Zur Stunde, wo des Tages Wärme schwindet
Und nicht des Mondes Nachtfrost lindern kann
Weil Erdball und Saturn sie überwindet
Das ist schon ein bisschen wirr, das ist aber tatsächlich so.
Ne l‘ora che non può 'l calor diurno
intepidar più 'l freddo de la luna,
vinto da terra, e talor da Saturno
Zur Stunde als die Wärme des Tages
die Kälte des Mondes nicht kann lindern
weil von der Erde und Saturn sie überwunden
Soll wohl heißen, dass die Erde eine Grundwärme hat (weil sie
sich aufheizt?) und diese normalerweise reichen würde, die Kälte des
Mondes zu überwinden. Da nun aber die Erde und der Saturn an sich schon kalt
sind, reicht diese Grundwärme nicht. Wieso er nicht schlicht und einfach
sagt, dass, wenn die Sonne weg ist, es halt kalt wird, eine Erfahrung, die er
wahrscheinlich gemacht hat, ist ein Rätsel. Im Übrigen ist das mit der
Erderwärmung Blödsinn. Erstens ist die Erde kein kalter Planet, Dante
hätte das wissen können, denn vom Ausbruch des Vesuv am 24. August 78
nach Christus, der zur vollständigen Zerstörung Pompejis führte,
hatte er wahrscheinlich Kenntnis. Und weiter gibt es unstrittig eine Erderwärmung,
allerdings spielt sich das in Größenordnungen ab, die erst heute gemessen
werden können. Indem man den Finger in den Boden steckt, kann man die Schwankungen
nicht ermitteln. Dante hat wohl irgendwo, irgendwas gelesen, aber nicht richtig
verstanden.
Wenn fern im Osten die Geomanten dann
Ihr größtes Glück im Sonnenaufgang sehen
Indes das Licht allmählich zieht heran
Diese Terzine ist erstmal weitgehend sinnfrei, da ist es immer wieder spannend
zu sehen, ob eine andere Übersetzung auch so herrlich sinnfrei ist und in
der Tat, auch die von Gmelin ist vollkommen sinnfrei.
Und da die Sternendeuter guter Kunde
Im Osten sehen, vor dem Morgengrauen
Auf einem Wege, der nicht lang mehr dunkelte
Schauen wir uns also mal das italienische Original an.
- quando i geomanti lor Maggior Fortuna
veggiono in oriente, innanzi a l'alba,
surger per via che poco le sta bruna –
Wenn die Geomanten zu ihrem höchsten Glück
nach Osten schauen, der aufgehenden Sonne entgegen
Sehen sie dadurch, dass nur wenig ihnen ist verborgen
Das ist dann zwar immer noch ziemlich sinnfrei, aber immerhin haben wir
etwas, was irgendwie einen Sinn ergibt. Die Geomanten (was das ist sehen wir gleich)
schauen der Sonne entgegen und sehen dadurch, dass ihnen nur wenig verborgen ist.
Das Erste, worüber wir stolpern, ist der Begriff geomanti, im Singular geomanto.
Die Geomantie wird heute im deutschsprachigen Sprachraum als eine Fitzliputzli
Wissenschaft verstanden, die sich damit beschäftigt, „Energieströme
“ausfindig zu machen. Zur Dantes Zeit wurde darunter auch eine abgespeckte
Variante der Astrologie verstanden. Ursprünglich waren diese Praktiken in
Nordafrika beheimatet, sind dann aber über Übersetzungen aus dem Arabischen
auch im mittelalterlichen Europa verbreitet worden. Dass Dante den Begriff geomanto
überhaupt verwendet, lässt nichts Gutes vermuten. Aus der Terzine lässt
sich aber erstmal nicht entnehmen, ob er an diesen Hokuspokus glaubte oder nicht
und noch weniger, was die geomanti überhaupt sahen.
Zu dieser Stunde sah ich vor mir stehen
Im Traum ein Weib: Bleich, schielend, stammelnd, hinkend
Verstümmelt an den Händen, krumm im Gehen
Anstarrt ich sie – und wie die Sonne blinkend
Erklammte Glieder löst vom Frost der Nacht
So schien sie – gleichsam neues Leben trinkend
Aus meinem Blick – erweckt zu alter Pracht
Zum Sprechen angeregt, die bleiche Wange
Rosig behaucht, von Liebe wie entfacht
Die Zunge löste sich und mit Gesange
Berauschte sie mein Ohr, dass ich mit Not
Mein Herz entriss dem zauberhaften Zwange
Abgesehen davon, dass es sich um einen christlichen Topos handelt, und
zwar um einen hässlichen, das Weib als Verführerin (realistischer ist
wohl die Typen als Verführer), ist es als Warnung vor der Sünde Geiz
/ Habsucht, die auf der nächsten Terrasse gebüsst wird, wenig geeignet.
Er beschreibt, dass die Begierde etwas Hässliches schön erscheinen lassen
kann. (Man könnte auch positiv formulieren, die Sympathie entdeckt das Schöne
in einer etwas verunglückten Hülle.) Das Problem ist, dass es nicht
zum Geiz / zur Habsucht passt. Der Geiz / die Habsucht wirkt sich eher dahingehend
aus, dass gar keinem Genuss mehr gefolgt wird, zumindest wenn er Geld kostet.
Geiz / Habsucht ist nicht sparen, denn sparen ist zweckgerichtet, zielt auf den
Erwerb von etwas, während der Geizige / Habsüchtige eben gar nichts
erwerben will. Welche Vorstellung von Geiz / Habsucht Dante auch immer im Sinn
gehabt haben mag, das Bild passt nicht. Es wird auch nicht besser, wenn er es
mit dem Bild der Circe aus der Odyssee verbindet, denn auf diese Episode stellen
diese Verse ab.
Sie sang: „Sirene bin
ich und mein Boot
Den Schiffer lock ich an, wenn ich beginne
Weil ihn mein Lied mit Liebeslust durchloht
Ach der Ulysses zog mein Sang der Minne
Vom Irrpfad ab, wer erst in meinen Banden
Verlässt mich nicht: so lab ich ihm die Sinne
Bei Homer lautet die entsprechende Stelle (12. Gesang der Odyssee)
Dieses hast du denn alles vollbracht; vernimm nun, Odysseus,
Was ich dir sagen will: Des wird auch ein Gott dich erinnern.
Erstlich erreichet dein Schiff die Sirenen; diese bezaubern
Alle sterblichen Menschen, wer ihre Wohnung berühret.
Welcher mit törichtem Herzen hinanfährt, und der Sirenen
Stimme lauscht, dem wird zu Hause nimmer die Gattin
Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;
Denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Sirenen,
Die auf der Wiese sitzen, von aufgehäuftem Gebeine
Modernder Menschen umringt und ausgetrockneten Häuten.
Aber du steure vorbei, und verkleibe die Ohren der Freunde
Mit dem geschmolzenen Wachse der Honigscheiben, daß niemand
Von den andern sie höre. Doch willst du selber sie hören;
Siehe dann binde man dich an Händen und Füßen im Schiffe,
Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen:
Daß du den holden Gesang der zwo Sirenen vernehmest.
Flehst du die Freunde nun an, und befiehlst die Seile zu lösen;
Eilend feßle man dich mit mehreren Banden noch stärker!
Bei Homer ist das Bild schlüssig. Dass man von bestimmten Dingen so fasziniert
sein kann, dass der Verstand aussetzt, ist ohne weiteres für jeden nachvollziehbar,
außer vielleicht für Leute wie Dante, die in ihrem statistischen Weltbild
so festgefahren sind, dass sie zu keiner spontanen Regung mehr fähig sind.
Das Unfertige, das Offene, die Spontaneität sind aber das, was das Glück
ausmacht. Antworten können ziemlich langweilig sein, wie Goethe schon treffend
bemerkte.
So gib mir auch die Zeiten wieder,
da ich noch selbst im Werden war,
da sich ein Quell gedrängter Lieder
ununterbrochen neu gebar,
da Nebel mir die Welt verhüllten,
die Knospe Wunder noch versprach,
da ich die tausend Blumen brach,
die aller Täler reichlich füllten!
Ich hatte nichts und doch genug:
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug!
Gib ungebändigt jene Triebe,
das tiefe schmerzenvolle Glück,
des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
gib meine Jugend mir zurück!
Wollte man einen ganz schweren Hammer aus der Werkzeugkiste holen, also mit Adorno
argumentieren, dann würde man die Episode aus der Odyssee genau so interpretieren.
Die Abschottung gegen die spontane, glückspendende Erfahrung sichert zwar
das Überleben, aber dieser Prozess der Rationalisierung kappt eben auch die
Verbindung zur spontanen Regung.
Wie auch immer, als warnende Darstellung des Geizes, ist das Bild Dantes absolut
nicht suggestiv. Dass, wenn der Verstand dann einsetzt, bestimmte Objekte der
Begierde hässlich sind, mag so sein, manchmal, aber wie gesagt, es passt
nicht zum Geiz.
Kaum dass sie endete, war aufgestanden
Ein heilig Weib schon plötzlich neben ihr
Das machte den Gesang mit Zorn zuschanden
Und da sich die Klugheit nur an den Verstand wendet, spricht sie also mit
Vergil und nicht mit Dante.
Indem sie rief: „Wer ist dies Weibsbild hier,
Virgil, o mein Virgil?“ – und rascher Hand
Den Blick zur Heiligen richtend voll Begier
Ergriff er die Sirene, das Gewand
Ihr vorn zerreißend, mir den Leib zu zeigen
Da weckte mich des Missduft, der entstand
Um abzuschätzen, was für Dante möglich gewesen wäre, müsste
man sehr viele Informationen über die mittelalterliche Gesellschaft haben.
Suggestiv wäre zum Beispiel ein verkrüppeltes Männlein, mit verschränkten
Armen, das nichts mehr sieht und hört und auf einem riesigen Sack Geld sitzt,
oder irgendwas in der Art. Eine Stimme fordert sie auf, sich zum Aufgang zu begeben.
Den sanften Sprecher sah ich nun entfalten
Den Schwanensittich und nach oben gingen
Auf seinen Wink wir durch die Felsenspalten
An dem Schwanensittich zweifeln wir natürlich jetzt instinktiv und
in der Tat, es ist etwas frei übersetzt.
Con l'ali aperte, che parean di cigno,
volseci in sù colui che sì parlonne
tra due pareti del duro macigno
Mit offenen Flügeln, die denen eines Schwanes
glichen
zeigte uns den Weg, der so gesprochen
Zwischen zwei Mauern im harten Gemäuer
Die offenen Flügel deuten aber an, das war bis jetzt immer so, dass
ein weiteres P von der Stirn Dantes getilgt ist. Dante und Vergil machen sich
auf zur fünften Terrasse, wo die Geizigen büßen.
Doch lass sich rüstig nun den Fuß erweisen
Empor, blick auf die Lockung, die dort blaut,
Vom Herrn der Welt gedreht in ewgen Kreisen!
Die Verse sind jetzt natürlich wieder weitgehend sinnfrei. Da wird
irgendeine Lockung in ewigen Kreisen gedreht, das ist natürlich schlecht,
man will ja nicht immer gelockt werden, irgendwann will man ja auch mal ankommen.
Also das italienische Original sieht so aus.
Bastiti, e batti a terra le calcagne;
li occhi rivolgi al logoro che gira
lo rege etterno con le rote magne
Rüste dich und schlag die Fersen in den Grund
die Augen richte auf jenen der dreht
das ewige Reich mit riesen Rädern
Er soll seine Augen also auf Gott richten.
Und wie der Falk die Füße erst beschaut
Die Schwingen auf den Anruf dann entfaltet
Zum Rand die Fänge reckend, scharfbeklaut
So tat auch ich: Und wo der Fels sich spaltet
Durchklomm ich den Kamin mit Drehn und Schmiegen
Bis wo der Vorsprung sich zum Sims gestaltet
Am Ende dieser Verse, nachdem er sich sozusagen wie ein Falke auf der Jagd
nach Beute nach oben hochgearbeitet hat, sind sie auf der fünften Terrasse
angekommen (bis wo der Vorsprung sich zum Sims gestaltet).
„Adhaesit pavimento anima“
So klagten sie, doch lauter als ihr Klagen
Erschollen ihre Seufzer Oh und Ah
„Adhaesit pavimento anima“ stammt aus dem 119 Psalm 25 Strophe
(„Meine Seele liegt im Staube; erquicke mich nach deinem Wort!“).
Ausnahmsweise ist hier mal nicht Dante alleine Schuld, schon die Bibelstrophe
ist reichlich nichtssagend. Irgendwie hat da jemand eine Depriphase, und die Worte
von irgendjemandem sollen ihn erquicken. Was völlig verloren geht, ist die
Idee des contrapasso, der zur Sünde adäquaten Buße. Denn die Seele
kann aus ganz verschiedenen Gründen am Boden liegen, kleben, haften oder
was auch immer. Weiter haben wir auch wieder das dubiose anima, wir wissen also
gar nicht, wer da am Boden liegt: Die Seele, der Geist, das Gemüt?
„Ihr Auserkornen Gottes, deren Plagen
Gerechtigkeit und Hoffnung mild versüßen
Zeigt uns die Stiegen, die zum Heil uns tragen!“
An der Stelle wird jetzt das im Staub liegen, endgültig Karneval.
Denn wenn sie genau wissen, dass das nur eine Durchgangsstadion zum Paradies ist,
dann ist es wohl nicht so tragisch.
Diese Übersetzung ist dann wieder weitgehend sinnfrei.
So bat Vergil, so ward Bescheid gegeben
Unweit von uns. Ich merkte, inwiefern
Des Schattens Zweifel wäre zu beheben
Das klingt dann so, wie wenn der Schatten einen Zweifel hätte und
dieser zu beheben wäre. So geht das natürlich nicht. Das italienische
Original sieht so aus.
Così pregò 'l poeta, e sì risposto
poco dinanzi a noi ne fu; per ch'io
nel parlare avvisai l’ altro nascosto
So bat der Dichter und dies war die Antwort
nicht weit von uns entfernt, und ich
erkannte als er sprach, dass dieser sich versteckte
Derjenige der spricht, spricht also irgendwie inmitten der Menge, von den
Anderen versteckt. Dante will nun wissen, wer da spricht. Dass Vergil sein hochverehrter
Lehrer ist, ohne dessen Erlaubnis er nicht mal mit der Wimper zuckt, wissen wir
inzwischen. Er fragt also Vergil, ob er fragen darf, und da dieser wiederum die
Gedanken Dantes lesen kann, stimmt er ihm zu, bevor er überhaupt fragt.
Worauf ich, da mir‘ s freistand nach Belieben
Zu jenem ging, der durch sein zweifelnd fragen
Mir deutlich im Gedächtnis war geblieben
Die Methode von Zoozmann, reim dich oder erschieß dich, erweist sich
immer wieder als dem Verständnis abträglich. Weder hat der Antwortende
zweifelnd gefragt, noch sind seine Worte Dante im Gedächtnis geblieben. Er
hat sich schlicht denjenigen gemerkt, der gesprochen hat.
Das italienische Orginal sieht so aus.
Poi ch'io potei di me fare a mio senno,
trassimi sovra quella creatura
le cui parole pria notar mi fenno
Nun da ich konnte walten nach Belieben
beugte ich mich über die Gestalt
deren Worte vorher meine Aufmerksamkeit erregten
Der Angesprochene stellt sich Dante nun vor.
Und jener sprach: „Weshalb den Rücken wir
Zum Himmel kehren, will ich nicht verschweigen,
Doch erst vernimm: Mein war der Tiara Zier!
Da hat nun Zoozmann zwar nicht interpretiert, aber gewaltig umgedichtet.
Tiara ist die Papstkrone. Der, der spricht, war also Papst. Zoozmann sah sich
also mit dem Problem konfrontiert, dass er nichts gefunden hat, was sich auf wir
reimt.
Das Original sieht so aus.
Ed elli a me: “Perché i nostri diretri
rivolga il cielo a sé, saprai; ma prima
*scias quod ego fui successor Petri*”
Und er zu mir: „Warum den Rücken wir
Zum Himmel kehren, wirst später du erfahren: doch erst
*scias quod ego fui successor Petri*”
Wobei das „scias quod ego fui successor Petri“ lateinisch ist
und „wisse dass ich der Nachfolger Petri bin heisst. Er war also Papst.
Soweit so gut. Jetzt wissen wir aber immer noch nicht welcher. Wir erhalten nun
ein paar Daten, die es uns erlauben, zu ermitteln, um welchen Papst es sich handelt.
Es sinkt von Seftis grünen Felsensteigen
Ein schöner Fluss, es leitet von ihm her
Mein Stamm den Titel, der ihm ist zu eigen
Mir zeigten kaum fünf Wochen: Es ist schwer,
Dass man dem großen Mantel Schmutz erspare
Ein Flaum sind alle Bürden neben der!
Auch hier ist das Orginal klarer.
Intra Siestri e Chiaveri s'adima
una fiumana bella, e del suo nome
lo titol del mio sangue fa sua cima.
Un mese e poco più prova' io come
pesa il gran manto a chi dal fango il guarda,
che piuma sembran tutte l'altre some.
Zwischen Siestri und Chiaveri regt
sich eine schöner Fluss, und dessen Namen
trägt mein Geschlecht auf seinem Haupte
Nur wenig mehr als einen Monat erfuhr ich
Das Gewicht des großen Mantels, den man vor Schmutz bewahre,
im Vergleich zu diesem scheinen alle Bürden Federn
Wir wissen also, dass es zwischen Siestri und Chiaveri einen Fluss gibt,
und dass er so heißt wie der Fluss. Weiter wissen wir, dass er nur etwas
mehr als vier Wochen Papst war. Gemeint sind die Städte Chiavari und Sestri
Levante, zwischen denen der Fluss Lavagna fließt. Es handelt sich also um
den Grafen von Lavagna, der vom 11. Juli 1276 bis zum 18. August 1276 Papst war.
Fraglich ist, ob der Namensgeber tatsächlich der Fluss war, denn außer
Chiavari und Sestri Levante gibt es in dieser Gegend noch eine Stadt Lavagna und
wahrscheinlicher ist, dass diese der Namensgeber war. Wen es interessiert, alle
drei Städte / Dörfer liegen in Ligurien und Ligurien ist da.
Bild
Dieser Graf von Lavagna hat dann als Papst den Künstlernamen Hadrian V.
Alle Verse, die jetzt kommen, müssten mit den historischen Fakten abgeglichen
werden, vordergründig deutet erstmal nichts darauf hin, dass Dante eine
Beschreibung abliefert, die irgendwas mit der historischen Person zu tun hat.
Ungeachtet dessen, ist aber auch noch die Übersetzung von Zoozmann weitgehend
sinnfrei.
Spät war‘ s, dass ich das Heil erkannte, das
Wahre
Doch kaum gesalbt als Hirt der Christenherde
Sah ich die Lüge rings, die Offenbare
Sah, dass mein Herz dort nicht befriedigt werde
Und – weil die Welt mir höhern Rang nicht bot
Wandt ich den Sinn zum Himmel von der Erde
Also nach Zoozmann hat er erkannt, dass die Erde ein Jammertal ist, aber
in diesem Jammertal wollte er Karriere machen, was aber nicht ging und deswegen
hat er sich dem Himmel zugewandt. Wenn dem so wäre, dann hätte Dante
ihn besser in die Hölle gesetzt.
Im Original lauten die Verse so.
La mia conversione, omè!, fu tarda;
ma, come fatto fui roman pastore,
così scopersi la vita bugiarda.
Vidi che lì non s'acquetava il core,
né più salir potiesi in quella vita;
per che di questa in me s'accese amore.
Spät erst besann ich mich eines Besseren
Aber als Papst erkannte ich dann
Wie verlogen diese Welt
Sah, dass auf dort mein Herz keine Ruhe finden
konnte
und sich auch nicht aufrichten könne, in jenem Leben
weil für dieses Leben meine Liebe entflammte
Und dann macht auch der nächste Vers Sinn, was er bei Zoozmann nicht
tut.
Bis dahin war mein Herz vom Geiz durchloht
Elend, dem Herrn entfremdet, darum fällt,
Du siehst es, hier auf uns solche große Not
Also bei Zoozmann konnte er keine Karriere auf Erden machen, deshalb
hat er sich dem Himmel zugeneigt und sein Herz war von Geiz durchloht.
Das Original sieht so aus.
Fino a quel punto misera e partita
da Dio anima fui, del tutto avara:
or, come vedi, qui ne son punita.
Bis zu diesem Punkt war meine Seele elend
und enfernt
Von Gott, ganz in der Habsucht gefangen
dass ich hier, wie du siehst, die Strafe dafür empfange
Also als Papst war ihm zwar schon klar, dass auf Erden nur Lug und Trug
herrscht, dass die Erde ein Jammertal ist, aber da er sich den irdischen Dingen
zugewandt hatte, konnte er sich auch nicht zum Himmel emporschwingen. Wahrscheinlich
will uns Dante den freien Willen illustrieren. Die Liebe greift nun mal nachdem,
was ihr vor die Linse kommt, aber der Verstand hat dann die Möglichkeit,
das Objekt der Begierde zu bewerten, und dieser Papst hat also im Vollbesitz
seiner geistigen Kräfte und in vollem Bewusstsein, dass das Objekt seiner
Begierde vor dem Herrn keine Zustimmung findet, dieses obskure Objekt seiner
Begierde erwählt. Hätte Dante das einfacher sagen können? Er
hätte. Haben wir hier nicht im Grunde eine Trivialität vor uns, die
man schon im Kindergarten lernt? Wir haben. Sind die Rolling Stones nicht wirklichkeitsnäher?
Sie sind: „And you can‘ t allways get what you want, but you can
try sometimes, to get what you need.“ Brauchen wir Gott, um zu erkennen,
was man besser nicht tut? Wir brauchen ihn nicht. Wie heißt es so schön
bei Violeta Parra?
Grácias a la vida que me ha dado tanto
me dio el corazón que agita su marco
cuando miro el fruto del cerebro humano
cuando miro el bueno tan lejos del malo
cuando miro el fondo de tus ojos claros
Dank dem Leben, das mir soviel gegeben hat
das Herz mir gab, dass pocht in seinem Rahmen
wenn ich die Frucht des menschlichen Geistes betrachte,
wenn ich das Gute betrachte, so weit entfernt vom Bösen
wenn ich in auf den Grund deiner klaren Auge schaue
Das Problem bei Dante ist, dass er die ganze Welt aus dem engen Gerüst
seines Systems betrachtet. Von Dante führt ein direkter Weg zu Erich Honecker
und Konsorten. Es ist eine Art Rationalismus, über den schon Goya zutreffend
bemerkte: „El sueño de la razón, produce monstruos“
oder „Der Traum von der Vernunft, produziert Monster“. Wobei man
Vernunft hier genauer definieren müsste. Vernunft wird hier ein staubtrockenes
System, in dem es nur noch schwarz und weiß gibt. Dies dürfte auch
bedingen, dass Dante unfähig war, Figuren tatsächlich zu schildern.
Sie sind nur noch Illustrierungen seines Systems, an Menschen ist er nicht interessiert.
Es interessiert ihn nicht mal, ob irgendwas aus der Biographie Hadrian V darauf
hindeutet, dass die historische Figur irgendetwas mit der Beschreibung zu tun
hat, die er von ihr liefert.
Sinnbildlich wird, was Geiz bewirkt, dargestellt
Zur Läuterung derer, die gesündigt haben
Nicht härtere Strafe dieser Berg enthält
Und das ist eben genau das Problem. Es wird nichts sinnbildlich dargestellt.
Dass der Geiz / die Habgier nur der Erde zugewandt ist, die Büßenden
folglich auf dem Bauch liegen, die Erde betrachtend, ist eben gerade nicht sinnbildlich.
Es ist unspezifisch, träfe, wenn man in den Kategorien Dantes denkt, auf
alles mögliche zu, etwa auf die Wollust und die Völlerei. Es ist eben
kein suggestives Bild, sondern die trockene Frucht eines Systems. Dante verliert
sich in Begriffen, sieht hinter Begriffen keine lebendigen Wirklichkeiten mehr
und kann deshalb auch keine suggestiven Bilder schaffen. Er ist das Gegenteil
eines Dichters. Letzterer trägt das Leben in die Wörter hinein, Dante
trägt das Leben aus den Wörtern hinaus.
Geiz war‘ s, der allem Guten widerstrebte
Der jeden Liebestrieb uns unterbunden
Dass hier Gerechtigkeit uns Fesseln webte
Hier ist die Übersetzung von Zoozmann so weit vom Original entfernt,
dass wir sie besser vergessen.
Das Original sieht so aus.
Sì come l'occhio nostro non s’ aderse
in alto, fisso a le cose terrene,
così giustizia qui a terra I merse
Weil doch unser Auge sich nicht erhob
zur Höhe, gebannt es starrte auf die irdischen Dinge
bindet uns Gerechtigkeit hier auf die Erde
Was er uns mit diesen Bildern sagen will, hat uns Dante schon ausführlich
erklärt. Er hat angedeutet, dass man das irgendwie im Sinne des Aristoteles
oder des Thomas von Aquin verstehen soll. Aber irgendwie schafft er es nicht,
das Ganze suggestiv aufzubereiten. Irgendwie kommen die erhabenen Gefühle,
Neigungen von oben und wenn von oben nichts mehr kommt, dann klebt man halt
an der Erde. Das wirkt alles sehr theoretisch, hölzern, weltfremd, papiermäßig.
Begriffst du je des Evangeliums Lehre
Vom neque nubent wird sich dir erklären
Mein Wort, kraft des ich deinen Knieen wehre
Was will uns Dante sagen? Er bezieht sich auf das Evangelium des Markus,
12, 18-27: „Da traten die Sadduzäer zu ihm, die da halten, es sei
keine Auferstehung; die fragten ihn und sprachen: Meister, Mose hat uns geschrieben:
Wenn jemands Bruder stirbt und hinterläßt ein Weib, und hinterläßt
keine Kinder, so soll sein Bruder sein Weib nehmen und seinem Bruder Samen erwecken.
Nun sind sieben Brüder gewesen. Der erste nahm ein Weib; der starb und
hinterließ keinen Samen. Und der andere nahm sie und starb und hinterließ
auch nicht Samen. Der Dritte desgleichen. Und es nahmen sie alle sieben und
hinterließen nicht Samen. Zuletzt nach allen starb das Weib auch. Nun
in der Auferstehung, wenn sie auferstehen, wes Weib wird sie sein unter ihnen?
Denn sieben haben sie zum Weibe gehabt. Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen:
Ist's nicht also? Ihr irrt darum, daß ihr nichts wisset von der Schrift
noch von der Kraft Gottes. Wenn sie von den Toten auferstehen werden, so werden
sie nicht freien noch sich freien lassen, sondern sie sind wie die Engel im
Himmel. Aber von den Toten, daß sie auferstehen werden, habt ihr nicht
gelesen im Buch Mose's bei dem Busch, wie Gott zu ihm sagte und sprach: "Ich
bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs"? Gott aber
ist nicht der Toten, sondern der Lebendigen Gott. Darum irrt ihr sehr.“
Jesus macht also klar, dass es zwar auf Erden korrekt ist, wenn die Frau des
verstorbenen Bruders mit dem Bruder zwangsverheiratet wird, aber im Himmel gilt
das nicht mehr, da sind alle nur noch Engel. Auf lateinisch steigt der Wahrheitsgehalt
dieser Aussage beträchtlich, „neque nubent“ heißt „sie
werden nicht freien“. Diese Aussage genereralisiert Dante nun irgendwie
dahingehend, dass es im Himmel weder Rang noch Ordnung gibt und alle gleichgestellt
sind. Was das an dieser Stelle soll, ist allerdings unklar, denn eigentlich
geht es ja um den Geiz / die Habsucht.
Abschließend erwähnt er noch Alagia, das tut er wohl, weil Dante
ihn vorher gefragt hatte, ob es noch jemanden auf der Erde gäbe, von dem
er sich wünschte, dass er ihm unter die Arme greife.
Alagia, meine Nichte, lebt noch dort
Gut von Natur,wenn sie zu bösem Handeln
Nicht unseres Hauses Beispiel reißt mit fort
Über diese Alagia wissen wir natürlich gar nichts, weder ob
sie gut, noch ob sie böse war, und wir wissen auch nicht, inwiefern die
family ein gutes oder schlechtes Beispiel war. So wissen wir dann insgesamt
nicht, was wir mit der Terzine anfangen sollen. Wir nehmen aber zur Kenntnis,
dass Hadrian V im Läuterungsberg der Meinung ist, dass seine Nichte gut
ist, aber die family nicht und letztere folglich ein schlechtes Beispiel ist.
Nachdem wir das zur Kenntnis genommen haben, gehen wir zum 20 Gesang, ein Bierchen
trinken, legen uns auf die Wiese oder machen sonst irgendwas.