Wir gelangen nun zum vorläufigen Höhepunkt dantesker Astronomie. Hat er sich bislang weitgehend an Ptolemäus entlang gehangelt, wobei allerdings die Angaben so unpräzise sind, dass auch niemand klären kann, wie tief er dieses System verstanden hat. In dieses System hat er dann viel Thomas von Aquin und Scholastik eingewoben, ein bisschen Aristoteles und noch alle möglichen nicht humanoide Lebensformen wie Engel, Glanzgelichter und Freundeskreise spendiert. Wo nicht zusammenpasste, was nicht zusammengehört, hat er ein bisschen mit dantesker Logik nachgeholfen. Herausgekommen ist dann ein ziemlich wirres Gebilde aus mittelalterlicher Astronomie, Scholastik und Science Fiction, die in einer unglaublich verquasten Sprache vorgetragen wird. Positiv am 30. paradiesischen Geträller ist, dass es jetzt Dante pur ist, also reine Science Fiction und negativ ist, dass alles noch verquaster wird. Über die Gründe, warum dieser Dunkelsprech so berühmt geworden ist, kann man jetzt nachdenken. Ein, unter den gegebenen Umständen und damit reduzierten Ansprüchen, ehrenwerter Grund dürfte sein, dass sich dieser Dunkelsprech als Projektionsfläche mystischer Vorstellungen eignet. Noch die dunkelste Ahnung kann man dunkel aus der Divina Commedia herauslesen. Ein weiterer Grund ist, dass sich der Dunkelsprech hervorragend als Beschäftigungstherapie eignet. Wer, wie die meisten universitären verbeamteten Geistlichen - die beschäftigen sich ja auch mit gequälter und autosuggestiv erlangter Wonne mit Lope de Vega, Fenelon, Calderón, El cantar de mio Cid und Ähnlichem - keinen Bezug zur Dichtung hat, für den ist Dunkelsprech das höchste der Genüsse. Da kann er „forschen,“ bis der Arzt kommt. Ein weiterer Grund könnte sein, dass, zumindest historisch, die Divina Commedia vom Katholizismus gestützt wurde. Die adäquate Darstellung einer wirren Ideologie ist der Dunkelsprech. Der Dunkelsprech suggeriert Sinn, vor allem, wenn inbrünstig nach Sinn gesucht wird, wo eigentlich blanker Unsinn herrscht. Dass praktisch alle bekannten Interpretationen weitgehend frei über dem Text schweben, hängt ebenfalls mit dem Dunkelsprech zusammen. Natürlich könnte der Autor als Klappentext für eine Neuauflage der Divina Commedia bei Reclam sowas dichten:

Dante lässt zum letzten Mal, bevor die Neuzeit heran bricht, den Glanz des Mittelalters, das nur wir Spätgeborene Mittelalter nennen, vor uns erblühen. Mächtig wie eine gotische Kathedrale, filigran sich emporschwingend zu Gottes Lob und Preis, erklingen die Terzinen, geben den Blick frei auf das Himmelsgewölbe der ewigen Ordnung. Nicht mehr in drögem Latein ertönt das herrliche Lied, nein, hier spricht ein Dichter zu seinem Volk, ja, zur Menschheit! Einmal, ein letztes Mal noch, ermahnt uns der des Lorbeers Würdigste: Haltet ein! Haltet ein. Ja, dies ist die Botschaft der Divina Commedia, eine Botschaft, die auch Trost ist. In diesen wirren Zeiten erfahren wir die Gewissheit des Heils.

Oder so ähnlich. Sie halten das jetzt natürlich für einen Witz. Dann haben Sie den Klappentext der Reclam Ausgabe nicht gelesen, von einem Herrn Ernst Robert Curtius, einem Romanisten also.

„Das Welttheater des lateinischen Mittelalters wird in der Commedia zum letzten Mal aufgeführt – aber transponiert in eine moderne Sprache, reflektiert in einer Seele, die dem Range Michelangelos und Shakespeares zugehört. Damit ist das Mittelalter transzendiert; aber freilich auch die Epocheneinteilung einer kurzsichtigen Geschichtswissenschaft. Ihre Periodisierung wird längst vergessen sein, wenn Dante noch bewundert wird“.

Das ist jetzt sozusagen der kongeniale Dunkelsprech. Wenn ein Dunkelsprech sich über Dunkelsprech äußert, dürfte es sehr schwer fallen, dazu irgendwas zu sagen. Das Welttheater wird in der Seele Dantes reflektiert und diese Seele hat den Rang eines Shakespeares. Und dadurch, dass die Seele das lateinische Welttheater reflektiert wird das Mittelalter transzendiert. (????) Das einzige, was wir Curtius tatsächlich glauben, ist das mit der Epocheneinteilung, subjektiv, also für ihn, stimmt es. Gelebt hat er zwar von 1886 bis 1956, aber er ist irgendwo im Mittelalter stehen geblieben. Der Vater war auch preußischer Verwaltungsbeamter, da geht das nicht so schnell.

So ähnlich tönt dann auch Karl Vossler, der ist auch Romanist.

„Nur kraft seines großen Gedichtes kann Dante Alighieri als der Vater der italienischen Sprache/Schriftsprache gelten. Aus einer literarisch noch unerzogenen Sprache, fast ohne Vorbereitung, ist dieses Riesenwerk wie ein granitener Bergstock senkrecht aus sandiger Ebene emporgetrieben. Es überragt noch heute schlechthin alles, was vorher und nachher aus derselben italienischen Sprache ans Licht gebracht wurde.“

Die Divina Commedia ist überhaupt nicht in Italienisch geschrieben, sondern in dem Dialekt, der damals in der Toskana gesprochen wurde. Offensichtlich hat sich aber noch keiner die Mühe gemacht, tatsächlich mal zu erforschen, von wie vielen Leuten die Divina Commedia überhaupt gelesen wurde. Um einen Einfluss auf die Entwicklung des Italienischen zu haben, müssten es schon zumindest eine halbe Million gewesen sein und das 200 Jahre vor Erfindung des Buchdrucks. Die Lutherbibel, die einem hier als Vergleich einfallen könnte, ist eine andere Liga. Sie kann, in Grenzen, zur Herausbildung einer einheitlichen Sprache beigetragen haben, denn zu diesem Zeitpunkt konnten Bücher anders als durch Abschrift vervielfältigt werden. Denkbar ist eher, dass das Florenz der Renaissance aufgrund seiner kulturellen und wirtschaftlichen Vormachtstellung sprachnormierend wirkte. Allerdings ist die Aussage „Standarditalienisch“ mit Vorsicht zu genießen. Eine allgemeine anerkannte Norm hat Italien nämlich bis zu heutigen Tag nicht. Ansonsten ist das Dilemma dasselbe. Vossler gibt seiner inbrünstigen, wenn auch nicht näher bestimmten Begeisterung Ausdruck. Das tut er auch im Manifest der 93, „Aufruf an die Kulturwelt“. Er ertüchtigt da mental den deutschen Geist zur Kriegsführung. Zu was der Karl Vossler Preis, der seit 2002 Gott sei Dank nicht mehr vergeben wird, ertüchtigen sollte, ist dann unklar. Nationalismus ist übrigens bei vielen Romanisten feststellbar, was man so gar nicht erwarten würde. Der Nationalismus ist aber auch das Reich der Phrasendrescher, des freien Assoziierens im Raum, bei herabgesetzter Denkleistung, wie Musil das nennt, da gibt es vielleicht einen Zusammenhang. Kommentare über die Divina Commedia dieser Güte lassen sich nun finden wie Sand am Meer, man kann auch zu Amazon gehen und sich die Leserbeurteilungen anschauen. Das tönt dann irgendwie alles wie die oben genannten Kommentare. Der Autor würde die These wagen, dass es kein Werk der Literatur gibt, über das derartig freischwebend getextet wird. Normalerweise folgen Textinterpretationen ja dem Ursprungstext, ab und an wird das zu interpretierende Werk dann auch zitiert. Bei der Divina Commedia scheint dies entbehrlich zu sein.

Wenn fern von uns wohl an sechstausend Meilen
Die sechste Stunde glüht, wenn ihre Schatten
Die Erde wagerecht lässt westwärts eilen,

Wenn dann des Himmels Mitte sich im satten
Geleucht vertieft , dass manchen Sternes Flimmer
In seinem Weg zur Erde muss ermatten,

Und wenn des Tages Botin höher immer
Sich schwingt und jedes Himmelsauges Glanz
Sanft zuschließt bis zum letzten, schönsten Schimmer -

Also erlosch jetzt des Triumphes Tanz
Um jenen Punkt, der alles hält umschlungen,
Wo alles scheinbar ihn umschlingt im Kranz.

Im Original

Forse semilia miglia di lontano
ci ferve l'ora sesta, e questo mondo
china già l'ombra quasi al letto piano,

quando 'l mezzo del cielo, a noi profondo,
comincia a farsi tal, ch'alcuna stella
perde il parere infino a questo fondo;

e come vien la chiarissima ancella
del sol più oltre, così 'l ciel si chiude
di vista in vista infino a la più bella.

Non altrimenti il triunfo che lude
sempre dintorno al punto che mi vinse,
parendo inchiuso da quel ch'elli 'nchiude

Ganz so wie wenn in 6000 Meilen Entfernung
die sechste Stunde glüht, und diese Welt
schon horizontal die Schatten wirft,

wenn der halbe Himmel, der uns der Tiefste,
sich so gestaltet, dass einige Sterne
aufhören in diesem Grund zu strahlen

und wie wenn die helle Dienerin der Sonne
kommt, so schließt sich auch der Himmel
überall bis zur Allerschönsten

Nicht anders erschien der Triumph zu
frohlocken, der versammelt um den Punkt der mich besiegte,
der eingeschlossen schien in dem was er umschloss

Machen wir uns also mal klar, was uns der Dichter sagen will. Die „sechste Stunde“ bezieht sich auf die kanonische Zeit, diese bezeichnete ursprünglich die Gebetsstunden.

6.00: Prima
9.00: Terza
12.00: Sesta
15.00: Nona
Die 6000 Meilen sind jetzt erstmal gar nicht ableitbar. Aus dem Convivio, einer früheren Schrift Dantes, lässt sich aber entnehmen, dass er von einem Erdumfang von 20400 Meilen ausging (geht man von Seemeilen aus, ergäbe das 38000 km, was dem Äquatorialumfang von 40075 km einigermaßen nahe kommt). Teilt man 20400 Meilen durch vier, kommt man auf 5100 Meilen. Das wäre also die Strecke, die die Sonne an einem 1 / 4 Tag unter dantesken Bedingungen zurücklegt. Er will uns also sagen, dass wenn die Sonne einen Viertel Tag weiter in östlicher Richtung im Zenit steht (brennt), dann beginnt sie bei uns am Horizont aufzutauchen, sie wirft dann fast horizontale Schatten. Für das, was folgt, hätte er den ganzen Brimborium mit den 6000 km und Sonne, die im Zenit steht nicht gebraucht. Er hätte schlicht sagen können, wenn die Sonne aufgeht, verschwinden am Himmel halt die Sterne. Vielleicht hätte Dante doch besser an seinem Convivio weitergeschrieben, der Frühform von Meyers Konversationslexikon, denn lassen kann er es eh nicht. Sein Wissen muss er unbedingt ausbreiten, der Menschheit unbedingt mitteilen, dass er ungefähr wusste, wie groß die Erde ist. Vielleicht ist es aber auch eine Frühform von Marketingpolitik.

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Wenn dann die Sonne auftaucht, verschwinden zuerst die Sterne, die in der Mitte des Himmels sind, der wiederum für uns der Tiefste ist. Ob die Sterne in der Mitte am frühesten verschwinden, weiß der Autor nicht; erstens schläft er da immer und zweitens schaut er, wie bereits mehrfach erwähnt, nie nach oben. Aber es wird wohl so sein. Wieso der Himmel oben tiefer ist als an der Seite erschließt sich auch nicht unbedingt; der Autor würde sagen, die unendlichen Weiten des Weltraums sind in alle Richtungen unendlich, vielleicht war das aber bei Ptolemäus anders. Die Dienerin der Sonne ist Aurora, die läuft vor der Sonne her. Wenn sie dann kommt, dann ist der Himmel blau in alle Richtungen, das ist auch dem Autor schon aufgefallen, obwohl er nie, wie bereits öfters erwähnt, nach oben schaut. Mit diesem Bild, also mit dem Verschwinden der Sterne beim Auftauchen der Sonne vergleicht er jetzt das Verschwinden der Engelskreise. Der letzte Satz (eingeschlossen schien in dem was er umschloss) soll dann heißen, dass Gott nicht in die Engelskreise eingeschlossen ist, sondern ganz im Gegenteil diese umschließt. Übrig bleibt dann von dem ganzen Bild, dass die Engelskreise verschwanden wie die Sterne verschwinden, wenn die Sonne aufgeht. Also wenn irgendein Curtius, Vossler, Auerbach, Falkenhausen oder wer auch immer behauptet, dass er an diesen Terzinen seine Freude hat, dann kann das nur daran liegen, dass er liebesglutdurchdrungen in rasender Geschwindigkeit sich als Glanzgelichter um die eigene Achse dreht und mächtig Speed eingeworfen hat.

Doch mir ward bang, als er sich fortgeschwungen,
Und aus der Leere ward zu ihren Zügen
Mein Blick vom Sehnsuchtsdrang zurückgezwungen.

Im Original

a poco a poco al mio veder si stinse:
per che tornar con li occhi a Beatrice
nulla vedere e amor mi costrinse

doch dann verlosch mein Sehen: so dass
die Blindheit und die Liebe mich zwang
meine Augen Beatrice zuzuwenden

Auch keine schlechte Idee. Diese Beatrice ist natürlich von unglaublicher Schönheit. Wird er uns diesmal etwas von seiner unendlichen Verzückung mitteilen? Was würde der Dante Experte vermuten, was jetzt passiert?

O! ließen in ein einzig Wort sich fügen
Die Blüten all, die ich ihr huldgend streute, -
Zu dürftig wär es, diesmal zu genügen!

Denn wie sich ihre Schönheit jetzt erneute,
War überirdisch, dass – ich sag es offen -
Wohl nur ihr Schöpfer ganz sich ihrer freute!

Und hier erscheint mir aussichtslos mein Hoffen,
Besiegt erklär ich mich, wie je ein Dichter
Es ward von heitern oder ernsten Stoffen.

Im Original

Se quanto infino a qui di lei si dice
fosse conchiuso tutto in una loda,
poca sarebbe a fornir questa vice.

La bellezza ch'io vidi si trasmoda
non pur di là da noi, ma certo io credo
che solo il suo fattor tutta la goda.

Da questo passo vinto mi concedo
più che già mai da punto di suo tema
soprato fosse comico o tragedo:

Auch wenn alles was bisher ward gesagt
Zusammengefasst wäre zu einem Lobgesang,
wäre wenig doch vollbracht von diesem Werke

Die Schönheit die ich sah war so erhaben nicht
nur für uns hienieden, so dass ich sicher glaube,
dass allein ihr Schöpfer sie hat ganz genossen

Vor diesem Schritt geb ich mich geschlagen,
noch nie ward ein Dichter von seinem Thema,
ob tragisch oder komisch, so überwältigt

Wenn er also alles, was er bisher über Beatrice gesagt hat(also dass sie eine stinklangweilige Behördentussi im höheren himmlischen Verwaltungsdienst war), zusammenfassen würde zu einem Loblied, dann würde das immer noch nicht genügen, um ihre Schönheit hinlänglich zu preisen. Das glauben wir ihm. Die Schönheit soll so erhaben gewesen sein, dass sie nicht nur die Vorstellungskraft der Menschen (hienieden), sondern auch der Glanzgelichter / Engel / Flammen im Paradies übersteigt. Jetzt allerdings kommt er tatsächlich mal auf einen wahren Kern zu sprechen. Bis jetzt hat er ja immer angeführt, dass er nichts über die erhabenen Ereignisse berichten könne, weil die Musen ihm nicht beistanden, die Sprache prinzipiell nicht ausreicht, der Leser zu doof ist, das Gedächtnis die Erinnerung versenkt hat etc. etc. Hier spricht er zum ersten Mal den wunden Punkt an. Er ist unfähig, das Thema zu gestalten. So ganz bei der Wahrheit ist er zwar immer noch nicht, die würde ja lauten, dass er einfach komplett unfähig ist, aber er nähert sich. Ein paar Artikel in seiner Convivio oder bei Wikipedia hätte er ja schreiben können, aber einen Stoff dichterisch durchdringen, das war überhaupt nicht sein Ding.

Was Sonnenlicht für Menschenangesicher,
War ihres Lächeln Wonne mir – hier sieht
Selbst das Gedächtnis löschen alle Lichter!

Im Original

ché, come sole in viso che più trema,
così lo rimembrar del dolce riso
la mente mia da me medesmo scema

ganz wie das Augenlicht am meisten gegen die
Sonne kämpft, so ist das Erinnern des süßen
Lächelns für meinen Geist dieselbe Mühe

Da ist der Zoozmann wohl ausgestiegen, was verständlich ist. Denn innerhalb des Vergleichs zwischen den Augen, die blinzeln und dem Gedächtnis, das versucht etwas herauszugraben, besteht keinerlei Zusammenhang. Sowenig wie bei dieser Terzine, die logisch gesehen analog ist.

So wie der Dosenöffner mit Dose kämpft
so fiel das Schreiben des Briefes mir schwer
Und mein Geist lag ganz ermattet danieder

Und es wird nicht wirklich besser.

Seit ich zuerst auf irdischem Gebiet
Sie sah bis hier, wo Himmelswonnen tagen,
Gelangs, ihr Bild zu malen, meinem Lied,

Jetzt kann so hoch kein Dichterflügel tragen!
Dem letzten Ziel, noch hier ihr Lob zu singen,
Muss ich, wie jeder Künstler, stumm entsagen.

Im Original

Dal primo giorno ch'i' vidi il suo viso
in questa vita, infino a questa vista,
non m'è il seguire al mio cantar preciso;

ma or convien che mio seguir desista
più dietro a sua bellezza, poetando,
come a l'ultimo suo ciascuno artista

Den Weg zu beschreiben von dem Moment als
ich zum ersten Mal sie sah, bis zu dieser
Schau, ist meinem Gesang nicht nötig

jetzt ziemt es sich ihrer Schönheit nicht
Mehr weiter nachzufolgen, so dichtend,
wie ein jeder Künstler vor seinem letzten Ziele

Zoozmann hat da ein bisschen interpretiert und inhaltlich richtig, auch wenn die Übersetzung falsch ist. Die Vita Nuova ist tatsächlich Dichtung, basiert aber auf konkreten Erfahrungen. Die Divina Commedia basiert nicht auf konkreten Erfahrungen und rotiert von daher im Leerlauf. Die zweite Terzine (…jetzt ziemt es sich…) ist jetzt wieder eine Dante typische Notlüge. Ziemen würde es sich durchaus, aber es ist nicht möglich. Mit „wie ein jeder Künstler seinem Ziele“ will er uns sagen, dass eben jeder Künstler bestimmte Fähigkeiten hat, sind diese ausgeschöpft, ist das Ziel erreicht Das wirft natürlich zwei Probleme auf. Bei Dante waren sie offensichtlich sehr früh erreicht und zweitens kann man sich fragen, ob ein Terzinenschmied ein Künstler oder Dichter ist.

So mögen stärkre Töne denn erklingen,
Als meiner Tuba, die ich darauf richte,
Das schwere Werk zu Ende jetzt zu bringen.

Im Original

Cotal qual io la lascio a maggior bando
che quel de la mia tuba, che deduce
l'ardua sua matera terminando,

Dies überlass ich jetzt größeren
Meistern als meiner Posaune, die jetzt
ihr hartes Werk zu Ende bringen muss

Was mit „Dies“ (Cotal qual) eigentlich gemeint ist, ist unklar. Beatrice wird ja wohl kaum eine spätere Tuba beschreiben, zumindest wünscht sich der Autor das nicht; ein Poem zu schreiben über eine Angestellte im himmlischen nichttechnischen Verwaltungsdienst ist so ziemlich das Allerletzte, was er täte. Von denen gibt es schon genug, ein Poem ist da ziemlich unnötig.

Mit eines Feldherrn Ton und Angesichte
Sie zuversichtlich sprach: „Wir sind entronnen
Dem größten Raum, sind jetzt im reinsten Lichte,

Im Original

con atto e voce di spedito duce
ricominciò: «Noi siamo usciti fore
del maggior corpo al ciel ch'è pura luce:

mit der Gebärde eines sicheren Führers fuhr
sie fort: Wir haben nun verlassen den größten
Himmelskörper, sind angelangt im reinen Licht:

Den Körper, den sie verlassen haben, ist das Primum Mobile. Angelangt sind sie nun im Empyreum.

Im geistgen Lichte aller Liebeswonnen,
Wo Liebe quillt zum Guten und zum Wahren
Aus aller Süßigkeiten Himmelsbronnen.

Im Original

luce intellettual, piena d'amore;
amor di vero ben, pien di letizia;
letizia che trascende ogne dolzore.

Geistiges Licht, voll von Liebe;
Liebe zum wahren Guten, voller Freude;
Glück, das jede Wonne übersteigt

Uff! Also im Empyreum herrscht geistiges Licht, das wiederum voller Liebe ist und zwar Liebe zum wahren Guten, wobei die Liebe selbst voller Freude ist, ein Glück darstellt, das jede Wonne übersteigt. So ähnlich hat der Autor auch mal gedichtet.

Oh Ergreifung, tiefstinnigstes Ergreifen,
ergreif mich, denn ergriffen möchte ich sein
dass freudigste Ergreifung mich ergreife

Schwierig, schwierig, schwierig. Wir konzedieren mal, dass es positiv ist, wenn jemand ergriffen sein will. Das ist ja immer noch besser als der perfekte Spießbürger, der will nicht mal ergriffen sein, wird sogar jede Emotion, die sich nicht auf Gartenzwerge bezieht, als Schwärmerei abtun. So weit so gut. Ist aber die Ergreifung völlig unbestimmt, ihr Gegenstand das Vakuum, dann hat sie schon was von Verrücktheit. Verrückt ist zwar beides, sowohl der Spießbürger, dessen Entzückung sich auf den Gartenzwerg richtet wie auch der Schwärmer, aber der Spießbürger hat, und das ist bedauerlich, auch noch den gesunden Menschenverstand auf seiner Seite. Ein Sonderfall ist dann Dante. Das ist ein spezieller Spießbürger. Die Sehnsucht nach Entzückung geht ins Jenseits, da besteht dann die Gefahr, dass es im Diesseits nur noch wenig gibt, was einen entzücken könnte. Die Entzückung sollte sich also auf das Diesseits richten, aber mit diesem dann auch vermittelt sein. Das ist ja auch bei vielen Politikfeldern ein Thema, zum Beispiel bei der „Ausländer“politik. Schäuble (wir schreiben das Jahre 2009, Schäuble ist Innenminister) und Konsorten sind da ja eher restriktiv, befürchten Multikulti und Verlust deutscher Kultur (?) / Identität (??), Überlastung der sozialen Sicherungssysteme, erhöhte Kriminalität und alles Mögliche. Die Lösung ist dann einfach: Die Einwanderung zurückdämmen. Der Schäuble hat eine Lösung, aber das Niveau der Lösung ist gering. Natürlich kann man eine Krankheit dadurch heilen, dass man den Kranken umbringt. Die Krankheit ist dann geheilt, spätestens bei der Einäscherung, dann sind alle Viren / Krebszellen / Bakterien und Prionen vernichtet, aber der Anspruch an die Lösung, war nicht besonders hoch. Ähnlich verhält es sich bei der „Ausländer“politik. Es geht nicht um die Frage, das „Problem“ zu lösen, es geht um das Niveau, auf dem das „Problem“ gelöst wird. Menschen also, die tiefer und irdisch „entzückt“ sein wollen, werden also eher nach dem großen Wurf suchen. Sie werden sich überlegen, wie Bildungssysteme, Entwicklungshilfe, Forschung so verzahnt werden können, dass Chancen entstehen. Letztlich werden sie darüber nachdenken, wie man die Welt so umgestaltet, dass jeder da wohnen kann, wo er lustig ist. Diese Entzückung wird aber nicht ins Leere zielen, sondern auf konkrete Maßnahmen.

Man kann sich jetzt natürlich noch überlegen, ob der schon oftmals genannte Kommentator aus der Renaissance Alessandro Vellutello diese freischwebende Entzückung mit irgendwas untersetzen kann.

Noi siamo usciti fuori del maggior corpo, ciò è, del maggior corporeo cielo, e questo è il primo mobile che tutti gli altri corpi abbraccia, e semo venuti al cielo empireo il qual è solo pura luce, che vien da Dio, ch'è la luce del mondo; e referiscesi al padre. Et è luce intellettuale, perchè solo se stesso intende, e referiscesi al figliuolo, al qual s'attribuisce la sapientia che depende da l'intelletto. Piena d'amore, che s'attribuisce a lo Spirito santo. Amor di vero bene, che solo è de la felicità superna, onde dice esser pieno di letitia, che trascende e passa ogni dolciore, perchè nessuna letitia può esser eguale a quella del bene che depende dal divino amore.
Wir haben den größten Körper, soll heißen, den größten körperlichen Himmel, also das Primum Mobile, das alle anderen Körper umfasst, verlassen und sind im Empyreum, wo nur noch reines Licht ist, das von Gott kommt, welcher das Licht der Welt ist und sich auf den Vater bezieht. Und es ist auch geistiges Licht, weil nur er es sieht, und es bezieht sich auf den Sohn, dem man Weisheit zuspricht, die vom Geist abhängt. Voll von Liebe, die zum Heiligen Geist gehört. Liebe zum höchsten Gut, die allein höchste Glückseligkeit ist.
Von daher heißt es höchste Glückseligkeit, die alle Wonnen übersteigt, weil keine Glückseligkeit größer sein kann als die, die von Gottes Liebe abhängt.

Das mäandert ja auch mächtig, teilweise haben wir es mit einem Zirkelschluss zu tun und im Grunde mit einer langen Reihe von Behauptungen. Das Geschreibsel ist weder der rationalen Analyse zugänglich noch beinhaltet es irgendein empirisches Substrat. Es ist ein Dunkelsprech, in dem sich der christliche Mystizismus wiederfindet. Versucht man das allerdings psychologisch zu durchdenken, dann ist das eine echte Herausforderung. Niemand wird zum Beispiel der katholischen Kirche und dem Ratzinger, Joseph ein visionäres Denken unterstellen, ein Denken, das ,getrieben von einem hohen Anspruch, konkrete, anspruchsvolle und komplexe Lösungsansätze für real anstehende Probleme sucht. Bezogen auf das Diesseits haben wir es also mit Gartenzwergen zu tun. Bezogen auf das Jenseits scheint der Bedarf an Entzückung aber ungeheuerlich zu sein. Denn im Grunde ist das ganze skurrile Dunkelsprech Ausdruck von Entzückungssehnsucht. Weiter kann man sich noch über einen anderen Tatbestand wundern. Denker, die eine äußerst schwierige Schreibe haben(wie Hegel oder Adorno), gerieten ja bekanntlich mächtig unter Feuer und da der Autor immer viel Adorno in die Arbeiten eingebaut hat, die er im Verlaufe des Studiums verfasst hat, kann er sagen, dass Romanisten damit intellektuell überfordert sind. Adorno ist aber geballtes empirisches Substrat und man kann das durchaus verstehen. Merkwürdigerweise gibt es eine solche Kritik, was Dante angeht, nicht. Da wird der Dunkelsprech ganz im Gegenteil irgendwie als Reichtum gesehen, je dunkler desto besser. Ein Prof. Dr. schreibt zum Beispiel so was:

Das Werk, das eine zusammenfassende Darstellung des politischen, wissenschaftlichen und philosophischen Denkens jener Zeit bietet, kann entsprechend der mittelalterlichen Lehre vom vierfachen Schriftsinn auf vier Ebenen interpretiert werden: auf der litteralen, der allegorischen, der moralischen und der mystischen Ebene. Tatsächlich beruht ein Teil seiner Größe sogar noch mehr auf seiner Bedeutungsvielfalt als auf seinen meisterhaften dichterischen und dramatischen Eigenschaften. Als Dramatisierung der christlichen Theologie des Mittelalters ist es von überragendem Wert; doch auch jenseits dieses Bezugsrahmens kann Dantes fiktive Reise als eine Allegorie der Läuterung der Seele des Menschen und des von Vernunft und Liebe geleiteten Erreichens des inneren Friedens verstanden werden.

aus: http://www.ib.hu-berlin.de/~pz/florenz/danteend.htm

Das geht dem durch wie nix: „Tatsächlich beruht ein Teil seiner Größe sogar noch mehr auf seiner Bedeutungsvielfalt…“

Das heißt zu Deutsch, dass der Prof. Dr. meint, dass je wirrer ein Werk geschrieben ist, je mehr man also hineingeheimnissen kann, desto besser. Das ist unzutreffend. Im Idealfall schlägt ein Text ein wie eine Bombe, wird unmittelbar verstanden und reißt den Horizont auf. Eine Interpretation ist ein Wortgebilde und Wortgebilde haben was von einer luftigen Fata Morgana. Interpretiert haben wir alle schon viel, vor allem in der Schule, erinnern können wir uns an nichts. Aber viele erinnern sich an zufällig aufgeschnappte Verse, Sätze, Filmsequenzen, Songtexte. Die beindruckten aber nicht durch ihre vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten, sondern ganz im Gegenteil, sie beindruckten, weil sie eindeutig waren und einschlugen wie eine Bombe. Wahrscheinlich gibt es da mehr ideologische Nähe und der Dunkelsprech, um den sich die Hüter des Grals versammeln, schützt auch vor Kontrolle. Welcher Politiker wird schon den Mut haben, den Dunkelsprech mal als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich ein riesen Schwachsinn und den Jungs und Mädels mal freundlich / unfreundlich mitteilen, dass sie sich mal mit der real existierenden Welt beschäftigen sollen? Die Divina Commedia ist hierbei natürlich nur ein Beispiel, denn die Sache hat System.

Hier siehst du von den beiden Kämpferscharen
Des Paradieses eine so umkleidet,
Wie sie beim Weltgericht sich offenbaren!“

Im Original

Qui vederai l'una e l'altra milizia
di paradiso, e l'una in quelli aspetti
che tu vedrai a l'ultima giustizia

Dort sah ich die einen und die anderen Heere des
Paradieses, und eine erschien in der Gestalt die
du sehen wirst, wenn letzte Gerechtigkeit wird gesprochen

Die zwei Heere sind die Engel und die Seeligen, die findet er hier alle wieder. Was er in den Stockwerken weiter unten gesehen hat, war ja nur das Spiegelbild, eigentlich sitzen sie ja alle im Empyreum. Mit „…die Gestalt, die du sehen wirst…“ ist der Körper gemeint. Den haben sie zwar noch nicht, den kriegen sie ja erst beim Jüngsten Gericht wieder, aber die Erscheinung haben sie wohl.

Gleichwie ein unverhoffter Blitz durchschneidet
Des Auges Kraft, dass sie, in Bann gehalten,
Den stärksten Eindruck nicht mehr unterscheidet,

So überschwemmten mächtgen Lichts Gewalten
Mich lodernd, dass mir schwand nach allen Seiten
Der Ausblick durch des Strahlenschleiers Falten.

„Die Liebe pflegt mit solcher Herrlichkeiten
Freudigem Gruß hier immer zu empfangen,
Um für ihr Glühn die Kerze zu bereiten.“

Im Original

Come sùbito lampo che discetti
li spiriti visivi, sì che priva
da l'atto l'occhio di più forti obietti,

così mi circunfulse luce viva,
e lasciommi fasciato di tal velo
del suo fulgor, che nulla m'appariva.

«Sempre l'amor che queta questo cielo
accoglie in sé con sì fatta salute,
per far disposto a sua fiamma il candelo».

Wie ein plötzlicher Blitz die Kraft zu
Sehen hindert, so dass das Auge auch
Stärkere Objekte nicht kann sehen

so umfloss mich lebendiges Licht, und
umgab mich so mit dem Schleier seines Glanzes,
dass sich mir nichts mehr zeigte.

„Die Liebe, die in diesem Himmel ruht,
empfängt hier mit einem solchen Gruß,
dass die Kerze bereit wird, die Flamme zu empfangen

Ein Blitz, der das Auge so blendet, dass man nichts mehr sieht, muss schon ein gewaltiger Blitz sein, da müsste der Blitz wohl eher direkt auf dem Schädel einschlagen. Geblendet ist man, wenn man in die Sonne schaut, wenn man das lange macht, sieht man tatsächlich eine Zeitlang nichts mehr und wenn man es ganz lange macht, sieht man nie wieder was. Dass das so nicht ganz hinhaut, ist auch Alessandro Vellutello aufgefallen.

Mostra, che sì come un subito splendore diparte tanto i visivi spiriti, che priva l'occhio del veder l'essere de' più forti obietti, che non è la sua visiva virtù, come aviene, quando vogliamo fissamente mirar il sole, che la sua luce n'abbaglia di modo che nulla veggiamo, così essendo egli salito al cielo empireo, fu da la viva luce di quello circondato, e lasciollo tanto fasciato di tal impedimento del suo splendore, che nulla vedeva.

Soll heißen, ganz so wie ein plötzlicher Lichtschein das Sehvermögen trennt, was nicht die Sehkraft ist, und so das Auge daran hindert, das Wesen größerer Objekte zu sehen, also nicht wie wenn wir fest in die Sonne schauen, deren Licht uns ja so blendet, dass wir gar nichts sehen, so war es, nachdem er ins Empyreum empor gestiegen war. Er war so von lebendigem Licht umhüllt, und dieses hatte ihn so geblendet mit seinem Glanz, dass er nichts sah.

Alessandro Vellutello versucht das also irgendwie zu retten. Dante spricht aber nicht von einem Lichtschein, einem splendore, sondern von einem lampo, einem Blitz. Und ein Blitz blendet nun mal nicht, es sei denn, er schlägt auf der Schädeldecke ein, aber dann braucht man eh keine Augen mehr und versteckt auch nicht größere Objekte in seinem Umfeld. Aber selbst wenn man aus dem Blitz einen Lichtschein macht, ändert das wenig an der Tatsache, dass es Mumpitz ist. So rein irdisch ist die Sonne ein Lichtschein, es kommt lediglich darauf an, wie groß er ist. Wer in einen 1000 Watt Baustrahler schaut, hat das gleiche Problem, wie wenn er in die Sonne schaut. Wir vermuten eher, weil die Bilder und Vergleiche Dantes grundsätzlich abartig sind, dass Dante sich einfach gar nichts gedacht hat. Um es abzukürzen: Ein Blitz blendet nicht. Wenn er geblendet war, dann hatte das andere Gründe. Besser ist das Bild mit der Kerze, die bereit wird, die Flamme zu empfangen. Das gibt was her, verweist auf eine innere Disposition, der es bedarf, um etwas zu „erfahren“. Weil wir aber a) inzwischen etwas griesgrämig sind und b) das Bild eigentlich auch nicht wirklich gut ist, gut ist es nur für die bescheidenen Dante Verhältnisse, finden wir das im Grunde auch nicht gelungen. So ganz dunkel und instinktiv finden wir, dass das Bild etwas von „zurichten“ an sich hat, irgendwie was von Soldat, der bereit ist, in die Schlacht zu ziehen, was von einem Ritual, dass den Aspiranten vorbereitet für den Eintritt in den Orden. Würde man auf die innere Disposition abstellen wollen, die nötig ist, damit ein Ereignis eine Bedeutung erhält, wäre das hier sehr viel hübscher:

Viele Säulen beschien die Sonne
Doch nur die Säule Memnons klang

Wie dem auch immer sei, die Quintessenz der drei Terzinen ist erstmal simpel. Er war so vom göttlichen Licht bestrahlt, dass er nichts mehr gesehen hat. Allerdings sind wir jetzt im Meganirvana angelangt. Bis jetzt hatten wir ein Nirvana, dass immerhin auf der Scholastik beruhte, das ist zwar auch schon ein Nirvana, aber immerhin verdichten sich in diesem Nirvana die Vorstellungen des Mittelalters. Jetzt haben wir es mit einem Dante Nirvana zu tun, das ist die Steigerung des Nirvanas. Es reicht nicht, zu sagen, dass die Divina Commedia ein fiktionales Werk ist. Auch ein fiktionales Werk ist keine Fiktion im Nirvana. Die kleine Seejungfrau ist ein fiktionales Werk, aber nicht im Nirvana. Die kleine Seejungfrau ist an die Menschen gebunden, doch der Umgang mit diesen bereitet ihr Schmerzen. Die kleine Seejungfrau wird von einer Sehnsucht getrieben, gegen die keine Vernunft mehr Einspruch erheben kann. Das passiert. Im Grunde ist kein einziges Gedicht, kein einziger Roman und kein Theaterstück fiktional. Fiktional heißt, von jedem empirischen Substrat gereinigt. Die Divina Commedia ist das einzige fiktionale Werk, das der Autor jemals gelesen hat. Die ist aber nicht nur fiktional, die ist sogar fiktiv, so fiktiv wie ein Aktiendepot bei Lehmann Brothers (Wir sind immer noch im Jahre 2009. Im Jahre 2008 hat die eine der größten amerikanischen Investment Banken ein paar Milliarden Dollar versenkt und ist dann Pleite gegangen.).

Die kurzen Worte kaum ans Ohr mir klangen,
Als über mich hinaus, wie mich es deuchte,
Sich alle meine Seelenkräfte schwangen:

Ich fühlte, dass ein neuer Geist durchleuchte
Die Augen mir, dass nun – wie stark es glänze -
Kein Licht sie blendend mehr zu Boden scheuchte!

Im Original

Non fur più tosto dentro a me venute
queste parole brievi, ch'io compresi
me sormontar di sopr'a mia virtute;

e di novella vista mi raccesi
tale, che nulla luce è tanto mera,
che li occhi miei non si fosser difesi;

Kaum hatten diese kurzen Worte mich
Durchdrungen, da verstand ich schon
dass gesteigert meine Kräfte

und mein Blick ward dergestalt erneuert,
dass es kein Licht mehr gab so rein, dass
meine Augen nicht hätte ertragen können

Stellt man eine Verbindung her zu den vorigen Terzinen, zu denen mit Blitz und Co, dann hat also das Freudenfeuer die Sehkraft Dantes gestärkt. Wir sind ja gespannt, ob uns unser Alessandro Vellutello erklären wird, wieso die Sehkraft gestärkt wird, wenn ein Haufen Freudenfeuer um einen herum tanzen. Er schreibt

Dette da Beat. le prefate brevi parole, il poeta si sentì immediate sormontar di sopra la sua humana, e riempirsi di divina virtù, e raccendersi di tal nuova veduta, che nessuna luce è tanto mera, è tanto pura, dice, che li miei occhi non si fossero difesi dal suo splendore.

Nachdem Beatrice die kurze Rede gesprochen hatte, fühlte der Dichter sofort, wie seine menschliche Natur gesteigert und mit göttlicher Kraft durchströmt wurde. Derart mit einer neuen Sehkraft ausgestattet, dass kein noch so helles, noch so reines Licht existiert, dass meine Auge seinen Glanz nicht ertragen hätte.

Er paraphrasiert also lediglich. Eine Präzisierung bringt er nur insofern, als die gesteigerte Sehkraft von der göttlichen Kraft herrührte, die ihn durchströmte. Wir haben es im Grunde allmählich mit einem Irrenhaus zu tun. Schon der Katholizismus alleine ist ausreichend irre, aber immerhin noch ein kollektiver Irrsinn und einem kollektivem Irrsinn kommt immerhin eine empirische Relevanz zu. Ist der Irrsinn ein Massenphänomen, hat er immerhin ein psychologisches Fundament. Dante entwickelt nun aber einen individuellen Irrsinn und der individuelle Irrsinn ist vollkommen kontingent. Im Grunde haben wir das höchste Maß an Beliebigkeit erreicht. Dante teilt uns mit, dass er im Empyreum gelandet ist, dort vom göttlichen Licht durchströmt wird und deshalb eine Sehkraft erlangt, die es ihm erlaubt, die anderen Lichter anzuschauen. Ich teile mit, dass ich in Takatukaland bin, den Meister der großen Winde getroffen habe, der mich bespritzte mit dem Wasser aus der Quelle der Wahrheit und nun als Erleuchteter ewig leben werde.

Und blitzewerfend sah ich Wellentänze
In einem Glanzstrom, und die Ufer schienen
Von Frühlingshand geflochtne Blumenkränze;

Lebendge Funken schnellten hoch zu ihnen
vom Strom, worauf zum Blütenflor die Funken
Sich senkten wie in Gold gefasst Rubinen,

Im Original

e vidi lume in forma di rivera
fulvido di fulgore, intra due rive
dipinte di mirabil primavera

Di tal fiumana uscian faville vive,
e d'ogne parte si mettìen ne' fiori,
quasi rubin che oro circunscrive;

und ich sah ein Licht geformt wie ein Fluss
dessen Ufer angemalt mit des Frühlings
Zauber, glänzend wie von Glut,

aus diesem Strom entstiegen lebendige Funken
Und setzten sich überall auf die Blumen,
fast wie ein Rubin, eingefasst vom Golde

Er sieht also einen Fluss, in dem Funken schweben / fliegen / segeln. Deshalb ist er golden. Die Ufer desselben sind mit Blumen bedeckt, also mit des Frühlings Zauber. Aus dem Fluss steigen nun die Funken und setzen sich auf die Blumen. Das mit dem Rubin, der eingefasst in Gold ist, sollten wir nicht so eng sehen, denn es ist genau umgekehrt. Gold sind wohl eher die Funken und rot die Blumen, es wäre also eher ein Goldtropfen, der von Rubin umfasst wird.

Und tauchten, wie vom Blütendufte trunken,
Aufs neue in die goldnen Wunderwellen -
Hier hob sich der, wenn jener dort versunken.

Im Original

poi, come inebriate da li odori,
riprofondavan sé nel miro gurge;
e s'una intrava, un'altra n'uscia fori

dann, wie betrunken von den Düften, tauchten
sie wieder ein in den wundersamen Strudel
und wenn einer eintrat, verließ es ein anderer

Das ist jetzt, schreibt zumindest Alessandro Vellutello nicht mehr Dante pur.

Poi che ebbri e satii de gli odori di quelli, si riprofondavano nel miro gurge, ciò è, nel mirabil fiume, e se una v'entrava, n'usciva fuori un'altra. Questo adunque intenderemo esser il fiume del quale scrive Giovanni al XXII de l'Apoc. dicendo, "Ostendit mihi flumen aquae vivae splendidum tanquam cristallum procedentem de fede Dei", e l'intenderemo per la gratia de lo Spirito santo, che immediate procede da Dio, e difondesi ne l'anime beate intese per li fiori, e le faville per gli angeli che amministran continuamente tal gratia in loro, come qui di sotto vedremo. Onde S. Ambrosio in lib. De Spiritu santo, "Civitas Dei illa Ierusalem coelestis non meatu alicuius fluvii terrestris alluitur, Sed ex fonte procedit spiritus sancti". L'una e l'altra riva significa il vecchio et il nuovo testamento, perchè in quello fu, et hora in questo a gli eletti è, essa gratia amministrata.

Dann, trunken und gesättigt von den Düften der Blumen, tauchten sie wieder ein in den wundersamen Strudel, also in den wundersamen Fluss und wenn einer dort eintauchte, tauchte ein anderer daraus hervor. In diesem Fluss erkennen wir den Fluss, von dem Johannes im 22. Kapitel der Apokalypse schreibt, als er sagt, "Ostendit mihi flumen aquae vivae splendidum tanquam cristallum procedentem de fede Dei" (Und er zeigte mir einen lautern Strom des lebendigen Wassers, klar wie ein Kristall; der ging aus von dem Stuhl Gottes und des Lammes). Wir verstehen darunter die Gnade des Heiligen Geistes, der unmittelbar auf Gott folgt und sich in den Seeligen, das sind die Blumen, ausbreitet. Die Funken sind dann die Engel, die diese Gnade ständig an sie austeilen, wie wir weiter unten sehen werden. So beschreibt es auch S. Ambrosio in lib. De Spiritu santo "Civitas Dei illa Ierusalem coelestis non meatu alicuius fluvii terrestris alluitur, Sed ex fonte procedit spiritus sancti" (Das Reich Gottes jenes Himmels von Jerusalem fließt nicht aus irgendeiner irdischen Quelle, sondern kommt vom heiligen Geist).
Das eine und das andere Ufer steht für das alte und neue Testament. In jenem war und in diesem ist den erwählten diese Gnade zugeteilt.

Wir wissen also jetzt, dass Dante nur einem kollektiven Irrsinn folgt, was ja immerhin besser ist als ein völlig kontingenter, zufälliger Irrsinn. In dem Moment, in dem sich der Irrsinn aus einem Text speist, wird es ein Irrsinn, der wissenschaftlicher / philologischer Tätigkeit zugänglich ist. Der Autor weiß, dass Sie das nicht tröstet, aber so ist das nun mal. Der kontingente Irrsinn wird erst dann zum kollektiven, der wissenschaftlichen Analyse und den Philologen zugänglicher Irrsinn, wenn er oft genug zitiert wird. Sie haben im Grunde ein ähnliches Problem wie im sogenannten viralen Marketing. Schafft es jemand, einen kontingenten Irrsinn so zu platzieren, dass daraus durch Zitierung ein kollektiver Irrsinn wird, ist der kontingente Irrsinn zum kollektiven Irrsinn geworden und in den dann folgenden 5000 Jahren werden sich verbeamtete Geistliche damit beschäftigen. Allerdings hat es der kontingente Irrsinn heute schwer, zum kollektiven Irrsinn zu werden, da die Gesellschaft überwiegend, sieht man mal von den verbeamteten Geistlichen ab, auf Rationalität getrimmt ist. In dieser Situation ist es für den kontingenten Irrsinn schwierig, die kritische Masse aufzubauen, die ihn zum geisteswissenschaftlich ergiebigen kollektiven Irrsinn werden lässt.

„Dein heißer Wunsch: Es möchte sich erhellen
Die Kenntnis dir von dem, was du hier siehst,
Freut mich je mehr, je mehr ich ihn seh schwellen.

Doch eh dein Dürsten Sättigung genießt,“
So sprach sie, meines Auges Licht und Leben,
„Musst du vom Wasser trinken, das hier fließt.

Im Original

L'alto disio che mo t'infiamma e urge,
d'aver notizia di ciò che tu vei,
tanto mi piace più quanto più turge;

ma di quest'acqua convien che tu bei
prima che tanta sete in te si sazi»:
così mi disse il sol de li occhi miei

Der hohe Wunsch der dich jetzt entflammt und drängt
zu erfahren, was du siehst,
gefällt mir je mehr, je mehr er dich drängt

Doch von diesem Wasser muss du erst
trinken bevor soviel Durst gelöscht
So sprach die Sonne meiner Augen

Dante will also wissen, was es mit dem Fluss, den Blumen und den Funken auf sich habe, was sie bedeuten. Wir sind ja, dank Alessandro Vellutello schon weiter, wir wissen das schon. Dantes Augen allerdings sind immer noch von der Schwere des irdischen Jammertals belastet, er muss erst noch einen Schluck aus der Pulle der göttlichen Gnade tun, also dem Fluss, um zur reinen Anschauung zu kommen, die Dinge also unmittelbar, also nicht mehr als Symbole zu sehen. Den Schluck nimmt er aber erst drei Terzinen weiter unten, vorher kommt noch ein bisschen Techtelmechtel.

Der Glanzstrom, der Topase Fall und Heben,
Der bunten Blumen Lachen und Sichneigen,
Will nur der Wahrheit Schattenvorspiel geben.

Nicht dass selbst Mangel ihnen wär zueigen;
Ihr Wesen selbst ist klar und bald durchdacht,
Nur Kraft fehlt deinem Blick, so hoch zu steigen.“ -

Der Fluss, eigentlich die göttliche Gnade, die Funken, eigentlich Engel und die Blumen, eigentlich Selige sind also nur ein Schatten ihres eigentlichen Wesens. Dass Dante das nicht sieht, liegt nicht daran, dass sie nicht vollkommen seien, sondern daran, dass Dantes Augen noch nicht zu ihrem eigentlichen Wesen vordringen, deswegen braucht er jetzt noch einen Schluck aus der Pulle. Man kann das ja sehen wie man will, aber im Grunde muss man doch sagen, dass Dante eine „bewußtseinserweiternde“ Droge einwirft. Das ist das, was der Autor nun schon seit 50 Terzinen vermutet hat, Dante nimmt irgendein Alkaloid. Ganz offensichtlich ist es ihm ja mit dem normalen Bewußtsein nicht möglich, das „Eigentliche“ zu erkennen. Der Autor will ja wirklich nicht moralinsauer und als Spaßbremse daherkommen, aber das System Dante ist ein Grundirrtum. Alkaloide Substanzen machen nicht den Weg frei auf das „Eigentliche“, sondern sie verändern das Bewußtsein so, dass entweder etwas gesehen wird, was gar nicht da ist oder die Realität nur noch gefiltert wahrgenommen wird. Alkaloide Substanzen bewirken keine Bewußtseinerweiterung, sondern eine Bewußtseinsverfälschung. Wer Drogen einwirft, sieht vielleicht in einer Rose eine Jungfrau und in der Sonne das göttliche Antlitz, aber die Rose ist und bleibt eine Blume und die Sonne ist und bleibt eben die Sonne. Dies ist ein weiterer Grund, warum Dante als Schullektüre ungeeignet ist. Bei Jugendlichen könnte der Eindruck entstehen, dass man eine Bewußtseinserweiterung erfährt, wenn man Speed einwirft und dann ganz tolle Dinge erlebt. Das mag schon sein, dass man die erlebt, allerdings stehen sie dem Diesseits unvermittelt gegenüber. Wir lernen ja bei Dante, dass ein Junkie über diese Welt nichts zu sagen hat. Und um mal richtig den Konservativen raushängen zu lassen: Am allermeisten erlebt man mit hellwachem Bewußtsein, je wacher, desto mehr. Dante hätte gar kein Koks gebraucht, wenn er mal über diese Welt nachgedacht hätte. Durch den Schluck aus der göttlichen Gnadenpulle will er uns natürlich sagen, dass die Wege des Herrn unergründlich sind und nur durch die bewußtseinserweiternde Droge Gnade sich dem Menschen erschließen. Ob Gnadenpulle oder Whiskyflasche, beides legt ab vom höchst spannenden Diesseits. Jetzt nimmt er auf jeden Fall einen ordentlichen Schluck aus der Gnadenpulle.

Kein Kind, wenn durstig es der Schlaf gemacht,
Kehrt schneller hin zur Brust, um sich zu nähren,
Den Mund, wenn wider Brauch es spät erwacht,

Als ich die Augen beugte – sie zu klären
Zu hellern Spiegeln – auf dies Wasser nieder,
Dem Kraft verliehn ist, Läutrung zu gewähren.

Und kaum berührte dies den Saum der Lider,
Da sieh! was mir zuerst als Fluss erschienen,
Sah ich zu einem See geründet wieder.

Im Orginal

Non è fantin che sì sùbito rua
col volto verso il latte, se si svegli
molto tardato da l'usanza sua,

come fec'io, per far migliori spegli
ancor de li occhi, chinandomi a l'onda
che si deriva perché vi s'immegli;

e sì come di lei bevve la gronda
de le palpebre mie, così mi parve
di sua lunghezza divenuta tonda

Kein Säugling, stürzt sich so mit dem
Gesicht auf die Milch, wenn später
Als normal aus dem Schlummer er erwacht

als ich es tat um noch bessere
Spiegel aus den Augen zu machen, die
Strömen um uns zu verbessern;

und als dort Trank die Traufe
meiner Lider schien es mir als
sei seine Länge rund geworden

Wendet sich ein Säugling mit dem ganzen Gesicht der Milch zu, dann bekommt er höchstwahrscheinlich die Milch nicht aus der Flasche, sondern von seiner Mutter, das will er uns wohl sagen mit dem „col volto verso il latte“. Welche Rolle hierbei aber der Zeitpunkt spielt, an dem er erwacht, ist etwas schleierhaft. Die Augen als Spiegel zu sehen, ist natürlich merkwürdig. Merkwürdig ist auch der Ausdruck gronda de le palpebre (Dachtraufe des Lides). Er hätte auch schlicht ciglia (Wimpern) sagen können. Entweder hat sich Ciglia nicht gereimt oder Dante hat eine Regenrinne auf seinen Lidern angebracht. Den praktischen Sinn versteht der Autor nicht so recht. Wenn ihm das Wasser in die Augen tropft, hätte er ja auch ein Mütze aufsetzen oder, wenn das zu peppig ist und mit seiner Würde nicht vereinbar, einen Regenschirm verwenden können. Wie dem auch immer sei, nach diesem Schluck aus der Gnadenpulle sieht er das wahre Wesen der ihn umgebenden Welt. Der Fluss ist eigentlich kein Fluss, sondern ein runder See.

Wie Menschen, die erst Angesicht und Mienen
Verlarvten, sich verändert offenbaren,
Wenn sie der Masken sich nicht mehr bedienen,

So konnte ich verwandelt hier gewahren
Die Funken und die Blumen, weil ich da
Des Himmels beide Höfe sah sich scharen!

Im Original

Poi, come gente stata sotto larve,
che pare altro che prima, se si sveste
la sembianza non sua in che disparve,

così mi si cambiaro in maggior feste
li fiori e le faville, sì ch'io vidi
ambo le corti del ciel manifeste

Dann, ganz wie Leute die vorher Masken trugen
Ganz verwandelt scheinen in der Gestalt die
Sie angenommen, wenn sie diese heben

so wandelten sich zu größerer Feier die
Blumen und die Funken, so dass ich beide
Scharen des Himmel sah sich zeigen

Er sah also jetzt nicht mehr Funken und Blumen, sondern die Engel und die Seligen. Jetzt sieht er also wieder was Unbeschreibliches. Und was kommt jetzt? Ein Herbeiflehen der Musen, die Mitteilung, dass ihm die Sprache versagt, das Gedächtnis schwindet? Schau’n war mal.

O Gottesglanz, drin ich dem Siege nah
Des wahren Reichs, gib Kraft dem Unterwinden,
Dass ich ihn schildern kann, wie ich ihn sah!

Im Original

O isplendor di Dio, per cu' io vidi
l'alto triunfo del regno verace,
dammi virtù a dir com'io il vidi!

Oh Glanz Gottes, durch den ich sah
Den hohen Triumph des wahren Reiches,
Gib mir Kraft zu sagen, was ich sah!

Er sagt also nicht prinzipiell, dass es unmöglich ist, zu schildern was er sah, das ist schon mal ein Fortschritt. Er ruft auch nicht die Musen an, sondern gleich den absoluten Chef im Ring. Nach Alessandro Vellutello ist das der Heilige Geist und nicht etwa der Musenchef Apollo. Das können wir sogar noch nachvollziehen, denn im christlichen Paradies verschlägt es den Musen wahrscheinlich glatt die Sprache, da kann nur noch der Heilige Geist einem beistehen.

Invoca 'l poeta l'aiuto del divino splendore, ciò è, de lo Spirito santo, che li fu mezo a poter veder il trionfo del cielo, che li dia hora virtù da poterlo descriver tale, qual fu veduto allhora da lui.

Der Dichter bittet den göttlichen Glanz um Beistand , soll heißen, den Heiligen Geist, der ihm ein Mittel war, um den Triumph des Himmels zu sehen, damit er ihm jetzt die Kraft verleihe ihn zu sehen und zu beschreiben, so wie er von ihm jetzt gesehen wurde.

Ein Licht ist droben, das kennt kein Erblinden,
Das sichtbar Gott für die Geschöpfe macht,
Die nur in seinem Anschaun Frieden finden!

So weit erstreckt sich seines Ringes Pracht,
Dass es weit überträf der Sonne Grenzen,
Sofern er als sein Gürtel wär gedacht.

Im Original

Lume è là sù che visibile face
lo creatore a quella creatura
che solo in lui vedere ha la sua pace.

E' si distende in circular figura,
in tanto che la sua circunferenza
sarebbe al sol troppo larga cintura

Ein Licht ist da oben, das den
Schöpfer sichtbar macht für die Kreaturen,
die nur bei seinem Anblick Frieden finden

Und es breitet sich aus in rundem Kreise,
dessen Umfang so weit ist, dass er der
Sonne ist ein zu großer Kreis

Wird es irgendjemanden geben, der uns mal erklären wird, wieso wir glücklich sein sollen, wenn wir ständig von irgendwelchen Baustrahlern beleuchtet werden? Der Autor findet ja ab und an Kerzenlicht ganz romantisch oder Lagerfeuer. Vorstellbar ist auch, dass Länder mit chronischer Unterversorgung an Tageslicht, der Norden der skandinavischen Länder, einen Bedarf an Lichttherapie haben, das steht auch bei Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Lichttherapie). Wenn aber Licht eine heilsame Wirkung hat und zu Gott führt, wieso ist es dann in Kirchen immer so dunkel? Wäre es dann nicht sinnvoller, man würde die umfunktionieren zu Solarien? Zwei Euro für 10 Minuten Gottesschau, das wär doch was. Wird uns Alessandro Vellutello irgendeinen Hinweis geben, was diese Strahler bewirken sollen ?

E dopo tal invocatione vien a la narratione, quasi in questa forma dicendo, Lume è là suso in cielo, che fa visibile il creatore a quella creatura, che solo ha la sua pace in veder lui, perchè a nessuna creatura si concede questo tal lume, se non a quelle che ogni suo bene hanno riposto solamente nel creatore, e distendesi questo lume in figura circolare, e la sua circunferentia è tanta, che sarebbe troppa larga cintura al sole.

Und auf diesen Anruf folgt die Erzählung, die zusammengefasst so lautet. Ein Licht ist dort oben im Himmel, das den Schöpfer den Geschöpfen sichtbar werden lässt, die nur dann Frieden finden, wenn sie ihn sehen, denn keinem Geschöpf wird dieses Licht zuteil, das nicht all sein Gut nur ihm, dem Schöpfer, überantwortet hat. Dieses Licht breitet sich aus in Form eines Kreises und dessen Umfang ist so groß, dass er den Umfang der Sonne übersteigen würde.

Das aus dem Fluss ein Kreis geworden ist, kann man, das wird weiter unten erwähnt, so deuten, dass die Kategorien Raum und Zeit hier nicht mehr gelten. Ein Fluss fließt ja bekanntlich - wie die Zeit. Die Kreisform ist ein Symbol der Unendlichkeit, also der Zeit enthoben.
Also man kann da jetzt irgendwas hineinlesen, aber es ist verdammt mühsam. Richtig ist natürlich, dass, wenn man verliebt ist, mit dem geliebten Wesen zusammen sein will, also nur in seiner Nähe glücklich ist. Vorstellbar ist, dass dann nicht mal groß was passieren muss, allein die Anwesenheit genügt. Aber das göttliche Licht ist ein verdammt skurriles Licht, denn Lichtwellen, zumindest die, die Dante kannte, breiten sich eben gerade nicht kreisförmig aus, sondern diffus. Die einzige Richtung, in der sich Lichtwellen nicht ausbreiten, ist rückwärts. Aber ansonsten breitet sich Licht in alle Richtungen aus. Wenn Sie Ihre Schreibtischlampe (so diese denn rund ist) auf eine weiße Wand richten, werden Sie feststellen, dass das Licht eben keinen Kreis an die Wand wirft. Der langen Rede kurzer Sinn, wir haben keinen Plan. Weder ist klar, was das Licht bei den nicht humanoiden Lebensformen da oben bewirkt, noch wie es physikalisch einzuordnen ist.

Es folgt jetzt sieben Terzinen lang die Beschreibung der Himmelsrose, ein Begriff, der in den Kommentaren immer verwendet wird, tatsächlich aber in den nun folgenden sieben Terzinen gar nicht auftaucht, da ist nur von einer Rose die Rede. Dem Ausdruck Himmelsrose entspricht dann im italienischen rosa mistica, aber auch dieser Begriff taucht in der Divina Commedia nicht auf. Das ist dann das Maximum an dantesker Astronomie. Alle Übersetzungen sind völlig sinnfrei, die Kommentare spärlich. Es ist also durchaus unklar, ob irgendjemand im Detail verstanden hat, wie das Teil aussieht. Wir verzichten also auf die Wiedergabe der Terzinen von Zoozmann und gehen die Terzinen mal durch. Von dieser Terzine

Sein Bild ist Widerschein von jenem Glänzen
Des erstbewegten Himmels, dessen Gluten
Ihm Kraft und Glut vom obern Saum ergänzen.

bis zu dieser

Ins Gelb der ewigen Rose, die sich faltet,
Abstuft, ausdehnt und Düfte haucht zum Preise
Der Sonne, die hier ewgen Lenz gestaltet

übersetzen wir also neu.

Im Original

Fassi di raggio tutta sua parvenza
reflesso al sommo del mobile primo,
che prende quindi vivere e potenza.

E come clivo in acqua di suo imo
si specchia, quasi per vedersi addorno,
quando è nel verde e ne' fioretti opimo,

sì, soprastando al lume intorno intorno,
vidi specchiarsi in più di mille soglie
quanto di noi là sù fatto ha ritorno.

E se l'infimo grado in sé raccoglie
sì grande lume, quanta è la larghezza
di questa rosa ne l'estreme foglie!

La vista mia ne l'ampio e ne l'altezza
non si smarriva, ma tutto prendeva
il quanto e 'l quale di quella allegrezza.

Presso e lontano, lì, né pon né leva:
ché dove Dio sanza mezzo governa,
la legge natural nulla rileva.

Nel giallo de la rosa sempiterna,
che si digrada e dilata e redole
odor di lode al sol che sempre verna

(1) Nur aus Strahlen besteht seine Erscheinung
die sich widerspiegeln aus dem Rand des Primum Mobile,
welches von dort empfängt seine Leben und seine Kraft

(2) Und wie ein Berg, dessen Abhang sich im Wasser spiegelt,
sich selbst an seiner Schönheit zu erfreuen,
wenn übervoll bedeckt er ist mit grün und Blumen

(3) so sah ich, über dem Licht und darum kreisend,
auf mehr als tausend Stufen alle die Seligen
die aus unserer Welt wieder heimgegangen

(4) Und wenn schon auf den unteren Stufen so
viel Licht, wie großartig wird die Rose sein
an den Grenzen ihrer Blüte!

(5) Mein Blick verlor sich nicht, nicht in der Weite
und nicht in der Höhe, sondern erstrahlte mehr
noch von der Anzahl und der Güte dieses Glückes

(6) Ob weit oder fern, das ist dort gleich,
denn wo Gott unmittelbar regiert,
sind die Gesetze der Natur nicht gültig

(7) Im goldenen Innern der ewigen Rose,
die sich ausbreitet, aufsteigt und duftet,
zum Lob der Sonne und des ewigen Frühlings

Wir haben also ein merkwürdiges Geflecht, weil das Aussehen der mystischen Rose (rosa mistica) weder genau beschrieben wird, noch werden die Zusammenhänge erläutert, die zu diesem Aufbau führen. In (1) erfahren wir, dass die rosa mistica durch die Strahlen gebildet wird, die vom Primum Mobile abgestrahlt werden, wobei das Primum Mobile sein Licht wiederum vom Kreis der Seraphine empfängt. (2) und (3) sind dann etwas unklar. Geht man von (2) aus, dann spiegeln sich die Stufen, wo die Seligen sitzen in dem mit Gnade angefüllten See, wir haben es also tatsächlich mit einem Amphitheater zu tun. Geht man aber von (3) aus, dann erscheint das Amphitheater lediglich als Bild im See, ohne tatsächlich vorhanden zu sein. Da es aber „über dem Licht“ heißt und das Licht der See ist, würden wir eher vermuten, dass es sich tatsächlich um ein Amphitheater handelt. Amphitheater ist im übrigen der Begriff, der in den Kommentaren oft verwendet wird, um anzuzeigen, dass die rosa mistica in Stufen ansteigt. Zum Amphitheater passt allerdings keine Rose. Bei einer Rose steigt nichts an. Auf den Stufen des Amphitheaters sitzen dann, (3), die Seligen. In (5) erfahren wir dann, dass der Raum, der von der Rose umspannt wird zwar unendlich groß ist, er ihn aber vollständig überblickt, was daran liegt, (6), dass die Naturgesetze außer Kraft gesetzt sind in Gottes Nähe. Wir finden natürlich, dass bei Dante überhaupt alles, aber absolut alles, außer Kraft gesetzt ist und zwar von Anfang an, dafür braucht man nicht mal Gott. Naturgesetze, Vernunft, Plausibilität, psychologische Wahrscheinlichkeit, Kohärenz: Alles außer Kraft gesetzt. Der Misch aus Amphitheater und Rose wird dann in (7) hergestellt. Da wird im goldenen Innern der Rose in Stufen aufgestiegen. Wie man in einer Rose Stufen erkennen kann, ist ein Geheimnis, dass der große Grimmige aus der Toskana mit ins Grab genommen hat. Um eine ungefähre Vorstellung des gesamten Aufbaus zu erhalten, sollten Sie, wenn ihnen die Abbildung nicht mehr erinnerlich, mal kurz zu Geträller 28 des Paradieses zurückschalten. Bis hierhin haben wir das, was in den Terzinen an Informationen zu finden ist, beschrieben. Es bleibt die Frage, wie die Seligen nun eigentlich auf die Stufen gelangen. Es kann dann durchaus sein, dass Dante die Details bewusst im Dunkeln gelassen hat, denn die rosa mistica ist seine eigene Erfindung, ist nicht mehr durch eine theologische Lehrmeinung gedeckt. Mystizismus ist dann aus zwei Gründen sinnvoll. Sind die Vorstellungen unpräzise, wird es auch niemanden geben, der moniert, dass ein Fehler vorhanden ist. Zum anderen findet Dante wahrscheinlich, dass die tiefsten Tiefen göttlichen Seins nur noch in einer mystischen Vision dargestellt werden können.
Irgendwie spiegelt das Primum Mobile die Gestalten, die sich in dieser mystischen Rose aufhalten, nach unten in die irdischen Himmel, denn in den irdischen Himmeln sind ja nur die Spiegelbilder, die Originale sitzen in der rosa mistica.

Zog mich, der ich verstummt war und doch leise
Gern spräch, die Herrin hin: „Sieh! Wie viel Stufen
Voll blendender Gewänder hier im Kreise!

Im Original

qual è colui che tace e dicer vole,
mi trasse Beatrice, e disse: «Mira
quanto è 'l convento de le bianche stole!”

Ganz wie jener der schweigt und reden will,
gab Beatrice mir ein Zeichen, und sagte: „Schau
wie groß die Versammlung weißer Gewänder!“

Das mit den weißen Gewändern hat er aus der Offenbarung des Johannes VI, 11.

Und ihnen wurde gegeben einem jeglichen ein weißes Kleid, und ward zu ihnen gesagt, daß sie ruhten noch eine kleine Zeit, bis daß vollends dazukämen ihre Mitknechte und Brüder, die auch sollten noch getötet werden gleich wie sie.

Sieh! Welche Größe unserm Staat sie schufen,
Schau! Wie besetzt die Reihn des Himmelssaales:
Bald mangelt Raum, noch Gäste zu berufen!

Im Original

Vedi nostra città quant'ella gira;
vedi li nostri scanni sì ripieni,
che poca gente più ci si disira

Schau unsere Stadt, wie sie sich dreht;
schau wie voll unsere Stufen,
so dass nur noch wenig Volk erwünscht

Wenn kein logistischer Fehler vorliegt, dann ist der Teilsatz „…so dass nur noch wenig Volk erwünscht…“ so zu verstehen, dass das Jüngste Gericht naht, also im Jammertal bald niemand mehr ist. Die andere Interpretation, dass im Jammertal alle ein solches Lotterleben führen, dass keiner mehr ins Paradies kommt, ist weniger logisch, dann würde ein logistisches Problem vorliegen. Denn bei wenig Sitzplätzen wäre niemand mehr emporgestiegen, selbst wenn sie sich den lieben langen Tag kasteit, von Wasser und Brot gelebt und den ganzen Tag gebetet hätten, wären sie nicht ins Paradies gekommen, weil da kein Platz mehr war. Immerhin wissen wir jetzt, wann das Jüngste Gericht kommt. Nämlich dann, wenn im Himmel kein Platz mehr ist für Nachrücker.

Auf jenem hohen Sitz – drauf lichten Strahles
Der Kronreif blitzt, dahin dein Blick sich neigt,
Wird – eh du Gast bist dieses Hochzeitsmahles -

Die Seele sitzen, die der Reif umzweigt,
Der hohe Heinrich, der zum Heil gesendet
Italiens, es sich‘ s reif zur Rettung zeigt;

Im Original

E 'n quel gran seggio a che tu li occhi tieni
per la corona che già v'è sù posta,
prima che tu a queste nozze ceni,

sederà l'alma, che fia giù agosta,
de l'alto Arrigo, ch'a drizzare Italia
verrà in prima ch'ella sia disposta.

Und auf jenem großen Stuhl auf den deine Augen
sind gerichtet weil dort schon angebracht die Krone,
wird noch bevor du auf dieser Hochzeit tafelst,

die Seele sitzen, die dort unten mächtig,
des hohen Heinrich, der Italien wird führen
wollen, bevor dies schon dazu bereit

Gemeint ist der Heinrich VII aus dem Hause Luxemburg, der seit 1308 römisch – deutscher Kaiser war und in den Dante seine Hoffnungen auf die Restauration des Kaisertums in Italien setzte. Allerdings hatte Italien keine rechte Lust auf einen neuen Kaiser, die Aussage, dass Heinrich VII Kaiser werden wollte, aber Italien nicht dazu bereit war, ist also zutreffend. Das ist ja oft so in der Weltgeschichte, die einen wollen herrschen, aber die anderen haben absolut keine Lust, beherrscht zu werden, das führt dann zu Problemen. Warum Heinrich VII Dante sympathisch war, ist weitgehend unklar, aber er hat ihm einen Logenplatz in der rosa mistica reserviert. Da darf er dann thronen und sich zu Tode langweilen.

Denn blinde Leidenschaft hält euch verblendet,
Törichtem Kinde gleich, das Hungers stirbt,
Weil es die Brust verschmäht, die Leben spendet.

Im Original

La cieca cupidigia che v'ammalia
simili fatti v'ha al fantolino
che muor per fame e caccia via la balia

Denn blinde Gier führt euch in die Irre,
so wie ein Säugling, der Hungers stirbt
doch die Amme verschmäht

Bei Dante gibt es immer zwei Möglichkeiten. Entweder ist es ein Dunkelsprech, dann weiß man einfach gar nicht, was er sagen will oder man versteht, was er sagen will und dann ist es Blödsinn. Er zieht eine Parallele zwischen der blinden Gier, die in die Irre führt und dem Säugling, der stirbt, weil er seinen Hunger nicht stillt. Das sind aber zwei völlig unterschiedliche Dinge. Bei den einen führt ja das unbedingte Verlangen (was immer das auch sei, mehr Cash, mehr Macht, ausufernde Parties etc.) die Begierde zu befriedigen zum Problem. Beim Säugling (wir sehen mal davon ab, dass Dante das Problem an sich schon falsch beurteilt; verweigert ein Säugling die Nahrungsaufnahme wird wohl ein handfestes medizinisches Problem vorliegen und die Tatsache, dass er die Amme verschmäht, ist dann lediglich Ausdruck, aber nicht Ursache des Problems) entsteht, so wie Dante es schildert, das Problem aber darin, dass er seine „Gier“ gerade nicht befriedigt. Vielleicht will er uns auch sagen, dass die Gierigen sich besser Gott zuwenden sollten, Gott also die nicht zu verschmähende Amme ist, dann muss aber die allseits bekannte Frage „was will uns der Dichter mit seinem Werk sagen“ anders formuliert werden. Es muss dann heißen „was hätte uns der Dichter sagen wollen, wenn er fähig gewesen wäre, zu sagen, was er will“.

Der höchsten Herrschaft heilig Amt erwirbt
Dann einer, der dem Kaiser allerwegen,
Versteckt und offen, Pfad und Plan verdirbt.

Im Original

E fia prefetto nel foro divino
allora tal, che palese e coverto
non anderà con lui per un cammino

Und als Haupt auf dem göttlichen Stuhl
Wird einer sitzen, der offen oder versteckt
nicht denselben Weg wie er wird gehen

Das ist jetzt natürlich wieder eine Prophezeiung aus der Sicht der Vergangenheit. Dante wusste, dass Clemens V Papst ist oder sein wird und das wusste er, weil dieser von 1305 bis 1314 Papst war. Zum Zeitpunkt, als er dieses Geträller niederschrieb, war die Regierungszeit Clemens V schon Vergangenheit. Allgemein wird angenommen, dass Dante die Divina Commedia bis zum Jahre 1320 abgeschlossen hatte und es spricht wenig dafür, dass er für die letzten drei Geträller nochmal 6 Jahre brauchte. Clemens V hatten wir schon öfter, den mag Dante gar nicht. Ein Schurke war er zwar, weil er Phillip IV von Frankreich geholfen hatte, an den Schatz der Templer zu gelangen, indem er half, dessen Mitglieder auf dem Scheiterhaufen verbrennen zu lassen.

Doch bald wird ihn vom hohen Stuhle fegen
Der Herr dahin, wo –büßend seine Tücken-
Der Zaubrer Simon Magus ist gelegen;

Den von Anagni wird er tiefer drücken!“

Im Original

Ma poco poi sarà da Dio sofferto
nel santo officio; ch'el sarà detruso
là dove Simon mago è per suo merto,
e farà quel d'Alagna intrar più giuso

Doch nur kurze Zeit wird er noch von Gott
geduldet im heiligen Amt; dort wird er hingestopft
wo Simon Magus sich befindet seiner Sünden wegen

und den von Alagna wird er tiefer drücken

Das ist jetzt eine spezielle Art von wishful thinking, denn es ist ein rückwärtsgewandtes wishful thinking, eines, das Ereignisse der Vergangenheit in einem, zumindest subjektiv, rosigen Licht erscheinen lässt. Clemens V erlag einem Krebsleiden. Wie alt er wurde, ist nicht genau zu ermitteln, weil das genaue Geburtsjahr unbekannt ist. Aber 50 Jahre ist er mindestens geworden. Dante starb nur sieben Jahre älter. Bezieht man das poco poi (wenig später) auf den zuvor erwähnten Heinrich, dann ist gemeint, dass Clemens V kurz nach dem von ihm (in der Endphase) bekämpften Heinrich VII starb. Clemens starb im April 1314, Heinrich VII im August 1313. Simon Magus (wieso Dante klein schreibt ist unklar, er nimmt das mago wohl für ein Adjektiv und nicht als Bestandteil des Namens). Bekannt ist über diesen Simon Magus nichts, aber von ihm leitet sich der Begriff Simonie ab. Als Simonist, also als jemand, der kirchliche Ämter verschachtert, wird er auch im 19. Höllischen Geträller vorgestellt.

O Simon Magus! O verruchte Jünger!
Was sich der Tugend nur vermählt mit Recht,
Ihr habt das Heiligste wie schlechten Dünger

Für Geldwert zu verschachern euch erfrecht!
Ihr haust im dritten Unheilssack, drum schalle
Posaunenklang von euerm Schandgeschlecht! –

Clemens V wird also Bonifaz VIII (dem von Alagna = Anagni) in die Hölle folgen. Auf die genaue Reihenfolge, also wieviele Päpste welchen Päpsten folgen, kommt es hierbei offensichtlich gar nicht besonders an. Denn in jenem 19. Höllischen Geträller ist Bonifaz VIII noch gar nicht in der Hölle, es wird nur angekündigt, dass er bald kommt. In der Hölle ist dort Nikolaus III, der hält Dante für Bonifaz VIII, der also noch nicht in der Hölle ist. Entweder ist Dante davon ausgegangen, dass Bonifaz VIII inzwischen auch in der Hölle ist oder er hat den Überblick verloren. Damit Clemens V den Papst Bonifaz VIII tiefer in die Hölle drücken kann, muss dieser schon in der Hölle sein. Letztlich aber egal. Es gibt wohl viele Gründe, Päpste in die Hölle zu schicken. Wenn zum Beispiel ein Papst die „natürliche Verhütung“ anmahnt und AIDS als Strafe für moralischen Verfall geißelt, dann kann man ihn ruhig neben Simon Magus in die Hölle schicken. Bei Problemen wie AIDS, wo es um Leben und Tod geht, brauchen wir kein Geschwafel über natürliche Verhütung, sondern eine effiziente Strategie, wie diese Krankheit einzudämmen wäre.