Dante bleibt sich treu. Sowohl über dem Tor der Hölle, wie auch des Läuterungsberges, wie auch des Paradieses ist eingemeisselt, leuchtend, für jeden sichtbar, das Motto, das von Anfang der Welt bis zum jüngsten Gericht die Welt durchdonnerte: WENN DU SIE NICHT ÜBERZEUGEN KANNST, VERWIRRE SIE!
Mit der Übersetzung haben sich dann viele abgemüht, die Ergebnisse sind in allen Varianten gleichermaßen sinnfrei, doch keiner wagte sie auszusprechen, die Worte des Antiwahns, der Wahrheit und des Lichts,welche lauten: ICH VERSTEH NUR BAHNHOF!

Zoozmann
Soviel des Wegs vom Schluss der dritten Runde
Bis zum Beginn des Tags die Sphähre macht
Die wie ein spielend Kind tanzt in der Runde

Soviel vom Laufe schien noch unvollbracht
Bevor der Sonnenball zur Ruh gegangen
Dort war es Vesperzeit, hier Mitternacht

Gmelin
Soviel wie vom Verlauf der dritten Stunde
Bis zum Beginn des Morgens von der Kugel
Erscheint, die immer wie ein Kind beweglich

Soviel erschien nun hier bis gegen Abend
Der Sonne übrig von dem Tageslaufe
Abend war dort und Mitternacht hier unten

Friedrich Freiherrn von Falkenausen
So weit von Tagsbeginn zur dritte Stunde
Der Sphärentanz sich dreht, der, wie im Reigen
Ein spielend Kind, ohn End schwingt die Runde

So weit noch hatt ins Meer hinabzusteigen
Die Sonne Versperstund war dort und hier
müsst eben Mitternacht der Weiser zeigen

Und auf italienisch lauten sie dann so.

Quanto tra l'ultimar de l'ora terza
e 'l principio del dì par de la spera
che sempre a guisa di fanciullo scherza,

tanto pareva già inver' la sera
essere al sol del suo corso rimaso;
vespero là, e qui mezza notte era.

Allerdings ist auch der Autor nicht in der Lage, das zu übersetzen. Herauskommen soll wohl etwas in der Art.

Soviel wie bis zum Ende der dritten Stunde
vom Moment an in dem die Sphäre des Tages
die wie ein Kind spielt, beginnt zu schwingen

So nah schien die Sonne schon
dem Ende Ihres Laufes nah gekommen;
dort war die Zeit der Abendandacht, hier war Mitternacht

Die ersten drei Zeilen bedeuten dann nichts anderes, als dass drei Stunden vergangen sind. Warum Dante hier auf den Tagesanbruch verweist, ist völlig unklar, denn drei Stunden sind drei Stunden, ob sie abends, morgens, mittags verstrichen sind, ist eigentlich völlig wurscht. Diese drei Stunden fehlen aber noch bis zum Sonnenuntergang. Warum alle nun mit Vesper übersetzen, ist ein Rätsel. Auf jeden Fall findet die Abendandacht drei Stunden vor Sonnenuntergang statt, denn einerseits fehlen noch drei Stunden bis Sonnenuntergang und andererseits ist es die Zeit der Abendandacht. Jetzt müsste man nur noch wissen, was Dante als Sonnenuntergang nimmt. Nimmt er zum Beispiel neun Uhr, dann dann liegt Italien (hier) und der Läuterungsberg (dort) sechs Stunden zurück. Allerdings ist das in jedem Fall völliger Mumpitz. Nach Dantes Vorstellung liegt der Läuterungsberg auf der Spitze der südlichen Welthalbkugel, das ist die einzige geographische Positionsbestimmung. Das reicht aber für eine Zuordnung zu Zeitzonen nicht aus. Zusammen mit anderen Aussagen, ist der Schluss zu ziehen, dass Dante über den Lauf der Sonne fundamental falsche Vorstellungen hatte, und seine Vorstellungen auch nicht mit dem ptolemäischen Weltbild übereinstimmten. Weiter hatte Dante Ptolemäus im Original wohl auch nie gelesen, denn erst ab dem 15. Jahrhundert liegen überhaupt lateinische Übersetzungen vor. Was er kennen konnte, wie detailliert ist unklar, ist die Zusammenfassung des Almagest (der arabische Name für Syntaxis Mathematica), dem Hauptwerk des Ptolemäus) durch Al-Fargani (geb. 789 nach Chr.), einem muslimischen Gelehrten aus Usbekistan. Diese wurde im 12. Jahrhundert mehrere Male ins Lateinische übersetzt, unter anderem 1175 von Gerard von Cremona . Wenn man also liest, dass Dante in allen Bereichen des Wissens auf der Höhe seiner Zeit war, dann sollte man den Ball eher flach halten. Denn objektiv kann nicht ermittelt werden, wieviel er wusste, und bei zahlreichen Falschaussagen Dantes kann nicht ermittelt werden, inwiefern er sich irrte, oder wer oder was seine Quelle gewesen war.

Auf Windungen, wie sie den Berg umfangen
Traf uns der Lichtstrahl mitten ins Gesicht
Weil wir dem Niedergang entgegendrangen

Interessant wäre jetzt natürlich zu erfahren, wo bei Dante die Sonne eigentlich auf der südlichen Halbkugel tatsächlich unterging. Doch darüber schweigt sich der Vers aus, denn aus der Angabe „auf Windungen, wie sie den Berg umfangen“, also aus der Information, dass sie auf der zweiten Terrasse ein Stück gewandert sind, können wir nicht schließen, wo die Sonne unterging, man müsste schon wissen, wieweit sie den Berg umkreist haben. Wir nehmen also an, dass sie im Westen unterging, halten das aber bei Dante keineswegs für sicher, auch wenn Gmelin direkt mit Westen übersetzt.

Die Strahlen trafen mitten auf die Nase
Denn also hatten wir den Bergen umwandert
Dass wir gerade gegen Westen gingen

Das entspricht nicht dem italienischen Vers. Richtig ist zwar, dass die Sonne im Westen untergeht, auf der ganzen Welt, man kann aber nicht sicher sein, dass das auch bei Dante so ist.

E i raggi ne ferine per mezzo ‘l naso,
perché per noi girato era sì 'l monte,
che già dritti andavamo inver' l'occaso,

Und deren Strahlen trafen mitten auf die Nase
weil da wir schon umkreist den Berg
dem Sonnenuntergang gingen wir entgegen

Im italienischen Orginal ist also erstmal nur von Sonnenuntergang die Rede, nicht aber in welcher Himmelsrichtung diese stattfindet.

Doch schien die Sonne jetzt ein schärferes Licht
Als erst, die Stirn belästigend, zu entsenden
Ich staunte drüber und begriff es nicht

Als wenn vom Wasser oder Spiegel wieder
Der Strahl zurückprallt und nach oben steigt
In umgekehrter Richtung als er nieder

Gefallen und sich dann gleichwinklig neigt
Zur Richtung senkrecht fallender Gewichte
Wie es uns Physik und Erfahrung zeigt

Die Sonne verströmt also weit mehr Licht, als dies die untergehende Sonne allein tut. Vergil klärt ihn dann darüber auf, dass sich das Licht der Sonne mit dem Licht eines, wohl vor der Sonne stehenden, Engels vermischt, welches wiederum reflektiert wird nach dem Schema Eingangswinkel = Ausfallswinkel, wobei allerdings in den Versen nicht steht, wo das Licht überhaupt reflektiert wird. Weiter ist das Bild auch nicht besonders suggestiv. Schaut man direkt in eine Lichtquelle, also z.B. in eine Taschenlampe, dann spielen die Strahlen, die über Reflexion das Auge erreichen, kaum eine Rolle. (Die These, dass der Engel selbst das Licht der Sonne reflektiert, können wir ausschalten. Denn erstens bewegen sich Dante und Vergil tatsächlich in Richtung des Sonnunterganges, wo immer der bei Dante auch sein mag, und zweitens würde das Licht durch die Reflexion auch nicht heller.) Weiter kann das auch nur funktionieren, wenn es sich um einen gerichteten Lichtstrahl handelt. Wir nehmen zur Kenntnis, dass Dante eine Zusammenfassung der Katoptrik des Euklid (365-300 vor Christus) gelesen hat (das Orginal ist nicht überliefert), da wir aber nicht wissen, was er gelesen hat und da er bestimmte Zusammenhänge lediglich andeutet, können wir auch nicht entscheiden, ob er das Gelesene richtig wiedergibt oder beurteilen, wie tief er es verstanden hat. Offensichtlich sieht Dante einen Zusammenhang zwischen der Reflexion fester Körper und der Reflexion von Licht. (Verse in der Übersetzung von Zoozmann oben.)

Come quando da l'acqua o da lo specchio
salta lo raggio a l'opposita parte,
salendo su per lo modo parecchio

a quel che scende, e tanto si diparte
dal cader de la pietra in igual tratta,
sì come mostra esperienza e arte;

Wie wenn vom Wasser oder Spiegel
der Strahl springt zur entgegengesetzten Seite
es verlassen in derselben Art

wie es auf der anderen Seite eingetreten
sich also ganz so wie ein Stein bewegt
was uns Erfahrung und Wissenschaft beweist

Dass sich ein Lichtstrahl genauso verhält wie ein Stein, den man beispielsweise übers Wasser hüpfen lässt (dann ist Einfallswinkel = Ausfallswinkel), ergibt sich zwar nicht aus der Erfahrung, da Licht diffus ist, sondern nur aus einer theoriegeladenen Versuchsanordnung, aber ungefähr stimmt es wohl, wenn auch die moderne Physik sehr viel komplexere Modelle entwickelt hat. Das Problem bei dem Bild ist, dass es nicht suggestiv ist, denn wir beobachten das nur, in einem kontrollierten Umfeld, in einem Experiment. Es ging Dante wohl darum, uns um jeden Preis seine Gelehrsamkeit vor Augen zu führen.

Nicht wundre dich, geblendet noch zu sein
Wenn Gottes Diener naht, so belehrte mich
Vergil, und dich lädt zum Aufstieg ein

Jetzt erfährt Dante, woher das Licht stammt. Es stammt von einem Engel.

Und als wir aufwärts stiegen im Verein
Klang‘ s: „Selig sind die Barmherzigen!“ und „Weide
am Sieg dich!“ im Gesang uns hintendrein

Mit „Selig sind die Barmherzigen“ wird auf die Matthäus 5, 7 angespielt (Bergpredigt): „Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ Das „weide dich am Sieg“ ist nicht zuordenbar, wahrscheinlich geht es aber um den Sieg über sich selbst, den ewigen Adam oder sowas in der Art.

Dante und Vergil steigen nun empor zur dritten Terrasse.

Mein Pädagog und ich, wir strebten beide
allein empor, ich hoffte drum, im gehen
Durch ein Gespräch auf nützlichen Bescheid

Wieso Zoozmann das nun gar nicht mittelalterliche Wort Pädagog verwendet, ist schleierhaft, die italienischen Verse lauten so.

Lo mio maestro e io soli amendue
suso andavamo; e io pensai, andando,
prode acquistar ne le parole sue;

Mein Lehrer und ich wir schritten beide
hinauf und ich beim Gehen dachte,
dass ich aus seinen Worten Nutzen ziehen könnte

Vergil erklärt ihm dann den tieferen Sinn der Worte Guido del Ducas aus dem vorherigen Gesang:

Aus solcher Saat erwuchs mir solches Stroh
Was hängt an Gütern, die nur immer einer
Genießen kann, das Herz euch Menschen so?

Der Gedanke, der dann kommt, ist sogar mal ganz hübsch:

Weil ihr euch pflegt an Gütern zu vergnügen,
Die Mitbesitz verringert, bläst der Neid,
Um neue Seufzer alten zuzufügen

Allerdings kommt dann wieder eine recht „scholastische“ Erklärung und man versteht nach der Lektüre die Worte Goethe besser.

Nachher, vor allen andern Sachen,
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag;
Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
Habt Euch vorher wohl präpariert,
Paragraphos wohl einstudiert,
Damit Ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
Als diktiert, Euch der Heilig Geist!

Faust, Mephistopheles zum Schüler

Dass eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber Dingen und der Fetischcharakter der Dinge dem menschlichen Miteinander abträglich ist, wäre auch an sich verständlich gewesen, das theologische Geblubbere wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen. Inwiefern der mittelalterliche Mensch an sich zu authentischen, spontanen Gefühlen unfähig war, oder ob sich nur Dante ständig an einem Gerüst entlang hangelt, ist unklar.

Die Argumentation Vergils zerfällt nun in zwei Teile. Die erste Versuch Vergils, Dante zu erklären, warum es Dinge gibt, die reicher machen, je mehr man sie teilt, überzeugt Dante nicht richtig.

Doch wenn nach oben sich, zur Herrlichkeit
Des Himmels wenden würde euer Sehnen
Blieb eure Brust von dieser Angst befreit

Je mehr vom gleichen Gute dort entlehnen
Je mehr wird jeglichem davon beschieden
Je mehr wird sich ihr Herz in Liebe dehnen

Anzunehmen ist, dass es eine vertiefende Überlegung zu Matthäus 22,32 ist: „Da aber die Pharisäer hörten, wie er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich. Und einer unter ihnen, ein Schriftgelehrter, versuchte ihn und sprach: Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? Jesus aber sprach zu ihm: "Du sollst lieben Gott, deinen HERRN, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte." Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“

Also wenn sich alle das gleiche Gut, die Liebe, vom Himmel holen, werden alle reicher, denn dieses Gut macht ja langfristig nur Spaß, wenn es auf Gegenliebe stößt. Das wiederum stellt Dante nicht zufrieden, und hier ist er sogar mal authentisch, denn Dante klammert sich verzweifelt an sein System, spontan kapiert er gar nix.

Nur halb stellt deine Antwort mich zufrieden
Sprach ich, und zweifelnd tiefer sinkt mein Mut
Als wenn ich alles Fragen hätt vermieden

Bei der Erklärung, die Vergil dann gibt, steigt aber nicht nur Dante auf (..ist dies zu verstehen, dir noch zu schwer) sondern auch alle Übersetzer, denn die Übersetzung ist dann weitgehend sinnfrei und hat nur einen losen Zusammenhang zu den italienischen Versen.

Und er: „Weil du den Sinn auf Erdendinge
Beständig heftest, bleibt dir unverkennbar
Das Licht und wähnst, dass Dunkel dich umfinge

Das Gut, das unerschöpflich und untrennbar
Vereint sich droben mit der Seligkeit
Wie Licht dem Spiegelglas verschmilzt untrennbar

Die italienischen Verse lauten so

Ed elli a me: «Però che tu rificchi
la mente pur a le cose terrene,
di vera luce tenebre dispicchi.

Quello infinito e ineffabil bene
che là sù è, così corre ad amore
com‘ a lucido corpo raggio vene.

Und er zu mir: “Weil du den Sinn nur richtest
auf irdisch Dinge
das wahre Licht für dich scheint Dunkelheit

Dies Unendliche und unsagbar Gute
das dort sich findet, geht zur Liebe
wie der Strahl sich heftet an die hellen Körper

Vergil „argumentiert“ also auf zwei Schienen. Wenn alle lieb sind, dann kriegen sie auch alle nur Liebe, das ist also wie in dem Sprichwort „wie man in den Wald hinein schreit, so kommt es heraus“. Die zweite Schiene ist dann, dass die, die von Liebe erfüllt sind, noch viel mehr Liebe empfangen. Und auch die letzte Terzine ist falsch übersetzt.

Je mehr in Eintracht droben sich gesellen
Je mehr gibt‘ s Grund zur Liebe und je mehr
Wird man, einander spiegelnd, sich erhellen

Im Original lauten die Verse so.

Tanto si dà quanto trova d'ardore;
Sì che, quantunque carità si stende,
cresce sovr'essa l'etterno valore.

Das gibt dann

Soviel man gibt, soviel Zuneigung wird man finden
so dass, mit jeder Barmherzigkeit die gegeben
der ewige Wert derselben wird gehoben

Das ist dann ein weiteres Argument. Also a) die Liebe ist nur gut, wenn sie auf Gegenliebe stößt, bzw. stirbt irgendwann, wenn sie es nicht tut, b) die Liebe geht auch zur Liebe, wie die Strahlen zu den hellen Körpern und c) der Prozess der gegenseitigen Liebe schaukelt sich hoch. Wer das jetzt nicht begriffen hat, muss auf Beatrice warten, das tun wir gerne, schon die ganze Zeit.

Ist dieses zu verstehen dir noch zu schwer
So tilgt dir Beatrice bald im Herzen
Dies und noch manches andere Begehr

Dann warten wir also mal auf Beatrice.

Nur die fünf Male trachte auszumerzen
Wie schon verheilt der Wunden erstes Paar
Du weißt: Sie schließen sich, nur wenn sie schmerzen

Man kann das ohne weiteres nachvollziehen, auch wenn man fest annehmen darf, dass Dante an irgendeinen Bibelvers dachte, denn ohne scholastische Absicherung, sagte er keinen Ton. Es ist aber naheliegend, dass eine Sünde nur gebüßt werden kann, wenn die Einsicht vorhanden ist, dass es Unrecht war und diese Einsicht auch schmerzt.

Schon wollt ich sagen: Jetzt versteh ich‘ s klar
Da standen wir am drittn Kreis hoch oben
Wo Schaulust schuld an dem Verstummen war

Sie sind nun also auf der dritten Terrasse angelangt. Hier büßen die Zornigen. Da, immer in der Logik des contrapasso, der Zorn ihre Sicht auf die Welt verfälschte, leben sie hier eingehüllt in eine dunkle Wolke. Doch bevor auch Dante und Vergil von dieser eingehüllt werden, folgen erst noch zwei exemplarisch Tobende, wobei wir das erste Bild nicht so richtig zuordnen können.

Ein Weib in mütterlicher Sorge nahn
Das sprach vorwurfsvoller Schmerzgebärde:
„Mein Sohn, warum hast du uns das angetan?“

Bezug genommen wird wohl auf Lukas, 2 Kapitel, 33ff: Und da sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des HERRN, kehrten sie wieder nach Galiläa zu ihrer Stadt Nazareth. Aber das Kind wuchs und ward stark im Geist, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm. Und seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest. Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf gen Jerusalem nach der Gewohnheit des Festes. Und da die Tage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem, und seine Eltern wußten's nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Gefreunden und Bekannten.
Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum gen Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.Und er sprach zu ihnen: Was ist's, daß ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete. Und er ging mit ihnen hinab und kam gen Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Da Maria weder besonders zornig noch besonders sanftmütig war, ist relativ schleierhaft, warum Dante sie hier anführt. Das Beispiel ist weder geeignet, Zorn zu illustrieren, noch das Gegenteil, Sanftmut. Er hätten sich aus dem reichhaltigen Arsenal griechisch / christlicher vom Zorn Entflammter auch bessere Beispiele finden lassen. Auch das nächste Beispiel ist nicht so richtig schön tobsüchtig und auch nicht besonders sanftmütig.

So räche jenes Arms Verwegenheit,
Der unsere Tochter wagte zu umfassen
Doch Pisistrat schien gegen Zorn gefeit

Die Quelle dieser Geschichte kann entweder der Geschichtsschreiber Herodot oder Aristoteles sein. Pisistratus war im Zeitraum zwischen 560 bis 527 v.Chr. Alleinherrscher in Athen, mit Unterbrechungen. Obwohl als Tyrann tituliert, schneidet er in den Geschichtsbüchern aufgrund seiner der Gemeinheit verpflichteten Politik positiv ab. Die Terzine Dante bezieht sich auf einen Mann, der die Tochter des Pisistratus anbaggerte. Die Frau des Pisistratus wollte, dass dieser Mann bestraft werde, Pisistratus tat dies nicht.

Ein besseres Beispiel für Sanftmut ist Stephanus, der erste Märtyrer.

Zu Boden brechen sah ich den Gepeinigten
Dem Tode nah; doch mit des Himmel Toren
Die Augen im Gebete sich vereinigen

Als bäte sterbend er vor Gottes Ohren
Gott möge seinen Peinigern verzeihen
Mit Blicken, wie sie Mitleid stets beschworen

Erzählt wird die Geschichte in der Apostelgeschichte Kapitel 7. Den Anhänger Jesu wird vorgeworfen, die Juden dazu aufzurufen, den Propheten nicht mehr zu folgen. Nachdem Stephanus den Versammelten die Geschichte des Volkes Israel erzählt hat und sie darauf aufmerksam gemacht hat, dass sie selbst dem Propheten (Moses) öfter mal nicht folgten, steinigen sie ihn.

Da sie solches hörten, ging's ihnen durchs Herz, und sie bissen die Zähne zusammen über ihn. Wie er aber voll heiligen Geistes war, sah er auf gen Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes; und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Sie schrieen aber laut und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmütig auf ihn ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ihre Kleider ab zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus und steinigten Stephanus, der anrief und sprach: HERR Jesu, nimm meinen Geist auf! Er kniete aber nieder und schrie laut: HERR, behalte ihnen diese Sünde nicht! Und als er das gesagt, entschlief er.

Als ich sie fühlte meinen Geist befrein
Zur Wirklichkeit und zu der Umwelt Dingen
Sah ich die Täuschung, die kein Trug war ein

Die Übersetzung ist etwas grenzwertig. Das italienische Orginal lautet so.

Quando l'anima mia tornò di fori
a le cose che son fuor di lei vere,
io riconobbi i miei non falsi errori

Was dann folgendermaßen zu übersetzen ist.

Als mein Bewusstsein sich nach außen wieder wandte
den Dingen zu, die außerhalb seiner wirklich sind
erkannte ich meine nicht mal falschen Fehler

Das geht jetzt so. Sein Bewusstsein schaute ein Trugbild; als sich aber ein Bewusstsein oder seine Aufmerksamkeit wieder der Wirklichkeit zuwandte, erkannte er, dass in den Trugbildern eine Wahrheit steckte.

Diese Idee, also dass man „im Innern“ seiner selbst eine Wahrheit findet, wird dann im folgenden Gespräch zwischen Vergil und Dante nochmal vertieft.

Dass du es sahst, geschah, dass sich mit keinen
Fasern dein Herz verschlöss der Friedensflut
Die aus der Quelle strömt, der ewig reinen

Auch hier lohnt es sich, sich das italienische Orginal anzuschauen.

Ciò che vedesti fu perché non scuse
d'aprir lo core a l'acque de la pace
che da l'etterno fonte son diffuse.

Was du sahst geschah, damit du nicht verneinst
dein Herz den Friedensströmen aufzuschließen
welche strömen von der ewigen Quelle

Anzunehmen ist, dass mit dem „acque de la pace“ auch auf irgendeine biblische Geschichte Bezug genommen wird, leider hat der Autor die Stelle nicht gefunden.

Nach dieser inneren Schau, sehen sie dann die Wolke, in die sich die befinden, die der Zorn hat erblinden lassen.

Sieh! Da begann uns mählich zu umziehen
Ein Rauch, der schwarz wie Nacht sich rings erstreckte
Dass wir ihm nirgends wussten zu entfliehen