Wir befinden uns immer noch im siebten Tal des achten Kreises und es geht mit
Bastard Fucci (dieser war ja ein uneheliches Kind) weiter. Wo Zoozmann allerdings
das Wort Bastard her hat und warum, ist unklar, im italienischen Orginal ist der
Ausdruck nicht zu finden.
Vita bestial mi piacque e non umana, sì come a mul ch'i' fui; son Vanni
Fucci bestia, e Pistoia mi fu degna tana».
Mul hat der Autor nirgends gefunden, er tippt, dass es mulo sein soll. Mulo aber
kann alle möglichen Bedeutungen haben, von Maulesel bis Rabauke, Bastard
ist nur eine davon. Da Vanni Fucci unehelich war, kann sein dass Dante uneheliches
Kind meinte, dann war es aber auf jeden Fall eine dantesker Griff ins Klo.
So sprach der Dieb, ließ drauf in frechem Spott
Durch beide Fäuste seine Daumen ragen
Und höhnte: Dieser Gruß gilt dir, o Gott
Al fine de le sue parole il ladro
le mani alzò con amendue le fiche,
gridando: «Togli, Dio, ch'a te le squadro!».
Dante beschreibt also nicht die Handbewegung selbst, sondern rekurriert auf einen
bereits bestehenden Begriff für diese Geste. Im Deutschen gibt es nur die
Geste, nicht aber den Begriff. Die Handbewegung ist bekannt, beinhaltet eine sexuelle
Konnotation. Wir lernen hier, dass diese Geste ziemlich alt ist, also nicht nur
700 Jahre alt, von Dante bis heute, sondern noch viel älter. Der Begriff
kommt aus der weiblichen Form des lateinischen Wortes für Feigenbaum (männlich
ficus, weiblich fica). Die sexuelle Konnotation hatte schon das griechische Wort
sykon, welches eben auch Feige bedeutet. Ins Italienische ist das Wort also über
das lateinische Wort für ein griechisches Wort eingewandert.
Nie sah ich so verruchten Übermut
Sich gegen Gott im Höllenkreis erfrechen
Selbst Kapaneus stand nicht so heiß in Wut
Wir haben also, in Dantes Augen, die schlimmsten Sünder bis jetzt vor uns.
Kapaneus kennen wir schon, das war einer aus der Sage „Sieben gegen Theben“,
der Zeus verhöhnte und von diesem dann mit einem Blitzstrahl getötet
wurde.
Nicht in Maremma mehr Reptile sind,
Als ihm um Leib und Schultern wimmelnd hingen
Bis auf die Hüften, wo der Mensch beginnt
Maremma ist ein Gebiet der Toskana, am Tyrrhenischen Meer, teilweise mit weiten
Sumpfgebieten. Für seinen Reichtum an Schlangen ist zwar heute nicht mehr
bekannt, sehr wohl aber für die Malaria, die sich in eben jenen Sümpfen
ausbreitete und die durch Schlangen symbolische dargestellt wurde.
Ein Kentauer, also ein Wesen halb Pferd halb Mensch eilt herbei, um den Hochmut
des Fucci zu brechen. Um dessen Körper ringeln sich Schlangen. Auf seinem
Nacken, wobei seine Beine wohl jeweils auf einer Schulter stehen, befindet sich
ein Drache, der jedem der vorbeikommt mit seinem Atem einäschert. Der Kentauer
ist Kakus.
Der soviel Schlangen häuft auf sich zusammen
Ist Kakus, sprach Vergil, durch den manchmal
Im Blut die Aventiner Auen schwammen
Betrachtet man die Geschichte des Kakus, wird unklar, ob er ein Wächter dieses
Tales ist, oder ein Insasse, denn Kakus ist selber ein Dieb, wenn auch kein Kentauer,
dazu macht ihn erst Dante. Kakus war ein räuberischer Riese, Sohn des Vulkanus
und der Bruder der Caca, der feuerspeienden Göttin des Herdfeuers (daher
auch der feuerspeiende Dracher auf den Schultern des Kakus). Nachdem Herkules
dem Geryon die Rinder gestohlen hatte (eine der zehn Aufgaben des Herkules, die
er nach der Prophezeiung des Orakels von Delphi als Strafe für seinen Jähzorn,
er hatte seine Frau Megara und seine Tochter erschlagen, im Dienste des Eurystheus
erledigen musste), wanderte er mit diesen durch Italien (wie er von Galizien in
Spanien, wo er die Rindviecher geklaut hatte nach Italien kommt, ist zwar unklar,
aber bei den Griechen ist alles möglich) und rastet in der Nähe der
Höhle des Kakus. Dieser ergreift die Möglichkeit beim Schopf und stiehlt
dem Dieb die Rindviecher. Das wiederum erzürnt, naheliegenderweise, den Herkules
und er schlägt ihm nach bewährter Manier die Birne mit seiner Keule
ein. Mit den Aventinern, deren Blut die Aventiner Auen tränkte, verhält
es sich folgendermaßen. Aventin ist einer der sieben Hügel Roms (zusammen
mit Palatin, Kapitol, Quirinal, Viminal, Esquilin, Caeilis) und auf dem Aventin
war die Höhle des Kakus. Dieser hatte nun die Angewohnheit, die Leute, die
vorbeimarschierten zu ermorden, das machten die Räuber damals so, und mit
ihren Knochen den Eingang zu seiner Höhle zu verzieren. Der Auftritt dieses
Kentauren war flüchtig, er verschwindet wieder und taucht auch nicht mehr
auf.
Ab diesem Vers wird es dann kompliziert.
Indem er rief: „Wo ist Cianfa hin?“
Drauf ich, dass aufmerksam mein Führer stände
Den Finger legte über Mund und Kinn
Es treten also drei Gestalten auf, wer sie sind, werden wir erst später erfahren,
weil sie sich gegenseitig beim Namen rufen. Dieser Cianfa auf jeden Fall wird
von den dreien gesucht, ansonsten spielt er keine Rolle. Eine Rolle spielt er
nur insofern, als wir ganz am Ende erfahren, dass Dante fünf Dieben begegnet
ist und auf die Zahl kommt man nur, wenn man Cianfa dazuzählt. Über
Cianfa ist so gut wie gar nichts bekannt, insbesondere nichts, was eine Verbannung
in das Tal der Diebe gerechtfertigt haben könnte. Cianfa Donati war ein politischer
Führer der schwarzen Guelfen und lebte im 13. Jahrhundert. Einige frühe
Kommentatoren bringen ihn mit Viehdiebstahl in Verbindung, historische Fakten,
die dies untermauern existieren jedoch nicht.
Es folgt nun die Beschreibung der ersten der zwei Metamorphosen, nämlich
die des Agnal.
So hier! Die anderen sahn‘ s und riefen:“ Wehe
Agnàl, du bist nicht doppelt mehr, nicht einer,
Schau nur, wie solche ein Wunder dir geschehe
Das sagen sie, nachdem Agnàl (Agnello Brunelleschi) mit einer sechfüssigen
Schlange verschmolzen ist. Über diesen Agnello Brunelleschi wissen wir auch
nichts genaues. Die ersten Kommentatoren bringen ihn in Verbindung mit der Adelsfamilie
Brunelleschi. Diese frühne Kommentatoren berichten, dass er schon als Kind
ein Dieb war, der seinen Eltern Geld stahl und später, als Bettler verkleidet
um nicht erkannt zu werden, in Geschäfte einbrach. Nachdem das Monster, das
aus der Zwangsvereinigung von Agnàl und sechfüssiger Schlange in der
Dunkelheit davon marschiert ist, beginnt die Metamorphose der zwei übriggebliebenen.
Diese findet gleichzeitig statt, also die zwei anderen werden gleichzeitig verwandelt,
bevor das aber geschieht, macht Dante noch klar, dass Lucan und Ovid jetzt getoppt
werden.
Lucan verstumme jetzt mit seiner Kunde
Vom Elend des Sabellus und Nasid
Und hänge aufmerksam an meinem Munde
Gemeint ist die Geschichte der Soldaten Sabello und Nasidio in der Pharsalia des
Dichters Lucan. Sabello wird von einer Schlange gebissen und löst sich dann
langsam in Asche auf. Nasidio, ebenfalls von einer Schlange gebissen, bläht
sich auf bis er platzt.
Von Arethus und Kadmus schweig Ovid!
Er machte sie zur Quelle, ihn zur Schlange
Nicht neid ich ihm sein wandlungsreiches Lied Kadmus hatte einst einen
Drachen getötet, der eine Quelle bewachte, aus der seine Kameraden trinken
wollten. Die Zähne des getöteten Drachens streute er in die Erde, wo
sie aber wiederum zu Drachen wurden (bei den Griechen ist alles möglich).
Zwischen die Minidrachen wirft er Steine, was dies dann veranlasste zu glauben,
dass sie sie attackiert würden, worauf sie sich dann umbrachten. Als Unglück
über Theben kommt, glaubt Kadmus, dass das an dem Drachen gelegen habe, dieser
heilig gewesen sei und er bittet die Götter, den Fluch zu heben, wenn er
nun selbst ein Drache werden, was dann prompt geschah. Arethusa war eine Waldnymphe,
die ein Flussgott vernaschen wollte, um sie zu beschützen, verwandelte Artemis
sie in eine Quelle, ein Schutz auf den Arethusa, hätte man sie gefragt, wahrscheinlich
gerne verzichtet hätte.
So warf jetzt, braunschwarz gleich dem Pfefferkorne
Blitzschnell sich eine von den kleinen Schlangen
Auf der zwei anderen Bauch in bissigem Zorne
Die Übersetzung ist falsch, tatsächlich hat sich die Schlange zwar auf
beide zubewegt, aber nur eine in den Bauch gebissen.
sì pareva, venendo verso l'epe
de li altri due, un serpentello acceso,
livido e nero come gran di pepe;
e quella parte onde prima è preso
nostro alimento, a l'un di lor trafisse;
poi cadde giuso innanzi lui disteso.
Genau genommen beißt sie einen in den Bauchnabel, also an die Stelle, durch
die man die erste Nahrung enthält und der eine, dem sie in den Nabel beißt,
macht jetzt eine Verwandlung durch. Er nimmt die Gestalt der Schlange an und die
Schlange seine Gestalt. (Der Schwanz der Schlange spaltet sich => seine Beine
wachsen zusammen, Seine Haut wird hart => die Haut der Schlange weich, seine
Arme bilden sich zurück => die Schlange bekommt welche etc. etc.). Also
die Metamorphose zu Ende ist, verschwindet der Schlange gewordene Mensch, und
die Mensch gewordene Schlange ruft ihm nach.
Als Schlange so mit Zischen talwärts eilte
Sein Geist davon, der andere spuckte nach
Schmähworte rufend, während er verweilte
Von den dreien die angekommen sind, sind also zwei verwandelt worden, (Agnello
Brunelleschi und Boso, letzteren nennt die Schlange) und einer bleibt übrig.
Dieser ist der einzige, den Dante erkennt.
Aber weder über Boso noch über Puccio Sciancato gibt es historisch konkrete
Fakten. Puccio Scianato oder Puccio dei Galiagai lebte im 13 Jahrhundert und stammte
aus Florenz. Bekannt ist nur, dass er 1268 aus Florenz, aufgrund seiner Zugehörigkeit
zu den Ghibellinen, verbannt wurde. 1280 kehrte er nach Florenz zurück, er
ist einer der Unterzeichner eines von Cardinal Latino 1280 vermittelten Friedensabkommens.
Gleiche Liga Buoso Donati, die Faktenlage ist sehr spärlich. Bekannt ist
er lediglich durch das oben erwähnte Friedensabkommen, das auch er unterzeichnetete,
er allerdings für die Partei der schwarzen Guelfen. Um diesen Vers zu verstehen,
muss man einen Schritt zurück gehen. ...Dem anderen einst Gavilles
Tränen flossen Mit den Metamorphosen ist es genau genommen so. Agnello
hat mit Cianfa getauscht, die erste sechfüssige Schlange war also Cianfa.
Anschließend tauscht Buoso mit Francesco Gavalcanti, Francesco Gavalcanti
ist also eine von den kleineren Schlangen, die Buoso in den Bauchnabel beisst.
Dass es sich um Francesco Gavalcanti handelt, entnehmen wir eben jenem letzten
Vers, bzw. die frühen Kommentatoren entnahmen es jenem letzten Vers, denn
interpretieren konnten es wohl nur noch die Zeitgenossen, die wußten, auf
welche Gerüchte Dante anspielte. In Gaville wurde eben jener Francesco Gavalcanti
ermordert und die Angehörigen dieses Francescos rächten sich an den
Einwohner von Gaville, indem sie einen Großteil der Bewohner dieses Dorfes
anstatt der unbekannten Mörder umbrachten.