Wir aber büßen als Hermaphroditen
Unmaß hat uns zur Tiernatur erniedrigt
Missachtend, was Moral und Recht gebieten
Das ist jetzt natürlich merkwürdig. Betrachten wir erstmal
das italienische Original.
Nostro peccato fu ermafrodito;
ma perché non servammo umana legge,
seguendo come bestie l'appetito,
Wir büßen weil Hermaphroditen waren
weil wir nicht den menschlichen Gesetzen dienten
sondern folgten unserer Lust ganz wie die Tiere
Bezogen auf den Menschen (oder eben andere Säugetiere) versteht man unter
einem Hermaphrodit eine Person, die sowohl weibliche wie auch männliche
Geschlechtsmerkmale zeigt (bei Pflanzen ist es anders, dort bezeichnet Hermaphroditismus
das Phänomen, dass manche Pflanzen sowohl männliche wie auch weibliche
Keimzellen ausbilden). Mit einer sexuellen Orientierung hat das aber gar nichts
zu tun, ein Hermaphrodit ist nicht notwendigerweise auch bisexuell. Bei Dante
scheint der Hermaphrodit aber genau das zu sein. Er verwechselt Hermaphroditismus
mit Bisexualität, wobei letztere natürlich gar nicht geht, findet
Dante.
Drum müssen wir beim Abschied, angewidert
Von eigener Schmach, des Weibes Namen künden,
Das sich vervieht, von Viehgestalt umgliedert
Gemeint ist Pasiphae. Die hat sich ja „vervieht“, weil sie
in das Kuhgerüst gestiegen ist, war von einem Vieh umgeben. Deren Namen
rufen sich also die Büßenden zu, wenn sie sich verabschieden.
Ich selber, wenn du danach zeigst Begier
Bin Guinicelli und, weil ich bereute
Vorm Tode, läutre ich bereits mich hier
Um zu erklären, warum alle totalitären Ideologien, also Kommunismus,
Christentum, Islam, Faschismus, Stalinismus, Maoismus etc. etc. derartig Probleme
mit der Lust haben, insbesondere mit der Lust, die kreuz und quer geht, müsste
man wohl ganz weit ausholen. Ein Element dürfte sein, dass Leute, die einfach
nur Spaß haben wollen, schwerer zu manipulieren sind. Wer sein Glück
in seiner unmittelbaren Umgebung findet, wird sich für höchst abstrakte
Heilsversprechungen und Hokuspokus wohl kaum begeistern. Wer eine Vorstellung
von Glück hat, ist schwer zu manipulieren. Einen größeren Hammer
nimmt Adorno aus der Werkzeugkiste. Er sieht Rationalität als Zurichtung
des Subjektes auf die Welt. Das Subjekt richtet sich so zu, dass es selbst Instrument
zur Durchsetzung von Zielen wird. Damit ist aber das Subjekt, was logisch wäre,
nicht mehr das Maß aller Dinge, sondern ganz im Gegenteil, es wird abgeschafft,
ist nur noch lustloses, neutralisiertes Instrument in einer durchrationalisierten
Welt.
„Die Herrschaft des Menschen über sich selbst, die sein Selbst begründet,
ist virtuell allemal die Vernichtung des Subjektes, in dessen Dienst sie geschieht,
die beherrschte, unterdrückte Natur und durch Selbsterhaltung aufgelöste
Substanz ist gar nichts anderes als das Lebendige, als dessen Funktion die Selbsterhaltung
einzig sich bestimmen, eigentlich das, was erhalten werden soll.“
Theodor W. Adorno, Odysseus oder Mythos und Aufklärung
Ich selber, wenn du danach zeigst Begier
Bin Guinicelli und weil ich bereute
Vorm Tode, läutre ich bereits mich hier
Über Guido Guinizelli ist fast nichts bekannt. Geboren wurde er
um 1230 in Bologna und er starb um 1276 in Monselice (Norditalien). Er entstammt
einre ghibellinischen Familie und zeitweise gehörte er den fratres gaudentes
an. Er gilt als der Begründer des dolce stile novo, einer Richtung innerhalb
der italienischen Lyrik des 13. Jahrhundert, der auch Dante angehört. Worin
sich seine besondere Wollust begründet, ist nicht überliefert. Möglich,
dass es für Dante reicht, dass er den fratres gaudentes angehört,
einem Mönchorden, der nicht zur Enthaltsamkeit und zu einem Leben in der
klösterlichen Gemeinschaft verpflichtet war, um ihn als wollüstig
zu beschreiben.
Wie jene Mutter, als dem Gram zur Beute
Lykurgus fiel, den Söhnen freudig tat,
hätt ich‘ s gemacht, wenn ich die Glut nicht scheute
Der Vers ist natürlich vollkommen unverständlich, das ist von
Dante so gewollt, denn Dante ist der Erfinder des Kreuzworträtsels. Gesucht
wird also eine Mutter, die von ihren Söhnen freudig begrüsst wurde,
als ein gewisser Lykurgus gramgebeugt war. Mit der Mutter, die von ihren Söhnen
freudig begrüsst wird, kommen wir natürlich nicht weiter, davon gibt
es Milliarden. Bleibt nur noch der Lykurgus. Dieser ist gramgebeugt, die Geschichte
hatten wir schon. Hypsipyle (noch erinnerlich? Wenn nicht üben, üben,
üben!) ist die Königin von Lemnos. Die Lemniterinnen oder Lemnosinnen,
oder was auch immer, haben Aphrodite nicht anständig geehrt, deswegen straft
sie Aphrodite mit Mundgeruch. Daraufhin wollen die Typen nichts mehr mit den
Lemnasen zu tun haben, (die Lemnasen hätten natürlich auch eine Flasche
Ouzo saufen können, das übersteht kein Mundgeruch, aber egal), und
treibens mit den thrakischen Sklavinnen. Daraufhin sind die Lemnerinnen sauer
und murksen die Lemner ab, außer Thoas, das ist der Papa von Hypsipyle
und den hat sie verschont. Daraufhin sind dann die Lemnernixen sauer auf ihre
Königin, also auf Hypsipyle und schicken sie in die Wüste, bzw. in
die Ägäis, was wohl auf das Gleiche hinausläuft. Als Sklavin
landet sie dann bei Lykurgus, dem König von Arkadien, da soll sie auf dessen
Sohn aufpassen. Als nun die die Helden gegen Theben ziehen, Sieben gegen Theben
(das ist die Geschichte mit den zwei Söhnen von Ödipus die sich in
die Wolle kriegen, also üben, üben, üben) zeigt sie denen, also
den Helden, eine Wasserquelle und lässt den kleinen Prinzen unter einem
Baum liegen. Da wird er von einer Schlange totgebissen, was wiederum Lykurgus
verbittert, der Hypsipyle, die wahrscheinlich immer noch an Mundgeruch leidet,
zum Tode verurteilt. Auf dem Weg zum Schafott, begegnen ihr ihre beiden Söhne
Euneos und Nebrophonus, die sie freudig begrüßt und die sie wiederum
vor dem Tod bewahren. Das mit den beiden Söhnen ist natürlich jetzt
ein bisschen verwirrend, woher hat die zwei Söhne? Also nachdem die Lemniterinnen
ihre Männer dahingemeuchelt hatten, machten die Argonauten (Was? Schon
vergessen? Üben, üben, üben. Argonauten sind die, die das goldene
Vlies holen sollen.) halt auf Lemnos. Und da auch Helden sich mal amüsieren
wollen, haben sie mit den Lemniterinnen, die sind wohl in der Zwischenzeit auf
die Idee mit dem Ouzo gekommen, Sachen angestellt, von denen wir keine Ahnung
haben. Hypsipyle zum Beispiel macht was mit Jason und das führt halt zu
Kindern, wie das genau geht, beschreibt Dante ja im 25. Gesang, noch erinnerlich?
Zum Orte sinkt es (der ungenannt hier bleibe)
Das Blut, zwiefach geläutert, träufelt dann
In andrer Form zum andern Blut im Weibe
Also da träufelte irgendwas von einem Ort, den man nicht nennen
darf, zum Blut des Weibes, in diesem Fall also zu Hypsipyle, daraus entstehen
dann zwei Kinder und die retten Mama das Leben. Sie fragen sich, warum es soviele
griechische Mythen gibt? Das ist eine ziemlich dusselige Frage. Warum gibt es
soviele Fortsetzungen von der Lindenstraße? Ein kleines Problem haben
wir noch, wer Hypsipyle vor dem Schafott bewahrt hat, ist unklar, es gibt mehrere
Varianten, aber das ist jetzt egal.
Die Terzine oben müssen wir uns aber doch nochmal auf der Zunge zergehen
lassen.
Wie jene Mutter, als dem Gram zur Beute
Lykurgus fiel, den Söhnen freudig tat,
hätt ich‘ s gemacht, wenn ich die Glut nicht scheute
Er nimmt also ein Beispiel freudiger Begrüßung, also den Moment
in dem Hypsipyle ihre Söhne begrüßt, nur um dann zu sagen, dass
er, also Dante, seinen Guinizelli genau so nicht begrüßt. Das ist
schon reichlich durch die Brust übers Knie ins Auge.
Nichts hörend, sehend, ganz in seinen Banden
Schritt ich nachdenklich hin und ohne Laut
Dass wir nur durch die Glut getrennt uns fanden
Das überrascht. Wir hätten kaum vermutet, dass der sonst so
aufgeweckte Dante durch das bisher Gesagte so ins Grübeln gerät und
fragen uns auch, über was er denn jetzt nachgrübelt. Allerdings ist
Guinizelle in ähnlich merkwürdiger Stimmung.
„Du lässt mir soviel Liebes angedeihen“,
Sprach er, „dass deines Blickes lichte Spur
Nicht Lethe tilgen könnte noch entweihen“
Wir können überhaupt nicht erkennen, dass Dante Guinizelle
irgendetwas besonders Liebenswürdiges gesagt hat. Er denkt sich zwar was
Liebenswürdiges, ein paar Terzinen weiter oben, aber er sagt es nicht.
Als hier das teure Vorbild mir genaht,
Der zarter süßer Reime Kunst verstanden
In dessen Spur manch besserer Meister trat
Das denkt er sich aber nur, sagen tut er es nicht. Wir nehmen aber zur
Kenntnis, dass Guinizelle allein schon von den liebenswürdigen Gedanken
seine Person betreffend gerührt ist. Wer jetzt allerdings auf die Idee
kommt, dass die Geister Gedanken lesen können, der irrt gewaltig. Denn
Guinizelle ist völlig unklar, was Dante an ihm so toll findet.
Doch sprich, wenn deine Lippe Wahrheit schwur,
Warum so warm dir‘ s strömt aus Herzensgrunde
Und mir soviel Verehrung wiederfuhr
Die Antwort, die Dante jetzt gibt, ist allerdings interessant. So ähnlich
tönen auch die Bewunderer Dantes, sie sind nämlich alle voll von Bewunderung,
verleihen aber ihrer Bewunderung mit so blassen Worten Ausdruck (großer
Dichter, vereint das gesamte Wissen seiner Zeit, unsterblich etc. etc.) , dass
man sich fragt, ob man es, um mit Adorno zu sprechen, nicht mit einem neutralisierten
Bewußtsein zu tun hat, dem es egal ist, woran es sich begeistert.
Und ich: „Es ist das Lied aus deinem Munde!
Die Tinte, die es hinschrieb, wird man loben,
Solang dein Lied lebt auf dem Erdenrunde!“
Ups??!! Man lobt die Tinte??!! Hat Meister Zoozmann was versemmelt?
E io a lui: «Li dolci detti vostri,
che, quanto durerà l'uso moderno,
faranno cari ancora i loro incostri»
Und ich zu ihm: “Eure schönen Verse,
die, solange wie die moderne Zeit noch dauert,
werden steigern den Wert eurer Tinte
Meister Zoozmann hat also nix versemmelt, Dante hat‘s versemmelt.
Man wird also, was Guinizelle angeht, nicht seine Verse loben, sondern die Tinte,
mit der er selbige geschrieben hat. Ist das jetzt subtil und wir raffen es nur
nicht? Macht sich Dante lustig? Bei manchen zeitgenössischen Autoren wäre
das wirklich witzig. Ich schreib mal die Begründung des Nobelpreiskommitees
für die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Günther
Grass.
Sehr geehrte Damen und Herren, königliche Hoheiten,
die Schreibmaschine, mit der Günter Grass die Blechtrommel schrieb, war
einfach, jedoch robust, die Tasten nicht schön, jedoch so gestaltet, dass
sie ihren Zweck vollkommen erfüllten. Wir sind davon überzeugt, dass
der Ruhm der Schreibmaschine in dem Maße wachsen und um die Welt wallen
wird, wie das Werk unseres heute geehrten Dichters den Weg in die Buchregale
und unter die Weihnachtsbäume phantasielos Schenkender wandert. Die ausgeleierten
Farbbänder werden der Welt von der geistigen Arbeit künden, von ihrem
Weg aus dem Bauch und Arsch in den Hypothalamus über die Finger auf‘s
Papier.
„Ach Bruder, der da wandelt weiter oben“,
Sprach er, den Geist mir zeigend mit dem Finger,
„Gab in der Sprachkunst bessre Schmiedeproben.
Er ward als Romancier und Minnesänger
Besiegt von keinem! Lass die Toren schrein,
Dass Gerault wär der feinre Formenzwinger.
Zoozmann hat das Kreuzworträtsel teilweise schon gelöst, im
Original sind die Verse dunkler.
«O frate», disse, «questi ch'io ti cerno
col dito», e additò un spirto innanzi,
«fu miglior fabbro del parlar materno.
Versi d'amore e prose di romanzi
soverchiò tutti; e lascia dir li stolti
che quell di Lemosi credon ch'avanzi.
“Oh Bruder”, sagte er, “jener den ich
dir mit dem Finger zeige”,
dabei deutete er auf einen Geist über uns
„war ein größerer Dichter als ich in der Muttersprache.
Mit seinen Liebesliedern und Romanen
Überragt er alle; lass reden die Narren
die glauben, dass der von Lemosi bedeutender ist
Zoozmann hat also den ersten Puzzlestein schon hingelegt, der von Lemosi ist
Girault de Bornelh. Wenn wir solche Verse lesen, sehen wir unmittelbar ein,
warum Dante heute weltweit bewundert wird. Wir haben zwei völlig unbekannte
Dichter, deren Werk nur noch bruchstückhaft vorliegt, wobei diese Bruchstücke
nicht mal den Leuten bekannt sein dürften, deren Glut für den Dichter
durch Steuergelder angeheizt wird. Hier teilt uns Dante mit, dass der eine dem
anderen natürlich weit überlegen ist, ohne uns aber mitzuteilen, worin
die Überlegenheit besteht. Dem Autor stellt sich somit eine wirklich gewichtige
Frage. Es gibt ja eine breite Debatte innerhalb der Frankfurter Schule und ihres
Umfeldes (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Walter Benjamin, Herbert Marcuse
etc.) über die Rezeption von Kunstwerken im Zeitalter der Kulturindustrie
und über die industrielle Produktion und Verbreitung von Kunst. Man kann
sich aber fragen, ob die Rezeption von Kultur durch den staatlich organisierten
Apparat und deren steuergeldfinanzierten verbeamteten Geistlichen nicht das
spannendere Thema wäre. Mag sein, dass die Artefakte der Kulturindustrie
die Wiederkehr des ewig Gleichen sind, genau genommen, wird man dies kaum bestreiten
können. Weit größer ist aber der Leerlauf des pseudowissenschaftlichen
universitären Geblubbere und bei den dort tätigen Jungs und Mädels
scheint das „kulturelle“ Interesse Hand in Hand zu gehen mit dem
Bedürfnis, ein sicheres Plätzchen hinter einem Schreibtisch zu ergattern.
Wir haben also insgesamt drei Dichter. Zum einen Guinizelle, das ist der, mit
dem sich Dante gerade unterhält, zum anderen der, der über ihnen steht,
das ist wohl Arnault Daniel und schließlich noch der, der, nach Ansicht
von Guinizelle, weit unter diesem steht, das ist Girault de Bornelh. Dass es
über Guinizelle wenig historisch Gesichertes zu berichten gibt, haben wir
bereits erwähnt. Über Arnaut Daniel ist wenig bekannt. Geboren wurde
er um 1150 in der Dordogne (Frankreich, Department zwischen Paris und den Pyrenäen),
und er starb etwa um 1210. Er dichtete auf okzitanisch, eine Tatsache, auf die
wir gleich zurückkommen werden. Überliefert sind 12 Gedichte. Da Dante
weiter oben schreibt, dass er auch Romane geschrieben hat (Mit seinen Liebesliedern
und Romanen) ist davon auszugehen, dass er dies auch tatsächlich getan
hat. Diese sind aber nicht mehr vorhanden. Girault de Bornelh wurde etwa um
1160 geboren und starb etwa um 1220. Er stammt aus der Nähe von Limoges
(Frankreich). Er hatte
Verbindungen zu den meisten Königshäusern der damaligen Zeit und begleitete
Richard Löwenherz auf seinem Kreuzzug. Das Urteil Dantes über ihn
ist unterschiedlich. Hier ist steht er ja ganz weit unter Arnaut Daniel. Das
ist in der Schrift "de vulgare eloquentia" noch anders. Dort zählt
er Girault de Bornelh noch zu den drei größten Troubadours der Provence,
wobei er Girault de Bornelh für den größten Dichter der Tugend
hält, Arnaut Daniel für den größten Dichter der Liebe und
Betrand de Born für den größten Dichter des Krieges. Aus irgendwelchen
Gründen ist Giraut de Bornelh dann aber im Rang gesunken.
Sie trauen dem Gerücht, dem äußeren Schein
Und fällen , der Vernunft und Kunst zum Hohne,
Vorschnellen Spruch, der ungerecht muss sein
In Anbetracht der Tatsache, dass Dante im 24. Gesang der Unterhaltung
zwischen Vergil und Statius gelauscht hat, in der diese sicher Kriterien herausgearbeitet
haben, die es erlauben den Wert einer Dichtung zu beurteilen, sind wir jetzt
doch etwas enttäuscht. Wir hätten vermutet, dass Dante aus diesem
Gespräch einen Nutzen gezogen hat, er also jetzt die Argumente vorträgt,
die er dort gehört hat. Aber auch dort haben wir uns schon darüber
gewundert, dass er uns zwar erzählt, dass Vergil und Statius ins Gespräch
über Literatur vertieft sind, uns aber über den Inhalt des Gesprächs
nichts berichtet. Ich würde sagen, er hat schlicht die Argumente, die diese
vorgetragen haben, nicht verstanden und deswegen hat er uns auch nichts darüber
berichtet.
So priesen auch die Alten den Guittone,
Den blinder Lober Lobspruch hochgeschraubt,
Bis bessrer Wahrheit doch verblieb die Krone
Der Autor gibt zu, dass er das immer schon mal wissen wollte, dass irgendwelche
Leute den Guittone grundlos gelobt haben, bis, aus welchen Gründen auch
immer, die Wahrheit ans Licht kam. Den Guittone d'Arezzo kennen wir schon aus
dem 24. Gesang.
Ich sprach: „Wenn mich erfüllt der Liebe Geist
Lausch ich der Melodie, zu deren Noten
Den Text zu schreiben mich‘ s dann mächtig reißt“
Drauf er: „Jetzt, Bruder, seh ich wohl den Knoten,
Der den Notar verstrickt, mich und Guittone,
Und uns den neuen süßen Saft verboten“
Was euch der Geist diktiert, in treuer Frone
Hin auf‘ s Papier zu werfen, war euch eigen-
Wir aber klebten starr an der Schablone.
Also der Guittone ist der, der, nach der Auffassung Dantes, ein hohler
Wortdrechsler ist. Dies unterscheidet ihn deutlich von Dante, findet Dante.
Doch wenn so hohes Vorrecht dir erlaubt,
Du Glücklicher, das Kloster zu betreten,
Wo Christus herrscht, als des Kapitels Haupt-
So magst du mir ein Vaterunser beten,
Soviel uns nottun mag in dieser Welt,
Wo ausgeschlossen sündiges Übertreten
Guinizelli bittet also Dante, wie schon x andere vor ihm, für die
im Läuterungsberg Büßenden (da wird man ja nicht mehr in Versuchung
geführt, das sündige Übertreten ist da ausgeschlossen, was wiederum
auf der Erde nicht so sein kann, denn dann hätten Gottes Kinder ja quasi
keinen freien Willen mehr) zu beten.
Drauf sah ich – um dem Nachbar wohl das Feld
Zu räumen – Guido in die Flammen gleiten
Wie sich ein Fisch zum Grund des Teiches schnellt
Guido Guinizelli lässt also wieder die reinigende Kraft des Feuers
über sich ergehen und Dante beschäftigt sich mit einem anderen Dichter,
dem oben bereits erwähnten Arnault Daniel.
Doch näher trat ich nun zu jenem zweiten,
Beteuernd ihm, dass seines Namens wegen
Mein Herz im Frohwillkommen möchte bereiten
Da kam sein Freimut freundlich mir entgegen:
„Beglückt, dass euer Wunsch so artig töne,
Ziemt sich‘ s mir nicht, auf‘ Schweigen mit zu legen
Dieser Arnault Daniel dichtete aber auf Okzitanisch, genauer genommen
auf Provenzalisch, einer Untergruppe, der unter dem Begriff Okzitanisch zusammengefassten
Sprachen. Okzitanisch war lange Zeit genauso gebräuchlich wie Französisch,
wurde dann aber im Zuge der zunehmenden Zentralisierung Frankreichs, in jenem
Zentrum, Paris nämlich, wurde ja Französisch gesprochen, zurückgedrängt.
Okzitanisch sprechen heute etwa 2 Millionen Menschen als Zweitsprache. Das heutige
Verbreitungsgebiet des Okzitanischen ist Südfrankreich, eine sehr kleine
Region in Katalonien (Spanien) und einige Täler in den Piemonteser Alpen
(Italien). Arnault Daniel spricht ausschließlich in Okzetanisch / Provenzalisch.
Sie brauchen also nicht versuchen, die letzten zwei Terzinen zu entschlüsseln,
es ist nicht Italienisch. (Provenzalisch ist alles, was zwischen den zwei Sternen
steht).
El cominciò liberamente a dire:
«*Tan m’ abellis vostre cortes deman,
qu'ieu no me puesc ni voill a vos cobrire.
Ieu sui Arnaut, que plor e vau cantan;
consiros vei la passada folor,
e vei jausen lo joi qu'esper, denan.
Ara vos prec, per aquella valor
que vos guida al som de l'escalina,
sovenha vos a temps de ma dolor*!».
Poi s'ascose nel foco che li affina.
Das wirft jetzt natürlich die Frage auf, ob Dante Provenzalisch
konnte. Okzitanisch / Provinzalisch hatte im Hochmittelalter eine bedeutende
Stellung als Literatursprache und wurde an vielen Fürsten- / Königshöfen
gesprochen. Es ist also durchaus möglich, dass Dante dieser Sprache mächtig
war. Es soll aber keiner auf die Idee kommen, dass für jemanden, der des
Italienischen mächtig ist, das Okzitanische ein Klacks ist. Der Autor spricht
drei romanische Sprachen, Spanisch, Französisch und Italienisch, aber bei
den Versen oben versteht er schlicht nur Bahnhof.