Hat Leser, dir das Antlitz je verkappt
Ein Nebelqualm auf hohem Alpenpasse
Dass blindlings wie ein Maulwurf du getappt?
Nachdem sich Marco verabschiedet hat, lichtet sich die Dunstglocke / Nebelschwade
/ Rauch oder was auch immer, bzw. Dante und Vergil treten aus dieser heraus. Ganz
richtig ist die Übersetzung nicht, aber die Unterschiede sind minimal.
Ricorditi, lettor, se mai ne l’ alpe
ti colse nebbia per la qual vedessi
non altrimenti che per pelle talpe,
Erinnere dich Leser, wenn jemals in den Alpen
du in Nebel eingehüllt gewesen, durch den du nur
soviel sahst, wie durch die Lieder der Maulwurf
Die Augen des Maulwurfs sind tief im Fell versteckt. Ob das Bild glücklich
ist oder nicht, kann man unterschiedlich beantworten. Der Maulwurf kann höchstwahrscheinlich
nur zwischen hell und dunkel unterscheiden, es ist also ziemlich egal, ob er durch
den Pelz durchschaut oder nicht, er sieht es nicht. Manchmal findet sich in der
Literatur die Bemerkung, dass es sich um eine spezielle Art von Maulwurf handelt,
den Talpa, der ein anderes Gebiss hat, unbehaarte Gliedmaßen und noch kleinere
Augen. Das Problem dabei ist, auch ihn gibt es diesseits und jenseits der Alpen
und nicht, wie behauptet wird, nur südlich.
Erinnere dich an dieses Duftgebilde
So ahnst du Leser, wie ich hier eschaute
Die Sonne, als sie sank im Dunstgefilde
Wieso man nur in den Alpen die Sonne in ein Dunstgebilde eingehüllt
sehen kann, ist mir schleierhaft. Nebel gibt es überall.
O Fantasie, wie oft entrückst du nicht
Uns aus uns selbst, dass wir den Schall nicht spüren
der tausendfach aus Erzdrommeten bricht
Was treibt dich, wenn die Sinne nicht berühren?
Dich treibt ein Licht, gesandt vom Himmel nieder
Mag sich‘ s von selbst, mag‘ s höherer Wille schüren
Also dann fragt er sich, wieso man so in Gedanken versunken sein kann,
dass man nicht mal den Krach von tausend Trompeten hören würde und vermutet,
dass ein Gedanke, der nicht durch eine sinnliche Wahrnehmung hervorgerufen wird,
sich entweder selbst in Gang gesetzt hat, oder von oben kommt. Wir fragen uns
natürlich, wieso das für Dante zum Problem wird, denn dass man mit geschlossenen
Augen über etwas nachdenken kann, wundert erstmal niemanden. Genau genommen
kann man sich natürlich über das Gehirn wundern, aus neurophysiologischer
Sicht, wie auch über andere Dinge, wieso man sehen / hören / riechen
kann und wie das Gehirn die Impulse verarbeitet. Aber das ganze große Staunen
hat bei Dante ja noch nicht eingesetzt. Wieso wundert er sich jetzt mal so punktuell?
Anzunehmen ist, dass Dante die Schrift des Thomas von Aquin „Expositio super
librum Boethii De trinitate“ über den Tisch geflattert ist, oder irgendeine
andere, in welcher sich jener mit der menschlichen Erkenntnis auseinandersetzt.
Durch die spezielle Taktik Dantes, immer nur anzudeuten, lässt sich auch
nicht ermitteln, auf wen oder was er genau anspielt und ob er dessen Theorien
überhaupt richtig wiedergibt. Auf jeden Fall scheint das Studium des Thomas
von Aquin zu einem höchst partiellen Wunder zu führen. Der Gedanke oder
die Vision, die ihn also so ganz ohne Sinneseindrücke überfallen hat,
und zwar derart, dass er nicht mehr hört und sieht, was um ihn herum geschieht,
ist diese.
Dann schien sich durch das hohe Traumbild – licht
Und deutlich – ein Gekreuzigter zu heben
Der starb mit Grimm und Stolz im Angesicht
Wir sollten uns klar machen, dass wir uns immer noch auf der dritten Terrasse
befinden, also bei den Zornigen, seine Vision stellt also einen Zornigen dar.
Das können wir zwar diesem Vers noch nicht entnehmen, aber dann aus den nächsten,
die dann mehr Informationen lieferen, so dass man die Vision zuordnen kann.
Mit Esther seinem Weibe stand daneben
Der große Ahasver und Mardochai
Der Vorbild stets in Wort und Tat gegeben
Die Geschichte dazu wird im Buch Esther der Bibel erzählt: Nachdem
539 vor Chr. Kyros II das babylonische Reich besiegt hatte, lebten die Juden nicht
mehr in der babylonischen Diaspora, sondern eben in der persischen. In dieser
spielt die Geschichte. Esther ist die Cousine von Mordechai, der auch gleichzeitig
ihr Pflegevater ist. Als nun der König der Perser Ahasveros seine Gattin
Vaschti auffordert, beim allgemeinen Besäufnis zugegen zu sein, verweigert
sie das. So heißt das wörtlich im Buch Esther: "Und am siebenten
Tage, da der König gutes Muts war vom Wein, hieß er Mehuman, Bistha,
Harbona, Bigtha, Abagtha, Sethar und Charkas, die sieben Kämmerer, die vor
dem König Ahasveros dienten, daß sie die Königin Vasthi holten
vor den König mit der königlichen Krone, daß er den Völkern
und Fürsten zeigte ihre Schöne; denn sie war schön. "
Was die Dumpfbacken sich vorstellten, kann man sich leicht vorstellen, da wollte
sie natürlich nicht mitmachen. Da der König der Perser aber eine richtige
Dumpfbacke war, verstieß er sie dann auch noch, der Platz der Königin
war also vakant. Deswegen suchet sich der König jetzt ein paar Jungfrauen,
die Schönste wurde dann Königin. Also der hatte schon ganz mächtig
einen an der Waffel, dirais-je.
Da sprachen die Diener des Königs, die ihm dienten: Man suche dem König
junge, schöne Jungfrauen, und der König bestellte Männer in allen
Landen seines Königreichs, daß sie allerlei junge, schöne Jungfrauen
zusammenbringen gen Schloß Susan ins Frauenhaus unter der Hand Hegais, des
Königs Kämmerers, der der Weiber wartet, und man gebe ihnen ihren Schmuck;
und welche Dirne dem König gefällt, die werde Königin an Vasthis
Statt.
Unter diesen ist dann eben auch Esther, und an der findet er Gefallen und sie
wird Königin. Aus unerfindlichen Gründen verbringt ihr Pflegevater ziemlich
viel Zeit am Tor des königlichen Palastes und da hört er, dass zwei
Wachen den König umbringen wollen, was die Dumpfbacke ja eigentlich auch
verdient hat. Mardochai aber verrät über die nun königliche Pflegetochter
diesen Plan an den König, also an die Dumpfbacke, und daraufhin ist die Dumpfbacke
Mardochai wohlgesonnen,was allerdings nicht in der Bibel steht, das muss man vermuten.
Mordechai wiederum wird jetzt auf einmal seltsam skrupulös, bis jetzt hatte
er es ja nicht so mit der Moral, denn wer käme schon auf die Idee, die Pflegetochter
einer solchen Dumpfbacke unterzujubeln. Er weigert sich, sich vor Haman, dem obersten
Diener de Königs zu verbeugen. Daraufhin wird dieser böse und bittet
den König, die Juden umbringen zu dürfen, was dieser gestattet. Ob er
sich anders überlegt hätte, wenn er gewusst hätte, dass seine Esther
Jüdin ist, ist unklar, dem Typ ist alles zuzutrauen. Esther hat ihm das auf
Anraten von Mordechai erstmal nicht gesagt. Er schickt also seiner königlichen
Pflegetochter einen Brief mit der Bitte, die Dumpfbacke zu bezirzen. Sie bittet
ihn erstmal morgen, zusammen mit Haman zur ihr zum Essen zu kommen. Esther erklärt
jetzt der königlichen Dumpfbacke, dass sie Jüdin ist und der Haman ihr
Volk umbringen will. Da der Haudegen nun vom Wein etwas sentimental geworden ist,
was anderes als Sentimentalität war es wohl nicht, denn ein so gewaltiges
sursum corda traut man ihm einfach nicht zu, ist er jetzt sauer auf Haman und
setzt Haman ab und Mordechai an dessen Stelle. Haman wiederum hatte für Mordechai
schon den Galgen bauen lassen, an welchem er dann selber aufgehängt wird.
Mordechai wiederum erhält die Erlaubnis, in Namen des Königs ein zweites
Dekret zu verfassen, das es den Juden erlaubt, jeden umzubringen, der ihnen über
den Weg läuft, was diese dann auch tun. Sowas ist natürlich immer schlecht,
denn man begegnet sich immer zweimal im Leben. Wie Dante auf die Idee kommt, dass
Moredechai „Vorbild stets in Wort und Taten“ war, ist allerdings völlig
schleierhaft.
Als dieses Bild mir plötzlich sprang entzwei
Gleich einer Wasserblase, die gequollen
Und jäh zerplatzt macht sich der Luftdruck Freitag
??? Also der Autor kennt sprudelndes Wasser, Seifenblassen, mit Wasser
vollgepumpte Luftballons, die platzen können und einiges andere. Aber eine
Wasserblase? Wie geht denn das? Man könnte nun denken, es wäre was falsch
übersetzt worden, aber nein.
E come questa imagine rompeo
per sé stessa, a guisa d'una bulla
cui manca l'acqua sotto qual si feo,
Und als dieses Bild zerplatzte
von alleine, wie eine Blase
der das Wasser fehlt, durch welche sie sich gebildet
Das ist zwar nicht das Gleiche wie bei Zoozmann, aber irgendwie versucht
jeder Übersetzer irgendwie Sinn in diese Verse zu bekommen.
Und als dann dieses Bild so in sich selber
ganz aufgelöst wie eine Seifenblase
Wenn ihr das Wasser fehlt, aus dem sie aufstieg
Gmelin macht also aus der Blase eine Seifenblase, das kennt er noch aus
Kindertagen. Wieso aber eine Seifenblase durch Wasser aufsteigt, das weiß
er wohl selber auch nicht. Das ist nun also mal tatsächlich interessant.
Da lassen wir uns natürlich den dritten Versuch, den vom Freiherrn von Falkenhausen,
nicht entgehen. Er übersetzt so.
Und da das Bild zerfloss im Windeswehen
Wie wenn das Wasser schwand, dem die entsprangen
Schaumblasen platzen und in nichts zergehen
Also das geht auch in Richtung Seifenblase, obwohl die Schaumblase ein
bisschen besser ist, denn ist Ariel im Hauptwaschgang, dann entstehen ja tatsächlich
Blasen im Wasser, wenn man rumrührt. Suggestiver allerdings ist die Seifenblase,
die zerplatzt tätsächlich, Schaum bildet sich nur langsam zurück,
zumindest ist das so, wenn ich in der Wanne sitze, aber wer weiß schon,
worin Dante gebadet hat (Oleander, Lavendel, Jasmin, Verneeel…).
Wie dem auch immer sei, er hat jetzt eine andere Vision.
Sah ich ein Mägdelein, das mit leisem Grollen
Im Tone schluchzend rief: „O Königin,
Warum hast du im Zorn doch sterben wollen?“
Ich glaube man muss jetzt mal was Grundsätzlich zur Vermarktung von
Dante Alighieri sagen. Die eine Möglichkeit wäre, man macht ein Riesenfass
auf, also so eine Art Freizeitparkt, 12 Euro Eintritt, mit einer Gespensterbahn,
wo alle die Gestalten der Hölle auftauchen und irgendwie muss man dann die
Geschichten erzählen, zwischendrin, irgendwie in der Art, dass man 20 Cent
reinwirft und dann wird die Geschichte von Puppen nachgespielt. Dann steigt man,
alles in den 12 Euro inklusive, auf einen Läuterungsberg und dann halt ins
Paradies. Was mit Micky Maus geht, muss auch mit Dante gehen. Die zweite Möglichkeit
ist, man macht ein Quizsendung, also wer wird Milliardär, für eine läppische
Million tut sich das ja keiner an. Die erste Version würde mit Sicherheit
Geld bringen, das wäre lustig, und man würde ja auch was lernen dabei.
Und wenn Beatrice ein richtiger Straßenfeger ist, kriegt man auch noch die
Typen dazu, dahinzugehen. Meiner Meinung nach würde das mehr fetzen, als
die Uffizien und alle Chiese von Florenz zusammen. Da müsste man halt mal
ein paar Millionen in die Hand nehmen, aber die holt man wieder rein. Für
ein Salär von 300 000 Euro stell ich mich auch als General Manager zur Verfügung.
General Manager ist der perfekte Job für mich. Für alles zuständig,
aber so richtig für nichts, und Ahnung muss man auch nicht haben, das ist
mein Ding.
Was also ist das mit dem Mägdelein? Das geht so: Lavinia, das Mägdelein,
war die Tochter des Latinus und der Amata, König und Königin der Latiner,
also ein Stamm, der in Italien hauste, mythologisch natürlich, bevor Aeneas
dort ankam. (Noch erinnerlich? Aeneas ist ein trojanischer Prinz, als Troja dann
in Schutt und Asche liegt, macht er sich mit dem Schiff und seinem Sohn Lulus
(Askanius) auf und davon. Nach einem kurzen Techtemechtel mit Dido in Karthago
landet er schließlich in Italien. Dort heiratet er das oben erwähnte
Mägdelein, mit dieser hat er dann zwei weiteren Söhne Silvius und Amulius
(der Lulus spielt jetzt irgendwie keine Rolle mehr). König von Latium wird
dann erstmal der ältere Silvius, der wird aber von Amulius abgesetzt. Silvius
wiederum hat einen Sohn und eine Tochter. Den Sohn läßt Amulius umbringen,
die Tochter Rhea schickt er als Vestalin in einen Tempel, damit sie keine Kinder
bekommt. Da greift Mars ins Geschehen ein und schläft mit ihr, das führt
zu Romulus und Remus. Die Kinder setzt er in einen Weidenkorb auf dem Tiber aus,
das war damals so, das hat man ja auch mit Moses gemacht. Dort werden sie, und
das ist Pech, nicht wie Moses von einer hübschen ägyptischen Prinzessin
aufgenommen, sondern von einer Wölfin, die sie säugte. Nach vielem Hin
und Her lernen sie dann ihren Vater Silvius, den abgesetzten König kennen,
machen ihren Großonkel Amulius platt und und setzen ihren Großvater
wieder auf den Thron. Dieser erlaubt ihnen dann Rom zu gründen, an der Stelle,
wo die Wölfin sie gefunden hat. Dabei verkrachen sich die Brüder dann
wieder und Romulus erschlägt den Remus. Das ist auch üblich, damals
und heute, das war von Anfang an so, schon als Kain den Abel erschlug. Im Übrigen
hatten wir das alles schon einmal in der Hölle, aber wir müssen üben,
üben, üben. So einfach ist das nicht mit der Mythologie, zumal es da
immer reichlich durcheinander ging. Aber zurück zu Lavinia. Lavinia sollte
eigentlich Turnus, den König der Rutuler heiraten, so hatte sich das ihre
Mutter vorgestellt. Ihr Paps aber und sie selber standen mehr auf Aeneas. Und
wie löst man so ein Problem unter Männern? Na klar, der Aeneas macht
den Turnus platt und Ruh ist. Weil aber der Aeneas den Turnus platt gemacht hat,
ist Amata so sauer, dass sie sich umbringt. Das wiederum stimmt, nach Dante, der
Mythos beschreibt das nicht, und eine Mama, die einen mit einem langweiligen Rutuler
verheiraten will, ist ja eigentlich auch keine richtige Mama, und Lavinia ist
traurig.
Du opferst dich um Lavinien hin
Um mich verlorst du, der dein frühes Ende
Mehr als des anderen Tod bringt Schmerzgewinn
Da man also nicht gerade sagen kann, dass sich Amata für ihre Tochter
geopfert hätte, die war ja mit Aeneas vollkommen glücklich, nur den
Rutuler wollte sie nicht, fragt man sich natürlich, ob hier richtig übersetzt
wurde.
Aber tatsächlich ist das so, auch bei Dante weint Lavinia um ihre Rabenmutter.
Aus Amata wird bei Dante Ancisa.
Ancisa t'hai per non perder Lavina;
or m'hai perduta! Io son essa che lutto,
madre, a la tua pria ch'a l'altrui ruina
Ancisa dies hast du getan um Lavinia nicht zu verlieren
jetzt hast du mich verloren! Ich bin es die trauert
Mutter, und mehr um dich, als um den anderen
Dass sie um den anderen, den Turno nicht trauert, kann man nachvollziehen.
Nachdem sich auch diese Vision verwischt, gelangen sie zum Aufstieg zur vierten
Terrasse.
Ich sah mich um, wohin mich denn entrückte
Der Traum – da klang‘ s: „Hier müsst ihr aufwärts
steigen“
Dass jeden anderen Wunsch ich unterdrückte
Dante schaut sich nun um, um denjenigen zu sehen, der gesprochen hat, bemerkt
aber, dass er hierzu nicht in der Lage ist, weil seine zu hellen Strahlen, wie
bei der Sonne, verhindern, dass man ihn selber sieht. Das ist sogar mal ein hübsches
Bild. Tatsächlich sieht man die Sonne vor lauter Helligkeit nicht. Als Metapher
allerdings funktioniert das Bild weniger gut, denn Menschen, deren geistige oder
welche Ausstrahlung auch immer, verhindert, dass man sie sieht, gibt es nicht.
Es gibt nur Leute, die ihrer Zeit voraus sind, deren Strahlen also sozusagen erst
in der Zukunft strahlen.
Wie aber, wer zur Sonne späht, hernach
Dass zuviel Glanz sie birgt, bemerkt mich Schrecken
So sah ich, dass mir‘ s hier an Kraft gebrach
„Den Weg uns ungebeten zu entdecken
Kam her ein Genius, den du nicht gesehen
Weil seine eigenen Strahlen ihn verdecken
Die Vergangenheitsformen „kam“ und „gesehen“ sind
ein bisschen ungünstig, im italienischen Original steht Präsens. Also
das Lichtwesen steht immer noch da, aber Dante sieht es nicht und Vergil teilt
Dante mit, dass es gekommen ist, den Weg zu weisen.
Was Mensch dem Menschen tut, ist uns geschehen
Denn wer uns bitten lässt erst in der Not
Der denkt schon böslich, uns nicht beizustehen
Soll heißen, dass Menschen, die man erst bitten muss, dass sie einem
helfen, schon darüber nachdenken, dass sie eben nicht helfen. Helfen soll
man also, ohne darum gebeten worden zu sein. Höchstwahrscheinlich haben wir
wieder eine theologische Anspielung. Die Gnade Gottes erhält man ja, nach
Dantes Vorstellung, ohne dass man etwas tut. Allerdings ist der Vers in der Übersetzung
von Zoozmann etwas unverständlich, bei Zoozmann kommt genau das Gegenteil
heraus. Es ist normal, dass Menschen anderen Menschen helfen, das kann, so gut
kennen wir Dante inzwischen, nicht gemeint sein. Die Verse lauten auf Italienisch
so.
Sì fa con noi, come l'uom si fa sego;
ché quale aspetta prego e l'uopo vede,
malignamente già si mette al nego.
Wenn er es so machen würde, wie der Mensch es
mit sich selber macht
der wartet auf das Flehen und sieht was ist zu tun
boshaft schon ist gestimmt, die Bitte zu verneinen
Also bei Zoozmann kommt genau das Gegenteil dessen raus, was gemeint ist.
Als meine Stirn ein Lufthauch wie von Schwingen
Umfächelte, da klangs aus holdem Munde
„Heil den friedfertigen, die den Zorn bezwingen“
Es wurde also ein weiteres P von der Stirn Dantes gelöscht.
Sprich, gütger Vater, welche Fehler büßen
Die Seelen hier in diesem neuen Kreise,
Sprich, lass dein Wort nicht rasten gleich den Füßen
Auf der vierten Terrasse angekommen, fragt Dante, welche Sünde hier
gebüßt werde. Vergil antwortet, dass es die Trägheit zum Guten
sei.
„Trägheit zum Guten ist es“, sprach der
Weise
„Hier muss der Lässige sich auf‘ s Rudern steifen,
Einholen die Versäumnis seiner Reise“
Das kommt so sinngemäß irgendwie hin. Wer sich auf Erden nicht
nach der Decke gestreckt hat, der dreht hier eine Ehrenrunde, sitzt sozusagen
nach.
Das Original geht so.
Ed elli a me: «L'amor del bene, scemo
del suo dover, quiritta si ristora;
qui si ribatte il mal tardato remo.
Und er zu mir: “Die Liebe zum Guten ist, der
Sinn für seine Pflicht, welche man hier erneuert
hier wird erwidert, der längst überfällige Ruderschlag
Also auf der Erde hätte man rudern müssen, das ist nicht passiert
und dafür gibt es hier eine Antwort.
Doch merke auf, dass due es kannst begreifen
Wenn ich dir‘ s deute, dann wird zum Lohn
Für diesen Aufenthalt Erkenntnis reifen
Au weia. Wenn Vergil zu einem philosophisch / theologischen Diskurs ausholt
und Dante mal wieder was begreifen soll, dann befürchten wir ja schon das
Schlimmste, und unsere Berfürchtungen werden natürlich vollinhaltlich
bestätigt.
Dass nicht Geschöpf noch Schöpfer, teurer Sohn,
Je ohne Liebe war – sei‘ s Seelenliebe,
Sei‘ s die natürliche – das weißt du schon
Tja, Dante weiß das, wir leider nicht. Interessant ist übrigens,
was wir hier lesen.http://www.kathpedia.com/index.php?title=Thomas_von_Aquin#Das_Schweigen_des_Thomas
Auf die Frage eines Bruders, warum er nichts mehr schreiben wolle, meinte
Thomas: "Ich kann nicht mehr, denn alles, was ich geschrieben habe, scheint
mir wie Stroh zu sein im Vergleich mit dem, was ich gesehen habe und was mir offenbart
worden ist."
Also ein Jahr vor seinem Tode (1274) erscheint dem Thomas von Aquin alles, was
er bisher gesagt hat als Stroh. Wir wissen nicht, was er gesehen hat, aber wenn
er eine hübsche Frau gesehen hat, verstehen wir voll und ganz, was er meinte.
Das löst aber unser von Dante aufgeworfenes Liebesproblem nicht. Allerdings
verhält sich das danteske Liebesproblem zu Liebeskummer in etwas so, wie
die Aspirin zur Whiskyflasche. Der Autor nimmt jetzt natürlich nicht die
Summa Theologiae des Thomas von Aquin in die Hand, da wäre ihm der ganze
Tag vermasselt, sondern recherchiert im Internet. Ob das das richtig oder falsch
wiedergegeben wird, hält der Autor für gleichgültig, denn ob nun
das Falsche richtig oder falsch darstellt wird, ist eigentlich ziemlich egal.
Sie finden diese These in der Summa Nirvanae des Autors, erschienen beim Verlag
"Schriften des erleuchteten Glückes" vollständig ausgearbeitet.
Dort finden sie auch die These, dass beim falsch dargestellten Falschen noch etwas
Richtiges herauskommen kann, beim richtig dargestellten Falschen, das Ergebnis
aber immer falsch ist (also verglichen mit dem Autor war Thomas von Aquin doch
ein Waisenknabe, finden Sie nicht?) Bei Thomas von Aquin gibt es zwei Arten von
Liebe, die natürliche, der Instinkt, die weiß schon von vorneherein
was sie liebt, also Frauen, Fußball und Bier (meistens in dieser Reihenfolge)
und die geistige, die weiß noch nicht so genau, was sie eigentlich liebt,
da hat man einen freien Willen, kann also dies und das lieben. Man kann sich also
entschließen, das Himmlische zu lieben, also das Wahre, Schöne, Gute
und ein bisschen auch das Irdische. Wenn man sich jetzt aber entschließt,
das Himmlische nicht mehr zu lieben, dann ist das das Böse. Diese fehlgeleitete
Liebe kann sich jetzt aber nicht gegen sich selbst und auch nicht gegen Gott richten.
Gegen sich selbst nicht, weil dies die natürliche Liebe verhindert, die liebt
sich nämlich selber, dreht sich also nicht selber den Hals rum, und an Gott
kann sich die fehlgeleitete Liebe ja auch nicht richten, denn da kommt man ja
nicht ran. Sie richtet sich also an den Nächsten. Der Autor geht davon aus,
dass die These praktisch nicht weiterhilft. Haben Sie jetzt Liebeskummer, dann
liegt das entweder daran, dass Ihre geistige Liebe zu sehr am Irdischen klebt
oder an Ihrer natürlichen Liebe, da haben Sie bei der Auswahl des Objektes
Ihrer Begierde keine Chance. Womit wir dann beim Kern des Problems wären.
Gegen Thomas von Aquin hilft ein Aspirin, gegen Liebeskummer nur eine Whiskyflasche.
Sie können bei Liebeskummer Thomas von Aquin studieren, bis der Arzt kommt,
Sie kommen keinen Millimeter weiter. Wie heißt es so schön bei Goethe.
Ich sag’ es dir: Ein Kerl, der spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
Und ringsumher liegt schöne grüne Weide.
Das von Thomas von Aquin irgendwo Beschriebene, fasst Dante jetzt zusammen.
Weißt auch, dass letztere frei von Irrtum bliebe
Doch jene irrt, wenn sie zu stark, zu klein
Und wenn gemein das Ziel ist ihrer Triebe
Also letztere, die natürliche, ist frei von Irrtum, das ist der Instinkt,
da wird halt geliebt, was man so liebt, Bier, Fußball, Frauen (so sind sie
halt die Typen), das ist ein genetisch determiniertes Programm, dass da abläuft.
Die andere aber, jene, also die geistige Liebe, die kann sich entscheiden, also
das Wahre, Schöne, Gute lieben oder halt das, was Spaß macht, das ist
dann meistens das Gemeine. Dann wendet sie sich von Gott ab, denn die Erde ist
nun mal ein Jammertal.
Doch sucht sie Böses oder eifert wegen
Des Guten heftig bald und bald verdrossen
So wirkt dem Schöpfer, das Geschöpf entgegen
Also der Herrgott hat den Menschen ja mit Liebe ausgestattet, die kann
er dann aufwärts richten, durch seine freie Entscheidung. Der Schöpfer
hat also seinen Beitrag geleistet, wenn aber das Geschöpf ihn nun trotzdem
nicht liebt, dann wendet es sich ab. Alles klar? Nö?! Na, das muss an Ihnen
liegen.
So hab ich die Erkenntnis dir erschlossen
Dass Liebe aller Tugend Samenkern
Und dass ihr alle Laster auch entsprossen
Also Dante hat das jetzt begriffen mit der Liebe, meint Vergil, aber nachgeprüft
in Form einer objektiven Prüfung hat er es auch nicht. Irgendwie kann man
also frei entscheiden, was man liebt, und wenn man sich dann für das Richtige
entscheidet, ist man tugendhaft.
Jetzt kommt noch eine umständliche Erklärung, warum man gegen sich selber
nicht freveln kann und gegen Gott auch nicht.
Das Wohl des eigenen Ichs als Ihres Herrn
Kann Liebe niemals aus den Augen lassen
Drum liegt der Selbsthass allen Wesen fern
Wie heißt es bei Shakespeare? Dunkel ist seiner Rede Sinn. Welche
entsetzlichen Wirkungen durch die Lektüre von Büchern entstehen können,
finden Sie hier exemplarisch dargestellt. Denn, der Blick für die Wirklichkeit,
geht völlig verloren. Wer sagt denn, dass man sich nicht selber hassen kann?
Und weil ein Wesen ohne Gott zu fassen
Undenkbar ist, das für sich selber sei
So kann man also nicht den Schöpfer hassen
Hm. Hassen oder nicht hassen ist eine Option. Glaubt man ohne Gott, kann
man ihm schon eine fehlerhafte Implementierung vorwerfen, dafür kann man
ihn hassen. Man kann aber auch schlicht nicht an ihn glauben, dann hasst man ihn
auch nicht, naheliegenderweise, denn wer hasst schon etwas, was es gar nicht gibt?
Also da gibt es viele Möglichkeiten.
Das geht jetzt wieder wie bei Goethe.
Der Philosoph, der tritt herein
Und beweist Euch, es müßt so sein:
Das Erst wär so, das Zweite so,
Und drum das Dritt und Vierte so;
Und wenn das Erst und Zweit nicht wär,
Das Dritt und Viert wär nimmermehr.
Gehen wir also die Axiome durch.
1. Es gibt eine geistige Liebe, die liebt im Idealfall primär das Wahre,
Schöne und Gute, also Gott und nachrangig die irdischen Freuden
2. Liebt sie nur noch die irdischen Freuden, dann wendet sie sich vom Schöpfer
ab und ist böse.
3. Ist sie böse, kann man Gott nicht hassen, weil man als abgetrennt von
diesem nicht existieren kann und sich selber nicht, weil man sich nie hasst. Daraus
folgt drittens.
4. Man hasst den Anderen, der ist der Einzige, der übrigbleibt.
Kann man es sich da verkneifen, noch ein bisschen Goethe anzuhängen? Kann
man nicht, kann man einfach nicht.
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
Was also sind die verschiedenen Möglichkeiten, den Nächsten zu hassen?
Folglich ergibt als letztes sich hierbei
Die Freude an des nächsten Schlechtergehen
Und dieser schmutzigen Quelle gibt es drei
Nämlich die Hoffnung, dass es dem Anderen schlecht gehe, man also
Überlegenheit spürt. Zweitens die Missgunst, dass der Andere einen Sieg
erringt und drittens die Rachlust.
Wen diese Liebesfreiheit einst bezwungen
Beweint es hier. Vernimm von Liebe nun
Die falschen Weges Gutem nachgedrungen
Das Problem ist, dass Dante im Orignal von unten spricht.
Questo triforme amor qua giù di sotto
si piange; or vo' che tu de l'altro intende,
che corre al ben con ordine corrotto
Diese Dreifaltigkeit der Liebe hier unten
Wird sie beweint; höre nun du von jener anderen
die nach dem Guten strebt,jedoch verworren
Den ersten Satz verstehen wir. Diejenigen, die also schadenfroh, missgünstig
oder rachsüchtig waren, büßen im Läuterungsberg. Ein kleines
Problem ist, dass das mit den beschriebenen Sünden (Schadenfreude, Missgunst
und Rachsucht) nicht ganz übereinstimmt. In der ersten Terrasse waren die
die Hochmütigen, in der zweiten die Neidischen und in der dritten die Zornigen,
aber so kleinlich wollen wir jetzt mal nicht sein.
Der zweite Satz „Vernimm von Liebe nun...“ ist etwas unklar, da müssen
wir wieder einen Blick in das italienische Original werfen. Gemeint ist jetzt,
dass von Sünden die Rede sein wird, wo die Richtung zwar stimmt, aber die
Verhältnisse unausgeglichen sind, zum Beispiel, weil die Hingabe an das Wahre,
Schöne und Gute zu lau war.
Ein Gut, drin sicher mag die Seele ruhen,
Ahnt jeder unklar, danach wird er bangen
Und sich im Streben kein Genüge tun
Da schauen wir uns am besten auch das italienische Original an.
Ciascun confusamente un bene apprende
nel qual si queti l'animo, e disira;
per che di giugner lui ciascun contende.
Jeder weiß, wenn auch nur vage, von einem Gut
in welchen die Seele ruht, das sie ersehnt
welches zu erreichen, alle sich wünschen
Die These ist also, dass, wie es in Goethes Faust so schön heißt,
ein guter Mensch in seinem dunklen Drange, sich des rechten Weges wohl bewusst
ist.
Doch lässt die Trägheit uns danach nur langen
Lockt nichts uns zum Besitze, wird hier im Kreise
Nach wahrer Reue auch der Lohn empfangen
Soll heißen, dass hier all die büßen, deren Geist zwar
willig, aber deren Fleisch zu schwach war. Sie bereuen und erhalten dann für
ihre Trägheit den Lohn, also die Strafe.
Noch gibt‘ s ein letztes Gut, doch macht‘ s
nicht weise
Noch glücklich, ist der Baum nicht, der im Heile
Festwurzelnd Frucht uns schenkt zur Seelenspeise
Das ist auch etwas frei, aber der Blick auf das italienische Original zeigt,
dass es sinngemäß so ungefähr stimmt.
Altro ben è che non fa l'uom felice;
non è felicità, non è la buona
essenza, d'ogne ben frutto e radice.
Es gibt ein anderes Gut, dass dem Menschen keine
Freude spendet
ist nicht Glück, nicht von guten
Art, von der alles Gute Frucht ist und auch Wurzel
Das Gute erzeugt also eine Frucht und ist selber die Wurzel dieser Frucht.
Die Frage ist nun, was das andere Gut ist. In italienischen Kommentaren lesen
wir öfters, dass es sich allgemein um die irdischen Güter handelt. Deren
Frucht und Wurzel ist also nicht gut. Strebt man sie an, entsteht nichts Gutes,
und sie wurzeln auch nicht im Guten.
Liebe, die dem nachsteht in Gier und Eile
Wird über uns beweint in dreien Runde
Doch wie sich dort die Ordnung dreifach teile
Verschweig ich, da selbst es sollst bekunden
Also wir haben einmal eine Liebe, die sich ganz von Gott abgekehrt hat, die führt
dann zu Schadenfreude, Missgunst und Rachsucht. Und dann haben wir noch eine,
die sich zwar nicht abgewandt hat, aber etwas träge ist. Und bei dieser gibt
es dann wieder drei Gruppen. Wir können uns also noch auf Einiges gefasst
machen.