Wahrscheinlich ist Ihnen schon aufgefallen, dass die Divina Commedia eine Geschichte des sprachlichen Verfalls ist. In der Hölle waren ja noch einige poetische Stellen, allein diese werden übrigens immer zitiert, danach werden die Interpretationen reichlich kursorisch, kreisen, wie bei Erich Auerbach, freischwebend über dem Text. Je höher er steigt, desto öfter teilt uns Dante mit, dass er nichts zu erzählen hat, entweder weil ihm die Musen nicht beistehen, die Sprache nicht ausreicht, die Erinnerung versagt oder der Leser zu blöd ist. Die Divina Commedia ist geradezu die Parabel auf die Geisteswissenschaften. Je höher sie steigen, desto mehr reinigen sie die Sprache von ihrem empirischen Substrat, was dann allmählich zur Hirnauflösung führt. Das Gehirn wird im sprachlichen Nirwana weichgekocht wie das Gemüse in der Fleischbrühe. Dass so ein Quark in Italien drei Jahre lang in der Schule behandelt wird, hat übrigens nichts mit Italien zu tun. Die gleichen Mechanismen, die so einen Blödsinn in Italien zum Kanon haben werden lassen, wirken in jedem Land. Ein ähnlich krasses Beispiel für die Kanonisierung reinsten Schwachsinns ist auch Ferdousi. Der ist Kanon im Iran. Damit quält man Generationen von Schülern. Es sind eine Reihe von Gründen, die zur Kanonisierung reinsten Schwachsinns führen. Erhebt eine via Steuergelder mit Macht ausgestattete Institution irgendwann , irgendwas zum Kanon, dann werden sich alle Leute, die im offiziellen Kulturbetrieb ihre Zukunft sehen, meist aus Mangel an Alternativen, die ja mehr Talent erfordern, sich mit diesem Kanon beschäftigen und lehrend bestätigen, diesen verinnerlichen. Die Art und Weise, wie dieser Apparat aufgebaut ist, enthebt dieses Personal auch der Notwendigkeit, andere Menschen, Schüler / Studenten tatsächlich begeistern und überzeugen zu müssen, wobei diese meist auch gar nicht überzeugt und begeistert werden wollen. Die meisten sind so trantütig wie die Leute, die sie unterrichten. Die Bereitschaft, Papier zu fressen korreliert hierbei mit Erfahrungsarmut. Nur wer wirklich keinen Plan hat, wie das tobende Leben aussieht, kann sich ein Leben lang mit so einem Müll beschäftigen. Die Ziele dieser Müllmänner sind bescheiden.

Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
Goethe, Faust

Falsch an diesen Versen ist, dass Goethe davon ausgeht, dass die Müllmänner jemals einen kühnen Flug der Phantasie hatten, ihr Denken hoffnungsvoll ausgreifend war. Dass diese Sippschaft nur noch bestrebt ist ihren Namen zu verlängern, Beamter zu werden und der weiche Sessel das höchste Glück ist, ist nicht das Ergebnis des Scheiterns, es ist die Ursache. Da davon auszugehen ist, dass irgendwann ein Müllmann diese Zeilen lesen wird, sei noch folgendes gesagt. Sie werden sich ändern müssen. Eine Geisteswissenschaft, die außer Öde nichts mehr verbreitet, braucht diese Gesellschaft nicht und sie wird ganz konkret die Mittel für diesen Schwachsinn streichen, wie es ja ganz konkret passiert. Wenn alles, was in diesem Bereich interessant ist, auf weit höherem Niveau privat organisiert wird, oft von Unternehmen, die Steuern zahlen und nicht Steuergelder vernichten, werden die offiziellen Geisteswissenschaften weitgehend funktionslos.
„O ihr, zum Mahl des heilgen Lamms erlesen
Und eingeladen, das so reich euch speist,
Dass eurer Sehnsucht ewig ihr genesen,

Wenn Gott die Gnade diesem hier erweist,
Eh er dem Tod verfiel, von euern Tischen
Die Brosämlein zu kosten schon im Geist -

Erwägt sein Sehnsuchtsglühn, lasst ihn erfrischen
Ein Tröpflein aus dem Kelch, drin euch zum steten
Genuss die Wonnen, die er wünscht, sich mischen.“

Im Original

«O sodalizio eletto a la gran cena
del benedetto Agnello, il qual vi ciba
sì, che la vostra voglia è sempre piena,

se per grazia di Dio questi preliba
di quel che cade de la vostra mensa,
prima che morte tempo li prescriba,

ponete mente a l'affezione immensa
e roratelo alquanto: voi bevete
sempre del fonte onde vien quel ch'ei pensa»

„Oh zum großen Mahl des heiligen Lamms
Erwählter Bund, dass euch so sättigt,
dass euer Begehr für immer ist gestillt,

wenn durch die Gnade Gottes jener kostet
Was fällt von eurem Tische,
noch bevor der Tod ihn hat ergriffen,

denkt an die innige Neigung
und lasst ihn teilhaben: ihr trinkt immer
aus der Quelle aus der seine Gedanken stammen“

Das mit dem „gran cena del benedetto Agnello“, „großes Mahl des heiligen Lammes“, ist jetzt natürlich grenzwertig. Das ist entweder ein Mahl, das das heilige Lamm, also Jesus Christus, veranstaltet oder bei dem jener verspeist wird. Jesus Christus als agnus dei, Lamm Gottes zu bezeichnen ist christliche Tradition. Dass er aber in dieser Funktion auch verspeist wird, ist wohl eine Erfindung Dantes. Nahrung im übertragenen Sinn zu verstehen (geistige Nahrung), die allen Wissensdurst, alle Sehnsucht, Begierden etc. stillt ist prinzipiell möglich.

Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?

Goethe, Faust

Bei Dante allerdings wird dieses Bild so überstrapaziert, dass es nicht mehr suggestiv ist. Alle drei Terzinen arbeiten mit diesem Bild. In Gang gesetzt und ermöglicht wird das Bild durch das einleitende Lamm. Solche werden zwar tatsächlich verspeist, aber im gegebenen Kontext wirkt das konstruiert.

So Beatrice. Und die Selgen drehten
Um Pole sich, wie sich die Sphären drehen,
Wobei sie hell entflammten wie Kometen.

Und wie die Räderchen im Uhrwerk gehen,
Wo auch das letzte immer dem Beschauer
Zu fliegen scheint, das erste stillzustehen,

So kreiste hier um mich die Flammenmauer,
Dass ich den Wonnenüberschwang erkannte
An jedes Einzelumschwungs Glanz und Dauer.

Im Original

Così Beatrice; e quelle anime liete
si fero spere sopra fissi poli,
fiammando, a volte, a guisa di comete.

E come cerchi in tempra d'oriuoli
si giran sì, che 'l primo a chi pon mente
quieto pare, e l'ultimo che voli;

così quelle carole, differente-
mente danzando, de la sua ricchezza
mi facieno stimar, veloci e lente.

So auch Beatrice; und jene fröhlichen Geister
ganz wie Kreisel, die sich um feste Pole drehen,
aufleuchtend dabei wie Kometen

und wie die Räder in des Uhrwerks Ordnung, die sich
so drehen, dass das erste, worauf sich der Geist
richtet, stillzustehen und das andere scheint zu fliegen

so auch diese Reigen, die je nach ihrer Fülle
unterschiedlich tanzten und so mich glauben ließen,
dass manche schneller, die anderen sich langsamer bewegen

Selbst wenn sich Dante mal ausnahmsweise an eine Begebenheit genau erinnern kann, was ja selten genug vorkommt, ist die Beschreibung dieses Vorganges so abstrus, dass eigentlich kein Mensch genau versteht, was da vor sich ging. In einem mechanischen Uhrwerk sind in der Tat mehrere Zahnräder ineinander verschachtelt, da diese unterschiedlich groß sind, drehen sie sich unterschiedlich schnell. So weit, so trivial. Mit den Flammen / Lichtern / Funken hat das wenig zu tun. Die drehen sich offensichtlich erstens um ihre eigene Achse (auf die beiden stillstehenden Pole kommt man, wenn man die Enden der Achse, um die sie sich drehen, als Pol nimmt) und zweitens in Reigen (carole) um Dante herum, wobei sie, in Abhängigkeit von ihrem Reichtum (?? wahrscheinlich in Abhängigkeit von der göttlichen Gnade) unterschiedlich schnell um ihre eigene Achse drehen. Wir haben also bei den nicht humanoiden Lebensformen eine neue Art und Weise, Glück auszudrücken. Bis jetzt glänzten sie stärker, je mehr sie von der Gnade / Liebe Gottes angestrahlt wurden. Wir erfahren nun, dass sie sich desto schneller um die eigene Achse drehen, je glücklicher sie sind. Das Gelichter verhält sich also ähnlich wie tanzende Derwische, die kreisen auch um ihre eigene Achse, das soll zur religiösen Ekstase führen. Der Autor hat das ja als Kind auch gespielt, allerdings wurde ihm lediglich sauschlecht dabei. Auffallend ist, das Dante Glück immer nur durch äußerlich wahrnehmbare Dinge beschreibt, was schon auf nicht humanoide Lebensformen schließen lässt. Bei diesen wissen wir tatsächlich nicht, was sie fühlen und können es folglich auch nicht beschreiben. Damit wird aber auch der Rest Theorie. Dante vermutet, dass sie sich wie wild um die eigene Achse drehten, weil sie glücklich in Gottes Gnade verweilten und das Lamm Gottes verspeisten. Vielleicht kreisten sie lediglich um die eigene Achse, weil sie stinksauer waren, dass es zu dem Lamm keine Preiselbeeren gab, könnte ja auch sein. Bei nicht humanoiden Lebensformen ist eine Interpretation allein anhand äußerlich wahrnehmbaren Verhaltensänderungen nicht möglich.

Und der im Kreis als herrlichster sich wandte,
Versprühte jetzt so wunderbare Strahlen,
Dass aller andern Klarheit matter brannte.

Im Original

Di quella ch'io notai di più carezza
vid'io uscire un foco sì felice,
che nullo vi lasciò di più chiarezza;

Aus der, die heller als alle anderen
Strahlte, sah ich ein so glückliches Feuer schlagen,
dass nichts mehr blieb, was heller wäre

Dass Feuer glücklich sein kann, scheint eine Erfindung Dantes zu sein. Zwar ist das Feuer in vielen Religionen positiv besetzt, zum Beispiel bei den Zoroastern oder auch im Christentum. Dort hat es eine reinigende Wirkung, weswegen man ja „Hexen“ auch verbrannte, aber Gott erschien Moses zum Beispiel auch als Feuer im Dornbusch. Feuer zur Kennzeichnung eines Glückszustandes dürfte eine Erfindung Dantes sein. Für eine nicht humanoide Lebensform wie Dante, einen Autisten oder für jemanden, dessen Seele aussieht wie die Wüste Kalahari kurz vor dem Weltuntergang dürfte es auch schwierig sein, Glück und Freude als inneren Zustand zu beschreiben. Denn eines haben die Seele Dantes, das Paradies und ein verbeamteter Geistlicher gemeinsam. Beschrieben ist es in Genesis 1, 2: Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe;

Um Beatricen schwang zu dreien Malen
Das Licht sich mit so süßer Melodie -
Zu schildern es versuchen, hieße prahlen;

Im Original

e tre fiate intorno di Beatrice
si volse con un canto tanto divo,
che la mia fantasia nol mi ridice

und drei Mal kreiste es um Beatrice
mit einem Sang so göttlich,
dass meine Phantasie nichts wiedergibt

Das ist jetzt Variante wieviel zu dem Thema? Entweder setzt das Gedächtnis aus, die Phantasie oder die Sprache oder die Musen kommen nicht. Die Terzine sagt jetzt einiges. Erstens über die Phantasie Dantes, die ist nicht vorhanden, zweitens dass er zwischen Phantasie und Gedächtnis nicht trennt, das ist aber egal, ob es nichts zu erinnern gibt oder die Phantasie versagt, läuft so ziemlich auf das Gleiche hinaus, auf das nichts. Last not least haben wir Variationen zu dem immer gleichen Thema. Es gibt nichts zu berichten, weil nichts passiert ist.

Drum unterdrückt‘ s die Feder, denn es lieh
Kein Wort so zarten Schmelz für diese Falte, -
Hier malte selbst zu grell die Fantasie!

Im Original

Però salta la penna e non lo scrivo:
ché l'imagine nostra a cotai pieghe,
non che 'l parlare, è troppo color vivo.

So gleitet hinweg die Feder und ich berichte nicht:
denn unsere Bilder eignen sich nicht solchen Zügen,
noch weniger die Sprache, zu grell sind ihre Farben

Da hätten wir ihn beruhigen können, seine Sprache hat in etwa soviel Farbe wie ein juristischer Fachtext. Abgesehen davon geht das in die völlig falsche Richtung. Die Aussage, dass die Sprache zuviel der Farbe besitze, ist logisch etwa auf dem gleichen Niveau wie die Aussage, dass Sprache zu viele Tomaten besitze. Zu viele Tomaten / Farben wofür? Dante betreibt ein bisschen die Strategie Tintenfisch. Er vergießt reichlich Tinte, in der Hoffnung, dass der Leser hinter der Tintenwolke noch einen Inhalt vermutet. Der Autor kennt das Spiel von Unternehmensberatern. Die hauen in allerkürzester Zeit ein Maximum an buzzwords raus, das beeindruckt, wenn der Vortag eine Stunde geht. Wenn es aber über Wochen geht, dann funktioniert das nicht mehr. Irgendwann mal kapiert auch der dämlichste Teilnehmer an einer Schulung, dass nichts dahinter steckt. Der Autor weiß, wovon er redet. Er hatte mal, im Zuge der Berliner Verwaltungsreform, das Vergnügen nach dem Gebrabbel von KPMG, Arthur Anderson, Price Waterhouse und der liebe Gott, von denen die Konzepte stammten, tatsächlich zu unterrichten. Rein so aus BWL Sicht waren die Konzepte so etwa auf dem Niveau Vordiplom, also ein besonders simpler Typ von Kosten und Leistungsrechnung, aber die Buzzwords dazwischen machten daraus einen millionenschweren und vor allem millionenteueren Tiefsinn. Als dann klar wurde, dass sich das reichlich schlicht zusammenfassen lässt, wurde es dann problematisch. Die üppige Verwendung von buzzwords macht also nur Sinn, wenn man den perfekten Abgang plant. Also rein, dreißig Folien aufgelegt, 100 buzzwords dazwischen und dann abrauschen und nie mehr auftauchen. Das ist ok. Auch Dante hätte man das mit den Musen, die ihm beistehen noch abgenommen, macht er das aber ständig, fragt man sich, ob das Nichtauftauchen derselben nicht Gründe hat.

„Oh heilge Schwester, deine Bitte schallte
So fromm und zeugte so von deinem Lieben,
Dass ich im Reigentanze gern innehalte.“

Im Original

«O santa suora mia che sì ne prieghe
divota, per lo tuo ardente affetto
da quella bella spera mi disleghe»

„Oh meine heilige Schwester, die so fromm
mich bittet, deine glühende Zuneigung löst
mich aus diesem schönen Lichtkranz

Der, der Beatrice anspricht, ist der heilige Petrus. Die glühende Zuneigung brachte Beatrice ganz am Anfang zum Ausdruck, als das Lamm verspeist wurde, also Christus.

So lauteten – wie ich sie hier geschrieben -
Die zu der Herrin hingehauchten Worte,
Nachdem das heilge Feuer stehngeblieben.

Warum uns Dante das mitteilt, ist unklar. Wir wären nie auf die Idee gekommen, dass der heilige Petrus irgend etwas anderes gesagt hat, wir haben da vollstes Vertrauen in unseren Dante.

„Oh ewges Licht, das du von unserem Horte,“
Sprach sie, „die Schlüssel einst in treue Hut
Empfingst zu dieser ewgen Wonnen Pforte.

Das mit den Schlüsseln bezieht sich auf Matthäus 16, 18-19: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.

Das heißt dann auf Deutsch, dass die Kirche darüber entscheidet, wer in den Himmel kommt und wer nicht.

Prüf diesen hier so, wie dir‘ s dünket gut,
In Punkten leicht und schwer, ob er betroffen
Im Glauben wird, der dich trug auf der Flut?

Im Original

tenta costui di punti lievi e gravi,
come ti piace, intorno de la fede,
per la qual tu su per lo mare andavi

prüfe jenen in schweren und in leichten Punkten,
ganz so wie es dir gefällt, in Sachen des Glaubens,
durch den du über dem Wasser wandeltest

Petrus soll Dante also einer Prüfung unterziehen und testen, ob er da noch durchblickt, durch die ganzen Apfelsünden, himmlische und göttliche Anteile Jesu, Erbsünde, Glaube, Gnade etc.. Da sind wir ja wirklich gespannt, wie er das meistert, der Autor gibt ja zu, dass er inzwischen den Überblick etwas verloren hat. Die Sache mit dem Wasser und Petrus ist nicht ganz richtig. Petrus zweifelte nämlich am Glauben und wäre fast abgesoffen, da hätte Dante mal die Bibel lesen sollen, denn die hat immer Recht und Beatrice wäre schon mal glatt durchgefallen, durch die Prüfung.

Matthäus 14, 22:

Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, daß sie in das Schiff traten und vor ihm herüberfuhren, bis er das Volk von sich ließe. Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf einen Berg allein, daß er betete. Und am Abend war er allein daselbst. Und das Schiff war schon mitten auf dem Meer und litt Not von den Wellen; denn der Wind war ihnen zuwider. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und sprachen: Es ist ein Gespenst! und schrieen vor Furcht. Aber alsbald redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, Ich bin's; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: HERR, bist du es, so heiß mich zu dir kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus trat aus dem Schiff und ging auf dem Wasser, daß er zu Jesu käme. Er sah aber einen starken Wind; da erschrak er und hob an zu sinken, schrie und sprach: HERR, hilf mir! Jesus reckte alsbald die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du? Und sie traten in das Schiff, und der Wind legte sich. Die aber im Schiff waren, kamen und fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrlich Gottes Sohn!

Also Beatrice hat die Bibel eindeutig nicht gelesen, der Petrus ist abgesoffen.

Ob redlich war sein Glauben, Lieben, Hoffen,
Ist dir vertraut: Weil deinem Angesicht
Sich alle Dinge spiegeln klar und offen.

Na dann ist Petrus ja gnädiger als Beatrice selber, die hat ihm ja im Läuterungsberg noch eine saftige Strafpredigt gehalten, da war der gute Dante so verwirrt, dass er erstmal im Lethe gebadet werden musste, um seine Sünden zu vergessen. Auf jeden Fall sagt sie, dass Petrus eh alles weiß.

Weil aber hier des wahren Glaubens Licht
Die Bürger wirbt, so dien es auch zum Preise
Des Glaubens, dass es ehrend von ihm spricht.“

Im Original

ma perché questo regno ha fatto civi
per la verace fede, a gloriarla,
di lei parlare è ben ch'a lui arrivi»

weil aber Bürger dieses Reiches wird, wer
wahren Glaubens, ist es gut wenn jener
der dort ankommt, rühmend von ihm spricht

Die Prüfung wird also nicht abgelegt, weil Petrus wissen will, was Dante weiß, sondern damit dieser nochmal Gelegenheit hat, den christlichen Glauben zu verbreiten. Weiter ist Dante der erste Geisteswissenschaftler, er hat das Prinzip Geisteswissenschaft geradezu erfunden, das dürfte ein Grund für seine Bekanntheit in diesem Club der toten Dichter sein. Er stellt Fragen, die kein normaler Mensch je stellen würde und die Beantwortung dieser Fragen wirft dann wiederum neue Fragen auf, die man noch weniger stellen würde. Die Eigendynamik der Geisteswissenschaften korreliert immer weniger mit der Dynamik der Gesellschaft, wodurch sich dann der Schwerpunkt der kulturellen Tätigkeiten von den offiziellen, über Steuergelder finanzierten Geisteswissenschaften wegverlagert, diese zum Blinddarm der Gesellschaft werden, wo sich die freudlosen Schwätzer versammeln. Die erste Frage, die beantwortet wird, ohne dass jemand nach ihrer Beantwortung verlangt hätte, ist die Frage nach dem Glauben.

„Sprich, guter Christ, lass dein Bekenntnis sehen:
Was ist der Glaube?“ - Und zum Lichte schnelle,
Als er gesprochen, ließ den Blick ich gehen,

Und dann zu Beatricen, deren helle,
Geliebte Augen winkten: sich ergießen
Zu lassen meines innern Bornes Welle.

Im Original

«Di', buon Cristiano, fatti manifesto:
fede che è?». Ond'io levai la fronte
in quella luce onde spirava questo;
poi mi volsi a Beatrice, ed essa pronte
sembianze femmi perch'io spandessi
l'acqua di fuor del mio interno fonte.

“Sag, guter Christ, tue kund:
Was ist der Glaube?“. Und ich erhob das
Haupt zu jenem Lichte, von dem dies kam;

dann wendete ich mich an Beatrice, und diese
Gab ein Zeichen mir, damit ich strömen lasse
das Wasser aus meiner inneren Quelle

Auch „die innere Quelle“ wäre grundsätzlich geeignet, poetisch eingesetzt zu werden. Man könnte mit dem Bild der inneren Quelle auf den letztlich rational nicht ganz fassbaren Charakter der Dichtung verweisen. Dichtung ist ein merkwürdiger Misch aus Spiel, Rettung der Identität, Transzendierung der Welt, Sinngebung und Verdichtung. Den Begriff irrational würde der moderne Mensch natürlich scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. Wenn aber durch den Filter der Geschichte nur das übrigbleibt, was „einschlägt“, dann können wir wohl sagen, dass manche Werke supraindividuell wahr sind. Grass wird als kontingent im Orkus der Geschichte verschwinden, Dostojewski wird übrigbleiben. Geschicktes Marketing erzeugt keine Wahrheit. Der neuerdings so beliebte Begriff Intertextualität und der ganze poststrukturalistische Schwachsinn, der letztlich das Subjekt abschafft und es lediglich als Verkehrsknotenpunkt von Texten ansieht, die sich dann auf kuriose Art vermischen, verkennt, dass das Subjekt an dieser Welt ganz elementar interessiert ist. Die Quelle der Dichtung sind nicht andere Texte, die via Textproduktion (kein Witz, das ist ein eingeführter Begriff) aus alten Texten neue produziert, wie die Kulturindustrie aus den ewig gleichen Gags immer wieder neue Filme zusammenstellt. Hinter der Dichtung steckt wohl der ganz elementare Wunsch, die Welt so umzugestalten, dass sie zu einem spezifischen Individuum passt. Der Poststrukturalismus lehrt uns wenig über Dichtung, sehr wohl aber über dessen Adepten. Wer in die Struktur der althergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums passt, sieht die Welt auf jeden Fall strukturalistisch, der Signifikant verweist dann eindeutig auf ein Signifié. Da dieses aber auch reichlich abstrakt ist, kann man es auch gleich abschaffen, dann hat man nur noch den Signifikanten, der seine Bedeutung aus den konkurrierenden Signifikanten zieht, ein Signifié, einen Inhalt, braucht er dann nicht mehr. Die Geisteswissenschaften, die in der Gesellschaft rumstehen wie bestellt und nicht abgeholt, sind an und für sich schon eine ziemlich poststrukturalistische Veranstaltung. Wie dem auch immer sei, mit der Quelle hätte man was machen können, sie hätte auf ein Subjekt verweisen können. Bei Dante allerdings ist die Quelle Thomas von Aquin, das ist also ziemlich intertextuell, da feiert die Textproduktion ein Fest. Da jetzt eine gewichte Antwort auf die letzten Fragen der Menschheit verlangt wird, brauchen wir natürlich erst noch zwei Terzinen Einleitung.

„Lässt Gnade mein Bekenntnis mich erschließen“,
Begann ich, „vor so hohem Gottesstreiter,
Lass ausdrucksklar sie auch die Antwort fließen.

Was aus den Wahrheitsworten“, sprach ich weiter,
„O Vater, deines teuern Bruders spricht,
Den Rom gleich dir gehabt zum Stern und Leiter,

Im Original

«La Grazia che mi dà ch'io mi confessi»,
comincia' io, «da l'alto primipilo,
faccia li miei concetti bene espressi».

E seguitai: «Come 'l verace stilo
ne scrisse, padre, del tuo caro frate
che mise teco Roma nel buon filo,

Die Gnade, die mir gestattet zu offenbaren”, so begann
ich, „vor dem Hauptmann höchsten Ranges, möge sie
mir helfen, meine Vorstellungen klar auszudrücken“

Und ich fuhr fort: „Wie in wahren Worten,
ward geschrieben, Vater, von deinem Lieben Bruder,
der mit dir zusammen Rom auf den rechten Pfade führte,

Der „primipilo“ war in Rom ein militärischer Rang, für das Militärische interessiert sich Dante nun mal, das tun Ideologien fast immer. Wer im Besitz der Wahrheit ist, muss andere überzeugen, ob sie sie nun wollen oder nicht und wenn sie nicht wollen, braucht man eben einen Haufen neutralisierter Irrer. Der Bruder ist Saulus. Nach weitgehend unbestätigten Überlieferungen sollen sie ungefähr zur selben Zeit, also so etwa um 60 nach Christus in Rom gewesen sein. Beide erlitten im Verlaufe der Neroianischen Verfolgungen den Märtyrertod. Jetzt kommt wieder die Geschichte mit dem Nichtwissen, das Glaube ist, wobei der Glaube Wissen ist und Nichtwissen folglich Wissen.

Glaube ist Stoff der Hoffnungszuversicht
Und ein Beweis von dem, was wir nicht sehen –
Darin verkenn ich wohl sein Wesen nicht.“

Im Original

fede è sustanza di cose sperate
e argomento de le non parventi;
e questa pare a me sua quiditate».

Glaube ist der Stoff der erhofften Dinge
und der Beweis der Dinge, die uns nicht sind offenbart;
und dies scheint mir sein Wesen

Ob der Quark jetzt aus dem Brief des Paulus an die Hebräer stammt oder irgendwas mit der natürlichen Theologie des Thomas von Aquin zu tun hat, ist letztlich wurscht, Blödsinn ist es so oder so. Vom Wortlaut her scheint es aus dem Brief an die Hebräer, 11, 1 abgeschrieben.

Est fides sperandarum substantia rerum, argumentum non apparentium.

Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Beweis für das, was man nicht sieht.

In diesem Hebräerbrief stehen allerdings Dinge, die sind von so einer tiefen, erhabenen und subtilen Wahrheit, dass es einen glatt wegplättet. Da steht zum Beispiel so was (kein Witz!):

Durch den Glauben erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, so daß alles, was man sieht, aus nichts geworden ist.

Aus: http://biblia.biblia.hu/read.php

Also nochmal langsam. Die Welt ist aus dem Wort erschaffen, woraus dann hervorgeht, dass die Welt aus nichts erschaffen wurde. Folglich ist das Wort nichts. Hat Ihnen der Autor nicht bereits prognostiziert, dass der Vorwurf, dass die Divina Commedia mit einer von jedem empirischen Substrat gereinigten Sprache arbeitet, Dante gar nicht treffen würde? Die Divina Commedia ist aus dem Wort erschaffen, das Wort ist das Nichts. Dante und Gott haben eines gemeinsam, sie schaffen eine Welt aus nichts. Wenn Sie also bei Heidegger lesen, dass das nichts nichtet, dann ist das vollkommener Blödsinn. Das Nichts nichtet überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, das Nichts ist überhaupt die Substanz, aus der alles hervorgeht. Machen Sie also Ihren Kühlschrank einfach mal leer und lassen Sie ihn eine Weile stehen. Irgendwann ist dann, Simsalabim, eine Schwarzwälderkirschtorte drin.

„Recht denkst du,“ hörte ich sein Wort ergehen,
„Sofern du auch den Grund erkennst, weswegen
Beweis und Stoff bei ihm geschieden stehen.“

Na ob Dante da Recht denkt, weiß der Autor ja nicht; dass aus nichts eine Schwarzwälderkirschtorte entsteht, ist eher wishful thinking.

Im Original

Allora udi' : «Dirittamente senti,
se bene intendi perché la ripuose
tra le sustanze, e poi tra li argomenti»

Dann hörte ich: „Richtig ist deine Meinung,
wenn du verstehst, warum er sie zuerst
Der Substanz und dann den Argumenten zugeordnet“

Die Frage stellt sich nur, wenn man den Originaltext (Brief an die Hebräer) ganz wortwörtlich nimmt.

 

Est fides sperandarum substantia rerum, argumentum non apparentium.

Der Glaube ist die Substanz der zu erhoffenden Dinge, Beweis des nicht Offenbaren.

Im Original ist also der Glaube sowohl Substanz wie auch Beweis und Dante soll ihm erklären, wieso Paulus zuerst den Glauben als Substanz und dann den Glauben als Beweis nennt. Eine Frage, die der Menschheit ja auf den Nägeln brennt.

„Die tiefen Dinge“, hielt ich ihm entgegen,
„Die hier mir ihres Anblicks Wonne leihn,
Sind unsern Augen drunten so entlegen,

Dass dort im Glauben einzig liegt ihr Sein,
Darauf wir unsre frohe Hoffnung bauen!
Und so nimmt er des Stoffes Stelle ein.
Im Original

E io appresso: «Le profonde cose
che mi largiscon qui la lor parvenza,
a li occhi di là giù son sì ascose,

che l'esser loro v'è in sola credenza,
sopra la qual si fonda l'alta spene;
e però di sustanza prende intenza.

Und ich entgegnete: „Die tiefen Dinge
die mir hier offenbaren ihre Erscheinung,
sind den Augen unten verborgen,

das Vorhandensein erschließt sich dort nur dem Glauben,
auf der sich die hohe Hoffnung gründet;
deren Basis jedoch die Substanz

hm. Wir haben bis jetzt noch nicht erfahren, dass es im Paradies irgendetwas gibt, was wir im irdischen Jammertal nicht auch sehen könnten. Wir haben hier Flammen / Glanzgelichter / Baustrahler und wenn wir ein bisschen Phantasie haben, dann sind die Baustrahler eben auch liebesglutdurchdrungen oder was auch immer. Immer dann, wenn es hätte interessant sein können bzw. wenn Dante behauptet, dass etwas hätte interessant sein können, versagt ihm ja die Sprache, das Gedächtnis oder die Schilderung wäre unverschämt. Also bis jetzt sieht das Paradies ziemlich öde aus, man hat eher den Eindruck, dass es über das irdische Jammertal mehr Erstaunliches und Schönes zu berichten gibt. Was Dante hier irgendwie miteinander verknüpft, sind die paradiesischen Wonnen und die natürliche Theologie des Mönchs von Aquin. Der behauptet frech, dass es etwas gibt, was offensichtlich existiert, sich aber der menschlichen Wahrnehmung entzieht und daran haben wir zu glauben. Die Hoffnung im Sinne der christlichen Religion fusst aber darauf, dass es außerhalb des Wahrnehmbaren noch etwas gibt. (Das war noch nicht ganz die Antwort auf die Frage, nach der Hoffnung war ja nicht gefragt, sondern nach den Beweisen. Das kommt jetzt.)

Von hier aus, ohne rechts und links zu schauen,
Muss der Verstand vom Glauben Schlüsse ziehen,
Und daher muss man als Beweis ihm trauen.“

Im Original

E da questa credenza ci convene
silogizzar, sanz'avere altra vista:
però intenza d'argomento tene»

Und basierend auf diesem Glauben müssen wir
Dann Schlüsse ziehen, ohne den Blick abzulenken:
So ist er die Kraft des Beweises

Das Interesse des Autors, diesem Quark hinterherzurecherchieren hält sich in Grenzen. Das Problem ist, dass der Glaube nicht etwa, wie Dante und Konsorten das sieht, das ist, was alles umfasst, was im irdischen Jammertal nicht gesehen wird, aber aus logischen Gründen notwendig ist. Sondern der Glaube wird ziemlich genau inhaltlich bestimmt. Selbst wenn man beispielsweise konzediert, dass alles mal einen Anfang gehabt haben muss, was der Autor nicht mal tun würde, lässt hiervon noch nicht ableiten, wie dieser konkrete Anfang aussah. Eigenartig ist, dass die Journaille immer wieder einen ähnlichen Blödsinn schreibt. Der Spiegel hatte z.B. mal einen Artikel über die Kreationisten, das sind die Bewegungen, die behaupten, dass die Welt durch einen Schöpfer erschaffen wurde. Der Spiegel bringt dann als Argument für den Kreationismus den Spruch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Welt durch zufällige, aber evolutorisch zweckmäßige Mutationen entstanden ist, in etwa so hoch ist, wie die Entstehung eines Autos durch einen Wirbelsturm, der durch einen Schrotthaufen fegt. Das klingt gut, wirft aber die Frage auf, wer ein Wesen wie Gott erschaffen hat, das soviel Ahnung von Biochemie, Molekularbiologie, Mechanik, Neurophysiologie (das alles gepaart mit gewaltiger Kreativität) besaß, um dann wiederum den Menschen erschaffen zu können? Wer also erschuf Gott? Rein kausal betrachtet hat man mit der Erfindung Gottes das Problem lediglich in eine Black Box transferiert. Black Box Theorien, man schiebt was rein und irgendwas kommt raus, gibt es zwar auch in der Wissenschaft, sogar in manchen Naturwissenschaften wie der Medizin, aber dann kann man wenigstens mit statistischen Methoden die Stabilität des kausalen Zusammenhanges ermitteln. Der Glaube als Black Box Theorie hat diese Stabilität nicht, zumal die verschiedenen Black Boxen der verschiedenen Religionen immer einen anderen Inhalt haben.

„Wenn alles, was durch Lehren ist gediehen“,
Vernahm ich jetzt, „ihr unten so verstündet,
So hätt es kein Sophistenwitz verschrien.“

Im Original

Allora udi': «Se quantunque s'acquista
giù per dottrina, fosse così 'nteso,
non lì avria loco ingegno di sofista».

Jetzt hörte ich: “Wenn was immer man erwirbt
Durch Schulung, so verstanden würde, gäbe es
sie nicht, den verrückten Geist der Irrlehren“

Tja, was soll man dazu sagen. Wenn die Lehre im irdischen Jammertal nicht verstanden wird, gibt es entweder Probleme mit der Lehre oder mit deren Vermittlung. Unter Umständen sogar mit beidem.

So sprach sein Mund, von Liebesglut entzündet,
Und fragte dann: „Wie ich die Münze wäge,
So hast du sie nach Korn und Schrot ergründet,

Doch hast du sie im Beutel?“ – Ich, nicht träge,
Sprach rasch: „Jawohl, ich habe sie blank und rund,
Und niemals ward ich irre am Gepräge.“

Im Original

Così spirò di quello amore acceso;
indi soggiunse: «Assai bene è trascorsa
d'esta moneta già la lega e 'l peso;

ma dimmi se tu l'hai ne la tua borsa».
Ond'io: «Sì ho, sì lucida e sì tonda,
che nel suo conio nulla mi s'inforsa».
So hauchte er, von jener Liebe entzündet;
und fuhr dann fort: „Gut verlief die
Prägung und das Wiegen dieser Münze;

Doch sage mir, ob du sie hast im Beutel“
Und ich: „Ja das hab ich und so klar und rund,
dass an ihrem Wert ich keinen Zweifel“

Petrus fragt also nochmal, ob Dante an den Quark, den er erzählt, eigentlich selber glaubt, worauf Dante ihm erwidert, dass er dies tue.

Und wieder scholl es aus dem Flammenmund:
„Und dies Juwel, darauf zu baun begonnen
Jegliche Tugend als dem festen Grund,

Wo kam dir‘ s her?“ Und ich: „Der reiche Bronnen
Des heilgen Geistes, der mit klarer Feuchte
Die beiden Testamente überronnen,

Er galt mir als Vernunftbeweis und scheuchte
Mit seinem scharfen Schluss die andern fort,
Von denen jeder mich als irrig deuchte.“

Im Original

Appresso uscì de la luce profonda
che lì splendeva: «Questa cara gioia
sopra la quale ogne virtù si fonda,

onde ti venne?». E io: «La larga ploia
de lo Spirito Santo, ch'è diffusa
in su le vecchie e 'n su le nuove cuoia,

è silogismo che la m'ha conchiusa
acutamente sì, che 'nverso d'ella
ogne dimostrazion mi pare ottusa»

Dann scholl es aus dem tiefen Lichte,
das dort glänzte: „Diese helle Freude
auf der jede Tugend sich gründet,

woher kommt sie?“ Und ich: „Der dichte
Regen des heiligen Geistes, der ausgebreitet
Wird auf den alten und den neuen Pergamenten,

ist der Syllogismus der sie mir hat erschlossen
Mit solcher Deutlichkeit, dass im Vergleich mit
Ihm, jeder andere Beweis mir schien dunkel“

Dass die Tugend sich auf Freude gründet, ist eigentlich erst im Paradies so, da glänzen die nicht humanoiden Lebensformen liebesglutdurchtrunken, wenn sie tugendhaft sein dürfen, dann sind sie wie Gott. Im irdischen Jammertal ist das nicht so. Schwierig ist das auch mit dem heiligen Geist. Viele Stellen zum heiligen Geist finden sich im Neuen Testament, im Alten Testament seltener, wobei allerdings eine davon prominent ist. Am Anfang schwebte der GEIST Gottes über den Wassern, also nicht Gott selber (Genesis 1, 1-3: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht.) Der heilige Geist auf jeden Fall, der üppiger im Neuen als im Alten Testament (Pergamente) auftritt, hat sich dann mit seinem Scharfsinn in Dantes Birne gebimst.

„Die Testamente“, sprach der heilge Hort,
„Die solche Folgerung dir eingetragen,
Warum verehrst du sie als Gottes Wort?“

Im Original

Io udi' poi: «L'antica e la novella
proposizion che così ti conchiude,
perché l'hai tu per divina favella?».

Und ich hörte: “Den alten und den neuen
Vorschlag, die dich so überzeugten,
warum hältst du sie für Gottes Wort?“

Das würde mich jetzt auch interessieren. Vorschlag (proposizione) ist Testament.

Und ich: „Die Proben, die die Wahrheit sagen,
Sind jene Werke, dazu die Natur
Nie Eisen schmolz, den Amboss nie geschlagen.“

Im Original

E io: «La prova che 'l ver mi dischiude,
son l'opere seguite, a che natura
non scalda ferro mai né batte incude»

Und ich: “Der Beweis, die ich durch sehen erfahre
sind diejenigen Werke, bei denen die Natur nicht
das Eisen erhitzt und nicht den Amboss hämmert“

Das ist ein bisschen verdreht. Ereignisse, wo Eisen erhitzt und auf dem Amboss zurechtgebogen werden, sind ja eher selten, können kaum stellvertretend für alle die Ereignisse stehen, die erklärbar sind. Nach einhelliger Meinung sind aber die Wunder gemeint, die sich nicht erklären lassen. Das wiederum findet der Autor komisch. Auf der einen Seite ist es höchste Christenpflicht zu glauben, auf der anderen Seite werden aber noch ein paar handfeste Wunder geliefert, sozusagen als Beweis des Eingreifens Gottes. Bei Wundern kann man sich aber nie sicher sein, ob sie sich auch tatsächlich ereignet haben. Die Antwort auf dieses Problem wird uns jetzt geliefert.

Und er: „Wer bürgt bei diesen Werken nur,
Dass wirklich sie geschehn? Zu ihren Ehren,
Sie zu erhärten, fehlt doch jeder Schwur?“

„Wenn ohne Wunder“, sprach ich, „Christi Lehren
Die Welt annahm, sind hundert Wundertaten
Für dieses eine Wunder zu entbehren.

Denn arm und dürftig gingst du, um die Saaten
Zu legen in das Feld, wo deine Pflanze,
Einst edle Rebe, jetzt zum Dorn missraten!“

Die Ontogenese, also die Entstehung von Religionen, ist in der Tat ein beachtliches Phänomen. Was aber die Charakterisierung der Ontogenese des Christentums als Wunder angeht, kann man das kurz abhandeln. Das Christentum ist nicht die einzige Religion, es gibt davon einige Hundert. Dasselbe Argument, mit dem Dante den Wahrheitsgehalt der christlichen Wunder beweisen will, ließe sich dann auch auf den Buddhismus, Hinduismus, Zoroastrismus, Konfuzianismus, Sikhismus, Bahaismus, Islam, Judentum etc. etc. anwenden. Allein durch die wundersame Entstehung käme ihnen ein Wahrheitsgehalt zu. Allerdings scheint es einen Unterschied zwischen religiösen Ideologien und anderen Ideologien zu geben. Während religiöse Ideologien nur entstehen, wenn die Leute nicht lesen und schreiben können, entstehen Ideologien sogar noch dann, wenn die Leute lesen und schreiben können. Sie sind zwar deshalb nicht weniger unheimlich, aber es ist immerhin ein Unterschied. Derartig vor Tiefsinn strotzende Terzinen verlangen nun natürlich nach einem finale furioso.

So schloss ich, als vom heilgen Sphärenkranze
Der Sang erscholl: „Herr Gott, wir loben dich“,
In Tönen, wie man sie nur hört im Glanze.

Im Glanze (im Orginal einfach là sù = da oben) ist natürlich das Paradies. Es war Dante nicht möglich, uns das näher zu beschreiben, wie das klang, die Musen waren mal wieder abwesend.

Und jener Bannerherr, der prüfend mich
Von Zweig zu Zweige hoch und höher führte,
Wo schon die letzten Blätter zeigten sich,

Fuhr fort: „Die liebend deinen Geist berührte,
Die Gnade hat dir auch den Mund erschlossen,
Dass er sich aufgetan, wie sich‘ s gebührte,

Und ich gebilligt hab, was ihm entflossen;
Doch was du glaubst, vertraue mir nun offen,
Und auch, woher dein Glaube sich ergossen?“

Im Original

E quel baron che sì di ramo in ramo,
essaminando, già tratto m'avea,
che a l'ultime fronde appressavamo,

ricominciò: «La Grazia, che donnea
con la tua mente, la bocca t'aperse
infino a qui come aprir si dovea,

sì ch'io approvo ciò che fuori emerse;
ma or conviene espremer quel che credi,
e onde a la credenza tua s'offerse».

Und jener Würdenträger der von Zweig zu Zweig,
prüfend, schon mich so weit hatte gebracht,
das sich des Laubes Ende zeigte,

begann von neuem: „Die Gnade, die deinen
Mund geöffnet, bis hierher, zusammen mit dem Geiste,
geöffent hat wie es sich geziemte,

so daß ich gutheiße, was ihm entströmte;
doch jetzt ist’s nötig mir zu sagen was
du glaubst und was die Quelle dieses Glaubens

Das Bild mit dem Blatt zur Darstellung einer inneren Reinigung / eines Lernprozess / einer Läuterung verstehen wir jetzt nicht wirklich und finden es auch nicht suggestiv. Das Bild würde irgendwie einen Sinn ergeben, wenn ein Laubbaum etwas wäre, bei dem man eindeutig nach oben steigt, das Steigen dessen Sinn ist, wie bei einer Leiter. Der Autor hat da aber immer Baumhäuser gebaut; dass diese von Laub bedeckt waren, fand er eher gemütlich. Die zweite Frage ist jetzt natürlich ganz subtil. Bis jetzt hat er ihn ja nur gefragt, worauf sein Glaube gründet und wir wissen jetzt, dass er auf Nichtwissen gründet. Das Nichtwissen ist jetzt aber nicht etwa ein schlichtes Nichts, also ein Bereich, von dem man nichts weiß, sondern das Nichtwissen besteht darin, dass man höchst konkrete Vorstellungen von etwas hat. Das Nichtwissen ist also sehr genaues Wissen. Das verstehen Sie jetzt wieder nicht. Man, man, man. Ich befürchte, Sie lernen das auch in den letzten 8 Gesängen nicht. Sie sind schon ein schwerer Fall. Also nochmal. Glaube ist Nichtwissen und das Nichtwissen ist konkretes Wissen, also ist der Glaube genaues Wissen, das im Nichtwissen begründet ist. Was das wissende konkrete Nichtwissen ist, erfahren Sie jetzt.
Natürlich wird diese erhabene Erleuchtung, die uns den Schlüssel zum Paradies öffnet von einem angemessenen Preludium eingeleitet.

„O Geist, der du hier schaust, erfüllt in Hoffen,
Was du so fest geglaubt, dass – wie uns kund -
Beim Gruftbesuch du Jüngre übertroffen,

Verklärter“, fuhr ich fort, „aus meinem Mund
Soll meines Glaubens Formel klar dir scheinen,
Und unzweideutig meines Glaubens Grund?

Im Original

«O santo padre, e spirito che vedi
ciò che credesti sì, che tu vincesti
ver' lo sepulcro più giovani piedi»,

comincia' io, «tu vuo' ch'io manifesti
la forma qui del pronto creder mio,
e anche la cagion di lui chiedesti.“

„Oh heiliger Vater, Geist der sah
was er geglaubt, so dass es dir gelang,
das Grab noch vor dem Jüngeren zu sehen“,

begann ich, „du willst, dass ich die
Quintessenz nun meines festen Glaubens zeige,
und auch nach dem Grund desselben fragtest du.“

Die erste Terzine, die mit dem Grab, das er schneller betreten hat als ein Jüngerer, bezieht sich auf das Evangelium des Johannes, 20, 1 ff.

Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, da es noch finster war, zum Grabe und sieht, daß der Stein vom Grabe hinweg war. Da läuft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern Jünger, welchen Jesus liebhatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den HERRN weggenommen aus dem Grabe, und wir wissen nicht, wo sie ihn hin gelegt haben. Da ging Petrus und der andere Jünger hinaus zum Grabe. Es liefen aber die zwei miteinander, und der andere Jünger lief zuvor, schneller denn Petrus, und kam am ersten zum Grabe, guckt hinein und sieht die Leinen gelegt; er ging aber nicht hinein. Da kam Simon Petrus ihm nach und ging hinein in das Grab und sieht die Leinen gelegt, und das Schweißtuch, das Jesus um das Haupt gebunden war, nicht zu den Leinen gelegt, sondern beiseits, zusammengewickelt, an einen besonderen Ort. Da ging auch der andere Jünger hinein, der am ersten zum Grabe kam, und er sah und glaubte es. Denn sie wußten die Schrift noch nicht, daß er von den Toten auferstehen müßte. Da gingen die Jünger wieder heim.

Die zweite Terzine ist didaktisch geschickt, vielleicht ist Petrus ja ein bisschen dusselig, da lohnt es sich, die Frage nochmal zu wiederholen. So, nach dieser donnernden Ouvertüre erfahren wir jetzt, an was Dante glaubt.

Vernimm: Ich glaub an Gott, den Ewig – Einen,
Der kreisen lässt das All, selbst unbewegt.
Durch seiner Liebe Kraft, der selbstlos reinen!

Es ist weitgehend egal, was Dante anfasst, jedes potentiell poetische Bild wird bei ihm so rührend und ergreifend wie die Buchung vom Soll ins Haben. Selbst wenn man mit dem christlichen Hokuspokus nichts anfangen kann, kann die Vor- und Darstellung einer universalen Ordnung begeistern. Wenn sie in einer tatsächlich wirkmächtigen Sprache vorgetragen wird, wie zum Beispiel in Goethes Faust.

Raphael

Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.

Gabriel

Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer, schauervoller Nacht.
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
Im ewig schnellem Sphärenlauf.

Das hat was, während Dante, auch rein sprachlich, das nackte Grauen ist. Für den Autor ist schlicht unvorstellbar, dass diese impotente Darstellung eines christlichen Lehrsatzes einen italienisch Muttersprachler vom Hocker reißt. Das klingt für ihn so grauenhaft abgedroschen wie die deutsche Nationalhymne für die Deutschen. Zu retten wäre das Teil nur, wenn man die zweite Strophe noch mitsingen würde, das hätte irgendwie einen subtilen Witz.

Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang,
sollen in der Welt behalten ihren alten schönen Klang,
uns zu edler Tat begeistern unser ganzes Leben lang -
Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang!

Könnte man auch gut umdichten.

Deutscher Käse, deutsche Weißwurst, mit ordentlich viel Senf darauf,
sollen mästen dicke Bäuche bis ins Bayernland hinauf
soll die Krüge animieren, heiliges Cervizia: Sauf!
besinge vollbesoffen tiefes Glücke, singe deutsches Vaterland!

Das hätte was. Also der Autor ist für die Einführung der zweiten Strophe als Nationalhymne der Teutonen. Bei Dante geht es jetzt weiter zur Wahrheit, zu nichts als der reinen Wahrheit.

Nicht Metaphysik noch Physik erregt
Mir diesen Glauben, und er wird vertreten
Durch Wahrheit, die uns ist belegt

Durch Moses, durch die Psalmen und Propheten,
Durch Evangelien und was ihr geschrieben,
Als Gottes Flammen adelnd euch durchwehten.

Mit Metaphysik und Physik ist wohl jede Art von Erkenntnisgewinnung durch Schlussfolgern gemeint. Der Autor hat da ja ein bisschen eine andere Theorie, so aus Unternehmersicht. Wenn man gar nichts weiß, das ist oft so, wenn man sich über die Marktchancen eines neuen Produktes Gedanken macht, die Business Pläne kann man nämlich in der Regel in die Tonne treten, dann sollte man vor allem viel machen. Irgendwas funktioniert dann immer. Zwar meistens nicht das, von dem man meinte, dass es funktionieren würde, dafür aber irgendwas anderes. Bei Unsicherheit über die Zukunft tun Sie also gut daran, vor allem viel zu machen, egal was. Das ist übrigens immer so. Viel hilft viel. Es kommt dann zwar immer anders und zweitens als man denkt, aber das ist immer besser, als wenn gar nichts passiert. Der perfekte Unternehmer ist der, der viel anschieben und ausprobieren kann, ohne dass es ihn was kostet. Dante vertraut da eher auf die Bibel, das würde Ihnen der Autor ja nicht empfehlen. Da sind zuviele Verrückte am Start.

Ich glaub an drei Personen, die stets blieben
Und ewig bleiben eins, doch dreigestaltig,
Dass niemals est und sunt ihr Bild verschieben!

Er glaubt also an die Trinität. Dieses letzte Mysterium hat der Autor aber im Moment keine Lust zu entschlüsseln. Irgendwie geht es da um Arbeitsteilung. Gott thront im Himmel, hat aber keine Lust auf die Erde zu kommen, folglich schickt er seinen Sohn. Der nimmt dann von den Menschen die Apfelsünde, die Gott ja auch hätte gleich verzeihen können, aber das wäre zuwenig der Gnade gewesen, die göttliche Liebe ist irgendwie größer, wenn er seinen Sohn kreuzigen lässt. Dieser wiederum ist dann zwar auf der Erde, hat aber ein Vermittlungsproblem, was da zu tun ist, macht dann der heilige Geist. Das wiederum wirft die Frage auf, wer nun der Hauptgott in dem Trio ist und damit keiner beleidigt ist, macht man sie alle drei zu Göttern, wobei die drei dann eigentlich nur einer sind. Est (er ist) und sunt (sie sind) ist also das Gleiche, also die dritte Person Plural ist eigentlich dritte Singular. Der heilige Geist allerdings scheint manchmal Urlaub zu machen, so dass das mit der Trinität im Grunde kein Aas kapiert. Der sollte mal eine 0180 Nummer einführen, wo man nachfragen kann, aber Service wird im Himmel wohl ganz klein geschrieben.

Und den Begriff, so göttlich – tiefinhaltig,
Beglaubigt und besiegelt im Gemüte
Das Evangelium mir gar mannigfaltig.

Im Original

De la profonda condizion divina
ch'io tocco mo, la mente mi sigilla
più volte l'evangelica dottrina

Die tiefe Lehre des Evangeliums, von der ich
nun spreche, hat überall versiegelt meinen
Geist mit der Lehre Gottes

Das ist einer der wenigen Terzinen, die wir ihm sogar glauben. Der christliche Hokuspokus hat nicht nur seinen Geist für über 1000 Jahre zugekleistert und jeden Fortschritt sistiert, sondern hat sich wie Mehltau über Europa gelegt.

Dies ist der Urgrund, ist, was in mir sprühte
Als Funke einst, der jetzt – zum Brand entglommen -
Mir längst als meines Himmels Leitstern glühte!“

Im Original

Quest'è 'l principio, quest'è la favilla
che si dilata in fiamma poi vivace,
e come stella in cielo in me scintilla».

Dies ist der Anfang, ist der Funke
aus dem die dann lebendige Flamme wurde,
und wie ein Stern im Himmel in mir sprühte

Es ist Dante bislang nicht gelungen, uns anschaulich und suggestiv zu zeigen, dass irgendetwas in ihm glühte. Wir würden aus der Tatsache, dass er die Sprache von jedem empirischen Substrat gereinigt hat auch eher schließen, dass gar nichts glühte, denn die profunde innerliche Leere scheint das zu sein, was zu einer Sprache führt, die im Leerlauf dreht. Wahrscheinlich haben wir es hier mit einem tieferen Problem zu tun, mit einem Problem, das viele verbeamtete Geistliche haben. Diese schaffen das Subjekt nicht ab, es war schlicht noch nie eines da. Ist kein Subjekt da, wird der Ausdruck des Subjekts für das Subjekt genommen, der Signifikant, der eigentlich auf den Inhalt verweist, zieht seine Bedeutung aus der Abgrenzung zu anderen Signifikanten; wir sind beim Postrukturalismus und ähnlichem Gebrabbel. Insofern offenbart der Poststrukturalismus, indem er sich in der Romanistik breit macht sogar eine Wahrheit. Er kann sich breit machen, weil dieser offensichtlich ihr Inhalt abhanden gekommen ist. Der Poststrukturalismus ist das Sinnsurrogat der Schwätzer. Wer will, kann die Terzine auch „intertextuell“ betrachten, auch Goethe verwendet zur Beschreibung einer inneren Befindlichkeit das Bild der Flamme.

und blast die kümmerlichen
Flammen aus eurem Aschenhäufchen raus

Man findet das Bild auch bei Gustav Mahler.

Tradition heißt, das Feuer weitertragen
Und nicht die Asche anbeten.

Hier ist aber der Verweis auf eine innere Befindlichkeit glaubhaft. Bei Dante ist es eine rein rhetorische Formel. Dichtung ist nicht der Verkehrsknotenpunkt von beliebigen Texten, sie ist die Neubelebung von Worten. Hinter Dichtung steckt nicht der andere Text, sondern das Subjekt. Es mag sogar sein, das sich die Bilder ähneln, es kommt aber darauf an, sie zu beleben. Es gehört zum Wesen der Sprache, dass alle über sie verfügen, sonst wäre sie als Medium der Kommunikation ja sinnlos. So gesehen ist jede sprachliche Äußerung „intertextuell“. Dichtung allerdings ist der höchst individuelle Ausdruck eines spezifischen Individuums, dieses bereichert die Sprache um seine Individualität und da wo sie wahr ist, das heißt interindividuell verstanden wird, bereichert sie die Sprache mit der Subjektivität dieses Individuums. Bei Dante ist weit und breit kein Subjekt zu entdecken. Um Glück zu beschreiben, dieses soll ja, so seine These, im Paradies im Überfluss vorhanden sein, rekurriert er auf die äußerlichen Manifestationen desselben, wobei nicht mal die äußerlichen Manifestationen irgendwie suggestiv sind. Bei Dante mag „Intertextualität“ sogar Sinn machen, denn im wesentlichen ist es Text, der andere Texte, Thomas von Aquin, die Bibel, Aristoteles, unter Umständen den Almagest des Ptolemäus, die provenzalische Dichtung etc. referenziert. Die bei verbeamteten Geistlichen vorhandene Faszination für irgendwelche skurrile Zahlenarithmetik verweist ebenfalls auf die, sogar gewollte, Abwesenheit des Subjekts, denn eine Zahlenarithmetik ist schon von der Natur der Sache nach subjektlos. Es ist verständlich, dass die professoralen Briefmarkensammler der Geisteswissenschaften für jeden Ansatz sich erwärmen können, der das Subjekt aus den Geisteswissenschaften austreibt, denn zu diesem haben sie mangels Lebenserfahrung ohnehin keinen Bezug, aber die Veranstaltung wird dann phänomenal langweilig. Die Geschichte mit der Zahlenarithmetik ist noch insofern interessant, als jeder, der noch alle Tassen im Schrank hat, das als Mumpitz bezeichnen würde, dafür muss man nicht mal studiert haben, hierfür reicht der gesunde Menschenverstand vollkommen. Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die Fähigkeit, einen authentischen Zugang zu Büchern zu finden, mit der Anzahl der Semester eher sinkt, als steigt.

Gleichwie der Herr, der Frohbotschaft vernommen,
Den Überbringer wohl im Freudendrang
Umfängt mit beiden Armen als willkommen,

So dreimal um mich her im Kreise schwang
Sich des Apostels Licht, als ich geendet,
Und segnete mein Reden mit Gesang,

Weil es solch Wohlgefallen ihm gespendet.

Also der eine fragt einen völligen Mist und der andere antwortet mit irgend einem verquasten Geschwätz und das Licht fängt an zu kreisen. Wir haben es eindeutig mit einer nicht humanoiden Lebensform zu tun. Die hat a) völlig kuriose Gefühle und äußert b) diese kuriosen Gefühle noch auf eine äußerst seltsame Art.

Dieses war der erste Streich und der zweite folgt sogleich. Im nächsten Geträller wird Dante über die Hoffnung befragt und Sie können zuversichtlich davon ausgehen, der schreibt in 46 Terzinen Tiefsinnigeres über die Hoffnung als Ernst Bloch in seinem Werk „Das Prinzip Hoffnung“, das es immerhin auf 1200 Seiten bringt.