Der hohe Lehrer nahm, als er geendet
Aufmerksam einige Zeit mein Antlitz wahr
Ob mich befriedigt, was sein Wort gespendet

Wir wir bereits öfters gesehen haben, versteht Dante immer vollkommen, was Vergil sagt, das ist das, was Dante von uns unterscheidet. Da Vergil aber ganz offensichtlich ein Interesse daran hat, seinem wissbegierigen Schüler etwas beizubringen, er versucht ja sogar aus seinem Gesicht abzulesen, ob die Message angekommen ist, und welcher Lehrer tut das schon, verstehen wir die nächsten Verse nicht.

Ich hatte neue Durstempfingung zwar
Doch schwieg ich äußerlich und sprach nur innen
Mehr fragend fällt ihm lästig offenbar

Als wenn es Vergil lästig fallen würde, wenn sein Schüler ihn fragt, dann hätte er kaum versucht, aus seinem Gesichtsausdruck zu entnehmen, ob der Strom der Weisheit auch ins Hirn geflossen ist.

Drum sprach ich, „Trinkt mein Blick von deinem Lichte,
O Herr, so sieht er, wie der Nebel sinkt
Dass selbst das Verworrenste sich schlichte

Da werden wir uns also für die nächsten Verse echt herausgefordert fühlen. Werden wir verstehen, was Dante mühelos begreift? Die Frage also, die sich Dante stellt ist diese. Aber schon bedingt durch die Fragestellung ist Dante im Vorteil. Denn er stellt Fragen, die sich uns gar nicht stellen.

Sprich denn, dass mir dein Wort Erklärung bringt
Von jener Liebe, draus als ihrer Quelle
Nach deiner Ansicht Gut und Böse spring

„Nach deiner Ansicht“ ist ganz lustig, denn Vergil gibt hier die Ansichten des Thomas von Aquin wieder, welcher rund 1200 Jahre später gelebt hat. Koketiert Dante hier mit vermeintlichem Nichtwissen? So kennen wir ihn ja gar nicht. Manchmal hat er richtig Humor. Also aus der Liebe kann sowohl Gutes wie auch Böses entspringen. Ich seh das ja so. Führt die Liebe zu einer heißen Nacht, dann führt sie zu etwas Gutem, mündet sie in den Hafen der Ehe, dann sind alle Probleme vorprogrammiert. Aber ich vermute das sieht Vergil / Thomas von Aquin nicht so, und schon die nächsten Verse zeigen, dass ich falsch liege.

So merke auf mein Wort“, sprach er, „und schnelle
Wird jener Blinden Irrwahn dir zerstieben,
Die unberechtigt stehn an Führerstelle

Wir müssten jetzt also zweierlei Wissen: 1) was der Irrwahn ist und 2), wer jene sind, die sich als Führer ausgeben. Die erste Frage finden wir im Folgenden beantwortet, die zweite nicht.

Die Seele, die geschaffen schnell zu lieben
Strebt allem lebhaft zu, was ihr gefällt
Wenn wirklich Reizempfindung sie getrieben

Das stimmt so mehr oder weniger, das italienische Original sieht so aus.

L'animo, ch'è creato ad amar presto,
ad ogne cosa è mobile che piace,
tosto che dal piacere in atto è desto.

Der Geist, der geschaffen ward zu lieben
bewegt sich hin zu allem was gefällt
kaum, dass der Reiz ihn angezogen, sucht er schon zu stillen sein Begehren


Ist das jetzt eine Vertiefung dessen, was wir schon kennen? Bis jetzt war ja nur die natürliche Liebe so, die hammerhart und instinkthaft wusste, was sie begehrte, die hat keinen Geist mehr gebraucht. Jetzt auf einmal ist es der Geist selbst, der liebt. Dass er hier von animo und nicht von anima spricht, kann bedeutsam sein, oder auch nicht. Heute bedeuten beide unter anderem auch Geist und Seele. Wie immer das auch sein mag, wir stellen fest, dass diese Geistliebe oder dieser Liebgeist sich an alles ranmacht, was ihm gefällt, bis dahin verstehen wir das, das sagt auch Nina Hagen in jenem bekannten Lied: Wenn de scharf bist, musste rangehn.

Jetzt kommt irgendwie ein salto mortale in die Erkenntnistheorie.

Die Fassungskraft entnimmt der äußern Welt
Ein Bild, pflanzt es als Eindruck fort nach Innen
Wo es der Seele sich vor Augen stellt

Auch diese Idee geht auf Thomas von Aquin zurück. Gemeint ist, dass der intellectus agens in der Lage ist, aus konkreten Gegenständen ein allgemeines Konzept zu abstrahieren, aus völlig unterschiedlichen Tischen also den Begriff Tisch zu entwickeln. Ob es sich lohnt, das genauer zu analysieren, wird bestritten. Das Gehirn ist ganz allgemein in der Lage, in riesigen Assoziationsräumen zu denken, zu erkennen, was zum Beispiel ein Tisch ist, ist eines seiner geringsten Übungen. Wieso sich Plato, Aristoteles und Thomas von Aquin auf dieses Teilproblem eingeschossen haben, ist ein Rätsel. Das Gehirn kann auch mühelos Heterogenes verbinden, Schlüsse ziehen, Bekanntes neu verbinden etc. etc. Die Fähigkeit zur Abstraktion ist eine Eigenschaft, die allgemein mit der Fähigkeit des Gehirns zusammenhängt, nämlich sprachlos in riesigen Assoziationsräumen zu denken.

Neigt sie dem Bild sich, so ist die Beginnen
Dies holde Reigen Liebe ist Natur
Und teilt sich mit als Lustgefühl den Sinnen

Alles klar? Nö? Mir auch nicht. Es mag wohl sein, dass ein intensives Studium des Thomas von Aquin die Verse aufhellt, aber mein Bauchgefühlt sagt mir, dass derjenige, der sich für solche Fragen interessiert, besser ein Lehrbuch der Kognitionspsychologie in die Hand nimmt. Wir können aber mal versuchen zu ermitteln, was uns der Dichter mit seinen Andeutungen sagen will. Die Frage, ob die Versform oder überhaupt ein lyrisches Werk die Aufgabe hat, bestimmte Theorien in Versform darzustellen, würde man heute eher bezweifeln. Wer eine Theorie darstellen will, bzw. dazu Stellung nehmen will, der macht das besser in geraden Sätzen. Kunst ist das Nichtidentische, wie Adorno so treffend formulierte, sie stellt dar, was sich nicht sagen lässt, von daher ist die Darstellung eines theologischen Konzeptes in Versform albern, denn das hätte man besser in geraden Sätzen getan. Wie auch immer, das italienische Original sieht so aus.

Vostra apprensiva da esser verace
tragge intenzione, e dentro a voi la spiega,
sì che l'animo ad essa volger face;

e se, rivolto, inver' di lei si piega,
quel piegare è amor, quell'è natura
che per piacer di novo in voi si lega.

Das gibt dann ungefähr sowas.

Eure Fähigkeit zu Erkennen
erzeugt aus dem was euch umgibt das Bild , und klärt es in eurem Innern
neigt sich der Geist nur zu was euch umgibt

und dann, wenn der Geist bestrebt ist dies zu tun
dieses Bestreben, Liebe wird genannt, das ist die Natur
die aus Lust, in euch, immer wieder auf' s Neu' erwacht

Der erste Teil beschäftigt sich also mit der Frage, wie wir überhaupt etwas erkennen können und nach Dante / Thomas von Aquin können wir halt etwas erkennen, weil der intellectus agens uns mit der Fähigkeit ausgestattet hat, zu abstrahieren, also unter allen Pferden die Idee Pferd formen können. Wieso sich Dante / Thomas von Aquin auf das Erkennen kapriziert haben, weiß kein Mensch. Genau so gut hätten sie sich, das ist für Menschheit entscheidender, mit der Fähigkeit beschäftigen können, wieso der Mensch Schlussfolgerungen ziehen kann, Heterogenes verknüpfen kann / Ideen haben kann, Dinge denken kann, die es (noch) gar nicht gibt etc. etc. Wir sehen also, dass sich die Menschheit langsam vorwärts bewegt. Zuerst hatten wir den Erkennenrappel, dann hatten wir, und haben ihn immer noch, den Logischdenkenrappel und vielleicht kommen wir irgendwann mal dahin, über das nachzudenken, was den Menschen ausmacht, seine Kreativität, wobei Kreativität eine äußerst vielschichtige und komplexe Angelegenheit ist. Der zweite Teil stellt sich dann die Frage, warum man, abgesehen von der Fähigkeit, diese auch anwenden will und das ist nach Dante durch die Liebe bedingt, was erstmal nicht besonders plausibel ist. Die Maus erkennt die Katze nicht aus Liebe am Erkennen, sondern schlicht deswegen, weil sie bei Nichterkennen ein ernsthaftes Problem hat. Über die Spezies, die die Fähigkeit hatten zu erkennen, aber diese nicht nutzten, wissen wir nicht allzu viel, denn sie sind tot.

Denn wie die Flamme strebt nach oben nur
Durch Stoff und Form bedingt, dahin zu dringen
Wo minder schnell verwischt wird ihre Spur

So wird die Seele treibend euch beschwingen
Die geistige Bewegung, die nicht ruht
Bis sie das Heißersehnte darf umschlingen

Das ist eigentlich richtig, trotzdem nochmal das Original

Poi, come 'l foco movesi in altura
per la sua forma ch'è nata a salire
là dove più in sua matera dura,

così l'animo preso entra in disire,
ch'è moto spiritale, e mai non posa
fin che la cosa amata il fa gioire.

Wie das Feuer sich bewegt nach oben
weil durch seine Form bedingt es geboren ist zu steigen
dahin, wo es ganz in seinem Element

so ist der Geist beseelt von dem Verlangen,
das ist des Geistes Antrieb, und er rastet nie
bis das geliebte Ding, ihm Lust bereitet

Dante unterstellt also, dass es den Geist zur Erkenntnis drängt, wie die Flamme nach oben steigt, also sozusagen nach einem „naturgesetzlich en“Verlauf. Diese Aussage richtig einzuordnen wird nun schwer, weil so spontan niemand auf die Idee kommen würde, dass es irgendeinen Geist einfach so nach Erkenntnis drängt. Man hat im Gegenteil eher den Verdacht, dass es ganz ausgefeilte Techniken braucht, um die Menschheit zu motivieren, was zu lernen.

Drum sieh, wie unrecht man der Wahrheit tut
Wenn man den Irrtum teilt, den allgemeinen
An sich sei Liebe löblich stets und gut

Das ist jetzt irgendwie ein Rückgriff, auf das oben Gesagte. Es gibt eine Liebe, die mehr Instinkt ist, also sich alles greift, was ihr vor die Kralle kommt und eine andere, die der Mensch steuern kann. Was das jetzt mit dem Geist / der Anima zu tun hat, ist zwar nicht so richtig klar, aber man hat stark den Verdacht, dass es auch nicht klarer würde, wenn man länger darüber nachdächte.

Das ist dann wieder sehr frei übersetzt.

Der Stoff kann gut sein – wer will das verneinen?
Doch schützt davor des besten Wachses Masse
Dass Siegel unschön abgedruckt erscheinen

Das italienische Orginal sieht so aus

però che forse appar la sua matera
sempre esser buona, ma non ciascun segno
è buono, ancor che buona sia la cera

denn auch wenn es scheint, als sie die Substanz
von gleichbleibender Güte, so ist doch nicht jedes
Siegel gut, wie gut der Wachs auch sein möge

Also die Liebe ist immer, so scheint es, von gleichbleibender Güte, aber was sich da eindrückt in diese Liebe, kann eben, wie auch ein Siegel, das in Wachs gedrückt wird, von sehr unterschiedlicher Qualität sein. Das läuft irgendwie auf die „die Liebe ist blind“ hinaus, vermute ich. Das Problem ist immer das Gleiche. Dante hat kein literarisches Werk im engeren Sinne produziert, das also zu interpretieren ist, sondern beschreibt ein theologisches System, das aufgrund vager Andeutungen wiedererkannt werden soll. In diesem Falle fragt man sich natürlich, warum man nicht zum Original greifen soll, also zur summa theologiae des Thomas von Aquin, wenn man sich denn dafür interessiert? Ging Dante ernsthaft davon aus, dass es gereimt schöner ist oder das System besser dargestellt ist? Dante auf jeden Fall konnte den Ausführungen des Vergil folgen, woraus wir zweierlei schließen. Erstens schließen wir, dass der erste Kreis der Hölle, wo Vergil normalerweise wohnt, mit einer Bibliothek ausgestattet wurde, denn Vergil konnte zu Lebzeiten ja nur Aristoteles gekannt haben, nicht aber Thomas von Aquin, der kam erst knapp 1200 Jahre nach seiner Geburt auf die Welt. Zweitens schließen wir, dass unsere Vorstellungen von Vernunft nicht mit denen des Vergil übereinstimmen.

„Ich forsche nur, soweit Vernunft es kann
Doch Beatrice“, sprach er, „wird zurfrieden
Dich stellen, fängt die Glaubenssache an?

Also Beatrice steht für die Theologie, was die zu dem Thema zu sagen hat, werden wir später sehen. Wenn aber das, was bisher dargelegt wurde, vernünftig war, dann steht die Befürchtung im Raum, dass bei Beatrice der geistige salto mortale kommt, mortale dann ganz wörtlich, also todbringend.

Jedwede Wesensform ist zwar verschieden
Vom Stoffe, doch unlöslich ihm verbunden
Und eine Sonderkraft ist ihr beschieden

Das ist eigentlich als Übersetzung ok., da Aussagen gemacht werden, die über Aristoteles / Thomas von Aquin hinausgehen, schauen wir uns trotzdem das italienische Orginal an.

Ogne forma sustanzial, che setta
è da matera ed è con lei unita,
specifica vertute ha in sé colletta

la qual sanza operar non è sentita,
né si dimostra mai che per effetto,
come per verdi fronde in pianta vita.


Jede Substanz, die getrennt von
der Materie und mit dieser doch verbunden
trägt in sich doch ein spezifisches Vermögen

welche man nur spürt, wenn sie sich rührt,
sie zeigt sich nur, wenn sie zu einem Ergebnis führt
wie die grünen Blätter, die an blühenden Pflanzen wachsen

Die erste Terzine ist die Wiedergabe der Gedanken des Werkes „de anima“ von Aristoteles. Diese Auffassung wurde dann, mit Abweichungen, in die scholastische Theologie übernommen, vor allem von Thomas von Aquin. Allerdings führte diese Auffassung zu einer kontroversen Diskussion. Schließlich setzten sich in der mittelalterlichen Theologie die Ansichten von Thomas von Aquin durch, die er in 1267/1268, also drei Jahre nach Dantes Geburt, darlegte. Von dieser Grundversion gibt es nun x-Varianten. Dante kannte höchstwahrscheinlich auch die Übertragung und Kommentierung des Averroes (geb. 1126 in Córdoba, gest. 1198 in Marrakesch). Aus den groben Andeutungen Dantes, lässt sich aber nicht genau rekonstruieren, auf welches Gebäude er abstellt. Er verknüpft und irrlichtert aber weiter und verbackt die verschiedensten Elemente dieser Systeme in einer Terzine.

Auskunft kann keine Menschenseele geben
Woher die Urbegriffe uns enstanden
Woher der Urtrieb stammt, das Urbestreben

Das italienisch Orginal sieht so aus.

Però, là onde vegna lo 'ntelletto
de le prime notizie, omo non sape,
e de' primi appetibili l'affetto,

che sono in voi sì come studio in ape
di far lo mele; e questa prima voglia
merto di lode o di biasmo non cape.

Doch woher er stammt der Begriff
Der ersten Dinge, ist dem Menschen nicht bekannt,
auch nicht woher die Neigung zu den ersten Dingen

die in euch ist wie in der Biene
die Lust, Honig zu bereiten; und diese erste Lust
ist weder des Lobes noch de Tadel würdig

Das Problem mit diesen Versen haben wir dauernd, Dante irrlichtert und zwar gewaltig. Zuerst erklärt er uns, dass wir von den ersten Dingen nichts wissen können, wobei er auch im 13. Jahrhundert schon hätte auf die Idee kommen können, dass wir vielleicht von den letzten Dingen nichts wissen, uns aber immerhin langsam annähern (wobei überhaupt unklar ist, was er uns damit sagen will). Nach dieser vagen Andeutung kommt dann ein ganz anderer Themenkomplex, nämlich die Feststellung, dass das instinktive Handeln weder gut noch schlecht ist. Die eine Terzine hat mit der anderen thematisch überhaupt nichts zu tun.

Dann irrlichtert er weiter, wirft wieder ein neues Thema auf.

Dass dem Trieb alle anderen folgen sollen
Rät Urteilskraft, die als Torhüterin
Euch schützt vor allzuschnellem Beifallszollen

Der Schuld und des Verdienstes Urbeginn
Ist diese Kraft, sie leitet als Fanal
Zu Gut und Bös die dunklen Wünsche

Das italienische Original sieht dann so aus.

Or perché a questa ogn'altra si raccoglia,
innata v'è la virtù che consiglia,
e de l'assenso de' tener la soglia.

Quest‘ è ‘l principio là onde si piglia
ragion di meritare in voi, secondo
che buoni e rei amori accoglie e viglia

Und weil dieser angeborenen jede andere
sich zugesellt, braucht es der Tugend rat
bevor die Zustimmung wird gegeben, die Schwelle zu überschreiten

Dies ist das Prinzip, welches der Vernunft
entstammt, zu erwägen bei euch,
ob ihr empfangt und hütet, die gute oder die schlechte Liebe

Soll heißen, dass zwar die Liebe erstmal nach allem krallt, aber der Mensch mit Vernunft ausgestattet ist, um dann zu unterscheiden, ob das Objekt der Begierde gut oder schlecht ist. Viel enleuchtender ist natürlich wieder Goethe.

Mit Worten lässt sich trefflich streiten
Mit Worten ein System bereiten
An Worte lässt sich trefflich glauben
Von einem Wort, lässt sich kein Jota rauben

Die Frage, die man sich stellt ist die: Hätte es einer so umständlichen Erklärung bedurft, um festzustellen, dass der Mensch auch die Möglichkeit hat, das, wonach es ihn gelüstet, auch nicht zu tun? Und werden die Leute, die nach Dingen lüstern, nach denen man nicht lüstern soll, sich so überzeugen lassen?

Mag drum Notwendigkeit in allen Stücken
Der Liebe Anfang sein: Wenn sie entbrannt
Soll sie in des Verstandes Zaum sich schicken

Die „freie Wahl“ wird diese Kraft benannt
Von Beatricen; drum sei dir‘ s befohlen
Aufmerksam sei, gibt sie es dir bekannt


Da Beatrice für die Theologie steht, wo dann endgültig nur noch geglaubt wird, wir finden ja, dass es schon jetzt ziemlich viel mit Glauben zu tun hat, versprechen wir uns keine echte Verbesserung der Verhältnisse, wenn Beatrice auftritt.

Der Mond, der sich versäumt auf trägen Sohlen
Bis Mitternacht, bleichend der Sterne Reigen
Und aussah wie in Kessel glühender Kohlen

Das Bild, also der Kessel, hat wohl auch Zoozmann beschäftigt. Das italienische Original sieht so aus.

La luna, quasi a mezza notte tarda,
facea le stelle a noi parer più rade,
fatta com' un secchion che tuttor arda;

Der Mond, der sich fast bis Mitternacht verspätet
ließ uns die Sterne blasser scheinen
sein Anblick einem Kessel glich, der ganz in Flammen

Um im Mond einen Kessel zu sehen, der in Flammen steht, braucht es schon verdammt viel Phantasie.

Begann denselben Weg hinaufzusteigen,
Drauf zwischen Sardenland und Korsika
Die Römer sehn den Sonnenball sich neigen

Es stellen sich jetzt natürlich mehrere Probleme. A) Was ist mit dem Weg gemeint, B) wann sehen die Römer die Sonne zwischen Korsika und Sardinien untergehen, C) was hat das mit dem Mond zu tun?

Mit Weg ist wahrscheinlich das Sternbild gemeint. Baehr meint (in der Reclam Ausgabe), dass dann die Sonne im Skorpion steht und es Spätherbst ist, allerdings verrät er uns nicht, woher er das weiß. Der Mond steht dann also auch im Skorpion. Stellt sich dann natürlich als Letztes die Frage, ob das überhaupt möglich ist, also ob auf der nördlichen Welthalkugel die Sonne im gleichen Moment im Skorpion stehen kann, in dem der Mond auf der südlichen Welthalbkugel im Skorpion steht, und sollte dies theoretisch möglich sein, stellt sich die Frage, ob Dante wusste, ob es möglich ist. Zu guter Letzt stellt sich dann noch die Frage, was uns Dante damit überhaupt sagen will.

Als er – der höhren Ruhm als Mantua
Pietola ließ erblühn, dem kleinen Flecken-
Die Last mir abgenommen hat.

Gemeint ist Vergil, das ist der, der ihn aus der Finsterniss der Unwissenheit befreit hat. Vergil wurde am 15. Oktober 70 v.Chr in Andes, im heutigen Pietola. Andes gehört eigentlich zu Mantua, aber weil Vergil dort geboren ist, häuft das kleine Städtchen Andes / Pietola mehr Ruhm auf sich, als das größere Mantua.

Was wir immer wieder erfahren, ist, dass Dante mit den Ausführungen Vergils vollkommen zufrieden ist und diese auch noch vollziehen kann. Dante kennt aber auch die Orginalwerke, auf die Vergil anspielt, er ist also uns gegenüber klar im Vorteil.

Drob ich, dem von den Zweifeln alle Decken
Und Hüllen wegzog sein belehrend Wort
Mich fand noch grübelnd wie im Träume stecken

Während er also noch über den tiefsten Sinn der Worte Vergils nachdenkt, das ist immerhin tröstlich für uns, selbst Dante muss ein bisschen nachdenken, um deren Sinn zu verstehen, kommt ein Büßender herangelaufen.

Wie einst Asopus und Ismen das Toben
zur Nachtzeit sah des trunkenen Volks von Theben
Wenn sie zum Bacchusfest in Scharen stoben

Wir haben bereits früher gesehen, dass es noch ein Theben gibt, nämlich eines in Ägypten, das ist aber nicht gemeint. Gemeint ist dieses.

 

Bild

Also das Theben im heutigen Böotien, nicht das im ehemaligen Thesalien. Wer es ganz genau wissen will, findet dieses Theben auf dieser Karte. Heute ist es ein kleiner Ort mit 23000 Einwohnern und heißt Thiva. Bei Asopus und Ismeus soll es sich um zwei Flüsse handeln, die aber wohl eher Bäche sind, wenn sie denn überhaupt existieren, denn der Autor hat sie nicht finden können. Diese zwei Flüsse sollen auf jeden Fall zugeschaut haben, wenn die Einwohner Thebens in rauschenden Festen dem Bacchus huldigten.

 

 

Bild


 

Dass es sich um dieses Theben und kein anderes handelt, entnehmen wir der Angabe der zwei Flüsse, Asopus und Ismen.

Wir erfahren zwar nicht, was die strebsame Schar nun konkret strebsam verwirklichen will, aber sie streben nun mit dem Eifer, der ihnen mangelte, als sie noch auf Erden weilten. Dabei rufen sie sich Beispiele emsigen Strebens in Erinnerung.

Maria eilte zum Gebirg hinauf,
Und Cäsar schloss, Illerda zu gewinnen,
Massilien ein flog nach Spanien drauf.“

Das „Maria eilte zum Gebirg hinauf“ bezieht sich auf Lukas 1, 39:“ Maria aber stand auf in den Tagen und ging auf das Gebirge eilends zu der Stadt Juda's und kam in das Haus des Zacharias und grüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth ward des heiligen Geistes voll und rief laut und sprach: Gebenedeit bist du unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes!“

Der Hintergrund ist, dass zuerst ein Engel bei Zacharias erscheint und ihm ankündigt, dass seine Frau schwanger wird und dieser Sohn Johannes der Täufer wird. Sechs Monate später geht er dann zu Maria, und es findet das statt, was wir alle kennen. Warum allerdings Maria dann zum Haus des Zacharias geht, ist völlig unklar, aber nachdem sie mal da ist, wird Elisabeth des heiligen Geistes voll. Ob das jetzt ein besonders suggestives Beispiel für emsiges Streben ist, lassen wir offen. Bei Cäsar geht es um jenen berühmten, um den Julius Cäsar. Beschrieben werden Ereignisse zu Beginn des Bürgerkrieges 49 vor Christus. Cäsar war zwar bis nach Rom vorgedrungen, aber Pompejus hatte sich nach Griechenland davongemacht. Deshalb beschloss Cäsar, erstmal die Machtbasis des Pompejus in Spanien platt zu machen, also Ilerda zu erobern. Allerdings ist die Schilderung Dantes falsch. Massilien (Marseille) wurde auf dem Rückweg von Spanien nach Italien erobert, nicht auf dem Hinweg.

Es handelt sich hierbei auch nicht um einen Übersetzungsfehler, die Darstellung bei Dante ist tatsächlich falsch herum.

«Maria corse con fretta a la montagna;
e Cesare, per soggiogare Ilerda,
punse Marsilia e poi corse in Ispagna».


Maria lief in aller Eile in die Berge;
Und Cäsar, um Ilerda zu bezwingen
schlug Marsillien und eilte dann nach Spanien

Es war umgekehrt. Zuerst Ilerda, dann Marsillien.

Diese zwar ziellos aber strebsame Schar fragt Vergil nun nach dem Aufstieg zur nächsten Terrasse.

Hier dieser lebt – mag‘ s euch auch seltsam klingen
Wahr ist‘ s! – und mit der Sonne bergempor
Sucht er den Weg, drum fördert sein Gelingen

Sie antworten ihm, allerdings ohne dabei anzuhalten, denn dass sie immer strebend sich bemühen müssen, ohne innezuhalten, ist ihnen jetzt voll bewusst. Einer der Schar stellt sich dann noch kurz vor.

Zum Abt Sankt Zenos hat man mich geweiht
Unter des guten Rotbart Herrscherstabe,
den heute Mailand noch vermaledeit

An diesem Vers überrascht uns vor allem das „guten“. Gemeint ist der Staufer Barbarossa, also Friedrich I, Vater Heinrich VI und Großvater Friedrich II, letzteren und seine Nachfolger hatten wir ja schon ausführlich. Barbarossa versuchte in Italien seinen Herrschaftsanspruch, bzw. den der Staufer, wieder durchzusetzen. Dies führte 1158 zur Zerstörung Mailands, also, gut ist im Zusammenhang mit Barbarossa ziemlich zwiespältig. Bei Dante ist jeder Kaiser gut, der sich durchsetzen kann, das heißt, andere platt machen kann. Das führt auch zu seiner verqueren Einschätzung von Julius Caesar. Im tiefsten Kreis der Hölle landen Brutus und Cassius, die den Tyrannen umbrachten und nicht etwa der Tyrann Julius Cäsar. Dante hat ein prinzipielles Problem, das noch 600 Jahre fortbestehen wird. Er und die nächsten 12 Generationen sehen noch nicht ein, dass es die optimale Gesellschaftsordnung nicht gibt, sondern sich diese ständig neu bildet. Im Idealfall treten mehrere Parteien mit unterschiedlichen Lösungsvorschlägen für anstehende Probleme ein, und diese haben dann ein paar Jahre Zeit, zu beweisen, dass ihre Lösungsvorschläge das Problem tatsächlich lösen. Wird das Problem nicht gelöst, wird eine andere Partei gewählt, die dann ihren Lösungsvorschlag verwirklichen darf. Das nennt man Demokratie. Das Problem ist auch nicht die Beschränktheit Dantes, es mussten noch 600 Jahre vergehen, bis jedem klar war, wie kompliziert und hochkomplex Gesellschaften sind, und dass es keine einfachen Antworten auf hochkomplexe Fragen gibt. Wenn man aber ab und an liest, wieviel uns Dante heute noch zu sagen hat, dann sagt das viel über den, der es sagt, aber wenig über den Nutzwert Dantes. Dante gehört zu jenen, die Popper als die Feinde der offenen Gesellschaft bezeichnen würde. Aber zurück zur obigen Terzine, es fehlt uns noch Sankt Zenos. Gemeint ist höchstwahrscheinlich ein gewisser Gherard II, über den man aber nichts weiß, außer dass er 1187 gestorben ist. Dieser Unbekannte erzählt wiederum etwas über jemand anderen, der aber offensichtlich noch auf der Erde wandelt.

Und der steht schon mit einem Fuß im Grabe
Der um dies Kloster weinen wird alsbald
Und trauern, dass er drin gewaltet habe.


Da er also mit einem Fuß im Grabe steht, ist er noch nicht drin. Es handelt sich um Alberto della Scala, den Herrn von Verona, der seinen geistig behinderten Sohn zum Abt eines Klosters ernannte.

Interessant ist nun, wie Zoozmann übersetzt.

Weil der dem Sohn –verkrüppelt an Gestalt
Stumpfsinnig, bösen Herzens, missgeboren –
Statt rechten Hirten dorten gab Gewalt

Das steht bei Dante gar nicht.

perché suo figlio, mal del corpo intero,
e de la mente peggio, e che mal nacque,
ha posto in loco di suo pastor vero

Weil sein Sohn, am ganzen Körper krank
und schlimmer noch am Geiste, der schlecht geboren,
in anstatt eines richtigen Hirten hat auf den Platz gesetzt

Von bösem Herzen steht da gar nichts. Fragen kann man sich aber, wieso Alberto della Scala ein Beispiel für Trägheit ist?

Da sprach, der stets mir beisprang, wenn ich rief:
„Schau dorthin! Wo zwei Schatten, dem Verderben
Der Trägheit Bisse geben scharf und tief

Also das mit dem "reim dich oder ich erschieß dich", wird manchmal zum Problem, weil es sich dann zwar reimt, aber vom italienischen Original stark abweicht oder zu einer ziemlich krautigen Textstruktur führt.

E quei che m'era ad ogne uopo soccorso
disse: «Volgiti qua: vedine due
venir dando a l'accidia di morso».

Und jener, der mir immer Beistand
sagte: Richte dorthin deinen Blick: Zwei von den Seelen
siehst du da, die die Trägheit geißeln

Da es im Läuterungsberg ja recht zivilisiert zugeht, ist eher anzunehmen, dass das Beissen (dare di morso) bildlich gemeint ist, das, was sie den anderen Seelen hinterherschrein, sind die Bisse.

Da riefen alle hintendrein: „Erst sterben
Musste das Volk, dem aufgetan die Meere,
Bevor der Jordan schaute seine Erben“

Angespielt wird auf eine Episode aus dem 5. Buch Mose, 1, 26-36: „Als aber der HERR euer Geschrei hörte, ward er zornig und schwur und sprach: Es soll keiner dieses bösen Geschlechts das gute Land sehen, das ich ihren Vätern zu geben geschworen habe; außer Kaleb, dem Sohn Jephunnes, der soll es sehen, und ihm will ich geben das Land, darauf er getreten ist, und seinen Kindern, darum daß er treulich dem HERRN gefolgt ist. Auch ward der HERR über mich zornig um euretwillen und sprach: Du sollst auch nicht hineinkommen.“
Eingebettet ist die Episode in diesen Zusammenhang. Nach vierzig Jahren, 11 Monaten und einem Tag (die ganze Geschichte ist zwar Mythos pur, aber die Zeitangaben stimmen 100 prozentig, wenn auch die Stunden, Minuten und Sekunden fehlen) sind die Stämme Israels unter Führung von Moses im Land der Amoriter; den Jordan, das gelobte Land, haben sie schon in Sichtweite. Die Amoriter sollen sie jetzt platt machen und sich östlich und westlich des Jordan niederlassen. Aber der Bagage rutscht das Herz in die Hose, obwohl sie schon so oft gesehen hat, dass Jahve / Gott ihnen beisteht, in das rote Meer eine Schneise schlägt, Mana vom Himmel schickt und sonst Einiges tut. Da sie nun alos so verzagt sind, wird Jahve sauer; der hat ja ein bisschen Rübezahl Allüren, manchmal richtig hilfsbereit, ohne tieferen Grund, dann aber wieder ganz schön tobsüchtig. Weil sie also so zögerlich sind, kommt die Generation, die jetzt erwachsen ist, erstmal nicht ins gelobte Land, sondern wird auf eine Ehrenrunde geschickt.

Dante schläft dann ein und der 18. Gesang ist zu Ende.