Dort, wo ihr Schöpfer einst am Kreuz geblutet,
Verjüngt die Sonne sich im ersten Strahle,
Die Waage leuchtet, wo der Ebro flutet,

Der Mittag brütet schwül im Gangestale
Und hier wird‘ s abendlich. – Und sieh! Da stand
Der Freudenbote aus dem Himmelssaale

Das ist so der Spur nach richtig, er sagt ja nichts über die genauen Zeitabstände. Da die Sonne bekanntlich im Osten aufgeht, geht sie zuerst in Indien auf (Ganges), dann in Jerusalem (…wo der Schöpfer einst am Kreuz geblutet) und dann in Spanien (…wo der Ebro flutet). Die Frage stellt sich jetzt natürlich, wo muss jetzt der Läuterungsberg liegen, damit es dort Abend wird? So rein praktisch gesehen östlich von Indien. Der Läuterungsberg soll aber gegenüber von Jerusalem liegen. Auch wenn wir konzedieren, dass Dante den Südpol etwas anders definiert, als wir uns das heute vorstellen, müssen wir doch zu dem Schluss kommen, dass Dante keinen Plan hatte, wo der Läuterungsberg liegt, was wir ihm im übrigen nachsehen, denn auch uns ist völlig unklar, wo der liegt.

Vor uns, und hinter ihm der Flammenbrand,
Und ließ Beati mundo corde klingen,
Dass es in mir lebendgen Nachhall fand

Also: Der Freudenbote, ein Engel, steht zwischen den Flammen, die aus dem Läuterungsberg schlagen und vor den drei Dichtern, den zwei gestandenen Dichtern und dem Dichter in spe Dante. Das beati mundo corde ist eine der Seligpreisungen aus: Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

Dann rief er: „Eher gibt‘ s kein Weiterdringen,
Als euch die Flamme biss! Drum tretet ein
Und überhört nicht, was sie jenseits singen!“

Dante hat also nur zwei Möglichkeiten, entweder er lässt sich jetzt grillen, oder er kommt nicht ins Paradies. Diese Aussichten findet er nun natürlich betrüblich.

Ich wand mich voller Schreck und rang die Hände,
Denn mein Erinnern glaubte neu zu sehen
Zuckende Leiber in der Glut der Brände.

Virgil und Statius kam, mir beizustehen,
und tröstend sprach Virgil: „Mein Sohn, zu Qualen
Kannst du hier wohl, doch nicht zum Tode gehen!

Der Trost ist wohl etwas abstrakt, wir gehen mal davon aus, dass Dante immer noch nicht recht überzeugt war, wer lässt sich schon bei lebendigem Leibe grillen, vor allem, wenn völlig unklar ist, wozu das gut sein soll.

Bedenk, bedenk: Wie ich zu vielen Malen
Dich schützte! – Ließ ich dich auf Geryon fahren,
Was werd ich tun so nahe Gottes Strahlen?

Vergil spielt auf den 17. Gesang der Hölle an. Dort brachte Geryon sie vom dritten Unterkreis des siebten Kreises der Hölle in den achten Kreis. Der Geryon, der dort beschrieben wird, hat allerdings mit dem Geryon der griechischen Mythologie wenig zu tun. In der Griechischen Mythologie ist Geryon ein Fabelwesen mit drei Oberkörpern. Eine der zehn Aufgaben des Herakles war es, die Herde wunderschöner roter Stiere zu stehlen, die Geryon gehörten. Als Geryon Herakles stellt, wird er von diesem getötet.

Drum komm! Und gib der Furcht nicht länger Raum!
Hindurchgeschritten durch das Glutgeranke!“ -
Doch ich, nicht fühlend des Gewissens Zaum,

Stand starr. Und als er sah, dass ich noch schwanke,
„Von Beatricen“, rief er vorwurfsvoll,
„Trennt dich, mein Sohn, nur diese eine Schranke!“

Das ist schon mal interessant. Es fehlen uns noch drei Gesänge, dann kommt es zum Show down, Dante begegnet Beatrice.

Wie Pyramus, da Thisbes Name scholl,
Gebrochnen Auges aufsah zu der Teuern,
Als auf den weißen Maulbeer Scharlach quoll,

Pyramus und Thisbe sind sozusagen die Vorläufer von Romeo und Julia. Erzählt wird die Geschichte in Ovids Metamorphosen. Weil die Eltern im Clinch liegen, dürfen Pyramos und Thisbe sich nicht sehen, können aber über einen Spalt in einer Mauer miteinander kommunizieren. Sie vereinbaren ein Treffen unter einem Maulbeerbaum. Thisbe trifft zuerst ein, muss aber vor einer Löwin flüchten, die gerade ein Schaf verspeist hat und von daher ein blutiges Maul. Auf der Flucht verliert sie ihren Schal, der von der Löwin zerrissen wird, und da die ja ein blutiges Maul hat, wird er mit Blut getränkt. Als Pyramos eintritt, findet er den Schal und glaubt, dass Thisbe von der Löwin getötet wurde, worauf er sich in sein Schwert stürzt. Als Thisbe zurückkommt und ihren sterbenden Geliebten sieht, stürzt sie sich ebenfalls in das Schwert. Das Blut der beiden tränkt den Boden unter dem Maulbeerbaum, der ursprünglich weiße Maulbeerbaum wird rot.

Als ich darin war, hätt ich‘ s als Genuss
Empfunden, in geschmolznem Glas zu baden:
So übermäßig war der Gluterguss!

Das relativiert die oben von Vergil gemachte Aussage, dass man hier zwar Qualen, aber nicht den Tod findet nochmals. Warum Dante im Übrigen nicht stirbt, bleibt ungeklärt. Glas fängt bei 900 Grad Celsius allmählich an zu schmelzen, kann geformt werden. Es ist also bei diesen Temperaturen gewährleistet, dass Dante anschließend von allen Anwandlungen der Wollust gereinigt ist.

Drum nahm – eh noch der Horizont begann,
Einförmig zu bekleiden jede Stätte,
Eh Nacht ringsum die grauen Schleier spann -

So ungefähr.

E pria che 'n tutte le sue parti immense
fosse orizzonte fatto d'uno aspetto,
e notte avesse tutte sue dispense,

Und noch bevor in seiner ganze Weite
der Horizont in einer Farbe strahlte
und nur noch Nacht in seinem ganzen Raume

Es wurde also Nacht und die Drei legen sich schlafen, jeder auf einer Treppenstufe.

Zum Bett sich jeder einer Stufe Glätte;
Nur unsre Kraft brach an des Bergs Beschwerde,
Nicht dass zum Aufstieg Lust gemangelt hätte!

Auch nicht wirklich.

ciascun di noi d’ un grado fece letto;
ché la natura del monte ci affranse
la possa del salir più e 'l diletto.

Jeder von uns machte aus einer Stufe eine Liege,
weil die Natur des Berges uns beraubte
der Kraft zu steigen und der Lust

Im Läuterungsberg geht man also zu Bett, wenn es anfängt zu dunkeln, also mit dem Sandmännchen. Das allein wäre für den Autor schon ein Grund, nicht ins Paradies zu wollen, denn er ist ein ausgesprochener Nachtmensch.

Der auch gewohnt, dass er sich nachts nicht scheue,
Die Herde zu bewachen auf den Weiden,
Dass sie kein Raubtier schrecke und zerstreue -

So kam ich mir hier vor mit jenen beiden:
Ich war die Geis, die Hirten waren sie,
Und rings die Höhn, die Aussicht abzuschneiden.

Es ist uns zwar vollkommen unklar, vor was Vergil und Satius Dante hätten beschützen sollen, da ja in den Läuterungsberg nur geläuterte Seelen kommen, aber wir nehmen das jetzt mal so hin. Offensichtlich funktioniert die Passkontrolle nicht, ein paar Räuber schlüpfen da noch durch, so dass das subjektive Sicherheitsempfinden Dantes durch die Anwesenheit von Vergil und Statius gesteigert wird.

Bei solchem Brüten in die tiefe Ferne
Bezwang der Schlaf mich: Und im Schlafe stellt
Sich oft uns schon die Zukunft dar im Kerne.

Das ist zwar ein Topos, der sich in allen Mythologien findet, dass Träume Prophezeiungen sind, aber der Autor hat eher den Eindruck, dass im Schlaf das rationale Ich ausgeschaltet ist und das Gehirn weitgehend sinnlos irgendwelche Assoziationen abfeuert. Für wahrscheinlicher hält es der Autor, dass der Traum etwas über den Charakter des Träumenden aussagt, so sieht das Nietzsche.

Mein Freund, das grad ist Dichters Werk
Dass er sein Träumen deut’ und merk’.
Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
Wird ihm im Traume aufgetan.

Hier wird also nicht nach vorne geschaut, sondern nach innen.

Vielleicht, dass östlich schon vom Himmelszelt
Den Berg der erste Strahl Cytherens schmückte,
Des Sterns, den stete Liebesglut erhellt;

Werfen wir einen kurzen Blick auf das Original.

Ne l'ora, credo, che de l'oriente,
prima raggiò nel monte Citerea,
che di foco d'amor par sempre ardente,

Zur Stunde, so glaub ich, als im Osten
die Strahlen derer den Berg Cytherens überstrahlten
die von Liebe immer scheint zu glühen

Gemeint ist Venus. Wie bereits mehrfach geschildert, verdankt die Göttin der Liebe ihre Geburt einem Umstand, der nicht gerade erotisch ist. Kronos säbelte seinem Papa Saturn was ab und warf das ins Meer, und aus diesem etwas entstand dann Venus. Die Insel, vor der das passierte ist Khytira, gelegen vor dem südöstlichen Teil des Peloponnes.


Auch hier sind wir natürlich wieder hochbeglückt über die Art, in der uns Dante mitteilt, wann er genau seinen Traum hatte. Im Übrigen glaubt er nur (Ne l'ora, CREDO (GLAUB ICH), che de l'oriente), dass es zu diesem Zeitpunkt war. Wir begrüßen das ja, dass er hier seine ansonsten minutengenauen Angaben, wann wo die Sonne auf- oder untergeht, etwas zurückhaltender formuliert. Die prinzipiellen Arbeitsweisen Dantes würden aber auch Ihren Alltag bereichern, soviel können Sie von Dante mitnehmen. Wollen Sie zum Beispiel Ihrem Partner mitteilen, dass er noch etwas blass ist und besser etwas Sonnencreme auflegt, können Sie das mit diesen Versen tun.

Ganz wie die Pommes, die noch nie des Ofens Wärme
mit jener Farb‘ bemalte, die uns kündet
dass jetzt der Zeitpunkt ist sie zu verspeisen

So ist die Blässe deiner Haut, der selten nur die Sonne strahlte
bedürftig jener Creme, die erhältlich ist im Handel
damit nicht die Blässe weiche, dem Farbton einer italienischen Tomate

Sieht man das so, dann ist auch die oben angeführte Theorie mit dem Affirmativsatz grenzwertig. Als Terzine ist das natürlich schicker, als zu sagen, „hey, du siehst aus wie ein Ziegenkäse, schmier dich mal ein.“.

Zu dieser Stunde mich ein Traum entrückte:
Ich sah ein junges, schönes Weib vor mir
Im Wiesengrün, das singend Blumen pflückte.

Die sprach: „Es wisse, wer voll Wissbegier,
Dass ich, die emsig rührt die schönen Hände
Zu einem Kranz aus bunter Blumenzier,

Die Lea bin, die gern vorm Spiegel stände
Mit solchem Schmuck; doch Schwester Rahel rückt
Von ihrem nicht, dass sie sich schön drin fände.

Also der Plott,, auf den Dante hier abzielt, erreicht schon gutes Griechenniveau. Fangen wir mal von ganz vorne an. Erzählt wird die ganze Geschichte in Genesis 25-36. Isaak, das ist ein Sohn von Abraham, war mit Rebekka verheiratet, die hatten wir schon, die ist im Himmel und tratscht mit Beatrice. Rebekka bekommt jetzt Zwillinge, nämlich Esau (der Ältere) und Jakob (der Jüngere). Der Esau ist ein bisschen tollpatschig und ist auch nicht wirklich attraktiv (Genesis 25, 25: Der erste, der herauskam, war rötlich, ganz rauh wie ein Fell; und sie nannten ihn Esau). Der Jakob ist ein Schlingel, so wird er auch bei Thomas Mann beschrieben (Joseph und seine Brüder), das ist, wie Joseph auch, der Felix Krull in Palästina. Jakob wollte natürlich der Erstgeborene sein, das brachte damals Vorteile. Um das zu bewerkstelligen, packt er Esau noch gleich im Mutterleib an den Fersen, um ihn daran zu hindern, zuerst das Licht der Welt zu erblicken, was aber misslingt. Esau wird dann Jäger und ist der Liebling von Isaak, Jakob kümmert sich um die Landwirtschaft und ist der Liebling von Rebekka. Der Esau ist nicht so der Karrieretyp, das hatten wir schon gesehen, das wirft Dante ihm ja vor, in der Hölle. Als Jakob ihm vorschlägt, seine Erstgeburtsrechte gegen ein Linsengericht zu verkaufen, willigt Esau ein. In seiner ganzen Dappigkeit ist Esau also noch irgendwie sympathisch. Was jetzt kommt, lehrt uns, warum bei Besitzwechsel von Immobilien immer ein Notar involviert sein muss. Isaak ist halbblind und merkt, dass es zu Ende geht. Da ruft er Esau, um ihm aufzutragen, dass er ein Tier erlegen soll und ihm damit, ich gehe davon aus, dass Isaak ein Schwabe war, einen Braten mit Spätzle machen soll, anschließend wird er ihn zu seinem Nachfolger erklären. Das wiederum hört Rebekka, die ja will, dass Jakob der Nachfolger wird. Sie ruft also Jakob und teilt ihm mit, dass er ein biologisch (hoffentlich!) aufgezogenes Kalb schlachten soll, damit sie für Isaak einen Braten mit Spätzle machen kann, der fertig sein muss, bevor Esau wieder auftaucht. Die Idee ist natürlich, dass Isaak den Trick nicht bemerkt und Jakob zum Nachfolger erklärt. Bleibt noch das Problem, dass der feine Jakob natürlich eine Haut hat wie ein Kinderpopo, während der Esau ja nicht nur aussieht wie ein Bär, sondern auch noch nie einen Schönheitsalon von innen gesehen hat, hätte er ja wegmachen können seinen Pelz, stehen die Frauen nicht drauf, anyway. Damit Isaak also nicht merkt, dass er Jakob zu seinem Nachfolger erklärt und nicht Esau, legt sie ihm ein Fell um Hand und Hals, alles andere war ja von Klamotten bedeckt. Als nun Isaak den Braten verknuspert hat, Sauce war von Maggi Kochstudio, betastet Isaak den Jakob, hält ihn aber erstmal wegen dem Pelz für Esau, segnet ihn also und erklärt ihn zu seinem Nachfolger, also zum Chef der Sippe. Nachdem das passiert ist, taucht Esau auf und Isaak merkt, dass er hinters Licht geführt worden ist. Rechtlich gesehen ist das natürlich alles Banane, ohne Grundbucheintrag und / oder Notar läuft da gar nichts. Esau auf jeden Fall ist jetzt stinksauer, was wir gar nicht verstehen können, denn er hat doch sein Erstgeburtsrecht eh schon gegen ein Linsengericht verkauft. Da Esau droht, Jakob zu erwürgen, geht Jakob erstmal zu seinem Onkel Laban, also dem Bruder von Rebekka, seiner Mutter. Auf dem Weg dahin begegnet ihm Rahel, das ist die, die bei Dante ständig vor dem Spiegel sitzt und verliebt sich in sie (wobei man den alttestamentarischen Typen einfach nicht über den Weg traut, die sehen alle aus wie die Taliban, da glaubt man einfach nicht, dass die sich in irgendjemanden verlieben). Nachdem Jakob einen Monat bei Laban war, fragt dieser ihn, was er als Lohn haben will, wenn er für ihn arbeitet. Jakob antwortet (war er doch verliebt?), dass er nichts haben wolle und ohne Entgelt für ihn schufte, wenn er dann Rahel heiraten dürfe. Den Plan durchkreuzte aber der Zoll, für diesen war die Tätigkeit Jakobs für Laban schlicht Schwarzarbeit, Rahel wurde als Zuwachs an Sachleistungen bewertet, auf den Steuer und Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten waren. Die Geschichte ist aber auch anders, als Dante sie erzählt. Bei Dante war Lea die Arbeitsame, Rahel halt die Prinzessin der Familie. In der Bibel tönt das aber ganz anders. Dort heißt es wörtlich: Aber Lea hatte ein blödes Gesicht, Rahel war hübsch und schön (Genesis 29, 17). Rätselhaft, also gutes Griechenniveau, sind nun diese Zeilen: Und Jakob sprach zu Laban: Gib mir nun mein Weib, denn die Zeit ist hier, dass ich zu ihr gehe. Da lud Laban alle Leute des Orts und machte ein Hochzeitsmahl. Des Abends aber nahm er seine Tochter und brachte sie zu ihm; und er ging zu ihr (Genesis 29, 21-23). Das heißt zu Deutsch, der Laban hat Lea dahingeschickt, Jakob hat mir ihr gepennt und der Volltrottel hat nicht mal gemerkt, dass er mit einer anderen schläft. Wie geht das? Wir denken natürlich wieder an Goethe:

Du siehst mit diesem Trank im Leibe
bald Helena in jedem Weibe

Der Rest wird dann noch dunkler. Der Unterschied zwischen den Griechen und den Kindern Gottes scheint darin zu liegen, dass erstere es bei Licht miteinander trieben, die anderen in stockfinsterer Nacht, denn dass er mit Lea gepennt hat und nicht mit Rahel, fällt ihm erst am nächsten Morgen auf: Des Morgens aber, siehe, da war es Lea (Genesis, 29, 25). Völlig unerklärlich ist dann das: als Jakob ihn fragt, warum er ihm die falsche Braut ins Bett gelegt hat, antwortet Laban: Es ist nicht Sitte in unserem Lande, dass man die Jüngere ausgebe vor der Älteren. Halte mit dieser die Woche aus, so will ich dir diese auch geben um den Dienst, den du bei mir noch andere sieben Jahre dienen sollst (Genesis, 29, 26-27). Was das nun genau bedeutet, dass er mit Lea noch eine Woche aushalten soll, ist völlig unklar. Soll das heißen, dass er jede Nacht mit ihr in die Kiste steigt ? Die volle Dröhnung kommt aber jetzt: Da aber der Herr sah, dass Lea unwert war, macht er sie fruchtbar; Rahel aber war unfruchtbar (Genesis, 29, 31). Wieso ist Lea unwert? Lea auf jeden Fall kriegt einen ganzen Haufen Kinder, sozusagen die Hälfte des Stammes Israel. Davon verspricht sie sich, dass Jakob sie liebhat: Der Herr hat angesehen mein Elend; nun wird mich mein Mann liebhaben. In Bezug auf die Terzine von Dante stellt sich nun die Frage, wie Dante auf die Idee kommt, dass Rahel ständig vor dem Spiegel sitzt, während die fleißige Lea irgendwas Vernünftiges tut? Die Darstellungen der Bibel sind da schon ziemlich drastischer.

„Die süße Frucht, danach auf soviel Zweigen
Voll Eifers forscht der Sterblichen Begier,
Bringt deinen Hunger heute noch zum Schweigen.“

Das ist wohl auch nicht wirklich geschickt übersetzt.

«Quel dolce pome che per tanti rami
cercando va la cura de' mortali,
oggi porrà in pace le tue fami».

Die süße Frucht, die auf sovielen Ästen
die Sterblichen zu finden wünschen,
wird heute deinen Hunger stillen

Das Pome könnte auch in Richtung Apfel gehen (heutiges Standarditalienisch il pomo = der Apfel). So sehen das aber die italienischen Kommentatoren nicht. Sie sind der Meinung, dass Frucht gemeint ist. Apfel würde natürlich in Richtung Baum der Erkenntnis gehen. Unter Umständen hat Dante wieder was bei Thomas von Aquin über die Wissbegierde der Menschen gefunden, rein theoretisch müsste es da ja ein Problem geben. Auf der einen Seite ist es natürlich, dass der Mensch wissen will:

Eure Fähigkeit zu Erkennen
erzeugt aus dem was euch umgibt das Bild , und klärt es in eurem Innern
neigt sich der Geist nur zu was euch umgibt

und dann, wenn der Geist bestrebt ist dies zu tun
dieses Bestreben, Liebe wird genannt, das ist die Natur
die aus Lust, in euch, immer wieder auf' s Neu' erwacht
(gemäß 18. Gesang)

Auf der anderen Seite soll er aber nicht wissen, also nicht vom Baum der Erkenntnis essen. Irgendwie wird das eine Metadiskussion. Der Mensch muss wissen, was er wissen darf und soll. Das ist nämlich kompliziert, bei den Christen. Logisch macht das nur Sinn, wenn man das Christentum als Ideologie sieht, denn Ideologien wollen vor allem eines, einen Herrschaftsanspruch durchsetzen, wobei das Christentum und der Islam zwei der raffiniertesten Vertreter dieser Gattung sind. Sie machen alles mies, was den Kern des Menschen ausmacht, spekulieren darauf, dass er kapituliert und sich in den Schoß der Kirche / Moschee flüchtet. Es gibt noch einen Vertreter, der ebenfalls darauf spekuliert, der mit der Kapitulation rechnet, um ihn dann endgültig zu verführen: Mephistopheles, in Goethes Faust.

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab ich dich schon unbedingt-

Wenn die Vernunft und die Wissenschaft kapituliert, ist der Weg frei für die Wahrheiten des einzig wahren Glaubens. Wir haben hier also den zentralen Unterschied zwischen dem Gottesbild bei Dante und dem Gottesbild bei Goethe. Dantes Gott will einen Menschen, der glaubt, der Gott Goethes will einen der zweifelt, der nie aufgibt, der nicht kapituliert. Die Wette zwischen Gott und Mephistopheles dreht sich genau um diese Frage. Mephistopheles will, dass er kapituliert, Staub frisst. Gott ist der Meinung, er wird nicht locker lassen.

Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

Wir wissen auf jeden Fall nicht, welche Frucht es ist, die überall gesucht wird, die ständig mit anderen Früchten verwechselt wird, die in die Irre leiten, vermuten aber, dass es der wahre Glaube ist, der dann alle Fragen beantwortet. Wer diese Frucht hat, wird nicht mehr nach den falschen Früchten greifen, die keine Antworten geben.

Ich fühlte Kraft von tausendfachem Willen
Nach oben, dass bei jedem Schritt zum Flug
Die Schwinge wuchs in Sehnsucht, nicht zu stillen,

Und als sie mich zur höchsten Stufe trug,
Wo ich rückblickend oben stand mit ihnen,
Sah mich Virgil an liebevoll und klug

Dante und Vergil stehen jetzt also am Eingang des Paradieses. Vergil kann Dante jetzt nicht mehr belehren und wird ihn durch die folgenden Gesänge zwar noch begleiten, aber nichts mehr sagen.

Mein Wink, mein Wort kann dir nichts mehr erklären,
Frei, grad, gesund sind deines Willens Zeichen,
Und falsch wär‘ s, ihm nicht Folge zu gewähren

Drum lass mich Krone dir und Mitra reichen!