Dante und Vergil wandern vom neunten in das zehnte Tal des achten Kreises
der Hölle.
Voranschreitend sieht Dante einen entfernten Verwandten. Dante selber nennt den
Namen nicht, erzählt Vergil nur, dass er einen aus seinem Blute, also einen
Verwandten gesehen hat, während Dante dann aber durch das Auftauchen eines
anderen Sünders abgelenkt wurde, auf den wir gleich zu sprechen kommen,
abgelenkt wurde, hat Vergil gesehen, dass dieser Verwandte mit dem Finger auf
ihn zeigt.
Ich sah, dass seine Augen dich erkannten
Indes er dich mit den anderen wies mit Drohen,
Und hörte, wie sie ihn del Bello nannten
Um die folgenden Verse zu verstehen, müssen wir über eben jenen Verwandten
Dantes informiert sein und Dante ist durchaus der Meinung, dass die Lebensgeschichte
seiner Verwandten zur Allgemeinbildung gehört.
„ Ja weil des Lebens Blüte ihm zerstörte
Grausamer Mord“, sprach ich, „den keiner rächte
von seiner Schmach Genossen! Dies empörte
So stark ihn über mich, dass dem Geschlechte
Er zürnt – drum ging er schweigend, grußlos weiter:
Das dürfte Mitleid fördern, wie ich dächte.
Also grob skzizziert besagen die Verse, dass dieser Verwandte ermordet wurde,
dass wiederum war eine Schmach für die ganze family und diese hätte,
wie das bei der Mafia üblich ist, zur vendetta, der Blutrache, führen
müssen. Die family war aber offensichtlich ein ganz lascher Haufen und
hat den Mörder nicht erdolcht, worüber dann der Verwandte noch in
der Hölle schmollt. Die Verse offenbaren aber nicht, wieso dieser Verwandte
im Tal Ketzer und Zwietrachtstifter (er befindet sich im neunten Tal) gelandet
ist. Wir rechnen Dante zwar einerseits seine richterliche Unabhängigkeit
und Unvoreingenommenheit an, finden aber andererseits, dass man ein richterliches
Urteil schon begründen müsste. Die genauen Verwandschaftsbeziehungen
sind jetzt etwas kompliziert. Geri de Bello, also der Schmollende, ist der
Sohn von Il Bello und Il Bello wiederum ist der Bruder des Großvaters
von Dante. Geri de Bello ist also sozusagen ein Neffe zweiten Grades. Jener
Geri del Bello auf jeden Fall, scheint gut im Saft gestanden zu haben, den
1266 und 1276 wurde er in Prato (Stadt in der Toscana) in Abwesenheit wegen
einer Schlägerei verurteilt. Im Jahre 1300 schien eine solche Schlägerei
für ihn aber eher ungünstig verlaufen zu sein, den irgendjemand hat
ihm die Birne eingeschlagen, die genaueren Umstände dieses Mordes sind
aber nicht bekannt. Bekannt ist nur, dass die Söhne Dantes, in ihrem Kommentar
zum väterlichen Werk, behaupten, dass es ein Angehöriger der Familie
Sacchetti war, ein Brodaio Sacchetti. Erst 1310 gab es vendetta, aber das fand
er wohl ein bisschen spät, der Geri del Bello. Im Tal der Zwietracht landet
er wohl, wegen seiner Rauflust.
Doch wie bereits erwähnt, erhascht Dante nur einen kurzen Blick auf seinen
Verwandten, denn er wird abgelenkt.
Du warst mit dem beschäftigt, der im hohen
Altfort gehaust, so dass dein Ohr nichts hörte,
Und als du hinsahst, war er schon entflohen.
Angespielt wird auf den uns bereits aus dem vorigen Gesang bekannten Bertran
de Born, also den Troubador, der Zwietracht stiftete zwischen dem König
von England Henry II und seinen Söhnen und dessen Körper in der Logik
des contrapasso jetzt so gespalten ist, wie er zu Lebzeiten die Leute spaltete.
Altfort (französisch Hautefort) bezieht sich auf sein Schloss im Perigord
(Gegend im Südwesten Frankreichs) wo er gräflich hauste. Gestorben
ist er 1205, mit dem Alter zunehmend friedlicher werdend, was aber nichts nützte,
wie man sieht, denn Dante konnte nicht auf strafmildernde Umstände erkennen.
Weiterschreitend auf der Brücke, können sie in das zehnte Tal des
achten Kreises blicken.
Als wir vom letzten Klosterbau im Schlunde
Der Unheilslöcher standen, dass den Orden
Der Konvertiten ganz der Blick erkunde
Die Verse sind etwas unklar. Gemeint ist wohl, dass sie das ganze neunte Tal
jetzt durchschritten haben, also das der Ketzer und Zwietrachtstifter und folglich
vor dem zehnten stehen. Dort hausen die Fälscher und Zauberer.
Als ob mit Baldichianas Hospital
Die von Sardinien und Maremma wären
Vereint mit ihren Seuchen allzumal
Wie sie der Sommer brütend bringt zum gären
So herrschte hier verwesender Gestank
Als platzten tausend eitrigfaule Schwären
Besser verständlich ist die Übersetzung von Gmelin
So wie wenn man von Juli bis September
Die Kranken der Spitäler Valdichianas,
aus der Maremma und Sardinien alle
In einem Graben hier versammelt hätte
So war es dort, solch ein Gestank erhob sich
Wie er aus faulen Gliedern pflegt zu kommen
Die Maremma kennen wir schon, das ist jenes Sumpfgebiet in der Toskana, wo
im Sommer die Malaria ausgebrütet wird. Ähnlich verhält es sich
mit Valdichiana und Sardinien. Im zehnten Tal sind als mehr Leidende versammelt,
als in den Krankenhäuser dieser drei Gegenden bei Ausbruch der Malaria.
Das Volk der Äginas litt kein größeres
Leid
Als es erfüllt mit Sterbenden und Kranken
Weil vor der eklen Pestflut weit und breit
Angespielt wird auf die Myrmidonen (…das Volk der Äginas). Die
ganze Geschichte geht so. Zeus war mal wieder scharf auf eine Frau, aber das
ganze Gedöns mit Geschenke machen, Blumen schicken, charmant sein flirten
war ihm jetzt einfach zuviel Stress, das kann man ja verstehen. Die Braut auf
die er es abgesehen hatte, war Aegina, die Tochter des Flussgottes Asopos.
Um sie zu vernaschen entführte er sie auf die Insel Oinone, das wiederum
brachte sowohl seine Gattin Hera, wie auch den Vater der schönen Flussnymphe,
den Flussgott Asopos in rasche. Dieser verfolgt die beiden und Sisyphos verrät
ihm den Aufenthaltsort seiner Tochter. Das bewirkt dann zweierlei, erstens
donnert Zeus mit seinen Blitzen und schickt ihn wieder heim und zweitens findet
Zeus das natürlich rotzfrech und schickt ihn in den Hades, wo er seither
Felsbrocken den Berg rauf und runter rollt. Seine Gattin greift ähnlich
hart durch. Sie schickt die Pest auf die Insel Oinione, die im übrigen,
seit Zeus die schöne Nymphe dahin entführt hat Aigina heißt.
Aigina hatte natürlich, welche Gott achtet schon auf Empfängnisverütung,
mit der schönen Nymphe einen Sohn, Aikos und als nun die von Hera geschickt
Pest die Einwohner von Aigina hinwegrafft, bitter er seinen Pappa, ihm aus
den Ameisen ein neues Volk entstehen zu lassen, was selber dann auch tut und
so das Volk der Myrmidonen schafft. Wenn Ameisen zu Menschen werden, können
daraus eigentlich nur Borgs werden, aber das erfährt der Leser erst, wenn
er regelmäßig Raumschiff Voyager schaut, also den Vorläufer
von Deep Space Nine und den Nachläufer von Raumschiff Enterprise.
Ganz interessant sind dann die nächsten Verse.
Soll euer Name klingend fortgetragen
Erinnerung bei Welt und Menschen wecken
Und spurlos nicht verwehn in späten Tagen
Wollt dann: Woher und wer ihr seid entdecken
Nicht Scham vor euren ekelhaftem Not
Vermög euch vor der Wahrheit abzuschrecken
Tatsächlich sind diese Verse zutreffend. Die meisten Figuren, die bei
Dante auftauchen, so sie denn nicht der griechisch / römischen Mythologie
entlehnt sind, wären heute unbekannt, hätte sie Dante nicht verewigt.
Schleierhaft ist nur, warum irgendjemand in dieser Art und Weise verewigt sein
will.
Arezzo zeugte mich: Den Flammentod
Verfügte Albert von Siena mir
So sprach der eine, doch hierher entbot
Mich anderer Grund: Ich wollte ins Revier
Der Luft, wie scherzend ich geprahlt, mich schwingen
Er, arm an Witz, doch reich an Neubegier
Verlangte Unterricht in diesen Dingen
Da ließ, weil ich ihn nicht zum Dädal machte,
Sein Vater auf den Flammenstoß mich bringen
Der geschilderte Zusammenhang
ist dieser. Griffolino stammt aus Arezzo, Stadt in der Toskana, lebte aber
in Siena, war bekannt als Alchimist. Er nahm Geld von Albero, höchstwahrscheinlich
ein unehelicher Sohn des Bischofs von Siena, gegen das Versprechen, ihm das
Fliegen beizubringen, was naheliegenderweise, ohne zum damaligen Zeitpunkt
nicht vorliegenden technischen Hilfsmitteln nicht gelingen konnte. Daraufhin
denunziert ihn Albero beim Bischof von Siena wegen Ketzerei und Griffolino
wird 1272 als Ketzer verbrannt. Die Geschichte mit Daidalus ist etwas bekannter.
Die Vorgeschichte lassen wir mal weg. Daidalus ist von König Minos gefangen
gesetzt worden, weil er der Ariadne den Trick verraten hat, wie er aus dem
Labyrinth, in dem sich der Minotaurus befand, wieder herauskomme könne,
dem Ariadnefaden. In der Gefangenschaft bastelt er sich Flügel für
sich und seinen Sohn und entschwindet in die Lüfte.
Ikarus, sein Sohn jedoch, flog zu hoch, kam der Sonne zu nahe, worauf das Wachs,
das die Federn zusammenhielt, schmolz und er abstürzte. Diese Verse sind
dann wieder etwas dunkel.
Und ich zum Dichter:“ Welchem Volk verlieh
Gott soviel Leichtsinn wohl als den Sanesen?
Selbst die Franzosen sind nicht so wie sie.
Da Griffolino ja in Siena lebte, wird er wohl als typisches Exemplar der
Bürger
Sienas gesehen, der Leichtsinn, der ihn auf den Scheiterhaufen gebraucht hat,
als typisch. Wieso aber die Bürger Sienas oder die Franzosen besonders
leichtsinnig gewesen sein sollen, bleibt unklar, vermuten kann man nur, dass
es sich um eine zur Zeit Dantes fest in der Öffentlichkeit verankerte
Meinung handelte.
Da rief mit Hohn, da andere räudige Wesen,
Das mich gehört:“ Doch nimm den Stricca aus,
Der Sparsamkeit zur Richtschnur sich erlesen
Der Vers ist ironisch gemeint,
den jener Stricca war eben überhaupt
nicht sparsam. Über Stricca, wie auch Niccolo, der gleich genannt wird,
ist wenig bekannt, wahrscheinlich ist, dass es sich um zwei Brüder handelt,
also um Stricca di Giovanni dei Salimbeni und Niccoloò dei Salimbeni,
sicher ist es jedoch nicht. Handelt es sich tatsächlich um Stricca di
Giovanni dei Salimbeni. Handelt es sich um Stricca di Giovanni dei Salimbeni,
dann wäre er ein Sprößling einer sehr reichen und mächtigen
Familie, Bürgemeister
von Bologna im Jahre 1276. Worin seine Verschwendungssucht bestand, ist definitiv
nicht überliefert, weil sie auch bei allen Alternativen seine Identität
betreffend nicht überlierfert ist. Niccolò dei Salimbeni wäre
dann der Bruder, auch über jenen ist fast nicht bekannt und insbesondere
nichts über seine Verschwendungssucht, auch über jenen Nelkenschmaus
ist nichts überliefert.
Nimm auch den Club aus, wo die Zeit entschwunden
Durch Abbagliatos Witz, wo Caccia sich
Weinberg und Wald als Tafelkost ließ munden
Über diesen Club sind wir durch Benvenuto da Imola (geb. 1338, gest.
1390 in Ferrara), einer der ersten Dante Kommentatoren informiert. Dieser "Club" bestand
aus 12 jungen Leuten aus Siena, die sich zusammen einen Palast kauften, mit
einem Zimmer für jeden. In diesem Palast tafelten sie zweimal monatlich
auf eigenartige Weise. Es wurden drei Tische gedeckt, wovon aber der erste
mitsamt Geschirr zum Fenster hinaugeworfen wurde, am zweiten tafelten sie dann
tatsächlich und am dritten wuschen sie sich die Hände. Sie brachten
es mit diesem und ähnlichen Spielen fertig, innerhalt von 10 Monaten ihr
gesamtes Vermögen zu verbrennen und landeten schlussendlich im Armenhaus.
Abbagliato (der Verblendete) ist höchstwahrscheinlich Bartolomeo die Folcacchieri,
der wohl für diese Gruppe dichtete. Er bekleidete, seiner Jugendsünden
ungeachtet, als älterer Herr noch wichtige öffentliche Ämter
in Siena. Bei Caccia handelt es sich um Caccianemico di messer Trovato degli
Scialenghi, der wohl auch das Geld aus dem Verkauf des Weinbergs und des Grundbesitzes
in Speise verwandelte. Zu guter letzt gibt sich noch derjenige zu erkennen,
der ihm das alles erzählt.
Doch dass du weißt, wer gegen Siena dich
So kräftig unterstützt, lass nicht ermatten
Den Blick, scharf prüfe micht – dann nennet mich
Mein Antlitz dir: Das ist Capocchios Schatten
Der einst alchimisch fälschte die Metalle
Die ich, du weißt es, gut verstand zu gatten
Auch zur Figur Capocchios gibt es widersprüchliche Angaben. Er ist manchmal
als Fiorentiner bezeichnet, soll aber in Siena geboren sein. Sicher ist nur,
dass er ein Geldfälscher war. Wieso er aber Dante bei seinem Kampf gegen
Siena geholfen haben soll (angespielt wird höchstwahrscheinlich auf die
Schlacht bei Campaldino, 1289 an der Dante teilnahm) ist unklar.