Sicher ist, dass das Gebet, das die Büßer sprechen, angelehnt ist, an das bekannte Gebet „Vater unser, der du bist im Himmel, dein Reich komme, dein Wille geschehe…..“. Genau so sicher ist aber, dass wohl niemand diese Verse im Detail versteht. Vergleichen wir einmal drei Übersetzungen, wir werden sehen, dass sie sich vollkommen unterscheiden.

Zoozmann

O Vater unser, der du bist im Himmel
Doch unumschränkt , von Liebe nur gehalten
Zu deiner Anfangschöpfung Glanzgewimmel

Geheiligt sei dein Name, und dein Walten
Gelobt von jeder Kreatur hienieden
Mit Dank für deiner Weisheit süßes Schalten

Gmelin
O Vater unser in dem Himmel droben
Du unbegrenzt, doch mit besonderer Liebe
Der Kraft der ersten Sphären dort verbunden

Gepriesen sei dein Name und dein Wirken
Von jeder Kreatur, denn es gebühret
Dass man für deine süßen Düfte danke


Freiherr von Falkenhausen
Du unser Vater, der im Himmel bist
Allgegenwärtig, doch im Wohlgefallen
Ihm hold, der deiner Schöpfung Erstling ist

Geheiligt sei dein Name und bei allen
Erschaffnen Deine Macht, dass Lob hinieden
Und Dank gebühret deiner Huld erschallen


Klar ist nur, dass Gott im Himmel ist, aber auf diesen nicht beschränkt ist und sein Name gepriesen wird, der Rest ist unklar. Tatsächlich gibt auch das italienische Original Rätsel auf.

O Padre nostro, che ne' cieli stai,
Non circunscritto, ma per più amore
ch'ai primi effetti di là sù tu hai

laudato sia 'l tuo nome e 'l tuo valore
da ogni creatura, com'è degno
di render grazie al tuo dolce vapore


Gut ist die Übersetzung von Gmelin mit den süßen Düften (vapore / Dampf). Manche italienische Kommentatoren deuten es eher als „heiligen Geist“. Freiherr von Falkenhausen nimmt dann einfach gar nicht mehr zur Kenntnis, dass es überhaupt ein Original gibt.

Es ist also völlig unklar, was die Verse bedeuten, aber das ist lange nicht so spannend wie die Tatsache, dass alle drei oben genannten Versionen mit Kommentaren versehen sind, aber kein Einziger gibt zu, dass er schlicht keine Ahnung hat, was er da zusammen übersetzt hat, also keine Lösung hat. Das erinnert ein bisschen an die Strategie von Microsoft. Immer wenn das System absäuft, kommt bei XP die Meldung, dass man sich an den Serveradministrator wenden soll, der nicht da ist. Bei Vista kommt die Meldung, dass nach einer Lösung gesucht wird (sie kommt aber nie). Ich würde mal sagen, die Leute sind schon ganz schön rechthaberisch.

Diese Verse

Es komme zu uns deines Reiches Frieden
Weil wir aus eigener Kraft ihn nicht erringen
Der uns nur labt, von deiner Huld beschieden

zusammen mit diesen

Vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben
All unseren Schuldigen und sieh in Gnaden
O Herr, nicht auf‘ s Verdienst in unserem Leben


stellen unter Umständen auf die christliche Gnadenlehre ab. Selbige kann man sich nämlich nicht erarbeiten, sondern Gott vergibt sie, oder eben auch nicht. Man kann sich mit dieser Gnadenlehre sicher lange befassen, aber höchstwahrscheinlich kommt dabei nichts heraus, was irgendeine Logik hätte.
Was Dante mit dem Vers „ und sieh in Gnaden, O Herr, nicht auf‘ s Verdienst in unserem Leben“ sagen will, ist dann aber wieder unklar. Denn selbst wenn die Gnade ohne eigenes Zutun auf den Menschen kommt, heißt das ja wohl noch lange nicht, dass eigenes Zutun völlig egal ist. Da wir es aber wiederum nur mit einer vagen Andeutung zu tun haben, ohne dass genau geklärt wird, auf welche Auslegung der Gnadenlehre genau rekurriert wird, lässt sich das nicht klären.

Wenn sie für uns dort beten, was kann der
Diesseits für jene alles tun und sagen
Bei dem schon Wurzel schlug Wunsch und Begehr

So ist das erstmal vollkommen unverständlich. Im Orginal lauten die Verse so.

Se di là sempre ben per noi si dice,
di qua che dire e far per lor si puote
da quei ch'hanno al voler buona radice?


Das ist tatsächlich schwer zu übersetzen. Rauskommen soll wohl sowas in der Art.

Wenn man dort nur Gutes über uns erzählt
Was können hier jene sagen, jene tun
bei denen zum Willen, noch die gut Wurzel sich gesellt

Heißen soll das wohl, dass die, für die sie beten und die noch unter den Lebenden, also im irdischen Jammertal weilen, wo man noch sündigt und die Erbsünde regiert, gefälligst auch für sie beten können. Die bereits im Purgatorium Gelandeten können für die Lebenden mehr tun, als jene für sie, folglich sollen die Lebenden gefälligst auch für sie beten.

O soll euch bald Gerechtigkeit befrein
Und Mitleid, dass ihr Regen könnt die Schwingen
Die eurem Wunsch Befriedigung verleihn

Zeigt uns den nächsten Weg, emporzudringen
Und gibt es ihrer mehr, sagt: sagt wo der eine
Der mindersteil uns kann nach oben schwingen


Mit diesen Worten richtet Vergil zum ersten Mal das Wort an die Büßenden. Sie sollen ihm den Weg zeigen, der auf die nächste Plattform führt. Die Antwort überrascht nun etwas, aber es handelt sich um ein Detail.

Doch hieß es so:“Ihr mögt nur mit uns kommen
So wird ein Pass zu eurer Rechten ragen,
wie ihn ein Menschenfuß wohl schon erklommen

Das Problem dabei ist, dass Dante und Vergil gegen den Uhrzeigersinn um den Berg wandern, rechts von ihnen ist als der freie Fall. Schaut man sich eine Illustration des Läuterungsberges an, dann wird offensichtlich, dass das so nicht stimmen kann.



Die wandeln entgegen dem Uhrzeigersinn um den Berg, die Treppe liegt links von ihnen. Die Verse im italienischen Original lauten.

ma fu detto: «A man destra per la riva
con noi venite, e troverete il passo
possibile a salir persona viva.


es wurde gesagt:” Zu rechter Hand am Rande
kommt mit uns, und den Übergang werdet ihr finden
besteigbar auch, für eine lebende Person

Sie sollen ihnen also auf der rechten Seite folgen, dass auch der Aufstieg rechts ist, steht da nicht.

Ich war Toskaner, nicht von den Geringen
Guilelm Aldobrandesc war‘ s, der mich zeugte
Hörtet ihr niemals seinen Namen klingen?

Die Rede ist von Umberto Aldobrandesco, Sohn des Guglielmo Aldobrandesco. Die Aldobrandeschi besaßen große Besitztümer in der Toscana, konnten sich aber gegen das sich ausdehnende Siena nicht halten. Umberto Aldobrandesco starb in den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Siena und seine Burg, das erwähnte Campagnatico, ging an Siena. Worin sein besonderer Hochmut bestand, ist nicht bekannt.

„Sie da“, rief ich, „bis du nicht Oderis?
Stolz darf auf deine Kunst Agubbio sein
Die man Illuminer nennt in Paris


Oderisi da Gubbio (geb.1240 in Gubbio, gest. 1299 in Rom) war ein Miniaturmaler, also jemand, der Manuskripte mit kleinen Bildern verzierte. Von seinen Werken ist fast nichts übrig geblieben, nur zwei Miniaturen in der Kirche Canonica di San Pietro werden ihm zugeschrieben. Wieso er überheblicher gewesen sein soll, als andere Leute, ist unklar. Hier findet sich sogar mal ein hübscher Vers, der keine Anspielung auf eine Anspielung ist.

Der Weltruhm weht wie Wind vorbei den Ohren
Dem schon, wenn er sich hier – und dorthin wendet
Der Name mit der Richtung geht verloren


Dante fragt nun nach einem anderen Büßer.

Und ich: „Demut lehrt mich dein wahres Wort
Und weiß des Stolzes Wellen fein zu zwingen
Wie aber nennt sich der Sanese dort?“


Die Frage, die man sich stellen kann, ist, warum Dante überhaupt weiß, dass er aus Siena kommt, also ein Sanese (eigentlich Sienese) ist. Er weiß es, weil Oderisi es ihm weiter oben mitgeteilt hat („Einst hallte ganz Toskana von dem Preise, des, der da vor mir schleicht, träger als alle, Heute flüstert kaum Siena von ihm leise“).

Salvani ist‘ s, hier muss er büßend ringen
Sprach Oderis, weil er sich unterfangen
Siena ganz in seine Hand zu bringen


Provenzano Salvani spielte eine bedeutende Rolle in Siena während dessen langanhaltenden Konflikten mit Florenz. Sowohl Siena wie auch Florenz waren aufstrebende Stadtstaaten, was zu einer Auseinandersetzung über die Vormachtstellung führte. Siena schlug sich auf die Seite der Staufer. Hierfür gewährte König Barbarossa Schutz und gewisse Priviligien wie zum Beispiel das Münzrecht. Allerdings vermischen sich mehrere Interessen, was dann dazu führte, dass es auch in Florenz, wie bereits x-mal diskutiert, eine kaisertreue Fraktion, die Ghibellinen eben, gab. Als Siena, entgegen den schriftlichen Vereinbarungen, den aus Florenz verbannten Ghibellinien Zuflucht gewährte, kam es am 4. September 1260 zur, ebenfalls bereits öfters erwähnten Schlacht bei Montparti, die die Sienesi mit Hilfe des, ebenfalls bereits öfters erwähnten Urenkels von Barbarossa, Manfredo di Sicilia, für sich entscheiden konnten. Die Macht von Florenz war damit erstmal gebrochen. Überlagert wird dieser Konflikt aber von einer Auseinandersetzung zwischen den Staufern auf der einen Seite und dem Papsttum auf der anderen Seite, den sich wiederum Frankreich zunutze macht. Ein Bruder des französischen Königs, Karl von Anjou, greift auf der päpstlicher Seite in das Geschehen ein. Dies führt zur Schlacht Benevent (1266) bei der, wie schon öfters erwähnt, Manfredo de Sicilia ums Leben kommt. Damit ist die Macht der Staufer und damit die Macht der Ghibellinen fast endgültig gebrochen. Konradin, der letzte Staufer in Italien, wird ebenfalls von Karl von Anjou getötet. Siena, nun allein auf sich gestellt, wird 1269 am Colle di Val d' Elsa von Florenz besiegt, Salvani stirbt in dieser Schlacht. Siena wird von Florenz eingenommen und alles, was an Salvani erinnern könnte, zerstört.

„Wenn drunten harren muss, wer aufgeschoben
Die Reue hat bis in die letzen Stunden
Und niemals“, sprach ich, „eher darf nach droben,

(Falls ihn Gebete früher nicht entbunden)
Bis nochmals seine Erdenzeit vergangen
Sprich, wie er Eintritt hier gefunden?

Kaum anzunehmen, dass Dante sich so präzise Aussagen, dass also Beten den Vorgang beschleunigt und dass man ansonsten solange vor dem Tor steht, wie man gelebt hat, aus den Fingern“ saugte. Aber aus welcher Quelle er schöpfte, wissen wir auch nicht.

In seinem Ruhmesglanze höchstem Prangen,
belehrte mich der Greis, begab er frei
Auf Sienas Markt sich ohne schamhaft Bangen

Den Freund zu lösen aus der Sklaverei
Im Kerker Karls, erniedrigte er sich dort
Dass jeder Puls ihm zitterte dabei


Dante nimmt wohl Bezug auf die Schlacht von Tagliacozzo vom 23. August 1268, bei der Konradin, der letzte Staufer in Italien, von Karl Anjou (…Im Kerker Karls) aus Frankreich vernichtend geschlagen wurde. Im Verlaufe dieser Schlacht wurde ein Freund Salvanis gefangen genommen. Siena war zu diesem Zeitpunkt noch unter seiner Macht, erst 1269 eroberte Florenz die Stadt. Salvani stellte sich nun auf den Marktplatz von Siena und bettelte weinend um Geld, um so den Freund freikaufen zu können. Diese Geste der Demut in seinem allgemeinen Hochmut beförderte ihn also auf die erste Stufe des Purgatoriums ohne Zwischenladung in dem Reich vor dem Tor.