Nicht hemmte das Gespräch das Gehen, das Gehen
Nicht das Gespräch, nein: Plaudernd liefen wir
Nur schneller – gleich dem Schiff im Windeswehen

Als Affirmativsatz hätten wir schlicht: Ins Gespräch vertieft, schritten wir voran. Das mit dem Schiff verstehen wir natürlich gar nicht, bzw. wir verstehen nicht, was zwei ins Gespräch vertieft Schreitende mit einem vom Wind getriebenen Schiff zu tun haben.

Zweimal-Verstorbenen ähnlich schienen mir
Die Schatten, die aus hohlen Augenringen
Erstaunen sogen, weil ich lebend war

Das geht im italienischen Original so.

l'ombre, che parean cose rimorte,
per le fosse de li occhi ammirazione
traean di me, di mio vivere accorte.

die Schatten, die mehr als tot erschienen,
aufgrund der Augenhöhlen, Verwunderung
brachten mir entgegen, als sie mich lebend sahen

Dieses „rimorte“ interpretieren italienische Kommentare als „più che morte“, also „mehr als tot“, und im Zweifelsfalle sollte man wohl davon ausgehen, dass Muttersprachler instinktiv richtiger liegen. Wichtig ist das allerdings nicht, denn Doppeltod oder mehr als tot läuft so ziemlich auf das Gleiche hinaus. Wieso man allerdings aufgrund der tiefen Augenhöhlen "toter" als tot aussieht, ist unklar. Der Autor würde zum Beispiel finden, dass ein Skelett noch viel "toter" aussieht.

Und ich fuhr fort, indem wir weitergingen:
„Weil ihn Vergils Begleitung freut, vergisst
Der dort, zum Gipfel schneller vorzudringen.“

Dante unterhält sich also nach wie vor mit seinem Jugendfreund Forese Donati. Vor ihnen wandeln Statius und Vergil, in ein Gespräch über die Dichtkunst vertieft, über dessen Inhalt wir ja nichts erfahren. Statius wiederum ist so erfreut, endlich mal jemanden anzutreffen, mit dem man sich unterhalten kann, dass er langsamer läuft. Was wiederum die Frage aufwirft, was er dann im Paradies machen will, denn da hat er überhaupt niemanden mehr, mit dem er quatschen kann. So gesehen hätte er das mit der Tauferei, die ja obendrein auch nur vorgetäuscht war, der Schlingel hat gemogelt, besser gelassen. Dann wäre er im Limbus gelandet bei den anderen Dichtern und hätte immer jemanden gehabt, mit dem er über Philosophie, Dichtkunst, Ästhetik etc. etc. hätte quatschen können. Wahrscheinlich haben wir aber den Kniff noch nicht verstanden, irgendeinen Grund muss es geben, warum alle ins Paradies wollen.

Du aber sag mir, wo Piccarda ist,
Sag auch, mit wem es sich zu sprechen lohne
Aus dieser Schar, die mich mit Blicken misst!

Piccarda ist die Schwester von Forese Donato. Sie war eigentlich eine Nonne, wurde aber von ihrem Bruder, also der Typ mit dem sich Dante gerade unterhält, aus politisch, dynastischen Gründen zwangsverheiratet. Eigenartigerweise ist das aber keine Sünde, da ist ein Bierbauch schon viel gravierender. Wie wir später im Paradies erfahren werden, hindert sie diese Zwangsheirat auch daran, im Paradies höher zu steigen, weil sie ja ihr Gelübde gebrochen hat. Dass sie das unfreiwillig tat, ist egal. Wir finden das in Ordnung. Wenn man am Zoll steht und nicht rüberkommt, weil man den Pass verloren hat, interessiert es den Zöllner ja schließlich auch nicht, dass man keinen Pass mehr hat, weil das Auto geknackt worden ist und alle Wertsachen weg sind. Ordnung muss sein, im Himmel wie auch auf Erden. Was jetzt wirklich verblüfft, ist die Antwort von Forese Donati.

„Die Schwester“, sprach er da, zärtlich im Tone,
„So gut und schön, dass man sich immer fragte,
Ob schön mehr oder gut? – Sie trägt die Krone“

Da kann man mal sehen, ist schon ein Schlingel der Dante. Wenn er nicht ein paar Seiten überschlagen hätte und schon mal das Paradies durchgeblättert hätte, könnte er mit den Zeilen gar nichts anfangen, so weiß er aber, dass die im Paradies ist. Richtig gut ist aber das „zärtlich im Tone“. Wir haben es mit der Zwangsverheiratung zwar nicht mit einer der sieben Todsünden zu tun, dafür aber mit einem faustdicken Straftatbestand, genau genommen mit mehreren: Körperverletzungen gem. §§ 223 ff., Freiheitsberaubung gem. § 239 und Sexualdelikte gem. §§ 174 ff. Strafgesetzbuch. Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die irdische Gerechtigkeit logisch schlüssiger ist als die himmlische. Also das „zärtlich im Tone“ kann nur darauf beruhen, dass das Schwesterherz ihn nicht angezeigt hat.

Nun wies er mit dem Finger: „Der dort war
Aus Lucca Buonagiunta, und der Große
Daneben, mehr als andere mager zwar,

hielt einst die heilige Kirche auf dem Schoße.
Er stammt aus Tour, jetzt büsst er mit Verdrießen
Bolsenas fetten Aal in Portweinsauce

Wir haben ja bei den Buchkritiken bei Amazon manchmal wirklich lustige Rezesionen. Da schreibt jemand, dass sich die Divina Commedia liest wie ein Telefonbuch: Namen, Namen, Namen. Der Autor sieht das jetzt so. Die Divina Commedia erfordert einen Leser, der in der Lage ist, sich zu jedem Namen die Persönlichkeit dahinter selber vorzustellen, ein literarisches Prinzip, dass der Autor durchdacht findet. In einem modernen Roman werden die handelnden Figuren ja teilweise charakterisiert, entweder völlig, wie bei einem Roman von Tolstoi, oder eben, wie zum Beispiel bei Mario Vargas Llosa, in Bruchstücken. Auf jeden Fall sind die Möglichkeiten des Lesers eingeschränkt. Er kann sich nicht mehr einfach vorstellen, was er will. Nach der Literaturtheorie Dantes sähe der perfekte Roman so aus: Maier, Andreas. Müller, Lisa. Gerster, Andrea. Heinemann, Günther. Aus diesen Namen müsste sich dann der Leser den Roman selber zusammenbauen. Das wäre auch in Einklang mit dem, was Kleist in seiner Schrift über das Marionettentheater sagt. Es bedarf wenig Begabung, das vollendete Kunstwerk zu sehen. Schwierig ist es, die Schönheit des unvollendeten Kunstwerkes zu sehen. Die Namen ständen vor dem Auge des begabten Lesers wie der Marmorblock vor Michaelangelo, bereit, zum Leben erweckt zu werden. Üben wir mal: Lucca Buongiorno, ein junger Adliger, schön von Gestalt, feingliederig, mit sinnlichen Lippen, der Schwarm aller Frauen, verliebte sich in marmorne Diana, die in der schattigen Kühle seines Vaters Garten auf ihrem Podest stand, unempfänglich für sein Werben. Der Mond glänzte durch die weißen Kirschblüten. Sein Licht umstrahlte ihre schlanke Gestalt, als der schmachtende Jüngling sich vergaß, seiner Verehrung tobendem Zorn wich. Aus dieser Verbindung entanden zwei marmorne Knaben, Tatabus und Otobus usw. usw. Dieses Verfahren würde übrigens auch das Niveau der Divina Commedia, so denn der Leser begabt ist, und allein auf ihn käme es dann an, deutlich heben. Was allerdings Lucca Bonagiunta angeht, ist vielleicht sogar das Original interessant, denn diesen hat Dante auf dem Kicker. Bonagiunta Orbicciani (geb. um 1220, gest. um 1290) war ein Dichter, der der toskanischen Schule zugerechnet wird. Für Dante ist er ein Beispiel für einen Dichter, der nicht im "dolce stile nuovo", dichtete (wie Dante selbst), also literarisch minderwertig war. Ein wesentlich Element des "dolce stile nuove" ist die Neudeutung der Liebe. Ihr wird reinigende Kraft zugesprochen, macht sozusagen die Schokoladenseite sichtbar. Nimmt man ein Gesicht aus dem "dolce stile nuove", z.B. eine Sonnette aus der Vita Nuova, wird sofort deutlich, um was es geht.

Elftes Sonett

Die Liebe wohnt in meiner Herrin Blicken,
Die, was sie anschaun, wunderbar verklären;
Wem einen Gruß sie gnadenvoll gewähren,
Dem bebt durchs Herz unsagbar ein Entzücken.

Der muss die Stirn betroffen abwärts kehren,
Ob seiner Mängel seufzend, die ihn drücken;
Selbst Hass und Hochmut muss vor ihr sich bücken –
Drum helft, ihr Frauen, mir, sie hoch zu ehren!

Wer schlürfen darf des Mundes süßen Laut,
Dem schwillt das Herz in ehrfurchtsvollen Wonnen;
Drum selig, wer das erste Mal sie schaut.

Doch wenn sie kaum zu lächeln hat begonnen:
Kein Wort kann’ s schildern, kein Vergleich erreichen –
Ein Wunder ist es, neu und ohnegleichen!

So weit so gut, es gibt Frauen, die eine solche Wirkung haben, das kann man sogar psychologisch realistisch finden. Die erhebende Wirkung (Die, was sie anschaun, wunderbar verklären), die reinigende Wirkung (Selbst Hass und Hochmust muss vor ihr sich bücken), die Änderung des Gemütszustandes (Dem schwillt das Herz in ehrfurchtvollen Wonnen) sieht Dante jetzt nur im "dolce stile nuovo" beschrieben. In Anbetracht der Tatsache aber, dass es sich um psychologisch wahrscheinliche Reaktionen handelt, ist davon auszugehen, dass wir Ähnliches auch in anderen Gedichten dieser Zeit finden. Wir finden sowas eigentlich immer in den letzten 500 Jahren der Menschheitsgeschichte. Wenn nicht, waren die Typen im Mittelalter ziemliche Bretter. Es mag schon sein, dass viele zu Hause gesessen haben und Thomas von Aquin gelesen haben, die brachten dann anschließend keinen geraden Satz mehr zustande, geschweige denn ein Gedicht, aber der Buchdruck war ja noch nicht erfunden, so dass die verheerende Wirkung des Thomas von Aquin auf einen kleinen Kreis beschränkt blieb. (Stellen Sie sich mal vor, es hätte zu Zeiten des Thomas von Aquin schon Internet gegeben. Puh! In tausend Foren wäre dann darüber diskutiert worden, ob es eine Liebe gibt, die alles krallt, was ihr vor die Nägel kommt, ob die Liebe durch den freien Willen steuerbar ist, ob die Seele auch ohne den Körper existiert etc. etc. )

Fehlt noch der Andere, der Aal in Weißwein gebraten aß (im Orginal ist es nicht Portwein, sonder Weißwein, l'anguille di Bolsena e la vernaccia ). Gemeint ist Papst Martin IV. Papst war er von 1281 bis 1285. Anzunehmen ist, dass Dante kein Problem hat mit den Aalen in Weißweinsauce. Es ist eher anzunehmen, dass ihm Martin IV völlig und gänzlich mißliebig war, so ganz und gar, als Person und überhaupt. Geboren wurde er als Simon de Brion um 1210 in Montpensier (ungefähr in der Mitte Frankreichs, in der Nähe von Tours, daher "er stammt aus Tours"), er starb 1285 in Perugia. Sowohl von Urban IV wie auch von Clemens IV, wie auch Gregor X (seine Vorgänger als Papst) beauftragten ihn mit der Vermittlerrolle zwischen Karl von Anjou und den Staufern im Konflikt um die Krone von Sizilien. Er wird in dieser Zeit ein Anhänger von Karl von Anjou. Als der Papst Nikolaus III 1280 stirbt, lässt Karl von Anjou in der Enclave von Viterbo die italieniesichen Kardinäle, die sich der Wahl eines französischen Papstes widersetzt haben,
gefangen nehmen, worauf er am 22 Februar 1281 zum Papst gewählt wird. In weiten Teilen des römischen Klerus wurde er als Papst nicht anerkannt. 1282 belagert auf sein Drängen ein französisches Heer Forlí, wird aber von Guido da Montefeltro vernichtend geschlagen. Im gleichen Jahr kommt es auch zu der bereits mehrfach erwähnten sizilianischen Vesper, bei der Karl von Anjou seine Krone in Sizilien verliert und sie an den Staufer Peter III von Aragonien übergeht. Man könnte also vermuten, dass es bei einer solchen Vita Aspekte gegeben hat, die eine motivertere Zuordnung zu einem Kreis der Hölle oder einer Terrasse auf dem Läuterungsberg erlauben würden. Letztlich ausschlaggebend waren aber die Aale in Weißweinsauce. Man kann bei der Lektüre von Dante manchmal den Eindruck bekommen, dass die Augenbinde Justititias nicht nur gegen das Ansehen der Prozessbeteiligten blind ist, sondern überhaupt blind, vollkommen blind. Sie trägt die Augenbinde, weil sie schlicht würfelt. Die Zuordnung zu den Kreisen / Terrassen ergibt sich schlicht aus den Augen der Würfel.

Dieser Vers allerdings enttäuscht uns.

Er zeigte mir und nannte, wie sie hießen
Noch viele, jeder schien sich drob zu freuen
Da sie Entrüstung nicht erkennen ließen

Das heißt, Forese Donato hat ihm noch viele gezeigt, und Dante enthält uns vor, um wenn es sich handelte. Schwächelt Dante? Wir haben ja schon festgestellt, dass Zoozmann schwächelt, hin und wieder eine Figur des Ensemble rauskickt. Aber jetzt schwächelt Dante selbst. Da sieht er Leute (noch viele!) und nennt sie nicht. Da werden manche Persönlichkeiten für immer in der Dunkelheit des Vergessens schmoren.

Mit leerem Mund sah Ubaldin ich käuen
Und Bonifa, der mancher magern Seele
Freigebig pflegte Futter hinzustreuen

Bevor wir nun erläutertern, wer Ubaldin und Bonifa ist, bringen wir nochmal unsere Mißbilligung zum Ausdruck, dass Dante uns ein paar Figuren schlicht unterschlägt. Allerdings wissen wir über diesen Ubaldini so gut wie nichts. Wir sehen uns also, nach der oben beschriebenen Logik, als Leser gefordert (Ubaldin war ein hässlicher alter Sack, der Bier aus einem Kochtopf trank….). Ubaldino della Pila gehört der ghibellinischen, also kaisertreuen Familie der Ubaldini an. Das „della Pila“ leitet sich von dem Sitz der Familie, dem Castello della Pila in der Nähe von Mugello (nähe Florenz) ab. Er starb um 1291. Über die Familie Ubaldino muss Dante einigermaßen informiert gewesen sein (auch wenn sich die historische Fakten nicht immer mit dem von Dante Referierten in Einklang bringen lassen), denn einige Mitglieder dieser Familie hatten wir schon. Den Kardinal Ottaviano kennen wir schon aus dem 10 Kreis der Hölle, er büßt dort für Ketzerei, neben Friedrich II.

Er sprach: „Mit mehr als Tausend brenn ich hier;
Dort liegt auch neben Friederich dem Zweiten
Der Kardinal! – Von andern schweig ich dir!“

Hölle, 33 Gesang

Worin allerdings die Ketzerei bestand, erfahren wir nicht, und die historischen Fakten geben das auch nicht her. Dieser Kardinal ist der Bruder von Ubaldino della Pila. Dessen Sohn Ruggiero wiederum kennen wir aus dem 33 Gesang der Hölle, da wo die Verräter sitzen. Bonifazio Fieschi war ein Neffe von Innozenz IV. Er war Erzbischoff von Ravenna von 1274 bis 1295. Dass er den sinnlichen Genüssen zugetan war, scheint eine weit verbreitete Meinung gewessen zu sein. Ob es stimmt oder nicht stimmt, ist aber eigentlich egal. Dass es Leute gibt, die sich ungesund ernähren ist hinlänglich bekannt, ein Beispiel, das uns diesen Sachverhalt illustriert, benötigen wir eigentlich gar nicht.

Sah auch Marchesen, der mit feuchter Kehle
Als hier zu Forli manche Flasche leerte,
Weil, wie er sagte, niemals Durst ihm fehle

Auch über den Marchese degli Argugliosi ist alles Mögliche historisch überliefert, nur nicht dass er ausgesprochen viel Wein trank. Er war von 1296 bis 1304 Stadtoberhaupt von Faenza (Emilia Romagna). Auf Forli kommt Dante wohl, weil die Familie degli Argugliosi dort ihren Sitz hatte.

Die Übersetzung von Zoozmann ist dann weitgehend sinnfrei.

Lang wählt oft schon, wer nur eins begehrte:
So machte ich es hier mit Buonagiunt,
Der, wie mir schien, mich als Bekannten ehrte.

Im Original sieht das so aus.

Ma come fa chi guarda e poi s’ apprezza
più d'un che d'altro, fei a quell da Lucca
che più parea di me aver contezza.

Doch wie jener tut, der schaut um dann hochzuschätzen
mehr als jeden anderen, so machte ich es mit jenem aus Lucca
der mehr als anderen mich schien zu kennen

Also Dante unterhält sich die ganze Zeit mit seinem Kameraden auch Jugendtagen, Forese Donato. Das ist also der, der sich über die leichte Bekleidung der Fiorentinerinnen beklagt und seine Schwester, die Nonne, zwangsverheiratet. Also Freunde hat er gehabt, der Dante, da ist man schon platt. Während er mit ihm spricht, fragt er sich, wenm aus der Schar der Umstehenden die Ehre zukommen soll, von ihm angesprochen zu werden. Seine Wahl fällt auf den aus der Stadt Lucca. Das ist der oben bereits erwähnte Buonagiunta. Der grummelt jetzt irgendwas in seinen Bart.

„Gentucca“ klang es murmelnd ihm vom Mund,
Wenn Mund die Höhlung heißt, wo sich die Freche
Genussucht zeigt und rächt durch Lippenschwund

Unklar an dieser Stelle ist vor allem das Gentucca. Das Spektrum der Erklärungsversuche ist sehr breit, reicht von „gente ucca“, was im Dialekt des damaligen Lucca "die Leute dort" bedeuten soll, von der These, dass die Frau unbekannt ist, bis zu der These, dass es sich um Gentucca Morla handle, die Frau von Cosciorino Fondora. Dante weilte in Lucca etwa ab 1314, als sein Freund Uguccione sich dort an die Macht putschte. Aber außer dass sie schön war, und dass ihre Beziehung zu Dante natürlich ohne Fehl und Tadel war, ist nichts bekannt. Ersteres wissen wir nicht, wundern uns aber darüber, dass immer beides genannt wird, dass sie schön war und nichts mit Dante hatte. Irgendwie ist die Kombination romantisch. Dem Autor allerdings ist völlig schleierhaft, was eine schöne junge Frau mit einem Dante anfangen soll. Bei Goethe kann man sich das ja vorstellen, der hat ruckzuck mal ein Liebeslied zusammgebastelt, da waren die Mädels hin und weg.

Warum gabst du uns die tiefen Blicke
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun

Und dann hatte der Geheimrat ja auch eine Vita, dagegen sieht jeder Latin Lover aus wie eine impotente Senfgurke. Aber Dante mit einem Gedicht über Thomas von Aquin, ich glaube das geht voll daneben. Wer immer die Gentucca auch gewesen sein mag, Dante hatte nichts mit ihr. Dafür verbürgen wir uns.

Drängt dich’s, dass ein Gespräch dein Schweigen breche,
Sei als Begleiter“, bat ich, „mir erwählt,
Dass einer mit dem anderen lehrreich spreche!“

Das Gespräch, dass sich dann zwischen Dante und dem angesprochenen Buonagiunta entwickelt, ist zwar nicht besonders lehrreich, aber das ist auch egal. Aus Gründen die keiner nachvollziehen kann, prophezeit Buonagiunta jetzt, dass Dante die oben erwähnte Gentucca treffen wird. Da wir rein fiktiv ja noch im Jahre 1301 sind und Dante Gentucca erst 1314 begegnen wird, ist sie zum Zeitpunkt dieser Prophezeiung noch sehr jung.

Drauf er: „Es lebt ein Weib, noch unvermählt,
ob deren Tugend dir mein Heimatort
Noch teuer wird, wie sehr man ihn auch schmält

Nimm hin mit dir denn dieses Seherwort;
Und wenn dir jetzt noch Zweifel drüber blieben,
Die Wirklichkeit bestätigt dir es dort

Das italienische Original sieht so aus.

«Femmina è nata, e non porta ancor benda»,
cominciò el, «che ti farà piacere
la mia città, come ch’ om la riprenda.

Tu te n'andrai con questo antivedere:
se nel mio mormorar prendesti errore,
dichiareranti ancor le cose vere.

„Eine Frau ist geboren, und sie strägt noch kein Band“,
so begann er, „sie wird dir meine Stadt
gefallen lassen, was immer man ihr auch vorwirft

Du wirst mit dieser Prophezeiung dahin gehen,
und auch wenn du meinem Gemurmel keine Glauben schenkst
wird sich dir der wahre Sachverhalt noch offenbaren

Unter Umständen taucht Gentucca hier auf, weil er diesen Teil in der Zeit schrieb, also er sich tatsächlich in Lucca aufhielt, also zwischen 1314 und 1317. Dass er so tut, also ob er 1301 (das ist der aktuelle Zeitpunkt zu dem er im Läuterungsberg sein will, weil sein Freund Forese Donati ja 1296 gestorben ist und er ihm fünf Jahre nach seinem Tod begegnet sein will, ist eine Finte Dantes, er prophezeit öfter mal die Vergangenheit. Bezogen auf den Zeitpunkt 1301 ist die Beschreibung aber richtig. Wenn Gentucca Morla 1314 jung verheiratet war, dann war sie es 1301 noch nicht. Deswegen trug sie nach damaligen Brauch noch kein Stirnband, unverheiratete Frauen trugen das nicht. Das Wort „Femmina“ muss seit Dante einen Bedeutungswandel durchgemacht haben, denn heute wäre es tatsächlich mit Weib / Frauenzimmer etc. zu übersetzen. Aus dem Kontext ist wohl eher zu entnehmen, dass Dante Frau meinte. Ansonsten würden uns die näheren Umstände jetzt natürlich brennend interessieren. Kannte Gentucca „La Vita Nova“? Dann ist sie wahrscheinlich dahin geschmolzen wie Butter in der Sonne. Kannte sie die Hymne auf die Frauen allerdings nicht, dann wird sie Dante wohl für einen ziemlichen hölzernen Knochen gehalten haben, der sie ständig mit irgendwelchen Zitaten aus Aristoteles, Platon, Thomas von Aquin volltextete. Insgesamt hatte die ganze Geschichte etwas Surrealistisches. Da schreibt also jemand ein Opus Maximus, das außer ihm kein Mensch versteht. Dann trifft er die Frau seines Herzens und teilt ihr mit, dass er sie für würdig befunden hat, in diesem Opus Maximus erwähnt zu werden. Wir gehen mal davon aus, dass er ihr das mitteilte. Sie sitzen also am Küchentisch und Dante verkündet: „Aufgrund deiner hohen Gesinnung und deiner Schönheit, hast du einen Platz gefunden in meiner Commedia.“ Beim allerbesten Willen, hier kapitulieren wir. Wir können uns weder vorstellen, warum Dante die schöne Gentucca da eingebaut hat, noch ob dieser Tatbestand sie irgendwie beeindruckt hat. Der eigentliche Hammer kommt aber jetzt. Haben wir Dante bis jetzt als einen Dichter erlebt, der den zarten Empfindungen und Eindrücken seiner Seele sprachgewaltig und differenziert Ausdruck verliehen hat? Wohl eher nicht, deswegen sind wir dann nach der Lektüre der nächsten beiden Verse erstmal platt.

Doch sprich, hast die Kanzonen du geschrieben
In neuer Reimesart? Die eine heißt:
Ihr edlen Frauen, die ihr wisst zu lieben!“

Also dies „Ihr edlen Frauen, die ihr wisst zu lieben“ ist der Beginn der ersten Kanzone aus: La vita nuova

Donne ch'avete intelletto d'amore,
i' vo' con voi de la mia donna dire,
non perch'io creda sua laude finire,
ma ragionar per isfogar la mente.

Die ihr die Liebe kennt, ihr edeln Frauen,
Von meiner Herrin lasst ein Lied mich singen!
Nicht dass ich könnt ihr Lob zu Ende bringen,
Nein, nur die volle Seele auszugießen.

Soweit so gut, die ist ja noch nachvollziehbar. Aber jetzt kommt‘ s.

Ich sprach: „Wenn mich erfüllt der Liebe Geist
Lausch ich der Melodie, zu deren Noten
Den Text zu schreiben mich‘ s dann mächtig reißt“

Drauf er: „Jetzt, Bruder, seh ich wohl den Knoten,
Der den Notar verstrickt, mich und Guittone,
Und uns den neuen süßen Saft verboten“

Was euch der Geist diktiert, in treuer Frone
Hin auf‘ s Papier zu werfen, war euch eigen-
Wir aber klebten starr an der Schablone.

(Der Notaro ist Iacopoda Lentini. Iacopoda Lentini, Guittone d' Arezzo und Buongiunta sind drei Vertreter der sizilianischen Schule, gegen die sich Dantes stile dolce nuove abgrenzt.) An dieser Stelle beschreibt Dante sogar mal mit einem zutreffenden Bild den Charakter der Lyrik. Die Melodie ist etwas Unsprachliches, ist das, was sich der Sprache entzieht und Dante versucht dann das Unsprachliche in Sprache zu fassen. Das ist Lyrik. Dann hätte ihm aber auch klar sein sollen, dass es keine Lyrik ist, wenn man etwas in Terzinen verschraubt, was sich in Affirmativsätzen viel klarer sagen lässt. Den Anhängern der sizilianischen oder toskanischen Schule legt er nun aber in den Mund, dass diese genau hierzu nicht fähig waren. Das Unsprachliche sprachlich zu fassen. Ihr wirft ihnen vor, sich an Schablonen gehalten zu haben, also an Klisches, vorgefertigten Bildern und an den Haaren herbeigezogenen Vergleichen. Was würden wir heute Dante sagen? Würden wir mit Goethe sagen „die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“?

Wer beifallbuhlend drob hinaus will steigen,
Schreibt keinen, weder alt noch neuen Stil.“
Er sprach‘ s und sank befriedigt dann in Schweigen.

Auch dem ist zuzustimmen. Wer Begriffe so einsetzt, wie alle sie einsetzen, hat keine Arbeit am Begriff geleistet, verwendet Wörter als Spielmarken. Zutreffend schreibt Rilke.

Die armen Worte

Die armen Worte, die im Alltag darben,
die unscheinbaren Worte, lieb ich so.
Aus meinen Festen schenk ich ihnen Farben,
da lächeln sie und werden langsam froh.

Ihr Wesen, das sie bang in sich bezwangen,
erneut sich deutlich, dass es jeder sieht;
sie sind noch niemals im Gesang gegangen
und schauernd schreiten sie in meinem Lied.

Dante hat also die Mängel seiner Commedia treffend geschildert, seine Verehrer allerdings werden unerleuchtet ihr trauriges Professorendasein beschließen, werden Dante in seinem Wege ins Dickicht der Sprachdreslerei nicht nur folgen, sondern sich sogar noch tiefer darin verstricken. Ein Prof. Dr. Manfred Hardt von der Universität Duisburg sei uns hier beispielhaft vor Augen geführt. Er beschäftigt sich in der Reclam Ausgabe (Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, Übersetzt von Hermann Gmelin, Anmerkungen von Rudolf Baehr, Nachwort von Manfred Hardt, Stuttgart, 2006, Seite 560 ff) vier Seiten mit der Zahlensymbolik der Divina Commedia, das tönt dann so.

„Schon die wenigen hier ausgewählten Beispiele können den Gedanken nahelegen, dass die personenbezogenen Zahlen auch für die Abmessungen der drei Cantiche und darüber hinaus des gesamten Gedichtes maßgebend gewesen sein könnten. Diesbezügliche Untersuchungen führen zu erstaunlichen Ergebnissen. Es ergab sich, dass die erste Cantica auf dem Grundmaß 118, die zweite auf den Grundmaßen 39 und 61 aufgebaut sind. Das Inferno beruht somit auf der Zahl Dantes, das Purgatorio ausschließlich auf den Zahlen Beatrices und Dantes, das Paradiso auschließlich auf den Zahlen Beatrices. Im einzelnen ergibt sich: Das Inferno umfasst insgesamt 4720 Verse; das ist das Produkt aus 40 * 118. Die Bedeutung der Zahl 118 ist für sich gesehen klar. Der andere Faktor, die 40, ist mit größter Wahrscheinlichkeit zu interpretieren als das Symbol des Kreuzes (das Kreuz als Siegeszeichen Christi wird auch im Inf. 4,53 erwähnt), hier erhöht durch Multiplikation mit der vollkommenen Zahl Zehn.“ Usw. usw. usw.

Darf ich auch mal. Die Reclam Ausgabe hat 394 Seiten. Dividiert man 394 durch zwei (Yin und Yang) erhält man 197. Die 1 steht für das Vollkommene, die 9 für die neun Kreise der Hölle und die 7 für die sieben Terrassen des Läuterungsberges. Die Tatsache, dass wir nach der Division mit 2 eine dreistellige Zahl erhalten, steht für die Dreifaltigkeit (Gott, Jesus, heiliger Geist). Da das Produkt aus 10 mal 472 aber 4720 ist, habe wir die vollkomme Zahl 10. Die 472 die übrigbleibt können wir durch 8 teilen, die neun Kreise der Hölle minus dem Limbus, wir erhalten dann 59, eine Zahl in der wieder die 9 enthalten ist, das Dreifache der Drei (Gott, Jesus, heiliger Geist) und die Anzahl der Kreise, Terrassen und Himmel. Die fünf steht für die fünf Buchstaben D A N T E.

Dieser Blick in das Gehirn eines deutschen Professors erschüttert uns natürlich, führt uns die Gefahr, in der der menschliche Geist sich befindest, auf das Grauenhafteste vor Augen. Über uns der freie Raum, unendliche Weiten, ein Raum, der uns Menschenkinder nichtet und vernichtet und die gleiche Weite, im Hirn eines Romanistikprofessors, Weite, unendliche Weite, Weite und Leere. Wird die Leere erklingen, wenn das Rätsel gelöst, die Weite sphärisch durchdrungen vom Klang, die kalte Seele sich laben am Klang der harmonischen Schwingung, die Reinheit der Zahl uns Frieden spenden? Dunkel und kalt überwölbt uns die Weite, schwingt uns verborgen im Takt der Zahlen des Rätsels Lösung. Oh Phytagoras! Heiliger Grieche! Hilf, dass wir schwingen, geleitet durch die Zahl im Takt der ewigen Schwingung.

Die Uni Duisburg bildet übrigens Kulturwirte aus.
http://www.uni-due.de/kulturwirt/

„Im Vergleich zu traditionell-philologischen Studiengängen zielen die landeskundlichen, linguistischen und kultur- und literaturwissenschaftlichen Module auf eine wesentlich vertiefte Auseinandersetzung der Studierenden mit der Kultur, Geschichte, Politik, Wirtschaft und Medienlandschaft der verschiedenen Kulturräume ebenso wie auf deren Vorstellungen von Identität und Alterität und die damit korrespondierenden Selbstbilder und Fremdbilder.“

Au Backe mein Zahn, das kann was werden. Ganz unabhängig von der ewigen Schwingung, die zu finden wir alle aufgerufen sind, wäre es günstiger gewesen, die Studiengänge nicht neu zu benennen (in Bachelor und Master), dafür aber das Personal gegen Leute auszutauschen, die tatsächlich Berufserfahrung haben und nicht ihr ganzes Leben an der Uni verbracht haben.

Während Dante Buonagiunta darüber aufklärt, welche Probleme die Nachwelt mit der Divina Commedia hat, ist sein Jugendfreund Forese Donati neben ihm gewandelt. Als nun die anderen Geister davonstürmen, bleibt er an seiner Seite.

Wie Vögel, die zur Winterfahrt zum Nil
Sich rüsten, bald gesammelt ziehn in Haufen,
Bald schnell in Zügen streben an ihr Ziel….

Interessant wäre jetzt natürlich die Quelle gewesen, aus der Dante schöpfte. Im Orginal sind die Zugvögel Kraniche, zumindest interpretieren italienische Kommentare augei als gru. Der Autor hat nicht herausfinden können, ab wann man über die Wanderwege der Zugvögel genau Bescheid weiß.

So blieb Forese mir zur Seite stehen,
Ließ still die heilige Schar vorüberstreben
Und sprach: „Wann werden wir uns wiedersehen?“

Auf diese Frage antwortet nun Dante, dass er sich möglichst bald von dem irdischen Jammertale verabschieden würde, weil ja Florenz verderbt ist und ohnehin bald untergehen wird. Letzteres ist ja falsch, wie wir heute wissen, denn die Blütezeit von Florenz beginnt erst rund 150 Jahre nach Dantes Tod.

„Die Rache wird den Schuldgen bald ergreifen,“
Sprach er, „zum Ort, wo keine Tränen gelten,
Seh ich an eines Tieres Schwanz ihn schleifen,

Und schnell, als ob es Eisenmuskeln schwellten,
Rast es dahin, zertritt, zerstampft ihn dann
Und lässt den Körper liegen, den enstellten

„Der Schuldige“ ist Corso Donati, also der Bruder seines Jugendfreundes Forese Donati, mit dem er sich gerade unterhält. Dieser Corso Donati ist übrigens auch ein Cousin seiner Frau, Gemma Donati. Er, also Corso Donati, ist das Haupt der schwarzen Guelfen, der Partei also, der Dante ursprünglich auch angehört hat, bis er zu den weißen Guelfen übergesiedelt ist. Dass Forese Donati jetzt seinen eigenen Bruder auf ziemlich drastische Art und Weise in die Hölle verfrachtet, ist nichts Ungewöhnliches. Familien waren halt schon im Mittelalter ganz komplizierte Organisationsformen. Allerdings ist in der Übersetzung von Zoozmann nicht richtig verständlich, wie lustvoll der eine Donati den anderen Donati in die Hölle schickt. Im italienischen Original klingt das so.

«Or va», diss'el; «che quei che più n’ha colpa,
vegg'io a coda d'una bestia tratto
inver' la valle ove mai non si scolpa.

La bestia ad ogne passo va più ratto,
crescendo sempre, fin ch'ella il percuote,
e lascia il corpo vilmente disfatto.

“Geh nun”, sprach er, “jener, der am meisten Schuld hat auf sich geladen,
den seh ich am Schwanze einer Bestie gezogen
zum Tale hin, wo nie gesühnt wird unsre Schuld

Die Bestie läuft bei jedem Schritt noch schneller
immer schneller, bis schließlich er erschlagen
und daliegt, mit zerstörtem Körper

Das ist nun wiederum eine Prophezeiung aus der Sicht der Vergangenheit, das kennen wir ja schon. Dante nutzt seine intimen Kenntnisse der Gegenwart, um die in der Vergangenheit lebenden mit der Präzision seiner Prophezeiungen zu beeindrucken. Tatsächlich ist er am 6. Oktober 1308 gestorben. Dante schreibt aber etwa um 1314, befindet sich aber im Jahre 1301 im Läuterungsberg. Eine Prophezeiung ist es, weil sich der Tod Corso Donatis tatsächlich so ähnlich zugetragen hat. Nach seinem Exil 1299 kehrte er 1301 durch Vermittlung von Bonifaz VIII zurück nach Florenz, wo er versuchte, die Herrschaft über die Stadt zu erlangen. Das brachte ihm die Feindseligkeit weiter Bevölkerungsschichten ein, und am 6. Oktober wurde sein Haus geplündert. Er selber flüchtete auf einem Pferd, stürzte aber und wurde am Steigbügel mitgeschleift. Für seine Verfolger war es dann ein Leichtes, ihn zu töten.

Nicht lange mehr (hier sah er himmelan)
Drehn sich die Kreise dort, bis klar am Ende
Dir wird, was dunkel jetzt mein Wort umspann

Das heißt auf Deutsch, dass Dante uns für geistig unterbelichtet hält und meint, dass wir den Trick mit der Prophezeiung nicht durchschauen. Die zweite Möglichkeit ist, er neckt uns. Also er stellt sich einen Leser vor, der die zwei Terzinen oben liest und dann darüber nachdenkt, wer denn derjenige sein könnte, der da vom Pferd fällt. Und dann fällt ihm Corso Donati ein und denkt sich, wow! Der Dante, das war aber einer, was der 1301 schon alles wusste.

Nun bleib zurück – kostbar ist hier die Spende
Der Zeit; am Heile muss sich dort verlieren,
Was ich durch Säumnis hier mit dir versäume

Das geht im Italienischen so.

Tu ti rimani omai; ché 'l tempo è caro
in questo regno, sì ch'io perdo troppo
venendo teco sì a paro a paro».

Du bleib jetzt zurück; den die Zeit ist wertvoll
in diesem Reiche, wenn ich zuviel davon verliere
indem ich weiterschreite nach deinem Maße

Das wiederum ist witzig, weil der Vers erstmal durchlaufen würde wie Wasser: Die Zeit ist knapp und wertvoll, das würden wir ohne weiteres verstehen und weiterlesen. Das Problem ist, dass der Vers in dieser konkreten Situation völliger Nonsens ist. Zeit ist nur dann knapp, wenn es konkurrierende Verwendungen gibt. Für diejenigen, die nichts zu tun haben, ist die Zeit kein knappes Gut, im Gegenteil, sie haben unter Umständen zuviel davon. Zeit wäre nur dann ein knappes Gut, wenn auf der siebten Terrasse des Läuterungsberg eine bestimmte Anzahl an Runden gedreht werden müsste. Davon wissen wir aber nichts. Bis jetzt sitzen sie da lediglich eine Zeit lang fest. Es ist also eigentlich völlig egal, wie schnell sie gehen. Sein Jugendfreund Forese Donati allerdings stürmt jetzt weiter. Wenn Dante sich also nicht auch ein bisschen beeilt, dann stürmt er bald von hinten wieder heran, dann müsste Dante posthum diese Verse einfügen

Da war er wieder, mein Freund aus frühen Jugendjahren
stürmte heran, wie ein Bock von hinten zu brünstig Zeiten
mich überholend spürte ich seine Hand auf meiner Schulter

lispelnd mir ins Ohr
aus seinen geschrumpften Lippen
na du warst auch schon fitter, du alte Pfeife

Dante kommt jetzt an einen zweiten Baum, der andere ist der, der konträr zur biologischen Logik wächst, die großen, älteren Äste oben, die kleineren, jüngeren, unten.

Da sah ich mich vor einem anderen Baume
Mit schwerbeladenen Ästen plötzlich stehen
Die weit sich streckten überm Straßensaume

Das Prinzip ist aber das gleiche wie beim ersten Baum. Die Leute sehen zwar die Früchte, das steigert ihre Begierde, kommen aber nicht ran. Es besteht also, wie beim ersten Baum auch, kein Risiko, der Versuchung zu unterliegen. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass beim ersten Baum die Begierde durch den Geruch wachgehalten wurde, hier dadurch, dass sie die Früchte sehen.

Und vor ihm standen tausend, die mit Flehen
Die Hände reckten, nach den vollen Zweigen
So kann man Kinder stürmisch betteln sehen

Die Parallelität zum Baum der Erkenntnis wird aber, das ist ein weiterer Unterschied zum ersten Baum, hier expressis verbis gezogen. Denn aus dem Inneren des Baumes tönt es.

„Geht weiter, sich zu nahn kann nicht frommen!
Ein Baum steht droben, davon Eva brach,
Und diese Pflanze ward von ihm genommen

Vergleicht man diese Maßnahmen mit den gesundheitspolitischen Maßnahmen der EU, also die Beschriftung auf den Zigaretten Packungen („Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit, entlastet aber die Rentenkasse), dann sind die Bilder Dantes harmlos, wir können also mit Sicherheit sagen, dass der Zielerreichungsgrad unterhalb dessen liegen wird, was Dante sich vorstellte. Im Übrigen hätten wir mehr Verständnis, wenn er ein McDonalds Restaurant dahin gesetzt hätte oder eine Berliner Curry Wurst Bude, denn das ist gesundheitlich bedenklich. Obst allerdings ist unbedenklich. Weiter kommt hinzu, dass es auch medizinisch falsch ist. Unterernährte, und die sind hier alle unterernährt, können kein Obst zu sich nehmen, es muss vorher zu Pulver verarbeitet werden, die Säure ist zu extrahieren. Weiter verstehen wir auch die Geschichte mit dem Baum der Erkenntnis nicht und was das mit diesem Baum zu tun hat.

Liest man die Geschichte nach, Genesis 3, 22 so wird man keinen Deut schlauer.

„Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz. Als sie Gott, den Herrn, im Garten gegen den Tagwind einherschreiten hörten, versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott, dem Herrn, unter den Bäumen des Gartens. Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: Wo bist du? Er antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe? Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben und so habe ich gegessen. Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen. Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht / unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. / Auf dem Bauch sollst du kriechen / und Staub fressen alle Tage deines Lebens. Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, / zwischen deinen Nachwuchs und ihrem Nachwuchs. / Er trifft dich am Kopf / und du triffst ihn an der Ferse. Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder. / Du hast Verlangen nach deinem Mann; / er aber wird über dich herrschen. Zu Adam sprach er: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. / Unter Mühsal wirst du von ihm essen / alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen / und die Pflanzen des Feldes musst du essen. Im Schweiße deines Angesichts / sollst du dein Brot essen, / bis du zurückkehrst zum Ackerboden; / von ihm bist du ja genommen. / Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück. Adam nannte seine Frau Eva (Leben), denn sie wurde die Mutter aller Lebendigen. Gott, der Herr, machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit. Dann sprach Gott, der Herr: Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt! Gott, der Herr, schickte ihn aus dem Garten von Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er genommen war. Er vertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Kerubime auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten.“

Zentral scheint ja dieser Satz zu sein: „Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.“

Bestraft wurden sie also dafür, dass sie soviel wissen wollten wie Gott, die Frechheit hatten, an ihm zu zweifeln und drittens auch noch sein wollten wie Gott.

Man kann sich fragen, ob das Christentum nur deswegen zur Volksreligion geworden ist, weil den Hokuspokus kein Mensch ernst nimmt. Und der ausgesprochen schiefe Vergleich Dantes, läßt vermuten, dass sich Thomas von Aquin zum Baum der Erkenntnis auch nicht geäußert hat, und wenn sich schon Thomas von Aquin ausschweigt, dann muss es sich wirklich um ein verdammt hoffnunglsoses Gewächs handeln.

Jetzt kommen noch ein paar Durchsagen der Polizei von wegen Trunkenheit am Steuer und so.

Und wieder rief‘ s: „Denkt der vermaledeiten
Zweibrüstgen, weinberauschten Wolkenkinder,
die gegen Theseus wagten frech zu streiten“

Allerdings ist die Durchsage kompliziert, bei einem Stau auf der Autobahn aber ganz unterhaltsam. Die zweibrüstigen sind die Kentauren, Kinder von Ixion und der Wolke. Mit der Wolke wiederum hat es folgende Bewandnis. Ixion war der König der Lapither und sollte Dia heiraten. Damit die Heirat stattfand, musste aber der Bräutigam in spe, als Ixion, an den Schwiegervater in spe, also den Vater von Dia, Eioneus, Kohle abdrücken, das nannte sich Brautgeld. Die Kosten sparte sich Ixion, indem er den schwiegerväterlichen Gläubiger in einer mit glühenden Kohlen ausgestatten Grube verbrannte. Das war ein Verbrechen. Jetzt wird es kompliziert. Dieses Verbrechen war aber einmalig und noch nie dagewesen, so dass es auch nicht gesühnt werden konnte. Ixios rannte also verzweifelt über die Erde. Zeus erbarmte sich dann (also mit Ixios, dem Täter, nicht mit Eioneus, dem Opfer) und holte ihn in den Olymp. Dort wiederum verliebte er sich in Hera (also Liebe ist bei den Griechen relativ, er will halt mit ihr in die Kiste). Das wiederum erzürnte Zeus, denn der will zwar immer Spaß haben, allerdings selten mit seiner Hera, wird aber tierisch sauer, wenn andere Typen Hera anbaggern. Also machte er eine Kopie von Hera, nämlich die Wolke Nephele und der dusselige Ixios pennte dann doch glatt mit der Kopie (woraus wir schon sehen, dass es mit der Liebe bei Ixios nicht allzuweit her war, sonst wär ihm das aufgefallen). Aus dieser Verbindung zwischen Ixios und der Wolke gingen dann die Kentauren hervor, Wesen halb Pferd, halb Mensch, also der Oberkörper eines Menschen sitzt auf einem Pferderumpf. Es gibt also die Brust des Pferdes und die Brust des Menschen, deshalb sind sie zweibrüstig. Damit haben wir die eine Komponenten des Plots (die vermaledeiten Zweibrüstgen). Fehlt die andere Hälfte. Der Zeus hatte sich eigentlich nur deswegen für Ixios stark gemacht, weil er hinter dessen Frau Dia her war (schwups den Gatten in den Himmel geholt und freie Bahn für freie Götter). Aus dieser Vereinigung ging dann Pirithous hervor, der wurde dann auch König von Lapith. Lapith wiederum war ein Kumpel von Theseus (das ist der, der den Minotaurus abmurkst). Auf der Hochzeit von Pirithous mit Hippodamia kam es dann zu den Ereignissen, auf die in der Terzine oben angespielt wird. Die Kentauren waren zu der Hochzeit eingeladen worden, waren aber an Alkohol nicht gewohnt. Sturzbesoffen versuchte der Kentaur Eurytion die Braut zu entführen. Im selben Moment machten sich alle Kentauren über die Hochzeitgesellschaft her. Nur Theseus, der hatte ja Erfahrungen mit so Viechern, der hatte ja schon den Minotaurus platt gemacht, gelang es, sie zu töten. Was uns Dante sagen will? Also wenn man sich besäuft, soll man davor sorgen, dass die anwesenden Frauen auch besoffen sind, sonst geht das ins Auge.

An der Hebräer Trunksucht denkt nicht minder
Die Gideon verschmäht zu Kampfgenossen
Eh er gen Midian zog als Überwinder

Eins muss man dem alten Testament ja lassen, die Plots sind im Vergleich zu der Chaostruppe der Griechen geradezu realistisch. Das ist aber auch irgendwie klar. Wenn im Himmel oben schon die volle Chaotentruppe regiert und die Götter sich benehmen wie die Spießbürger am Vatertag, dann gehen unten auch die Lichter aus. Beim alten Testament gibt es noch einen Gott, einen einzigen, der hat seine Truppe im Griff. Der Plott ist also schnell erzählt. Da die Israeliten mal wieder unartig waren gegen ihren Herrn, straft dieser sie mit Liebesentzug, was dann zur Folge hat, dass sie von den Midianitern unterdrückt werden. Irgendwann hat Gott dann ein Einsehen, ist ja auch blöd über eine deprimierte Truppe von Heulsusen zu herrschen, und beauftragt Gideon, mal klar Schiff zu machen mit den Midianitern. Entscheidend und interessant ist nun diese Stelle (Buch der Richter, Kapitel 7, 1 ff).

Gideons Sieg über die Midianiter

Da machte sich Jerubbaal, das ist Gideon, früh auf und alles Volk, das mit ihm war, und lagerten sich an den Brunnen Harod, daß er das Heer der Midianiter hatte gegen Mitternacht vom dem Hügel More im Grund. Der HERR aber sprach zu Gideon: Des Volks ist zu viel, das mit dir ist, daß ich sollte Midian in ihre Hände geben; Israel möchte sich rühmen wider mich und sagen: Meine Hand hat mich erlöst. So laß nun ausrufen vor den Ohren des Volks und sagen: Wer blöde und verzagt ist, der kehre um und hebe sich alsbald vom Gebirge Gilead. Da kehrten des Volks um bei zweiundzwanzigtausend, daß nur zehntausend übrigblieben. Und der HERR sprach zu Gideon: Des Volks ist noch zu viel. Führe sie sie hinab ans Wasser, daselbst will ich sie dir prüfen. Und von welchem ich dir sagen werde, daß er mit dir ziehen soll, der soll mit dir ziehen; von welchem aber ich sagen werde, daß er nicht mit dir ziehen soll, der soll nicht ziehen. Und er führte das Volk hinab ans Wasser. Und der HERR sprach zu Gideon: Wer mit seiner Zunge Wasser leckt, wie ein Hund leckt, den stelle besonders; des gleichen wer auf seine Kniee fällt, zu trinken. Da war die Zahl derer, die geleckt hatten aus der Hand zum Mund, dreihundert Mann; das andere Volk alles hatte knieend getrunken. Und der HERR sprach zu Gideon: Durch die dreihundert Mann, die geleckt haben, will ich euch erlösen und die Midianiter in deine Hände geben; aber das andere Volk laß alles gehen an seinen Ort.

Also das muss mal sich mal klar machen. Eigentlich hätten die Israeliten gar keinen Jahwe gebraucht, um die Midianiter platt zu machen. Hätten sie aber die Midianiter platt gemacht ohne Jahwe, dann hätten sie anschließend sagen können, dass sie auch ohne Jahwe was zustande bringen, ihn also gar nicht brauchen. Gott Jahwe ist also ein ganz ausgepuffter Psychologe, er operiert mit der sogenannten erlernten Hilflosigkeit. Das ist ein Begriff aus der Psychologie. Gelernte Hilflosigkeit beschreibt das Phänomen, dass Menschen aufgrund von negativen Erfahrungen in der Vergangenheit, Herausforderungen in der Zukunft nicht mehr meistern, weil sie nicht mehr kämpfen. Gott bringt also seinem Volk bei, ohne ihn hilflos zu sein. Damit er das beweisen kann, schickt er erst mal alle heim, die nicht so richtig wollen. Da sind aber immer noch zuviele. Er sortiert also nochmal. Wer das Wasser mit der Zunge zusammenschlappert geht mit, die anderen werden heimgeschickt. Es bleibt dann nur noch eine kleine Truppe übrig, die brauchen dann Gott Jahwe tatsächlich. Da kann man Goethe nur zustimmen.

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft
An Eichen dich und Bergeshöhen!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehen
Und meine Hütte die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Aus der ganzen Geschichte hat Dante dann etwas herausgelesen, was an sich nicht zentraler Aspekt der biblischen Geschichte ist. Rein ästhetisch gesehen ist den Kopf ins Wasser stecken wohl besser als das mit der Zunge zusammenzuschlappern. Der Vergleich ist völlig schief. Mit gierig oder nicht gierig hat die Geschichte nichts zu tun. Das gibt der biblische Text nicht her.

So hörten wir, hinwandernd unverdrossen
Am Felshang, die Genusssucht tadeln dort
Sowie den bösen Lohn, der ihr beschlossen

Das der Baum uns eindringlich vor den Folgen der Genusssucht gewarnt hätte, sehen wir jetzt natürlich nicht, aber egal.

Schon waren wir wohl tausend Schritte fort
Wo uns den freien Umblick nichts verdeckte
Beschaulich gehend, keiner sprach ein Wort

Das ist nicht wirklich das italienische Orginal, aber der Unterschied ist nicht bedeutsam.

Poi, rallargati per la strada sola,
ben mille passi e più ci portar oltre,
contemplando ciascun sanza parola.

Dann alleine auf der Straße wandelnd
etwas mehr als tausend Schritte und darüber hinaus
jeder vor sich hinschauend ohne ein Wort zu sprechen

Es naht sich nun der Engel, der ein weiteres P von der Stirn Dantes löscht.

Als mich im Sinnen jäh ein Anruf weckte:
„Was geht ihr drei so nachdenklich beisammen?“
Dass wie ein junges Fohlen ich erstreckte

Zu sehn woher die Rede mochte stammen,
hob ich das Haupt – und fühlte Glanz mich blenden
Als schmölze Glas und Erz in roten Flammen

Und wieder scholl‘ s: „Ihr müsst euch hierher wenden
Wenn ihr entschlossen seid, emporzukommen
Nur dieser Weg wird euch den Frieden spenden“

Interessant ist dann noch die letzte Terzine.

Erscholl ein Singen: „Selig, wer da fühlte
Die Gnade, die von Gaumenlust befreit,
Und die Begierden aus dem Herzen spüle

Dass ihn nur hungert nach Gerechtigkeit

Unter Umständen haben wir hier eine Vertiefung des Begriffes Gier. Wer gierig ist, kümmert sich eben ganz überwiegend um sich selbst. Allerdings ist diese Idee in dem ganzen Gesang nicht suggestiv dargestellt. Genau so gut vorstellbar ist das Gegenteil, wer zu lange gen Himmel schaut, der schaut unter Umständen zu wenig auf die Erde. Weiter wäre, wenn überhaupt der Zusammenhang psychologisch plausibel dargestellt werden soll, die Fresssucht konsequent durch Gier und Habgier zu ersetzen. Innerhalb der Gier, ist die Fresssucht noch die harmloseste Variante, manche Leute macht ihr Appetit sogar sympathisch. Es ist Dante nicht gelungen, eine theologische Lehrmeinung mit den bunten Farben des Lebens auszuschmücken.