Dante und Vergil sind auf dem Weg, das zehnte Tal des achten Kreises zu verlassen und in den neunten Kreis der Hölle hinabzusteigen.

Dieselbe Zunge, die mich erst verwundet
dass mir die Scham verfärbte beide Wangen
Gab dann den Heiltrank mir, dran ich gesunde

Der Lanze, die Achill und Peleus schwangen
War auch, wie ich vernahm, die Gabe eigen
Wunden zu heilen, die durch sie empfangen


Der erste Teil bezieht sich noch auf das Ende des dreißigsten Gesanges, wo Vergil Dante dafür tadelt, dass er sich am Zoff zwischen Mastro Adamo und Sinon erfreute. Dieser Tadel trieb Dante die Schamröte ins Gesicht, aber Vergil tröstete ihn gleich wieder. Die Zunge Vergil hat also, wie auch die Lanze des Achill, der diese von seinem Vater Peleus erhalten hatte, eine verletzende und eine heilende Wirkung. Mit der Lanze des Achill konnte man die Wunden, die diese schlug, auch wieder heilen.

Den Klang des Hornes der jetzt ertönt, kann Dante erstmal nicht deuten, wir erfahren später, dass es das Horn Nimrods ist.

Als Karl erhabner Plan im wundervollen
Gemetzel samt der Heerschar ward vernichtet
Hat nicht so furchtbar Rolands Horn geschollen


Bezug genommen wird auf die Schlacht von Roncevalles (im heutigen Baskenland) am 15. August 778, bei der die von Roland geführte Nachhut der von Karl dem Großen geführten Armee von den Basken platt gemacht wurde. Karl der Große war ursprünglich von den islamischen Statthaltern

des Emirs von Córdoba um Hilfe gebeten worden, um diesen gegen jenen beizustehen. Als Karl der Große aber dann mit seiner Armee vor Zaragoza auftauchte, hatten sie es sich wieder anders überlegt, unter anderem auch weil sie festgestellt hatten, dass Karl der Große in den von im eroberten Städte christliche Statthalter eingesetzt hatte. Da er auf eine längere Belagerung nicht vorbereitet war, zog er sich zurück. Als er mit seiner Armee das enge Col de Roncevaux durchquerte, so eng, dass sich nur einige wenige Männer nebeneinander gehen konnte und die Bewaffnung und die Pferde eher hinderten als nützten, trennten die Basken das Hauptheer von der Nachhut und metzelten sie nieder.

Roland blies zwar nochmal kräftig in sein Horn und die Armee kehrte auch um der Nachhut beizustehen, aber zu spät. Aus diesem Vorfall entwickelte sich dann das Rolandslied, welches aber mit den historischen Tatsachen dann rein gar nichts mehr zu tun hatte.

Dante auf jeden Fall meint, in der Dunkelheit Türme zu erblicken.

Als forschend jetzt mein Blick dahin gerichtet,
vermeint ich hoher Türme viel zu schauen,
Drum ich: „Wie heißt die Stadt, so hochgeschichtet“


Tatsächlich sind es aber keine Türme, sondern Giganten. Auch hier müssen wir dann mal ein bisschen weiter ausholen, und wir fangen mal ganz von vorne an. Am Anfang war bei den Griechen das Chaos (und die Erde war wüst und leer). Aus dem Chaos Tartaros, Gaia, Erebos, Eros und Nynx. Gaia zeugt ohne Vereinigung (das kennen wir auch irgendwoher) mit ihrem Bruder Eros den Uranus. Mit dem Uranos, also ihrem Sohn, zeugt sie die Titanen, die Kyklopen und die Hekatoncheiren. Uranus wiederum hasste all seine Kinder und die ersten, die Kyklopen, stieß er hinab in den Tartarus. Gaia versteckte daraufhin die weiteren Kinder, also die Titanen und schmiedete eine Sichel, mit der Kronos, ein Titan, Uranus entmannt. Aus den Blutstropfen entstanden dann die Erinyen, die Giganten und die Meliaden. Aus dem ins Meer geworfenen Glied des Uranus entsteht dann Aphrodite, das ist dann die Geburt der Venus.

Kronos wird jetzt Chef im Ring, allerdings fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Kronos zeugt Kinder mit seiner Schwester Rhea (auch eine Titanin, es war ja nicht wirklich ein Angebot an Frauen da zu diesem Zeitpunkt, da hat er sich halt an die Schwester rangemacht) frisst diese aber, ganz ähnlich wie sein Papa, auf. Nur Zeus, den versteckt Rhea, überlebt. Zeus gelingt es, dem Vater eine Droge zu verabreichen, so dass dieser seine Brüder und Schwestern wieder ausspuckt. Mit deren Hilfe wird Kronos überwältigt. Danach kommt es noch zu einem Gefecht zwischen den Onkels des Zeus, also den Titanen, und Zeus und seinen Brüdern, der aber zu Gunsten von Zeus und Co entschieden wird. Mit den Beinen in einem Brunnen und in Ketten stehen hier aber die Giganten, also die, die aus dem Blute des Uranus abstammten und die sich nach den Titanaen gegen Zeus und Co erhoben. Genannt werden dann konkret drei Giganten.

Der tollkühn seine Kraft zu messen wagte
Begann Vergil, am großen Donnrer droben
Ephialtes ist‘ s, der es seitdem beklagte


Dante will dann noch Briareus sehen, doch der kommt später, erstmal zeigt er ihm Antäus.

Mein Führer drauf: Anthäus zeig ich dir
Dicht nebenbei, er spricht, ist nicht gebunden
Und hebt uns in das tiefste Qualrevier


Das wird der Anthäus dann auch tun. Ob allerdings der schon vor langer Zeit von Zeus und Co in den Tartarus verbannte einfach gestrickte Gigant den scharfsinnigen altphilologischen Bemerkungen des Vergil hat folgen können, kann man bezweifeln.

Der du im schicksalreichen Tal – umsponnen
Von ewgen Ruhmes Glanz, seit Hannibal
Mit seinem Heer vor Scipios Wut entronnen

Der du dort tausend Löwen hast zu Fall
Gebracht und, wenn du helfend teilgenommen
Am Brüderkampf, wohl doch der Erde all

Für dein Geschlecht in die Gewalt bekommen
Heb uns hinab – aus Güte nicht aus Pflicht-
Wo der Cocyt, sich ausdehnt Frost-beklommen


Also das geht jetzt wild durcheinander. Nach Lucan (römischer Dichter und Historiker, geb. 39 nach Christus, gest.65 nach Christus) war Anthäus in Zama zu Hause. In diesem Tal (heute Tunesien) wurde Hannibal zum ersten mal 202 vor Christus von Scipio Africanus besiegt und deswegen zeugt dieses Tal von ewigem Ruhm, das findet zumindest Dante, die Karthager sehen das wohl anders. Das ist aber eine Konstante bei Dante, er sieht Italien als Fortsetzung des römischen Reiches und folgt der Devise „wrong or right, my country“, also auf die Römer lässt er nichts kommen. Anthäus ist im übrigen der Sohn von Gaia und Poseidon (yep, die Gaia schläft mit ihrem Bruder Eros, dann mit ihrem Sohn Uranus und schließlich noch mit ihrem Enkel Poseidon, letzterer ist ja die Frucht von Kronos und Rhea) ist also nur insofern Gigant, also Gaia seine Mutter ist. An dem großen Gewürge Olympier gegen Giganten hat er übrigens nicht teilgenommen, deswegen lässt Dante ihn auch frei in der Hölle rumlaufen. Er hatte aber später das Pech dem Herakles über den Weg zu laufen, der hat ihn dann platt gemacht. Das mit den Löwen ist dann schlicht so, dass Athäus sie anstatt Kaninchen verspeiste, wenn sich auch die Quelle nicht finden lässt, aus der Dante hier schöpfte. Der Teil hier ist auch noch unklar.

Der du dort tausend Löwen hast zu Fall
Gebracht und, wenn du helfend teilgenommen
Am Brüderkampf, wohl doch der Erde all

Für dein Geschlecht in die Gewalt bekommen


Will heißen. Wenn Anthäus am großen Gewürge Olympier gegen Giganten teilgenommen hätte, dann hätten die Giganten gesiegt. Man fragt sich natürlich, warum die Giganten überhaupt in der Hölle sind. In Anbetracht der Tatsache, dass die olympische Fussballmannschaft vorsichtig formuliert etwas reichlich Testosteron gesteuert war und wohl alle alle zehn Gebote mehrer mal am Tag brachen, hätten man sie eigentlich gleich neben die Giganten setzen können.

Den Cocyt hatten wir schon.

Für dein Geschlecht in die Gewalt bekommen
Heb uns hinab – aus Güte nicht aus Pflicht –
Wo der Cocyt sich ausdehnt frost-beklommen


Der Cocyt ist der Fluss, der aus den Tränen der Verdammten entsteht, dessen Wasser wird im neunten Kreis der Hölle gesammelt, wo es, aufgrund der Kälte, zu Eis gefriert , es ist der letzte, der neunte Kreis der Hölle und da sie im achten sind, steigen sie jetzt dort hinab.

Zu Titius und Typhöus schick uns nicht,
Denn dieser kann, was man hier wünscht gewähren
Drum bücke dich und mach kein Schiefgesicht


Die Verse sind wohl so zu verstehen. An der Grenze des achten Kreises stecken viele Giganten gefesselt in Löchern, also höchstwahrscheinlich auch Titius und Typhöus. Die soll Dante aber nicht suchen, Anthäus kann das gewähren was man wünscht, also hinabzusteigen in den neunten Kreis und deswegen soll sich Dante jetzt bücken, damit Vergil ihn fassen kann und nicht so eine Grimasse ziehen. Titius (Tityos) allerdings war auch kein richtiger Gigant, entstammte also nicht den Blutstropfen die Uranus verloren hatte als Kronos ihn entmannte und Gaia ist auch nicht direkt, wie Anthäus seine Mutter. Gigant kann man ihn nur insofern nennen, als Zeus diese Frucht seiner unerschöpflichen Lenden, die er zusammen mit Elara gezeugt hatte in die Erde (Gaia) steckte. So in der Erde steckend phantasierte er wohl von Frauen, bei den Griechen ging es ja ganz überwiegend um das eine und da ist ihm wohl Leto über den Weg gelaufen und die hat er sich dann geschnappt, also ohne viel drum rum. Leto wiederum ist

die Mutter von Appollon und Artemis (Papa ist natürlich Zeus) und diese zwei nehmen dann Rache für den unter den griechischen Göttern durchaus üblichen Frevel und verbannen ihn in den Tartarus. Dass sie selber auch nur da waren, weil Papa Zeus die Leto vernaschte, was Hera naheliegenderweise erzürnte, spielt da überhaupt keine Rolle, da war wohl selektive Wahrnehmung im Spiel. Was Typhon angeht, wird es jetzt wieder haarsträubend, aber bei den Griechen kann uns nichts mehr erschüttern. Typhon ist der Sohn von Gaia und Tartaros (Tartarus ist nicht nur Hölle, sondern auch eine Gestalt). Dieser Typhon legt sich dann mit Zeus und Co an, wird aber schlussendlich unter dem Ätna in

Sizilien begraben.

Wie Carisenda – schaut zum Überhange
Von unten man zum Turm – wenn Wolken kommen
Sich zu zu verneigen scheint vor ihrem Gange


Mit Garisenda ist ein schiefer Turm in Bologna gemeint, eines Wahrzeichen eben dieser Stadt. Eigentlich ist es aber ein Turmpaar, Asinelle, der höhere, und Garisenda, der kleinere. Da der Autor die Türme noch nie gesehen hat, kann er sich auch kein Bild von in diesen Versen gemachten optischen Täuschung machen. Behauptet wird, dass wenn man unter dem Turm steht und in der Richtung in der er sich neigt,

man den Eindruck hat, wenn die Wolken einem dann entgegenkommen, dass dieser

sich neige, bzw. man den Eindruck hat, dass er sich neige.