Der Sünder hob vom schauderhaften Mahle
Den Mund, ihn rein-sich-wischend an den Haaren
Des Hinterkopf, dem er zerbrach die Schale

Der dreiundreißigste Gesang fährt quasi da fort, wo der zweiundreißigste aufgehört hat. Dante sieht zwei Köpfe aus dem Eisloch ragen, wobei der eine Kopf den anderen abnagt. Der Kopf der abnagt ist Ugolino della Gherardesca. Über diesen ist man, vergleicht zu den anderen in der Hölle schmachtenden Zeitgenossen Dantes bestens informiert. Über ihn gibt es einen sehr detaillierten Eintrag bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Ugolino_della_Gherardesca#_ref-3, den wir jetzt nochmal zusammenfassen. Der Wikipedia Artikel speist sich höchtswahrscheinlich aus einer Monographie (Mallegni, Francesco; M. Luisa Ceccarelli Lemut (2003). Il conte Ugolino di Donoratico tra antropologia e storia). Besonders erstaunlich ist, dass Urgoglino della Gherardesca sogar schon Gegenstand einer forensischen Untersuchung wurd, mit DNA Analyse und allem Pi Pa Puff. Wer sich also für diese Figur näher interessiert, möge sich an das Orginal halten, also an den Wikipedia Eintrag, wir fassen diesen hier lediglich zusammen. Ugolino della Gherardesca wurde um 1220 in Pisa geboren. Die Familie Gherardesca gehört der ghibellinischen Partei an und hat enge Verbindung zu den Staufern. Als Enzio von Sardinien (ein unehelicher Sohn Friedrich II und König von Sardinien von Papas Gnaden) am 26. Mai 1249 in Bologna gefangen gesetzt wird, hat Sardinien erstmal keinen König mehr. 1252 wird
Ugoliono Statthalter von Sardinien, die Familie Gherardesca stammt ursprünglich aus dieser Region. Ugolino ist also nicht nur aus familiären Gründen Ghibelline, also kaisertreu, sondern ist auch kaiserlicher Würdenträger. Politisch jedoch ist er eigentlich ziemlich flexibel, den in Pisa ist er durch die Heirat seiner Schwester mit einem Führer der Partei der Guelfen eng verbandelt und nimmt in den Jahren 1271 bis 1274 an zahlreichen Aktionen gegen die kaiserliche Herrschaft teil, was 1274 zu seiner Verhaftung führt. Nach dem Tod des Gatten seiner Schwester, wird er als nicht mehr gefährlich eingestuft und aus der Haft entlassen. Er verbündet sich erneut mit der guelfischen Partei und führt Krieg mit Hilfe von Karl von Anjou (das ist der, der auch den Halbruder von Enzio, also Manfred von Sizilien im Jahr 1266 in der Schlacht von Benevent besiegen wird) gegen Pisa. Als Ergebniss dieses Angriffs muss sich Pisa beugen und die Guelfen, darunter auch Ugolino, rehabilitieren. Pisa lag aber nun auch im Dauerclinch mit Genua (um es genauer zu sagen, alle Städte lagen eigentlich ständig im Clinch, vor allem die Städte, die durch den Seehandel reich geworden waren, Venedig, Genua, Pisa). Am 6. August 1284 kam es vor Livorno zur größten Seeschlacht der damaligen Zeit, mit jeweils etwa 100 Schiffen. An dieser Schlacht war auch Ugolino als Befehlshaver von etwa 20 Schiffen beteiligt. Als sich die Schlacht für die Pisaner ungünstig entwickelte, griff er in das Geschehen nicht mehr ein und besiegelte somit die vollständige Niederlage Pisas. Er wird aber trotzdem, unter Umständen aufgrund seiner guten Beziehungen zu den Guelfen, zum Stadtoberhaupt von Pisa gewählt. Die guten Verbindungen zur Partei der Guelfen waren insofern entscheident, als Florenz und Lucca die Schwäche Pisas zu einem Angriff nutzten. Diese beiden Städte wurden von Guelfen regiert. Der Friedenschluss gelang, allerdings verlangte Lucca, dass einige vorgelagerte Burgen an Lucca übergeben werden, was von der Bevölkerung Luccas abgelehnt wurde. Um aber dennoch zu einer Einigung zu gelangen, übergab Ugolino dieses Burgen heimlich, indem er heimlich die Besatzung dieser Burgen abzog, was ihm als Verrat ausgelegt wurde. Die Verhandlungen mit Genua
jedoch gestalten sich schwieriger, weil dieses die Burg Rocca auf Sizilien forderte. Ugolino wird nun unterstellt, diese strategisch weit geringere Burg deshalb nicht herausgeben zu wollen, um so die Rücckehr derjenigen, die bei der Schlacht Meloria (die vom 6. August 1284) gefangen genommen worden waren zu verhindern, den darunter befanden sich viele Ghibellinen. Als 1288 eine Hungersnot ausbrach macht sich der Erzbischof Ruggieri degli Ubaldini die darauf folgende Unruhe im Volke zunutze und stürzt Ugolino. Skurril dabei ist, dass Ubaldini den Ghibellinen, also den Kaisertreuen angehörte und nicht, den papstreuen Guelfen, was viel naheliegender gewesen wäre. Das erklärt aber noch nicht, warum Ubaldini im neunten Kreis der Hölle, also unter die Verräter geraten ist, denn es ja dessen Kopf, an dem Ugolino knappert. Dies erklärt sich daraus, dass Ruggieri degli Ubaldini sich Ugolino gegenüber als Freund
ausgab, die "Freundschaft" aber nur solange währte, bis sich sich eine Möglichkeit gab, Ugolino zu stürzen. Ugolino wurde zusammen mit seinen beiden Söhnen Gaddo und Uguccione und seinen Enkeln Nino und Ansemuccio in einen Turm geworfen, der der ghibellinischen Familie Gualdini gehörte. Dort ließ man sie verhungern.

Ich sah hier den als Jagdherrn durch die Auen
Zu jenem Berg hinhetzen Wolf samt Jungen
Der Pisa wehrt, nach Lucca hinzuschauen

Als Treiber sah ich frisch - vorausgesprungen
Gualandi schon, Sismondi und Lanfranken
Mit Hunden sehnig, gierig, stark von Lungen

Und sah nach kurzem Lauf ermattend schwanken
Den Wolf und seine Wölflein, sah geschlagen
Rings scharfer Zähne Wut in ihre Flanken

Die Verse schildern einen Traum, den Ugolino hat, nachdem er bereits einige Zeit im Kerker saßen (und Nahrung erhielten). Der Traum weissagt aber nun, dass der Wolf und seine Jungen von ihren Jägern erlegt werden. Nach diesem Traum stellt er auch tatsächlich fest, dass nun keine Nahrung mehr gebracht wird.

Die Kinder werden wach - es naht die Stunde,
Wo man uns sonst gespeist - im Antlitz spiegelt
Sich Unglücksahnung jedem in der Runde

Genannt werden in den Versen auch die Familien Gualandi, Sismondi und Lanfranken, allesamt Anhänger der Ghibellinen, die also folglich Gegner von Ugolino waren. Mit "jenem Berg" ist der Berg San Giuliano gemeint, dieser liegt zwischen Pisa und Lucca.

Was Ugolino anlangt, hätte es so manches gegeben, was gereicht hätte, ihn in den Kreis der Verräter zu bannen. Genannt wird allerdings nur die Übergabe der Burgen an Lucca.

Sei‘ s wahr, dass Ugolinos Frevelmut
Verräterisch die Schlösser übergeben-
Warum hast du gequält das junge Blut

In diesen Versen findet sich dann auch noch eine durchaus berechtigte Anklage Ruggieri degli Ubaldini betreffend. Denn er hat dafür gesorgt oder zumindest nicht unternommen um dies zu verhindern, dass auch die unschuldigen Kinder mit verhungern.

Als Fürsprech diente doch – du neues Theben-
Dem Hugo, dem Brigata samt den beiden,
Die schon mein Lied genannt, ihr zartes Leben

Will heißen, dass das kindliche Alter der Söhne und Enkel wohl ein Argument gewesen wären, die zu verschonen. Etwas Probleme bereiten die beiden Namen Hugo und Brigata, denn so hießen die Söhne und Enkel von Ugolino ja offensichtlich nicht. Der Hugo ist eine Verwirrung, die Zoozmann veranstaltet hat. Im Orginal heißte es

Innocenti facea l'età novella,
Novella Tebe, Uguiccione e 'l Brigata
e li altri due che 'l canto suso appella.

Damit hätten wir zumindest mal den Hugo, den das ist Uguicciono. Der Brigata kommt zustande, weil das der Spitzname von Nino, also seines Enkels, Brigata war. Der Vergleich Pisas mit Theben, geht auf den Fluch zurück, der auf Theben lastet und alles mögliche Malheur (Ödipus etc.) verursachte. Laios König von Theben hat Chrysippos vernascht, den Sohn von Pelops. Letzterer verflucht daraufhin Laios, was Laios wiederum vom Orakel von Delphi verfährt: „ Solltest du jemals einen Sohn haben, dann wird dieser seinen Vater umbrinen, seine Mutter heiraten.“ Das wird dann die Ödipus Sage.
Und er: „Ich hab mit Obst vom bösen Zweige
Als Bruder Albrich meinen Feind verdorben
nun speist mich hier die Dattel statt der Feige

Der Angesprochene ist Alberigo di Ugolino dei Manfredi, ein Frate Gaudente (die hatten wir schon, dass
waren die, die zwar Mönch waren, aber ansonsten ein normales Leben führten und es sich gut gehen ließen) . Im Verlaufe eines Streites wurde er vom Sohn von Manfredo Manfredi, Alberghetto, geohrfeigt. Nacheiner vermeintliche Versöhnung lud Alberigo di Ugolino die beiden, also Manfredo Manfredi und Alberghetto zum Essen ein. Auf das vereinbarte Zeichen, "Jetzt kommen die Früchte", ließ er beide von gedungenen Mördern umbringen. Der Ausspruch "speist mich hier die Dattel statt der Feige", scheint auch im heutigen Italienisch nicht mehr üblich sein, denn auch in Erläuterungen für ein Italienisch sprechendes Publikum finden wir "dattero per figo: variante del proverbio : " rendere pan per focaccia " also, "Datteln für Feigen, eine Variante der Redensart Brot für Fladenbrot ausgeben", also irgendwas Wein anstatt Wasser oder sowas in der Art.

„Was?“ rief ich aus, „auch du bist schon gestorben?“
Und er: „Wie‘ s oben meinem gehe,
Drob hab ich keine Kenntnis noch erworben“.

Denn das Tolomeas Vorzug: ehe
Noch Atropos mit ihrer Schere naht,
Stürzt schon die Seele her ins ewge Wege

Auch der Sinn dieser Verse erschließt sich nicht unmittelbar. Wie bereits gesagt, ist der neunte Kreis aufgeteilt in drei Unterkreise und einer davon ist die Tolomeagrube, im italienischen Orginal

Cotal vantaggio ha questa Tolomea,
che spesse volte l'anima ci cade
innanzi ch'Atropòs mossa le dea.

In der Tolomeagrube landen die, die ihre Tischgenossen umgebracht haben. Der Name leitet sich wohl von einer Geschichte der Bibel ab, in der Ptolemäus seinen Schwiegervater und seine beiden Schwäger ermorden liess (1.Makkabäer 16, 11-16)

1.Makk 16,14 - Da nun Simon umherzog im Lande Juda, die Städte zu besehen und ihr Regiment zu bestellen, und gen Jericho kam mit zwei Söhnen, Mattathias und Judas, im hundertundsiebenundsiebzigsten Jahr, im elften Monat, welcher heißt Sebat: 16,15 da empfing sie der Sohn Abubs in seiner Burg, welche heißt Dok, und richtete ihnen ein herrliches Mahl zu; aber es war eitel Betrug, denn heimlich versteckte er Kriegsvolk darein. 16,16 Und da Simon und seine Söhne fröhlich waren und wohl getrunken hatten, machte sich Ptolemäus auf mit seinen Knechten und nahmen ihre Waffen und fielen ein zu Simon über dem Mahl und schlugen ihn samt den zwei Söhnen und den Knechten tot. 16,17 Diese schändliche Untreue tat Ptolemäus in Israel und tat ihm solche Bosheit für seine Wohltat.

So erklärt sich der Name. Die Besonderheit dieses Kreises, nämlich dass dort Seelen hausen, deren Körper noch oben unter der Sonne wandelt (von einem Dämon besessen) erklärt sich so nicht und es ist auch unklar, wo Dante diese Vorstellung hernimmt.

Was Antropos angeht, müssen wir wieder was für unsere Allgemeinbildung tun. Sie ist eine der drei Moiren. Die Moiren sind die Töchter von Zeus (yep, der Zeus hat nichts anbrennen lassen) und Thermis. Thermis war aber nicht etwa seine Schwester, wie seine Hauptfrau Hera, die ewige Spaßbremse, sondern eigentlich seine Tante, denn ihre Eltern waren Uranus und Gaia. Auf jeden Fall sind die Moiren Stücker drei, Klotho die „Spinnerin”, die den Lebensfaden spinnt, Lachesis die „Zuteilerin” die dessen Länge bemisst, und Atropos die „Unabwendbare”, die den Lebensfaden abschneidet und eben diese Atropos ist hier genannt.

Herr Branca d‘ Oria ist nicht tot“, sprach ich
„Ich glaub ihm wohl, du hast mich jetzt betrogen,
Denn Branca isst, trinkt, schläft und kleidet sich

Er aber sprach: „Noch eh vom Brückenbogen
Allwo die Schar der Grausetatzen wacht
Herr Michel Zanche tief ins Pech geflogen

War Brancas Leib schon in des Dämons Macht,
Wie gleichfalls jenes Anverwandten Glieder
Der mit als Helfer den Verrat vollbracht

Wir wissen bereits, dass Dante fördert, aber auch fordert, so wie das politisch von SPD über CDU einhellig gewünscht wird, er ist also durchaus der Meinung, dass wir uns an jenen Zanche aus Gesang 22 zu erinnern haben.

Das auch Don Zanche weilt bei den Bepichten
Hört man die beiden unaufhörlich schwatzen
Von allerhand Sardinischen Geschichten

Denn dieser Zanche, er war Stellvertreter des König Enzo auf Sizilien und veruntreute Gelder, wird von jenem Branca D‘ Oria, seinem Schwiegersohn, umgebracht. Im 22 Gesang wird aber erstmal Zancha von den Teufeln in den Pechsee getaucht. Wir sehen aber, dass die Angelegenheit doch noch ein Tak komplizierter ist. Denn eigentlich hat nicht Branca Zancha umgebracht, sondern der Leib Brancas, der von einem Dämon besessen war, die Seele des Branca war schon tiefgefroren, als der Leib Brancas als Hülle eines Dämons den Zanche umbrachte. Wer allerdings mit den Versen „als Helfer den Verrat vollbracht“ gemeint ist, ist völlig unklar, wie auch unklar ist, ob wir das überhaupt wissen wollen.

Bei dem ganzen Hin und Her vergisst man schlussendlich, dass es immer noch
Ugolino dei Manfredi ist, der spricht und von ihm wurde oben bereits gesagt, dass sein Körper noch unter den Lebenden weilt, er ist es ja, der Dante auf diese Besonderheit der Tolomeagrube hinweist.

Traf ich beim schlimmsten aus Romagnas Lande
Doch eurer einen, dem schon arges Handeln
Die Seele schlug in des Cocytus Bande

Indes sein Leib och droben scheint zu wandeln