauben darf dem äußeren Schein
die oft vom Herzen Zeugnis geben“
Der Autor würde eine solche Aussage natürlich mit Vorsicht
genießen, und ein Roman würde es dem Leser auch nicht so stereotyp
vor die Nase setzen, sondern den Gedanken vertiefen. Einfach so dahingesetzt,
ist es kein Roman, sondern eine Phrase und wenn es ein Roman ist, dann ein verdammt
schlechter.
Die Flur hier und dein Anblick hat beschworen
Das Bild Proserpinas vor meinen Sinn,
Als sie die Mutter, die den Lenz verloren.
Das ist nicht so richtig gerade. Das Original lautet so.
Tu mi fai rimembrar dove e qual era
Proserpina nel tempo che perdette
la madre lei, ed ella primavera».
Du rufst mir in Gedächtnis den Ort und
Auch das Bild der Proserpina in jener Zeit
Als die Mutter sie und sie des Frühlings ward verlustig
Der Plot ist jetzt wieder griechisch, also die volle Dröhnung. Bei den christlichen Geschichten ist es ja noch übersichtlich, aber bei den Griechen, da geht die Post ab. Die Geschichte hatten wir übrigens schon. Aber wir wissen ja bereits, Dante ist vor allem eins: Üben, üben, üben. Proserpina (griechisch Persephone) ist die Tochter von Ceres (griechisch Demeter) und Jupiter (griechisch Zeus). Venus hat ihren Sohn Amor beauftragt, einen Pfeil auf Pluto (griechisch Hades) abzuschießen, um so die Liebe in die Unterwelt zu bringen. Als Pluto vor dem Etna aus dem Meer auftaucht, trifft ihn der Pfeil und er verliebt sich in das, was er gerade vor Augen hat, also in diesem Fall Proserpina, schnappt sie und entführt sie in die Unterwelt. Das wiederum bringt ihre Mutter Ceres in Rage und sie macht Randale bei den Göttern, was denn dem Pluto eigentlich einfällt. Da die Götter keine Ordnung schaffen, Jupiter / Zeus hält mehr zu seinem Bruder Pluto als zu seiner Schwester Ceres, lässt sie, die Göttin der Fruchtbarkeit, das Land verdorren. Das wirkt dann. Jupiter entsendet Merkur (griechisch Hermes) dem Pluto aufzutragen, Proserpina frei zu lassen. Da Proserpina allerdings inzwischen in der Unterwelt etwas gegessen hatte, genau genommen sechs Kerne eines Granatapfels, kann sie nicht mehr endgültig in die Welt zurück. Der Kompromiss ist dann, dass sie sechs Monate in der Unterwelt und sechs Monate in der oberen Welt verbringt. So erklären sich die Jahreszeiten. Wenn Proserpina wieder nach oben steigt, lässt es ihre Mutter blühen, steigt sie wieder hinab, wird es Winter. Wieso Dante jetzt aber an diese Geschichte denkt, ist völlig unklar. Der einzige Zusammenhang wäre, dass Proserpina als wunderschön beschrieben wird und die Frau, die ihm jetzt begegne, das auch ist. Dass Dante jetzt an Pluto denkt und sie vernaschen will, ist weniger wahrscheinlich, bzw. wenn er daran denkt, dann wird er uns das nicht verraten, vermute ich. Da wir aber beim Thema Roman sind, dessen Qualität sich ja an der Originalität / Tiefe / Differenziertheit, mit der die handelnden Figuren beschrieben werden, bzw. an dem Abstand zur gewöhnlichen Wahrnehmung misst, finden wir es schon sehr komisch, dass Dante in diesem Zusammenhang an Proserpina denkt und nicht an eine Frau, die er tatsächlich schon mal gesehen hat.
Es konnte kaum – als unabsichtlich-kühn
Der eignen Mutter Amor Herzweh machte,-
In hellerm Glanz der Venus Auge sprühn!
Wo die Geschichte genau steht, hat der Autor nicht ermitteln können. Amor hat mit seinem Pfeil aus Versehen seine eigene Mutter getroffen, woraufhin diese in Liebe zu Adonis entbrannt ist. Das mit den glänzenden Augen ist so eine Sache. Tatsächlich kann man auch im Deutschen sagen, dass irgendjemand jemanden mit glänzenden Augen anschaut, allerdings ist sich der Autor nicht sicher, ob allzu viele Leute das Phänomen tatsächlich schon beobachtet haben, suggestiver ist natürlich ein strahlendes Gesicht, das kennen alle. Glänzende Augen können eigentlich nur entstehen, wenn die Augen aus irgendeinem Grund feuchter sind, Kosmetika, die für glänzende Augen sorgen, machen die Augen feucht. Bei Dante ist es auch ein bisschen anders.
Non credo che splendesse tanto lume
sotto le ciglia a Venere, trafitta
dal figlio fuor di tutto suo costume.
Ich glaube nicht, dass soviel Licht
unter den Wimpern war der Venus, als getroffen
sie vom Sohne, ganz gegen dessen Gewohnheit
Das lume mit Glanz zu übersetzen, wie Zoozmann das macht, geht noch durch, denn Licht haben Augen nie. Man sieht aber auch an dieser Stelle die wenig künstlerische Vorgehensweise Dantes. Er nimmt ein Bild, dass in einer Redewendung fixiert ist, ohne es neu zu beleben.
Drei Schritt nur trennte uns der feuchte Raum.
Der Hellespont, den Xerxes überbrückte -
Jeder Vermessenheit noch heut ein Zaum -
Xerxes war der König der Perser. Xerxes I war König von Persien, bzw. genauer gesagt, des achämidischen Reiches, das sich, nachdem Babylon 539 durch Kyros II besiegt wurde, auch auf das Gebiet des heutigen Irak erstreckte. Geboren wurde er 519 v.Christus. Er starb 465 vor Christus. Die Perser lagen im Dauerclinch mit den Griechen, die schon den Vater des Xerxes I, Dareios I in der Schlacht bei Marathon 490 vor Christus besiegten. So kommt es am 28. September 480 vor Christus zur Seeschlacht bei Salamis, in welcher die griechische Flotte unter Führung von Themistokles die Perser vernichtend schlug. Daraufhin zogen sich auch die Truppen zu Lande aus Griechenland zurück. Diese waren über zwei Landbrücken über den Hellespont (Dardanellen), die einzig zu diesem Zweck gebaut worden waren, in Griechenland einmarschiert. Was Dante hier referiert, dass die Brücke über den Hellespont zusammengestürzt sein soll, ist eine Anekdote, die historisch sonst nirgends überliefert ist.
Mit minderm Zorn Leanders Herz bedrückte,
Weil seine Flut von Hero ihn getrennt
Als dieser mich, der sie von mir entrückte.
Wenn man das so liest, dann könnte man tatsächlich glauben, dass Dante im Hinterkopf nicht an Proserpina dachte, sondern an Pluto, der erstere lieblos vernaschte. Es erfüllt ihn ein Zorn, weil er nicht über den Bach kommt, wobei er ja, ist es ein großer Bach, hätte rüberschwimmen können, ist es kleiner, hätte er durchwaten können. Aber dass Dante zornig wird, nur weil er nicht an die Frau rankommt, das würde uns schon überraschen, da würden wir ja ganz dunkle Seiten kennen lernen an unserem Dichter. Wenn er sie nur hätte anschauen wollen, hätte er auch drüben bleiben können. Da das schon sehr merkwürdig ist, schauen wir uns das Original an.
Tre passi ci facea il fiume lontani;
Ma Elesponto, là 've passò Serse,
ancora freno a tutti orgogli umani,
più odio da Leandro non sofferse
per mareggiare intra Sesto e Abido,
che quel da me perch'allor non s'aperse.
Drei Schritte waren wir getrennt durch diesen Fluss
Jedoch der Hellespont, dort wo ihn Xerxes überschritt,
noch heute dem Menschen Hochmut eine Warnung
Erregte nicht in Leander diese Wut
als er ertrank zwischen Sesto und Abio
als dieser Fluss in mir, als er sich jetzt nicht trennt
Die Geschichte von Leander geht in Kürze so. Leander wohnt östlich des Hellespont (Dardanellen), Hero drüben. Hero stellt ihm jeden Abend eine Lampe hin, die ihm zur Orientierung dient, er paddelt rüber und sie spielen eine Runde Schach (was Sie wieder denken, ts, ts) und paddelt dann zurück. Als der Wind die Lampe ausbläst, verirrt er sich und ertrinkt. Aber tatsächlich, ob wir es glauben oder nicht, die Übersetzung von Zoozmann ist so halbwegs richtig. Dante ärgert sich über den Fluss in etwa so, wie sich Leander über den Hellespont ärgerte, als er im Marmarameer ersoff (wobei der Autor ja mal Rettungsschwimmer der DLRG war, er kann von daher zuversichtlich versichern, dass Ertrinkende sich nicht ärgern, die kämpfen am Rande des Wahnsinns ums nackte Überleben, sind nicht mehr ansprechbar, was wiederum die Rettung erschwert). Wir lernen hier also tatsächlich eine ganz dunkle Seite von Dante kennen, nicht an Proserpina hat er gedacht, sondern an Pluto, hat sich überlegt, wie er die abschleppt, weil anschauen hätte er sie ja können diesseits und jenseits des Flusses. Wenn er sie nur hätte anschauen wollen, hätte er sich wohl kaum so geärgert. Wir sehen also, dass wir bei Dante unter Umständen mit Sigmund Freud weiter kommen, als mit Thomas von Aquin. Die tiefenspychologische Analyse offenbart, dass er Proserpina nennt, sich sein Es aber mit Pluto beschäftigt, den hat er aber offensichtlich verdrängt.
Ihr seid hier fremd, wie es mein Blick erkennt,
Drum wird mein Lächeln wohl an dieser Stelle,
Die man mit Recht der Menschheit Wiege nennt,
Für euch des Zweifels und des Staunens Quelle?
Das Psalmenwort: „Herr, du erfreuest mich“
Gibt aber eurer Einsicht bald die Helle!
Wir wissen ja bereits, dass wir es bei der Divina Commedia mit einem Roman zu tun haben, das haben wir ja schon vom Professor erfahren. Sie ist ein Roman, weil sie alle narrativen Elemente hat. Narrativ kommt ja von dem lateinischen Wort für erzählen und tatsächlich erzählt Dante etwas, wenn auch etwas reichlich Surrealistisches. Ganz oben hat sie gelächelt, die Proserpina. Und jetzt erzählt sie Dante, dass ihr Lächeln einen tieferen Grund hatte. Auch darüber würden wir uns nicht wundern, verpeilt wie er ist, hatte er wahrscheinlich die Schnürsenkel auf, seine Haare standen zu Berge, oder sonst irgendwas Witziges. Das ist es aber nicht. Sie sagt jetzt allen Ernstes, dass das Psalmenwort „Herr, du erfreuest mich“, Dante darüber aufklären soll, warum sie lächelt. Das kann man nur so verstehen, dass der Herr ihr irgendwas in die Nahrung gegeben hat, was dann zur Dauerheiterkeit führt. Das erscheint bei objektiver Betrachtung der Gesamtverhältnisse auch das Wahrscheinlichste. Denn dass sie bei seiner Ansprache „O schöne Frau, der warm das Herz durchzückte / Der Liebe Strahl“ nicht gleich Reißaus genommen hat, kann eigentlich nur dadurch erklärt werden, dass sie unter Drogen steht.
„Das Wasser“, sprach ich, „und des
Waldes Rauschen
Macht wanken jüngsterworbnen Glauben mir;
Gilt es, Erlerntes wieder auszutauschen?“
Das Wissen, das er erworben hat, bezieht sich auf Aussagen des Statius im 21. Gesang. Statius „klärt“ Dante darüber auf, dass es im Läuterungsberg keine atmosphärischen Störungen (Regen, Gewittert etc. ) gebe.
Und jener sprach: „Nichts kann dem Berge drohn,
Was seine heilgen Satzungen verletzt,
Noch seiner festen Ordnung spräche Hohn.
Und keiner Störung ist er ausgesetzt;
Nur was aus sich der Himmel schöpft, nichts weiter,
Erzeugt er: Regen, Schnee und Hagel netzt
Den Berg hier nicht, stets blaut der Himmel heiter,
Auch fällt nicht höher Tau und Reif nach oben,
Als bis zur dreigestuften Felsenleiter.
Die Frage, die sich Dante stellt, ist also die. Wie kann es einen Bach geben,
wenn es nie regnet? Wir fänden es natürlich wesentlich interessanter,
wenn uns die der Proserpina ähnliche Gestalt erklären würde,
wo sich das Paradies eigentlich befindet, diese Frage drängt sich tatsächlich
auf. Die Frage hingegen, wie es ohne Regen einen Bach geben kann, drängt
sich uns gar nicht auf. Das ist nämlich völlig normal. Ein Bach /
Fluss kann sich aus allen möglichen Quellen speisen, dazu braucht es keinen
Regen. Abgesehen davon kann man auch einen Tiefbrunnen bohren, irgendwann kommt
immer Wasser, selbst in der Wüste Libyens.
Und sie: „Setzt dich‘ s auch in Erstaunen
schier,
Es ist kein Widerspruch! – Von mir beschieden,
Fällt bald vom Auge diese Binde dir.“
Wir wetten jetzt natürlich wieder tausend zu eins, dass Dante alles, was sie sagt, sofort kapiert und wir wieder wie ein Schwein ins Uhrwerk schauen. Ich persönlich würde das so machen. Wenn mir eine hübsche Frau begegnet, die zu bestimmten Themen skurrile Ansichten hat, dann würde ich diese Themen schlicht auf sich beruhen lassen. Auch bei hübschen Frauen kann es ja vorkommen, dass sie sich für die merkwürdigsten Themen begeistern, das lässt man dann besser auf sich beruhen. Hier konkret wird es aber richtig schlimm. Denn Dante hat ihr eine Steilvorlage geliefert, sie holt jetzt ganz weit aus, erzählt wohl irgendwie alles, was ihr am Herzen liegt, das Wasser spielt da gar keine Rolle mehr.
Das höchste Gut, mit sich in sich zufrieden,
Schuf gut den Menschen und wies diesen Ort
Zum Friedensunterpfand ihm an hienieden.
Das höchste Gut ist Gott, im Original sommo Ben. Dieser ist mit sich selbst zufrieden, behauptet sie, in der Bibel steht das nicht, eine Begründung, warum Gott die Welt geschaffen hat fehlt, die Bibel fängt knallhart so an.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht.
Ende der Durchsage, dass er sich selbst genügt, steht da nicht. Offensichtlich hat er sich aber nicht selber genügt, sonst hätte er sich ja irgendwo hingesetzt und meditiert. Dieser Gott, wer immer ihn auch erschaffen haben mag und was auch immer seine Motivation war, gab dem Menschen das Paradies.
Nur eigne Schuld trieb bald ihn daraus fort,
Nur eigne Schuld hat ihm zum Tränenleben
Verwandelt harmlos Lachen, heitres Wort! -
Das ist also das Tralala vom Sündenfall und all das. Die ganze Geschichte versteht der Autor zwar nicht mal ansatzweise, aber das ist jetzt egal, Dante versteht das, versteht, warum man nicht vom Baum der Erkenntnis essen darf und warum man nicht wissen darf, was gut und böse ist.
Damit der Kampf, den unter ihm erheben
Die Ausdünstungen Wassers und der Erde,
Die gern empor zur Wärmezone streben,
Dem Menschen nicht gedeihe zur Beschwerde,
Darum ist dieser Berg so hoch gestiegen,
Dass er entrückt bleibt diesem dunstgen Herde!
Also, da sind soviele Fehler drin, dass wir uns erstmal das italienische Original
anschauen.
Perché 'l turbar che sotto da sé fanno
l'essalazion de l'acqua e de la terra,
che quanto posson dietro al calor vanno,
a l'uomo non facesse alcuna guerra,
questo monte salìo verso 'l ciel tanto,
e libero n'è d'indi ove si serra.
Damit die Wirbel die unter sich erzeugen
der Dampf des Wassers und der Erde,
die, so es ihnen möglichst, stets der Wärme folgen
dem Menschen keinen Schmerz bereite
wurde dieser Berg so nah am Himmel aufgerichtet
ist er frei von diesem Dampfe, bis dahin, wo sich seine Pforten schließen
Es ist hierbei unerheblich, wie man die essalazione deutet, ob als Dampf, Ausdünstung, Dunst etc. Die Aussage, dass diese stets der Wärme folgen, ist kompletter Nonsens. Entscheidend für den Abstieg bzw. Aufstieg in der Atmosphäre ist die Dichte, ist diese geringer als Luft, dann geht es aufwärts, ist sie größer, geht es abwärts. Manche Gase und heiße Luft haben eine geringere Dichte als die Luft, sie steigen, das hat aber primär mit der Wärme gar nichts zu tun, sondern mit der Erdanziehung. Dante hätte das auffallen können, wenn er mal darüber nachgedacht hätte, warum Schiffe schwimmen, das ist das gleiche Phänomen. Kühl sich Dampf ab, dann kommt er übrigens wieder runter, auch dass hätte er bemerken können, wenn er sich seine Spaghetti mal selber gemacht hätte, was er aber, wie wir schon öfter festgestellt haben, nie gemacht hat. Diese Wärmetheorie hat er irgendwie von Aristoteles.
Wahrscheinlich wäre aber Dante mit dieser Frau glücklich geworden, denn die textet ganz ähnlich wie er. Wir hatten ja schon geschrieben, dass er mit der verehrten Gentucca wahrscheinlich nicht klar gekommen wäre (Gesang 24). Die wollte wahrscheinlich Party machen und sich nicht so ein Thomas von Aquin Gesülze anhören. Aber mit der hier wäre er klar gekommen. Mit der wäre er um acht ins Bett gestiegen, dann hätten sie noch zwei Stunden über anima vegetativa bei Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin philosophiert und hätten dann das Licht ausgeknipst. Ich weiß ja nicht warum, aber so ähnlich stell ich mir einen Professorenhaushalt vor. Auf jeden Fall, die Frau gehört zu jener Sorte von Frauen, bei der man am besten das macht, was man macht, wenn Julia Roberts in einem vermurksten Film spielt. Man dreht dann den Ton ab und betrachtet Julia Roberts, den Ton dazu denkt man sich dann. Es gibt einfach Dinge, die sind ohne Ton viel schöner. Das ist ja auch der Clou bei hübschen Ausländerinnen. Da man nicht versteht was sie sagen, geht man natürlich immer davon aus, dass sie total romantische Dinge sagen, so irgendwas ganz hochgebildetes Tolles. Das Beste also, was wir tun könnten, ist eine neue Tonspur auf die Proserpinagleiche zu legen, also das ganze Teil umdichten, geht aber nicht.
Und weil im Ursprungskreislauf hier noch fliegen
Die Lüfte und so lang sich rastlos drehen,
Als nichts sie zwingt, aus ihrer Bahn zu biegen,
So rührt auf diesen Höhn, die einsam stehen
In der bewegten Luft, die Schwungkraft leise
Den dichten Wald – und er muss rauschend wehen.
Und jeder Pflanze Kraft, auf solche Weise
Gereizt, beschwängert neu des Windes Schoß
Der die empfangne Kraft verstreut im Kreise.
Ja, da glotzte, wa? Dante versteht das raz faz und du verstehst nur Bahnhof.
Also das ist jetzt wieder Ptolemäus. Das ganz oben (Ursprungskreise) ist
das Empyreum, da wird Ptolemäus irgendwie mit der Bibel verbacken. Bei
Ptolemäus bewegen sich die Planeten in sieben Kreisen um die Erde.
aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Ptolemaic_system_(PSF).png
Der äußerste Kreis, der über allen schwebt, ist dann eben das
Empyreum. Das ist dann in der Kosmologie des Mittelalters ein bisschen anders.
Hier gibt es noch den Kristallhimmel (primus mobile, weil es der erste ist,
der sich bewegt) und dann den Feuerhimmel, das Empyreum. Mit Ursprungskreise
meint Dante also wohl diesen primus mobile. Der bewegt sich und reisst in seiner
Bewegung die anderen alle mit. Mit den Kreisen fängt dann auch die Luft
an zu drehen und zwar im Läuterungsberg gleichförmig, weil, im Gegensatz
zur Erde, keine anderen atmosphärischen Störungen wie Gewitter etc.
da sind, die eine Eigendynamik entwickeln und das sanfte Zirkulieren hindern.
Bleibt noch die Geschichte mit den Pflanzen. Betrachten wir noch den nächsten
Vers dazu.
Und jeder Pflanze Kraft, auf solche Weise
Gereizt, beschwängert neu des Windes Schoß,
Der die empfangne Kraft verstreut im Kreise.
Den Erdenfluren fiel ein anderer Los
Wie Klima oder Boden es bedingen
Ist andersartig Baum, Gesträuch und Moos
Das ist jetzt natürlich weitgehend sinnfrei übersetzt, betrachten wir das Original.
e la percossa pianta tanto puote,
che de la sua virtute l'aura impregna,
e quella poi, girando, intorno scuote;
e l'altra terra, secondo ch'è degna
per sé e per suo ciel, concepe e figlia
di diverse virtù diverse legna.
Und die vom Wind berührten Pflanzen haben soviel
Kraft,
dass mit ihrer Kraft die Luft sie schwängern
und diese dann, sich drehend, weitertragen diese Kraft
worauf in der anderen Erde, so wie es ihren Möglichkeiten
und ihres Himmels Möglichkeiten entspricht, empfängt und lässt
Knospen, Hölzer verschiedenster Art
Das soll heißen, dass die Luft die Samen weiterträgt, die sich verteilen
und in Abhängigkeit von der Beschaffenheit der Gegend, wo sie fallen, verschiedene
Pflanzen wachsen. Daran ist immerhin richtig, dass nach der Befruchtung der
Pflanzen durch die Bienen, manche Samen vom Wind weitergetragen werden. Für
die allermeisten Früchte, wie Kirschen, Äpfel, Birnen etc. etc. trifft
das aber nicht zu. Um einen Apfel über den Wind weiterzutragen, braucht
es schon mehr als ein laues Lüftchen. Ich bin zunehmend der Meinung, dass
Dante ein Professor der Romanistik geworden wäre. Die haben die gleichen
Probleme wie er. Wenn irgendjemand irgendwo mal irgendwas geschrieben hat und
das in irgendeiner Uni-Bibliothek steht, gehen sie davon aus, dass es richtig
ist. Wenn im irdischen Paradies Äpfel durch die Gegend fliegen, dann will
ich da nicht hin. Lieber im Bett friedlich entschlummern, als im Paradies von
einem Apfel erschlagen zu werden.
Wer dies erwägt, dem wird‘ s nicht seltsam
klingen,
Dass wie durch Wunder Pflanzen eurer Zonen
Anscheinend ohne Samenkorn entspringen.
Der Autor war ja schon immer der Meinung, dass Latein schädlich
ist, und das Resultat sehen wir hier. Hätte Dante, anstatt über Lateinbüchern
zu grübeln, das gemacht, was Kinder eben so machen, dann wäre ihm
das mit den Samen klar geworden. Er hätte ja nur mal einen Kirschkern,
Orangenkern, oder Apfelkern in den Boden stecken müssen und schauen was
passiert. Er hätte dann gesehen, dass die Pflanzen so ganz ohne Samenkorn
nicht aus dem Boden sprießen. Wir finden die Terzine also ausgesprochen
seltsam.
Und wisse: Diese heiligen Regionen
Bergen für Frucht und Kraut die Samenzelle,
Wie sie bei euch mit keiner Ernte lohnen. -
Wie er sich das genau vorstellt, ist zwar unklar, aber wir gehen mal davon aus, dass Biologie nicht seine Stärke war. Die Samenzellen kommen ganz eindeutig nicht aus dem Paradies.
Und so entströmt der Bach auch keiner Quelle
Die Dunst ernährt und Frost in Fessel zwingt,
Nicht sinkt noch steigt der Spiegel dieser Welle;
Ihn speist ein Born, der unversiegbar springt,
Weil – was ihm durch zwei Arme geht verloren-
Der Wille Gottes immer wiederbringt.
Damit klärt Dante natürlich nur die eine Frage, wo das Wasser herkommt, aber nicht, wo es hinfließt. Wieso Dante sich darauf kapriziert, bestimmte Details im Detail zu beschreiben, ist schleierhaft. Hätte er einfach einen locus amoenus beschrieben, einen lieblichen Ort, dann hätte niemand danach gefragt, wie realistisch das ist. Da er aber um jeden Preis bestimmte, willkürlich gewählte Sachverhalte erklären will, gerät das ganze Ding in eine Schieflage, als Schilderung eines utopischen Ortes kann man es dann nicht mehr auffassen. Weiter hat man den Eindruck, dass Dante an den Blödsinn tatsächlich glaubte, er also tatsächlich davon ausging, dass ein Paradies konkret existiert.
Und jedem Arm ist eine Kraft erkoren:
Hier wäscht sich aller Schuld Gedächtnis fort,
Dort wird Gedächtnis guter Tat geboren.
Der Strom tauscht seinen Namen mit dem Ort:
Wenn er sich hier als Letheflut erstreckte,
Heißt er Eunoë drüben, aber dort
Es findet eine Uminterpretation des Letheflusses statt. In der griechischen Mythologie löschen die Wasser des Lethe alle Erinnerungen aus, das heißt, dass derjenige, der aus dem Lethe steigt, alles vergisst. Bei Dante wird nur die Erinnerung an die Schuld ausgelöscht (im Original: …che toglie altrui memoria del peccato…). Dieser Ort ist das irdische Paradies, jenseits des irdischen Paradieses heißt er dann Eunoë. Auch dieser Fluss ist in seiner Wirkung umgedeutet worden. Die Wasser des Eunoë erneuern das Erinnern an die guten Taten.
Wie hier ist‘ s nötig, dass man davon schmeckte,
Wenn wirken soll sein Wohlgeschmack: nur dann
Stillt sich der Durst! – Dass ich dir mehr entdeckte,
Wär nötig nicht, doch füg ich dies noch
an
Und hoffe, deinen Dank mir zu verdienen,
Wenn ich mehr als versprochen geben kann
Man muss also aus dem Fluss trinken, damit er wirken kann. Dass sie uns jetzt noch eine ganz entscheidende Information zusätzlich und ungefragt liefert, erfüllt uns natürlich mit tiefer Dankbarkeit, obwohl wir uns das fast gedacht hätten. Irgendwo hat Dante seine Ideen immer her. Er ist sozusagen das Gegenteil des Torquato Tasso von Goethe.
Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum
Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur
Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,
Sein Busen nimmt es gleich und willig auf
Das weit zerstreute sammelt sein Gemüt
Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.
Oft adelt er was uns gemein erschien,
Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts.
Torquato Tasso leistet also eine Arbeit am Begriff, er setzt der Welt seine eigene Welt entgegen, erschafft die Welt also neu. Die Zeilen beschreiben vage, weil anders als vage der Prozess wohl nicht zu fassen ist, woher ein Dichter seine Inspiration nimmt. Den Prozess wird man wohl auch kaum beschreiben können. Ein Moment dürfte die Weigerung sein, sich selbst auf die Welt zuzurichten. Das genaue Gegenteil ist Dante. Dieser hat sich eine Menge angelesen und es dann zu Terzinen verarbeitet und deswegen kläppern seine Terzinen auch über weite Strecken, klingen so affig. Die Divina Commedia ist über sehr weite Strecken nichts anderes, also eine Zusammenfassung des bescheidenen Wissens der damaligen Zeit. Sie lässt sich folglich auch recht einfach - so man Lust hat, die entsprechende Literatur nachzulesen - in schlichten Hauptsätzen beschreiben. Lyrik ist etwas anderes, sie beschreibt, wie sich ein Moment in einem Subjekt verdichtet, schafft es vielleicht sogar, einem anderen Subjekt diesen Moment zu schildern, allerdings sprachlos. Gedichte sind also keine Sprachkunstwerke, sie sind, ganz im Gegenteil, sprachlos. Die ungeheure Erkenntnis, die uns die schöne Frau gratis mitteilt, ist diese.
Als Vorbild ist wohl dieser Ort erschienen
Den alten Dichtern, wenn von goldner Zeit
Und Seligkeit zu lesen ist bei ihnen.
Hier spross des Menschheit, sündenfluchbefreit,
Des Lenzes Pracht in reicher Früchte Rahmen
Und des gepriesnen Nektars Lieblichkeit.
Angespielt wird auf das in der Antike beschriebene goldene Zeitalter. Da sich
die hinter Dante befindlichen Dichter so freuen, weil sie gelobt werden, ist
anzunehmen, dass auf die vierte Ekloge von Vergil Bezug genommen wird. Er beschreibt
einige Elemente, die das Goldene Zeitalter charakterisieren.
„Sobald dich das bereits gefestigte Alter zum Mann gemacht hat, dann wird der Seefahrer von selbst vom Meer weichen, nicht wird das Schiff aus Fichtenholz Waren eintauschen; jedes Land wird alles bringen. Nicht wird der Boden die Hauen ertragen müssen, nicht mehr der Weingarten das Winzermesser, jetzt wird auch der kräftige Pflüger den Stieren die Joche abnehmen. Auch wird die Wolle nicht mehr lernen, bunte Farben vorzutäuschen, sondern von selbst wird (schon) auf den Wiesen der Widder sein Vlies bald mit lieblich rotem Purpur, bald mit safrangelbem Wau wechseln; ganz von selbst wird Scharlachrot die weidenden Lämmer färben.
Im goldenen Zeitalter ist also kein Handel mehr nötig, weil jedes Land alles hat, Landwirtschaft ist nicht mehr nötig, es wächst alles von alleine, die Wolle muss nicht mehr gefärbt werden, weil sie schon bunt wächst etc. etc. Wir würden mal sagen, die Ansprüche des Vergil waren bescheiden.